Wacken Open Air
Der große Festivalbericht 2007
Konzertbericht
SABBAT (17:40 – 18:25, W.E.T. Stage)
Reunions, alte Männer und Killergigs die dritte bitte. Nach den Knallerauftritten von POSSESSED und SACRED REICH ist es nun an Martin Walkyier, Andy Sneap und Co. den Jungspunden zu zeigen, was ’ne Harke ist. Zwar hat man SABBAT ins „W.E.T. Zelt“ verbannt, das aber aus allen Nähten zu platzen scheint.
Die englische Pagan-Legende wird dann auch abgefeiert ohne Ende. Egal ob bei „Hosanna In Excelsis“, „The Clerical Conspiracy“ oder „Behind The Crooked Cross“, das Publikum geht ab wie Nachbars Katze und beweist enorme Textsicherheit. Martin Walkyier ist sowieso einer der besten Frontmänner der gesamten Metalszene und steckt ein Gros der Konkurrenz in seine (Westen-)Tasche – egal ob mit SKYCLAD, RETURN TO THE SABBAT oder THE CLAN DESTINED – und seine Ansagen kommen mittlerweile in astreinem Hochdeutsch daher, was ihm zusätzliche Sympathiepunkte bringt.
Leider ist die dreiviertel Stunde wieder mal viel zu schnell um, um alle Hits der beiden Alben „History Of A Time To Come“ und „Dreamweaver“ zu bringen, aber SABBAT zählen für mich zu den eindeutigen Gewinnern des Festivals. Schön, die Jungs mal wieder gesehen zu haben! (Nightstalker)
Foto: Timo Pässler / Stalker.cd
J.B.O. (18:45 – 19:45, True Metal Stage)
Nach dem hammergeilen FALCONER-Auftritt komme ich nun gerade rechtzeitig zurück zur „True Metal Stage“, um die fränkischen Blödelbarden J.B.O. zu erleben. Wie immer sorgt das rosafarbene Spaß-Kommando für gute Laune in der kopfstarken Fanschar. Die anwesenden Metalheads verstehen eben doch mehr Spaß als ihnen das Klischee üblicherweise gerne zugestehen würde und steigen voll auf die Blödsinntexte der launigen Cover-Versionen ein.
Nachdem ich die Franken jedoch mittlerweile häufig genug erleben durfte und angesichts des insgesamt starken Festivalprogramms, bleibt bei mir die große Begeisterung komplett aus. Natürlich verstehen J.B.O. ihr Handwerk und die stilistisch gelungenen Imitationen völlig unterschiedlicher Künstler und musikalischer Spielarten verdient nach wie vor Respekt. Immerhin sind Vito C., Hannes Holzmann, Ralph Bach und Wolfram Kellner möglicherweise die einzigen Menschen, die MANOWAR noch „echter“ imitieren können als die selbsternannten „Kings Of Metal“ sich selbst. Nach einer halben Stunde gehe ich dennoch dazu über, mir das Ganze aus der Ferne anzugucken.
Schön sind in jedem Fall das wie üblich mit Bezügen zum aktuellen politischen und gesellschaftlichen Tagesgeschehen versehene „Medtl-Gschdanzl“ und die MANOWAR-Pflicht-Verarsche „Verteidiger Des Wahren Blödsinns“. Dafür wird „Ein Guter Tag Zum Sterben“ überraschend früh in die Menge geblasen und klang bei anderer Gelegenheit auch schon inspirierter. Haben J.B.O. etwa mittlerweile selbst die Schnauze voll von ihrem genialen Überhit?
Mit dem neuen Material kann ich hingegen nicht allzu viel anfangen. Sowohl „Rock Muzik“ als auch „Fränkisches Bier“ treffen irgendwie gar keinen humoristischen Nerv bei mir. (Xeledon)
Die rosafarbenen Party-Metaller J.B.O. rufen – und die Leute kommen. Sogar in dem Ausmaß, dass sich die Menge bis ganz hinten stapelt. Als die vier Jungs aus Erlangen dann auf die Bühne klettern, ist auch sofort klar, dass niemand umsonst gekommen ist, denn von „Mei Alde Is Im Playboy Drin“ bis hin zu „Verteidiger Des Wahren Blödsinns“ fehlt kein Klassiker, aber natürlich wird mit „Fränkisches Bier“ auch die aktuelle EP „Rock Muzik“ abgedeckt. Das Beste an diesem Gig sind allerdings die spaßigen Ansagen, denn Hits und Mitgröhlspielchen hin oder her – der Party-Pegel eines Club-Gigs von J.B.O. wird nicht ganz erreicht. (Death Angel)
LACUNA COIL (20:00 – 21:00, Black Stage)
Dass LACUNA COIL trotz weiblichem Lead-Gesang nicht mit den finnischen Superstars NIGHTWISH verglichen werden können, verdanken sie ihrem ausgesprochen modernen Approach. Und dem Vernehmen nach hinterlassen die Italiener um Christina Scabbia – die mittlerweile nicht ohne Grund zu den gefragtesten Gast-Sängerinnen auf den Studioalben anderer Bands gehört – auch in Wacken einen guten Eindruck.
So ist es auch ausschließlich durch meine grundlegendsten menschlichen Bedürfnisse und die lange Warteschlange bei den Toiletten im V.I.P.-Bereich (ja, kacken in Wacken zählt auch für uns Presse-Leute zu den unangenehmeren Erfahrungen im Festival-Alltag…) bedingt, dass ich den Weg vom Pressebereich zurück aufs Gelände erst wiederfinde, als die Band zu ihren letzten Stücken ansetzt. Und bis ich mir endlich einen einigermaßen freien Blick auf die Bühne erkämpft habe, verschwinden LACUNA COIL bereits wieder.
Dies liegt allerdings nicht zuletzt auch daran, dass der Gig eine Viertelstunde kürzer ist, als ursprünglich geplant. Allerorten blickt man in fragende Gesichter, die zu zaghaften aber erfolglosen Zugabe-Rufen ansetzen. Wollen die Italiener nicht länger als eine Dreiviertelstunde spielen? Oder handeln sie auf Befehl „von oben“, damit BLIND GUARDIAN früher loslegen können, ohne dass die 15-minütige Pause zwischen den Bands entfallen muss?
Sei’s wie’s sei, das Gehörte – in diesem Fall das hypnotische „Heaven’s A Lie“ und die DEPECHE MODE-Coverversion „Enjoy The Silence“ – wissen zu gefallen. So muss ich mich wieder einmal fragen, warum eigentlich das aktuelle Album „Karmacode“ den Weg in meine Plattensammlung noch nicht gefunden hat…? (Xeledon)
Foto: Melanie Haack
ENSLAVED (20:00 – 21:00, Party Stage)
Ich habe mich wahrlich auf die Norweger gefreut, aber auf das, was ENSLAVED in der folgenden Stunde abliefern, bin ich beileibe nicht gefasst. Gerade rechtzeitig stolpere ich mit frisch gefülltem Bier auf die Party Stage, gerade rechtzeitig zum „Ruun“-Doppelpack „Path To Vanir“ und „Tides Of Chaos“. Spätestens ab da ist ungläubiges Staunen angesagt.
Hier passt das Wort „Spielfreude“ wie bei sonst wenigen Black Metal-Bands, der Sound ist wuchtig und glasklar. Einen kalten Schauer nach dem anderen jagen mir ENSLAVED über den Rücken. Diese Stunde ist ein Lehrbeispiel von kalter Härte, filigranen Instrumentalleistungen und einer packenden Live-Performance. Die Norweger zeigen sich an diesem Abend von ihrer besten Seite: äußerst sympathisch im Stageacting und der Interaktion mit dem Publikum und musikalisch jederzeit erhaben. Garstig schallen die Keif-Vocals von Grutle Kjellson durch die Boxen, majestätisch untermalt durch den wundervollen Klargesang des Keyboarders.
Selbst älteres Material wie beispielsweise „Jotunblod“ vom „Frost“-Album, das bei mir bislang auf relativ taube Ohren stieß, entfalten sich in ihrer vollen Pracht. „As The Fire Swept Clean The Earth“ erlebt seine Live-Premiere, „Return To Yggdrasil“, „Bonded By Allegiance“ und „Ruun“ sind Höhepunkte einer Stunde, die wie im Fluge zu vergehen scheint. Als Kjellson dann als letzten Track einen Song vom ’93er Split mit EMPEROR ankündigt, gibt es kein Halten mehr, und danach wanken nur rundum glückliche Gesichter weg von der Party-Stage. Hammer! (Raphi)
Foto: Melanie Haack
BLIND GUARDIAN (21:15 – 22:45, True Metal Stage)
Live-Auftritte von BLIND GUARDIAN sind für mich mittlerweile eine recht zwiespältige Sache. Zwar haben die Krefelder stets mehr als genug erstklassige Hits im Gepäck und geben diese mit jeder Menge Spielfreude und spieltechnisch nahezu perfekt zum Besten, andererseits weiß man fast schon ZU genau, was einen während des gut anderthalbstündigen Gigs erwartet. Bereits eine Viertelstunde früher als angekündigt entern die Metal-Barden um 21 Uhr zu den Klängen von „War Of Wrath“ die Bühne und legen erwartungsgemäß mit „Into The Storm“ los. Auch die nachfolgenden „Born In A Mourning Hall“, „Nightfall“ und „The Script For My Requiem“ sind echte Songperlen, kennt man aber genau in dieser Reihenfolge bereits von der letzten Tour.
Die zahlreichen Menschen, die das Festivalgelände bis auf den letzten Quadratmeter dicht auf dicht füllen, stört dies hingegen nicht, denn die heutige Tagesform der Band ist bestechend. Gleichermaßen entspannt wie gut gelaunt animiert Frontmann Hansi Kürsch die Fans zu Höchstleistungen und setzt mit seinen Bandkollegen gemeinsam ebenfalls zu selbigen an. Vom jüngsten Album „A Twist In The Myth“ hat man „Fly“ und „Otherland“ im Gepäck. Dass man aber nach wie vor den garantiert live-tauglichen Überohrwurm „Straight Through The Mirror“ außen vor lässt, ist schade. Auch die aktuelle Single „Another Stranger Me“ kommt nicht zum Einsatz, dafür jede Menge hochkarätiges Material wie „Welcome To Dying“, „Bright Eyes“ und „Time Stands Still (At The Iron Hill)“.
Natürlich erreicht die Stimmung ihren ersten Höhepunkt mit „Valhalla“, wo auch die Crowdsurfer-Dichte in unangenehme Höhen steigt, so dass man an den Engstellen links und rechts der Front-Of-House-Türme mehr damit beschäftigt ist, Menschen nach vorne durchzureichen, als dass man noch Zeit hätte, vernünftig mitzusingen (überhaupt fallen die „Valhalla“-Chöre heute etwas bescheidener aus als bei Club-Konzerten der Band) oder gar zu sehen, was auf der Bühne vor sich geht. Schade eigentlich, denn zusätzlich zur imposanten Lichtanlage werden die Songs auch von überaus gelungenen Video-Einspielungen untermalt, die nicht mit wilden Effektfeuerwerken überfrachtet sind und nur selten vom sonstigen Geschehen auf der Bühne ablenken. Vorbildlich!
In Sachen Stageacting setzen BLIND GUARDIAN schon immer auf Natürlichkeit. Die Outfits sind dezent, die Gesten frei von poserhaften Rockstar-Allüren. Wenn Hansi beim Singen einmal kräftig mit den Augen rollt und die Hände in Richtung Publikum ausstreckt, ist das über weite Strecken schon das höchste der Gefühle. Auch Marcus Siepen und André Olbrich widmen sich überwiegend breitbeinig ihrem Gitarrenspiel, während die beiden Stamm-Gastmusiker Oliver Holzwarth und Michael Schüren selten bis gar nicht aus dem Hintergrund der Bühne heraustreten.
Dort logiert auch Neu-Drummer Frederik Ehmke, der seine Rolle in der Band gefunden hat und seinen Vorgänger Thomen Stauch nur selten vermissen lässt. Vor allem optisch bringt der bärtige Glatzenträger und notorische Barfußtrommler einen gänzlich anderen Pepp in die Mannschaft und erfüllt seine Aufgabe als Taktgeber mit offensichtlicher Spielfreude und akkribischer Genauigkeit. Es macht einfach Spaß, diesen Jungs zuzuschauen, auch wenn sie im Grunde genau das von sich hören lassen, womit man bereits im Vorhinein fest rechnen durfte.
Doch halt!
Zwischendurch gelingt BLIND GUARDIAN doch noch die heiß ersehnte Überraschung und man packt einen ganz alten Song aus, den man live schon lange nicht mehr von ihnen hören durfte: „Traveller In Time“ vom „Tales From The Twilight World“-Album. Die Überraschung glückt, denn auch diesen Song haben die Krefelder Barden natürlich nicht verlernt. Und wo wir schon beim Thema „Barden“ sind – direkt im Anschluss folgt das, worauf viele Fans sich schon am meisten gefreut haben, der legendäre „Bard’s Song“ nämlich, der augenzwinkernd als „Durchschnittssong einer Durchschnittsband“ angekündigt wird.
Wie üblich gibt Hansi hier die Rolle des Lead-Sängers ans Publikum ab, das angesichts einer Kopfstärke von 70000 und einer gewaltigen Menge an emporgereckten Feuerzeugen jedoch nicht voll überzeugen kann. Dennoch lobt der Frontmann die Fans und bekundet, dies sei die „extremst lauteste und geilste Version ist, die ich bisher gehört habe“. Ich bin mir da zwar nicht ganz so sicher, was aber nix dran ändert, dass bei diesem Lied immer eine Gänsehaut vorprogrammiert ist.
Nach einer guten Stunde Spielzeit braucht die Band offenbar eine kurze Verschnaufpause und verschwindet kurz von der Bühne, um sich von begeisterten „Zugabe“-Rufen schließlich wieder hervorlocken zu lassen. Ein kurzer Blick auf die Uhr verrät ohnehin, dass die Band noch eine knappe halbe Stunde Spielzeit zur Verfügung hat (die sie im übrigen sogar um einige Minuten überzieht…), so dass „Imaginations From The Other Side“, bei dem die extrem schicken Spiegelplatten im Bühnenhintergrund Eindruck schinden, nur der Auftakt zu einem echten Hit-Feuerwerk darstellt.
Mit dem „A Night At The Opera“-Stück „Punishment Divine“ hatten vermutlich nicht allzu viele gerechnet und mit „This Will Never End“ bringt man ein weiteres starkes Stück vom neuen Album. Dazu gibt es noch das stimmungsvolle „Lord Of The Rings“ und den obligatorischen Rausschmeißer „Mirror Mirror“. Ein Klasseauftritt der Krefelder Metal-Barden, der zurecht von der Mehrheit der Anwesenden begeistert abgefeiert wird. (Xeledon)
Viel kann und will ich zu den von Xeledon bereits ausführlich rezensierten Gardinen nicht mehr schreiben, außer: Mann, ist das leise! Ich stehe im vorderen Drittel und kann mich problemlos unterhalten. Gott sei Dank interessiert mich der wie gewohnt sehr mitsingfreudige Gig nicht allzu sehr, ansonsten wäre ich durchaus enttäuscht gewesen. Der Bierstand war lauter als BLIND GUARDIAN… und brachte mit persönlich mehr Freude. (Raphi)
BELPHEGOR (22:20 – 23:05, W.E.T. Stage)
Als gegen Abend BELPHEGOR mit ihrem schwarzen Todesstahl locken wird es warm, denn im Zelt stapeln sich die Leute, so dass es sehr eng, sehr stickig und sehr schwül ist. Hinzu kommt noch ein weiterer Faktor: Leute, ich, der ich auch Metalcore mag, habe ganz bestimmt nichts gegen Moshpits, aber muss das denn bei einer Band wie BELPHEGOR wirklich sein, noch dazu, wenn es eh schon so überfüllt ist?
Doch nun zu der Musik: Hier gibt es absolut rein gar nichts auszusetzen, man könnte höchstens bemängeln, dass das Schlagzeug ein kleines bisschen zu leise ist. Ansonsten ist der Sound sehr wuchtig und die Band spielerisch astrein. Hauptsächlich wird heute das aktuelle Album „Pestapokalypse VI“ bearbeitet, allerdings kommen auch alte Songs wie „Lucifer Incestus“ zum Zuge. Eine gelungene Show. Empfindet mein Kumpel, der sich unbeabsichtigt in den Moshpit gestellt hat, übrigens ähnlich. O-Ton: „Alter, der zweite Weltkrieg war ein Scheißdreck dagegen!“ (Death Angel)
Foto: Timo Pässler
DIMMU BORGIR (23:00 – 0:15, Black Stage)
Echt abartig, wie voll es bei den Norwegern ist. Bis auf die Seitenbereiche ist es so dicht besetzt, dass einem der Platz zum Umfallen fehlt. Ich verfolge die erste Hälfte des Gigs, und auch wenn ich die Mucke nicht besonders schätze, muss ich sagen: Hut ab! Der beste Sound des Festivals, perfekte Show, exzellente Musiker, die sich perfekt in Szene zu versetzen vermögen. Da stört es die wenigsten, dass gerade Attribute wie „kalt“, „wütend“, „roh“ oder „zerstörerisch“, die für mich den Reiz an Black Metal ausmachen, hier völlig Fehl am Platz sind. Dies hier ist perfekt inszenierter, symphonischer, glatt gebügelter Black Metal. Der Masse gefällt es, ich ziehe dann doch Bier und ’nen Crêpe (nicht süß!) vor. (Raphi)
Foto: Maike Eisenmenger
SCHANDMAUL (23:00 – 0:15, Party Stage)
Echte Ruhe ist mir bei dem heutigen Festivalprogramm nicht vergönnt. Doch nach der intensiven BLIND GUARDIAN-Show kommen SCHANDMAUL diesem Zustand noch am nächsten. Die Münchener sind wohl die einzige Band im Metal-Bereich, auf die mich erst meine Freundin so richtig aufmerksam gemacht hat. Seitdem empfinde ich ihre Shows jedoch immer wieder aufs Neue als sehenswert und genieße die gute Laune und Partystimmung, die die Folk-Rocker auf ihre ganz eigene Weise verbreiten.
Mit anderen Mittelalter-Bands wie IN EXTREMO oder SUBWAY TO SALLY hat der Sound der Münchener eigentlich nur auf den ersten Blick viel gemeinsam. SCHANDMAUL neigen eher dazu, etwas sanftere Töne anzuschlagen und greifen vermehrt auf deutsche und europäische Volksmusik zurück, richtig tief in der Mittelalter-Schublade wühlen sie im Grunde nie. Den stärksten Bezug zu jener in mancherlei Hinsicht vielleicht finstersten Epoche der Geschichte, die auch in unserer modernen Gegenwart noch unzählige Menschen fasziniert, stellen die Texte her, die streckenweise wie Blaupausen eines klassischen Fantasy-Rollenspiels wirken.
Heute konzentriert sich das Programm des Sextetts auf ihr jüngstes Studioalbum, von dem sechs Stücke gespielt werden. Mit „Vor Der Schlacht“ beginnt der muntere Reigen, später wird auch „Kein Weg Zu Weit“ heftig abgefeiert. Nur für das wilde „Feuertanz“ kann ich mich nach wie vor nicht so recht begeistern. Macht aber nix, denn bei 75 Minuten Spielzeit findet sich auch Platz für jede Menge Bandklassiker, die diesen einen Ausfall rasch vergessen lassen. Gleich zu Beginn bringt man mit „Herren Der Winde“ eine heimliche Bandhymne (die zweite – „Vogelfrei“ – folgt gegen Ende des Sets) und setzt mit „Leb!“ und „Drachentöter“ nicht minder eindrucksvoll nach.
Die deutschen Texte erleichtern der eifrigen Zuschauerschaft das Singen natürlich ungemein und provozieren lautstarke Mitsing-Chöre. Die echten Die-Hard-Fans, die schon immer deutlich textsicherer waren als Sänger Thomas Lindner, lassen auch in den Strophen nicht nach, wärend jene, die das Material der Band noch nicht so gut kennen, nach dem zweiten Vers zumindest weite Teile der Refrains wiedergeben können.
SCHANDMAUL beherrschen auch die leiseren, melancholischen Töne, die einen in „Das Tuch“ oder „Sichelmond“ zum Nachdenken bringen, und erzählen auch gerne die ein oder andere Gruselgeschichte wie beim „Seemannsgrab“. Umso ärgerlicher ist hier das laut von der „Black Stage“ herüberdröhnende Geknüppel von DIMMU BORGIR, dass im hinteren Bereich des Zuschauerraums die ruhigen Passagen fast vollständig überdeckt.
Zum Glück bieten SCHANDMAUL aber auch jede Menge fröhlich rockenden Stoff zum Feiern und präsentieren diesen frei von irgendwelchen Starallüren in entspannter und gut gelaunter Atmosphäre. „Kennt ihr das Spiderschwein?“ fragt Thomas Lindner in Anspielung auf den diesjährigen Festival-Schlachtruf und baut daraus eine arg konstruiert wirkende, aber in jedem Fall unterhaltsame Überleitung zu „Die Tür In Mir“. Doch damit nicht genug, in wilden Spekulationen über das Paarungsverhalten dieses Tieres findet er Parallelen zum „Lichtblick“, der ebenfalls zum Besten gegeben wird.
Den Höhepunkt erreicht der Gig wie gewohnt bei „Walpurgisnacht“, wo sich vor der Bühne ein Meer aus auf und ab hüpfenden Gestalten bildet, das auch bei den meisten bekannteren Bands seinesgleichen sucht. Anschließend wird es mit der zarten und dennoch nie kitschig werdenden Hammerballade „Dein Anblick“ noch einmal besinnlich, bevor SCHANDMAUL ihre Fans in die kühle Nacht entlassen. Ein paar Pflicht-Hits wie „Teufelsweib“ oder „Geisterschiff“ vermisse ich heute zwar auf der Setlist, das dargebotene Material ist aber über jeden Zweifel erhaben. Saustark! (Xeledon)
SAHG (23:30 – 0:15, W.E.T. Stage)
Leider nur die letzen Songs erlebe ich von den Norge-Doomern von SAHG. Und die werden so packend und eindringlich gespielt, dass Ärger meinerseits aufkommt, nicht mehr gesehen zu haben. Aber wir befinden uns in Wacken, und bei so einer Hülle und Fülle an guten Bands, muss man leider auch Abstriche machen. Der Vierer, bestehend aus Black-Metallern von Bands wie u.a. GORGOROTH bietet im Schein der Fackeln auf der Zeltbühne einen der wenigen Doom-Lichtblicke auf dem diesjährigen Wacken.
Kommunikationsarm, aber unglaublich kraftvoll und wuchtig zerlegen SAHG stilvoll das Zelt; inklusive der spärlich gesäten Interessierten – der Großteil schaut sich DIMMU BORGIR oder den Zeltplatz an. Schade, denn mit ihrer Mischung aus BLACK SABBATH und CATHEDRAL versprühen die Norweger wunderschöne Doom-Tristesse – nur leider viel zu kurz – was auch an mir selbst liegt… (Raphi)
Foto: Melanie Haack
ICED EARTH (0:30 – 1:45, True Metal Stage)
Eins gleich vorneweg: Im Gegensatz zum Auftritt auf dem „Bang Your Head!!!“ vor drei Jahren liefert Tim „Ripper“ Owens heute eine erstklassige Gesangsleistung ab, die über die gesamte Auftrittsdauer hinweg keinerlei Schwächen offenbart. Letztlich spielt das aber auch überhaupt keine Rolle. Die Fans vermissen Matt Barlow nach wie vor und werden seinen Nachfolger wohl in diesem Leben nicht mehr als Frontmann ihrer Lieblingsgruppe akzeptieren.
Ob der Ripper somit jemals eine faire Chance bei dieser Band bekommen wird, darf bezweifelt werden. Auch von Spannungen im Verhältnis zwischen dem Sänger und ICED EARTH-Mastermind Jon Schaffer berichtete die Gerüchteküche der letzten Jahre immer wieder. Was mag man also davon halten, dass der Gitarrist bei „Stormrider“ lieber die eigenen Stimmbänder quält, wobei jedoch mehr als deutlich wird, warum er sich normalerweise auf sein Saiteninstrument beschränkt?
Sei es wie es sie, die Freude, ICED EARTH endlich einmal wieder auf deutschem Boden bewundern zu dürfen, ist bei vielen groß, so dass nur unwesentlich weniger Menschen auf dem Gelände unterwegs sind als zuvor bei BLIND GUARDIAN. Und die Reaktionen fallen überwiegend positiv aus. Vergessen sind die unnötigen Diskussionen über das patriotische „The Glorious Burden“-Album und Jon Schaffers in vielen zugehörigen Interviews vertretenen konservativen Ansichten. Vielleicht ist das Interesse an der imperialistischen Politik der amerikanischen Regierung gesunken, vielleicht polarisieren George W. Bush und Konsorten einfach nicht mehr so stark. Vielleicht haben auch endlich die sinnlosen Grabenkämpfe zwischen Pro- und Anti-Amerikanern ein Ende und die Mehrheit kapiert langsam wieder, dass schwarz/weiß-Malerei jeglicher Couleur vollkommen unangebracht ist.
So kann endlich wieder die Musik im Mittelpunkt stehen – und die ist einfach erstklassig. Wer ICED EARTH gehört hat, wird verstehen können, wie wenig Power-Metal im ursprünglichen Sinne mit den Tralala-Kitsch-Auswüchsen gemeinsam hat, die unter dieser Bezeichnung heute in Europa dominieren und das Attribut „Power“ eigentlich schon lange ad absurdum führen.
Mit der erhabenen Hymne „Declaration Day“ eröffnet eine Band ihren Set, die neben Schaffer und Owens mal wieder aus einigen neuen Gesichtern besteht. Im Gegensatz zu Bassist Dennis Hayes und Gitarrist Troy Seele war Drummer Brent Smedley in der Vergangenheit schon zweimal eine Zeitlang Mitglied bei ICED EARTH. Vielleicht sind aller guten Dinge ja wirklich drei, ich bin jedenfalls gespannt, wie lange es dauert, bis Jon Schaffer seine Mitmusiker diesmal vor die Türe setzt. So lange der Mastermind das Songwriting im Alleingang absolviert, ist der Einfluss dieses stetig rotierenden Personalkarussels auf die Musik ohnehin eher gering – und angesichts des dargebotenen Niveaus ist dies auch gut so.
Neben dem eher durchwachsenen „Ten Thousand Strong“, das man bereits von der „Overture Of The Wicked“-EP kennt, präsentiert die Gruppe einen weiteren neuen Song, der deutlich stärker ausgefallen ist und damit eine Menge Lust auf das Anfang September erscheinende „Framing Armageddon“-Album macht. Zwischen den einzelnen Stücken verschwendet die Band nicht viel Zeit auf Ansagen, sondern spielt in der eingesparten Zeit lieber einen Song mehr. Jon Schaffer steht breitbeinig und relativ bewegungsarm mit seinem langen Ledermantel auf der Bühne und wirkt ein wenig kühl und distanziert. Ob er absichtlich nicht so richtig aus sich herausgeht? Oder schränken ihn noch immer Rückenprobleme in seiner Bewegungsfreiheit auf der Bühne ein?
In jedem Fall dienen perfekt auf die Musik abgestimmte Lichteffekte und ein reichhaltiges Sortiment an Pyro-Effekten dazu, die optische Seite des Gigs zu betonen. Dazwischen wirbelt der Ripper über die Bretter, der bei hohen Schreien die für ihn so typische Pose – zusammengekrümmt und mit hochrotem Kopf – annimt. Zumindest bei mir sind damit alle Bedenken, was die Zukunft der Band angeht, erst einmal beseitigt. Eine bessere Werbung für ihr neues Album und die anstehende Tournee können ICED EARTH gar nicht machen. (Xeledon)
FASTWAY (0:40 – 1:25, W.E.T. Stage)
Wer will geniale Gitarrensoli hören? Naja, an der Zuschauerzahl im „W.E.T. Zelt“ bemessen wollen die meisten lieber ICED EARTH als Headliner auf der „True Metal Stage“, lauschen, als „Fast“ Eddie Clarke, Ex-MOTÖRHEAD Gitarrist und lebende Legende zu bewundern. Für das diesjährige „Wacken Open Air“ wird die 1983 gegründete Hard-Rock-Band FASTWAY wiederbelebt. Hier kommen Fans von 70er- bis 80er-Rock voll auf ihre Kosten, FASTWAY lassen einen an LED ZEPPELIN, GUNS’N’ROSES aber auch EUROPE denken.
„Steal The Show“, ein klassisches Stück 80er-Schweinerock, wird von einigen unschlüssigen Festivalstreunern beim Wort genommen und so füllt sich das Zelt nach und nach auf immerhin die Hälfte. Diejenigen, die FASTWAY neben ICED EARTH eine Chance gegeben haben, bereuen das sicher nicht. Wir genießen alle gemeinsam ein stimmungsvolles Konzert, gespickt mit beeindruckenden Gitarrenparts, im fast schon familiären Rahmen. (Katrin Dietl / Stalker.cd)
Foto: Timo Pässler / Stalker.cd
SAMAEL (2:00 – 3:00, Party Stage)
Den Schweizer Düster-Metallern ist es vorbehalten, den zweiten Festival-Tag zu beschließen. Problem nachts um zwei: Man besitzt nicht mehr ganz die geistige Frische.
Dennoch schaffen es die Eidgenossen mit ihrem mitunter sehr düsteren und komplexen Material meine letzten Reserven zu mobilisieren. Mein persönliches Manko: Vom Überalbum „Passage“ schaffen es lediglich drei Songs in den Set: „The One Who Came Before“, „Rain“ und das abschließende „My Savior“.
Im Fokus stehen Songs des neuen Albums, die live allesamt auch sehr gut funktionieren: „Solar Soul“ oder „Slavogracy“ fügen sich prima in das Gesamtsoundbild ein. Dieses beinhaltet auch wenige ältere Songs wie „Son Of Earth“ oder „Baphomet’s Throne“, die aber wie gewohnt in der „neuen“ SAMAELschen Spielweise interpretiert werden. Will sagen: keine rohen Black Metal-Klumpen, sondern kalte Industrial-Batzen, bei denen das Keyboard eine tragende Rolle spielt.
Das ganze wird untermalt durch eine gelungene Lichtshow, lediglich das Stroboskop wird einige Male deutlich überstrapaziert. Das Backdrop besteht aus auf die Songs abgestimmten Animationen, davor thront XY, halb schlagzeugend, halb keyboardend. Wortkarg, aber charismatisch führt Vorph durch den Set; aber nicht nur er merkt, dass die Masse müde ist. Dennoch: guter Gig! (Raphi)
Foto: Maike Eisenmenger / Stalker.cd
DIE APOKALYPTISCHEN REITER (2:00 – 3:00, Black Stage)
Die letzten, die heute die „Black Stage“ beehren, sind DIE APOKALYPTISCHEN REITER, die eine Megaparty steigen lassen, auch wenn um diese Uhrzeit nicht mehr so viele Fans anwesend sind, wie erwartet. Ein Hammer-Sound, der gute Mix aus alten und neuen Songs sowie jede Menge Entertainment-Aktionen wie ein Crowdsurf-Wettrennen oder die üblichen Fesselspielchen sorgen dafür, dass dies wahrscheinlich eines der besten Konzerte in diesem Jahr ist. Klassiker wie „Reitermania“, gepaart mit vielen Liedern vom aktuellen „Riders On The Storm“-Album animieren zum Gröhlen, Hüpfen und Headbangen, so dass nach dem abschließenden „Metal Will Never Die“ Zeit fürs Bettchen ist.
Gute Nacht! (Death Angel)
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