Wacken Open Air
Der große Festivalbericht 2007
Konzertbericht
Freitag, 03.08.2007
Foto: Melanie Haack
SUIDAKRA (11:00 – 11:45, Black Stage)
Wer hier nicht wach wird, ist tot. SUIDAKRA legen eine prima Show hin, in der ein seltsam anmutender Dudelsackspieler mit an Bord ist. Mit ihrem neuen Stil, in dem Folk maßgeblich ist, haben sie jetzt wohl ihren Stil gefunden und der klingt nicht schlecht. Eigenwerbung wird insofern betrieben, dass die gesamte Band (mit Ausnahme des Dudelsackmannes) Shirts ihres neuen Albums „Caledonia“ trägt. Zum Schluss wird der Band allerdings der Strom abgestellt, aber das ist nicht tragisch, denn sie sind eh grade bei den obligatorischen Danksagungen angelangt. (Samira Alinto – Stalker.cd)
BLACK DAHLIA MURDER (11:00 – 11:45, Party Stage)
Gleichzeitig ist es die Aufgabe der amerikanischen Melo-Deather THE BLACK DAHLIA MURDER, die „Party Stage“ zu eröffnen, und trotz der frühen Uhrzeit sind bereits einige Schaulustige aus den Zelten gekrochen, um sich von einer gepflegten Todesfaust in der Fresse wachprügeln zu lassen. Leider geht dann doch nicht allzu viel, hier und da sieht man Headbanger, vorne wird gemosht, aber größtenteils wird lieber verschlafen zur Bühne geschaut.
Schade, denn die Band hat heute einen guten Tag erwischt, ist spielfreudig und bietet neben den Songs der ersten Alben auch brandneues Material vom neuen Brecher „Nocturnal“. Ein durch und durch gelungener Gig, nicht zuletzt wegen Sänger Trevor Strnad sehenswert, welcher auf der Bühne abgeht wie Schmidts Katze. (Death Angel)
Foto: Maike Eisenmenger / Stalker.cd
Eigentlich stünden jetzt AMORPHIS auf dem Programm, doch noch bevor diese loslegen können, wehen dicke Rauchschwaden über den Zuschauerraum vor der „True Metal Stage“ hinweg. Und dies ist kein Spezialeffekt, mit dem die Finnen das geniale „The Smoke“ in Szene setzen wollen, sondern ein beachtliches Strohfeuer. Irgendeinem Spezialisten ist es offensichtlich nicht gelungen, seine brennende Zigarette zu löschen, bevor er sie in das trockene Stroh fallen ließ, das wegen des matschigen Untergrundes auf dem ganzen Gelände ausgestreut wurde und zu dieser frühen Stunde noch vollkommen trocken ist.
Kein Wunder also, dass es brennt wie Zunder, während Schaulustige und AMORPHIS-Fans widerstrebend Platz für die Feuerwehrleute machen. Diese sind dann rasch zur Stelle, brauchen aber dennoch einige Zeit, bis sie das glimmende Stroh komplett gelöscht haben. Im Umgang der Organisatoren mit dieser Gefahrensituation zeigt sich deren langjährige Festival-Erfahrung. Wäre das Feuer zu späterer Stunde auf dem komplett überfülltem Gelände ausgebrochen, hätte das Ganze dennoch auch anders ausgehen können. So aber bleibt es bei einem kurzen Schreckmoment für alle. Es entsteht vorübergehend etwas Unruhe im Publikum, die große Massenpanik bleibt allerdings aus.
Von der Bühne herab koordiniert ein offensichtlich wenig Szene-kundiger Sprecher die Verlagerung der Besuchermassen hinüber zur „Black Stage“ und gibt die nun leider notwendigen Verschiebungen in der Running Order bekannt. So werden baldmöglichst die britischen Grindcoreler NAPALM DEATH auf die „Black Stage“ geschickt und die Pausen zwischen den nachfolgenden Acts auf den beiden Hauptbühnen entfallen. Auf diese Weise schafft man es, schon nach dem GRAVE DIGGER-Auftritt wieder zurück im Zeitplan zu sein.
Ein Lob an die Organisatoren für diese rasche und saubere Problembeseitigung! Und Gottseidank scheinen auch die Raucher bei der Beseitigung ihrer Kippenreste von nun an etwas vorsichtiger zu sein, zumindest kommt es zu keinen weiteren Bränden mehr… (Xeledon)
Endlich kann nun auch für mich die Sause losgehen! Nach einem verhältnismäßig lahmen Donnerstag, der meinerseits hauptsächlich zum Akklimatisieren, Warmtrinken und Arbeiten genutzt wurde, ist die Vorfreude auf meine erste Band groß. Eine beachtliche Menge Menschen versammelt sich vor der „True Metal Stage“, um AMORPHIS zu lauschen. Doch daraus wird erst mal nichts: Nicht der Himmel, sondern der Boden brennt. Genauer gesagt: das Stroh, das den Platz überhaupt begehbar macht.
Erfreulicherweise bleibt dies dank fleißiger Feuerwehrhände der einzige Brand des Wochenendes und passiert ist auch nichts. Tja, außer das die Finnen wegen der Löscharbeiten vor der Bühne erst mal nicht auf eben diese können. So werden das Programm gestrafft und einige Bands etwas vorgezogen, so dass man zu TURBONEGRO wieder voll im Zeitplan liegt. Rasch wird auf der anderen Bühne gewurstelt, so dass NAPALM DEATH leicht verfrüht die „Black Stage“ betreten konnten. (Raphi)
NAPALM DEATH (12:30 – 13:15, Black Stage)
Tja, und was soll man über die Sound-Extremisten von der Insel noch groß schreiben? Die Männer um Brüllwürfel Barney sorgen in den kommenden 30 Minuten dafür, dass die frisch gerichteten Frühstückseier nicht hart werden. Mit dieser ordentlichen Ladung Death-lastigem Grindcore startet man perfekt in den Tag. Das sehen die Anwesenden genauso, feiern die Briten kräftig ab und sorgen für einen frühen ersten Circle-Pit vor der Bühne.
Sehr tight gezockt reihen sich Klassiker an das Material der letzten beiden Alben, gewohnt energiereich ist die Performance von NAPALM DEATH allemal. Und so verabschieden sie sich mit dem Cover „Nazi Punks Fuck Off“ stilecht und schicken die Besucher in einen langen Tag. (Raphi)
Dass die Birminghamer Arbeiterkinder von NAPALM DEATH nach dem Brand vor der „True Metal Stage“ verfrüht auf die Bühne müssen, führt leider dazu, dass viele, die erst zum eigentlichen Beginn kommen, nur noch den Schluss einer intensiven und durch und durch guten Show mitkriegen. Trotzdem hat sich eine ansehnliche Fan-Schar vor der „Black Stage“ versammelt, als die Grindcore-Legende mit „Sink Fast Let Go“ vom aktuellen Album „Smear Campaign“ loslegen. Der Sound ist gut, die Setlist erstreckt sich über ganz altes „Scum“-Material bis hin zu den Songs der letzten Alben und Sänger Mark „Barney“ Greenway geht so dermaßen ab, dass man bald befürchtet, er müsse wegen epileptischen Anfällen die Show abbrechen.
Gewürzt wird das Ganze von Barneys linkspolitischen und kirchenkritischen Ansagen, von denen man in einer (bestenfalls) unpolitischen Szene zwar nicht unbedingt etwas halten muss, aber er hat das Publikum auf seiner Seite und wegen seines typisch englischen, trockenen Humors werden die Statements auch nicht langweilig. Den Abschluss des Sets macht das obligatorische „Nazi Punks Fuck Off“, welches gewohnt treffsicher heruntergeschmettert wird, und alle, die das Glück hatten, die Spielplan-Änderung mitbekommen zu haben, gehen glücklich vom Platz. (Death Angel)
Foto: Timo Pässler / Stalker.cd
COMMUNIC (12:55 – 13:40, Party Stage)
Von den durch das Feuer vor der „True Metal Stage“ entstandenen Verschiebungen unbeeindruckt geht auf der „Party Stage“ das Programm plangemäß weiter. So findet sich dort nun eine noch einigermaßen überschaubare Menge ein, um die derzeit vielversprechendste Prog-Metal-Nachwuchscombo zu sehen. Die Norweger COMMUNIC sind 2005 praktisch aus dem Nichts gekommen und haben mittlerweile zwei starke Alben veröffentlicht, die zwar deutlich an die Vorbilder NEVERMORE erinnern, letztlich aber ihre eigene Note aufweisen und dadurch als bedingungslose Kaufempfehlung durchgehen.
Musikalisch bewegt sich dieser Auftritt auf allerhöchstem Niveau. Vom Opener „Communication: Sublime“ abgesehen stammen die fünf überlangen Stücke allesamt vom 2006er „Waves Of Visual Decay“-Album, dessen Titeltrack auch von den meisten Fans begeistert mitgesungen wird. Obwohl mit Frontmann Oddleif Stensland nur ein Gitarrist an Bord ist, der nebenbei zudem eine solide Leistung als Sänger abliefert, klingt der Sound nicht weniger fett als auf Platte. Ohne zusätzliche Gitarrenspuren kommt das Trio etwas roher und erdiger daher, zudem versteht der Mischer offensichtlich sein Handwerk, so dass das, was da aus den Boxen wummert, angenehm den Ohren schmeichelt. Bassist Erik Mortensen zeigt, dass der Bass nicht auf eine reine Rhythmusfunktion beschränkt sein muss, sondern auch eine tragende Rolle bei der Melodiebildung einnehmen kann. Ganz nebenbei ist der Charakterkopf auch ein begnadeter Poser vor dem Herrn.
Überhaupt haben COMMUNIC in Sachen Stageacting einen großen Schritt nach vorne gemacht. Die Hüftsteifheit, die dem Trio beim letztjährigen „Earthshaker Fest“ noch deutlich anzumerken war, ist mittlerweile verflogen und obwohl Oddleif Stensland durch gleichzeitiges Gitarrespielen und Singen in seinem Bewegungsspielraum arg eingeschränkt ist, zeigt er mittlerweile deutlich Präsenz und animiert das Publikum zum Klatschen und Mitsingen. Dazu kommt Drummer Erik Mortensen, der mit einem exzellenten Timing hinter den Kesseln ordentlich Druck macht und präzise wie ein Schweizer Uhrwerk arbeitet.
Musikalisches Highlight ist der Abschlusstrack „Fooled By The Serpent“, der noch einmal deutlich macht, was diese Band auszeichnet und zu einem der interessantesten Acts der letzten Jahre macht. Den Sprung vom heißen Newcomer zu einem etablierten Act ist den Norwegern mittlerweile geglückt und lässt für ihr drittes Album Großes hoffen.
In tiefster Glückseligkeit schwelgend kehre ich anschließend gerade noch rechtzeitig zur „True Metal Stage“ zurück, um das Ende des AMORPHIS-Auftritts zu sehen, der mich heute jedoch – im Gegensatz zu ihrem Gastspiel auf dem diesjährigen „Bang Your Head!!!“ – irgendwie ziemlich kalt lässt, so dass ich die Finnen nur noch mit halbem Ohr wahrnehme. (Xeledon)
Foto: Melanie Haack
AMORPHIS (13:30 – 14:15, True Metal Stage)
Der Löwenanteil des sehr gelungen Sets, setzt sich aus Songs des aktuellen Albums „Eclipse“ zusammen. Von dem stammen dann auch prompt die ersten drei Songs. Danach starten die Finnen eine Zeitreise, angefangen von „Against Widows“, über „In The Beginning“ bis hin zu den frühen Tagen („Sign From The Northside“ vom Debüt).
Die Finnen zeigen über die gesamte Show hinweg eine engagierte und motivierte Leistung, vor allem Neu-Sänger Tomi Joutsen fühlt sich in seiner Rolle sichtlich wohl und kann in den Kategorien „Beweglichkeit“ und „Agilität“ gegenüber seinem Vorgänger punkten. Der bessere Sänger ist er zudem auch. Das zeigt sich beim anspruchsvollen Wechsel zwischen den wundervoll klar gesungenen Parts und den Growls. Dass er diese auch gut beherrscht, demonstriert er zweifelsfrei bei den älteren Songs und sollte hiermit auch die letzten Nörgler zur Ruhe gebracht haben.
Überraschungen in der Setlist gibt es leider keine. Das liegt aber nur am hirnrissigen Kameramann. Durch die Verschiebung sind AMORPHIS die einzige Band, deren Auftritt man nicht auf der großen Videowand zwischen den Bühnen mitverfolgen kann. Ist ja auch nicht weiter schlimm. Das einzige, was der Kameramann aber vor seinem Streik noch macht, ist 30 Sekunden lang voll auf die Setlist am Bühnenboden zu halten. So ist es dann wenig überraschend, dass AMPORHIS mit „Black Winter Day“ einen soliden, aber nicht umwerfenden Gig beenden. (Raphi)
Foto: Timo Pässler / Stalker.cd
THERION (14:30 – 15:30, True Metal Stage)
THERION haben mich bereits auf ihrer vergangenen Tour ziemlich weggeblasen, so dass es wenig verwunderlich erscheint, was für eine große Menschenmenge sie heute vor die Bühne ziehen. Im Gegensatz zu früheren Auftritten der Band, vereinigt man mittlerweile eine nahezu optimale Personenkonstellation auf der Bühne, um eine unterhaltsam-kurzweilige und dennoch anspruchsvolle Rock-Show gekonnt in Szene zu setzen. Der orchestrale Bombast wird dabei im Vergleich zu den Platten der Schweden dezent zurückgefahren und durch ein deutliches Plus an Spielfreude kompensiert. Bereits der monströse Opener „Rise Of Sodom And Gomorrah“ zeigt, dass die Kompositionen dadurch nicht im Geringsten an Faszination verlieren, sondern sogar erheblich von der spontaneren Note profitieren.
Die Instrumentalfraktion ist mit den technisch brillianten und extrem cool posenden Niemann-Brüdern, Taktgeber Petter Karlsson und natürlich Mastermind Christofer Johnsson hervorragend besetzt. Letzterer hat mittlerweile den Growl-Gesang komplett an den überragenden Snowy Shaw abgegeben, über dessen starke Stimme und charismatische Bühnenpräsenz man eigentlich längst keine Worte mehr verlieren muss. Mit Katarina Lilja und der ehemaligen AESMA DAEVA-Sängerin Lori Lewis hat man endlich zwei Sängerinnen gefunden, die nicht nur die reinen Opern-Passagen treffsicher intonieren können, sondern zwischendurch auch mühelos in einen rockigeren Gesangsstil umschalten können. Dass die beiden – nicht nur im direkten Vergleich mit den voluminösen Opern-Fregatten der THERION-Vergangenheit – auch optisch einiges hermachen, ist da nur ein netter Nebeneffekt. Trotzdem strahlen die beiden am frühen Nachmittag auf der großen Festivalbühne nicht die geballte Erotik aus, die nach den letzten Club-Konzerten garantiert dem ein oder anderen Metalhead feuchte Träume beschert haben dürfte.
Das Sänger-Quartett wird nach dem Weggang von Mats Leven durch Thomas Vikström (MEHIDA, ex-CANDLEMASS) komplettiert, der jedoch die gewaltigen Fußstapfen seines Vorgängers noch nicht vollständig ausfüllen kann. Das stimmungsvolle Bühnenbild, in das sich auch die Klamotten der Musiker und Sänger hervorragend einfügen, kennt man schon von der „Gothic Kabbalah“-Tour und tut sich bei strahlendem Sonnenschein schwer damit, eine wirklich düstere Stimmung zu schaffen. Im Hintergrund flattert das Bild einer gothischen Kathedrale als Backdrop und liefert sich einen wilden Kampf mit dem Drummer, der sich immer wieder dagegen wehren muss, von dem Stoff eingehüllt zu werden. Dass er dennoch stets sauber im Takt bleibt und sich nicht von den Textil-Attacken beeindrucken lässt, zeigt den Profi und verdient Anerkennung.
Respektabel ist auch die mit Hits gespickte Setlist, die Therion mit „Blood Of Kingu“, „Seven Secrets Of The Sphinx“ oder „Lemuria“ von ihrer besten Seite zeigt. Die Songs vom neuen Album spielen heute nur eine untergeordnete Rolle, gerade „Son Of The Staves Of Time“ stellt jedoch eines der Highlights dar und bietet Neu-Sänger Thomas Vikström die Gelegenheit, sich richtig auszutoben, ohne dass er jedoch an das heranreichen kann, was sein Vorgänger an dieser Stelle gesanglich zu bieten hatte. Am Ende darf natürlich auch das unverzichtbare „To Mega Therion“ nicht fehlen, das von den zahlreich herbeigeströmten Fans begeistert aufgenommen und mitgesungen wird. Eine geile Show, die definitiv Lust auf mehr macht! (Xeledon)
Foto: Maike Eisenmenger / Stalker.cd
VOLBEAT (15:00 – 16:00, Party Stage)
Im Gegensatz zu den zeitgleich nebenan spielenden THERION, gehen VOLBEAT auf der „Party Stage“ sehr straight rockend zu Werke. Und um es gleich vorwegzunehmen: Die Dänen nehmen Wacken im Sturm! Was für eine Band! Was für Songs! Was für ein Gig!
VOLBEAT schöpfen aus dem Vollen, reizen das Song-Repertoire ihrer beiden Alben aus und picken sich Perlen ihres bisherigen Schaffens heraus. Mit einer unbändigen Spielfreude nutzen sie die Stunde Spielzeit bis zum Letzten aus, angefeuert von einer frenetischen Menge. Die Live-Tauglichkeit auf kleinen Bühnen haben VOLBEAT in diesem Jahr bereits mehrfach unter Beweis gestellt, jetzt sind sie auch auf den großen Festival-Bühnen angekommen!
Sänger Mikael Poulsen geht mehr und mehr in seiner Rolle als Frontmann und Entertainer auf. Mit Dauer-Grinsen animiert er die Feierwütigen im Stroh, in den Ansagen, während den Songs – wer sich hier nicht anstecken läßt, dem ist auch nicht mehr zu helfen. „Soulweeper“, „Radio Girl“ oder „River Queen“ sind Stationen des dänischen Triumphzuges; nach „The Garden’s Tale“ verlassen VOLBEAT unter lauten Zugabe-Rufen die Bühnenbretter. Geil! (Raphi)
POSSESSED (15:30 – 16:30, Black Stage)
Mit einem ganz unguten Gefühl ging ich an die POSSESSED-Reunion heran. Zu viele Reunions in den letzten Jahren gingen live mit Pauken und Trompeten in die Binsen. Und von den Godfathers des Death/Black-Metals ist mit Jeff Becerra auch nur noch ein Originalmitglied an Bord, noch dazu seit vielen Jahren von der Hüfte abwärts gelähmt im Rollstuhl. Die „Band“ ist seit Ewigkeiten weg vom Fenster und kann sich eigentlich ihren legendären Ruf nur ruinieren.
Das sind alles keine guten Vorzeichen. Und doch stehen um kurz vor drei Uhr mittags abertausende Leute mit mir vor der Bühne und harren der Dinge, die da kommen mögen. Schon beim Intro zu „The Exorcist“ sind dann alle Zweifel weggeblasen. Gänsehaut pur. Jeff Becerra kommt auf die Bühne und los geht die Höllenfahrt. Zwar geht der Überhammer „The Exorcist“ in einer Mischung aus Soundbrei und frenetischem Jubel fast unter, aber allein DIESE Stimme einmal live zu hören ist schon absolut geil. Der Mann hat nichts verlernt in all den Jahren, und Rollstuhl hin oder her, von seiner Präsenz können sich andere sogenannte Frontmänner mal bitte ’ne dicke Scheibe abschneiden.
„Tribulation“ , „The Heretic“, „Evil Warriors“, „Beyond The Gates“… – eine Perle nach der anderen zaubern die Jungs aus dem Hut. Das Publikum dankt es der Band mit stürmischem Beifall und „POSSESSED!!!“-Sprechchören zwischen den Songs, was wiederum Jeff Becerra zu Höchstleistungen anspornt. Bei seiner kurzen Dankesrede haben auch einige gestandene Metaller ein Tränchen im Knopfloch, was aber mit dem abschließenden und alles zerstörenden „Death Metal“ sofort wieder weg gebangt wird. Ich bin absolut glücklich diese Legende einmal live gesehen zu haben. Absoluter Killer-Gig von einem ursympathischen Frontmann, wer das verpasst hat, dem ist nicht mehr zu helfen! (Nightstalker)
Foto: Timo Pässler / Stalker.cd
GRAVE DIGGER (16:30 – 17:30, True Metal Stage)
GRAVE DIGGER sind bereits seit mehr als 25 Jahren im Geschäft und dabei stets so „true“ geblieben, wie es Joey DeMaio heute noch gerne wäre. Ohne ihren Stil großartig zu verändern, haben es die Mannen um Sänger Chris Boltendahl geschafft, immer wieder aufs Neue erstklassige Alben zu veröffentlichen. Eigentlich sind GRAVE DIGGER aber eine astreine Live-Band, die auf der Bühne zuhause und immer wieder sehenswert sind.
Die Songauswahl ist auch heute exzellent und berücksichtigt neben den zum Pflichtprogramm gehörenden alten Schoten wie „Morgana LeFay“, „Excalibur“ oder der Bandhymne „The Grave Digger“ die superben Ohrwürmer der letzten Alben. Mit „Liberty Or Death“ startet man in den Set und das atmosphärische „The Last Supper“ jagt mir noch immer jedes Mal eiskalte Schauer den Rücken hinab. Ein echtes Highlight ist neben dem Alltime-Klassiker „Rebellion“ aber vor allem das extrem groovige „Silent Revolution“, mit dem GRAVE DIGGER auf ihrem jüngsten Album ein echter Meilenstein geglückt ist, der so ganz nebenbei zeigt, wie man seinen stilistischen Horizont erweitern kann, ohne seinem bisherigen Schaffen untreu zu werden.
Sympathisch wie eh und je versucht Chris Boltendahl das Publikum endgültig aus der durch die gnadenlos vom Himmel brennende Sonne verursachten Trägheit zu reißen und zum Mitsingen zu bewegen. Auf Luftmatratzen stürzen sich Crowdsurfer in die Menge, eigentlich ist es aber viel zu heiß, um die deutsche Metal-Institution gebührend abzufeiern. Einige tun dies trotzdem bis zum „Heavy Metal Breakdown“, gegen Ende des Gigs ist aber auch die massenhafte Abwanderung zur „Party Stage“ unübersehbar, der ich mich alsbald anschließe. Denn kaum sind die letzten Töne der Grabschaufler verklungen, legen dort die Schweden FALCONER los, die prinzipiell ein ganz ähnliches Klientel anzusprechen scheinen. (Xeledon)
FALCONER (17:30 – 18:30, Party Stage)
Während ich GRAVE DIGGER in den letzten Jahren immer mal wieder auf irgendwelchen Festivals oder auf Tour gesehen habe, waren die mit Originalsänger Matthias Blad wiedervereinigten FALCONER einer der Gründe für mich, überhaupt nach Wacken zu kommen. So fällt mir die Entscheidung, den Bereich der „True Metal Stage“ frühzeitig zu verlassen und hinüber zur „Party Stage“ zu wechseln denkbar leicht. Und offensichtlich bin ich nicht der einzige, der sich auf die Schweden gefreut hat, denn vor der kleinen Bühne drängen sich beachtliche Fanscharen.
Mit „A Quest For The Crown“ vom selbstbetitelten Debütalbum legen Bandkopf Stefan Weinerhall und seine Kollegen noch relativ beschaulich los, doch schon bald zeigt sich bei den etwas schnelleren Titeln, dass die Mannen eine ganze Menge guter Laune in den Backen haben und auch unters Volk bringen möchten, das jede einzelne Note begeistert aufnimmt und mit erstaunlicher Textsicherheit eifrig mitsingt. Die meisten Songs stammen vom jüngsten Album „Northwind“ und erweisen sich auch in der Live-Situation als absolut partytauglich. „Perjury And Sanctity“, „Spirit Of The Hawk“, „Northwind“, „Catch The Shadows“ – es wird schnell deutlich, wie wichtig die Rückkehr von Matthias Blad für diese einzigartige Power-Metal-Band war. Somit verwundert es auch nicht, dass mit „Child Of The Wild“ nur ein Titel von den beiden mit Ersatzsänger Kristoffer Göbel eingespielten Alben seinen Weg in die Setlist gefunden hat.
Was FALCONER deutlich von anderen Bands des Genres unterscheidet, ist das freizügige Kokettieren mit Einflüssen aus der heimischen Folklore. So gibt man zur Freude der Anwesenden auch zwei Stücke in schwedischer Sprache zum Besten: die Eigenkomposition „Himmel Så Trind“ und das Traditional „Ridom, Ridom“. Da man leider insgesamt nur eine Stunde zur Verfügung hat, müssen leider bei den alten Klassikern Abstriche gemacht werden. Mit „Upon The Grave Of Guilt“ und „Enter The Glade“ haut man hier zwei absolute Gassenhauer unters Volk. Ein wenig peinlich ist jedoch, dass Matthias Blad bei letzterem leichte Textprobleme hat und die erste Strophe deswegen einfach überspringt, was für leichte Unruhe in der Band sorgt. Dem gutgelaunten Publikum ist das aber denkbar egal, erreicht die Mitsinger-Quote hier doch ungeahnte Höhen.
Viel zu schnell ist dann auch schon das Ende des Gigs erreicht und die Gruppe kündigt ihren letzten Song an. In heißer Erwartung des unverzichtbaren „Clarion Call“ mache ich mich noch einmal bereit, alles zu geben und werde natürlich prompt enttäuscht, als Stefan Weinerhall zu „Mindtraveller“ ansetzt. Klar, ebenfalls ein guter Titel, aber meine Enttäuschung ist doch groß genug, dass ich ihn zunächst nicht angemessen würdigen kann. FALCONER können doch nicht einfach gehen, ohne den vielleicht besten Song gespielt zu haben, den sie jemals geschrieben haben…?
Können sie natürlich nicht und so wandelt sich meine tiefe Verzweiflung in grenzenloses Entzücken, als dem letzten Lied noch ein allerletztes hinterhergeschoben wird. Es wäre auch eine absolute Todsünde, einen Jahrhundert-Song wie „The Clarion Call“ zu schreiben und ihn dann live nicht zu spielen! So findet dieser hammergeile Gig also doch noch zu einem versöhnlichen Abschluss und ausnahmslos allen Fans ist die Begeisterung ins Gesicht geschrieben. In dieser Form würden wir FALCONER gerne noch viel öfter auf deutschen Bühnen sehen! (Xeledon)
Foto: Melanie Haack
TURBONEGRO (17:30 – 18:30, Black Stage)
Nachdem die letzten Dudelsäcke (Denkste, Raphi, aber die werden heute erst wieder bei SCHANDMAUL ausgepackt, bei FALCONER findest du nicht mal welche aus der Konserve… – Xeledon) verhallt sind, wird es Zeit für eine ordentliche Portion politisch unkorrektem Schwuchtel-Rock: TURBONEGRO!
Und was soll man sagen? TURBONEGRO ziehen ihre Sache durch, machen es gut, haben Spaß, aber ’ne richtige Party sieht anders aus. Sind Wacken und sein Publikum zu traditionell für die unkonventionellen Skandinavier? Oder ist es einfach zu früh am Tag?
Wie dem auch sei, gespielt wird eine Mischung aus alten Klassikern, und jeder Menge Material von den letzten beiden Alben. Insgesamt scheinen wenige mit dem neuen Material vertraut (mich eingeschlossen), was ergo für Stimmungsschwankungen sorgt. Auch auf der Bühne bilde ich mir ein, TURBONEGRO schon stimmungsvoller und mehr bei der Sache gesehen zu haben. Sei’s drum: Die Jungs sind Profi genug. Sie spulen ihr Programm runter, das Ganze ohne langweilig routiniert zu wirken, und nach „I Got Errection“ lassen mich TURBONEGRO reichlich ohne Erregung im Stroh stehen. Aber wieso liegt hier eigentlich Stroh rum? Ach, das war ja ein anderes Thema… (Raphi)
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