Wacken Open Air 2018
Der große Festivalbericht
Konzertbericht
Sex, Cocks and Rock’n’Roll!
ERIK COHEN ist gut drauf am Samstagnachmittag. Muss er sein. Holstein Kiel hat St. Ellingen auswärts geschlagen und der Meister lässt dies alle Anwesenden wissen. Der Großteil der vergleichsweise überschaubaren Menge vor der Bühne feiert ihn auch dafür, der Rest lässt sich nichts anmerken. Und auch wer mit Fußball nichts am Hut hat, wandert nicht ab.
Denn die auf Deutsch gesungenen, mal eher nachdenklichen, mal aggressiven Rocksongs gehen in Ohr und Bein – und der Chef ist natürlich ein Entertainer vor dem Herrn. Auf der eigentlichen Bühne hält es ihn nicht lange. Die Kluft zum Publikum nervt und schließlich darf sogar einer seiner Fans neben Herrn COHEN auf der Box Platz nehmen und ins Mikro schreien. Der Glückliche ist maximal in der ersten Klasse, hat riesige Micky-Mäuse auf den Ohren und ein fettes Grinsen im Gesicht. Souveräner Auftritt von allen Beteiligten! Allerdings auch zu erwarten, denn ERIK COHEN ist, wie er selbst klarstellt, ein wahrer Wacken-Veteran. Oder wer von euch kann von sich sagen, schon 2001 auf der Bühne Bier aus einem Cowboystiefel direkt aus der Crowd getrunken zu haben?
Bei NIGHT DEMON werden im Anschluss die Fäuste gereckt, die Matten geschüttelt, der Metal gefeiert. Das klingt abgedroschen, aber was willst du machen? Die drei omnipräsenten Verfechter der alten, der echten Schule machen nun einmal sortenreine Musik, die genau diese Reaktionen hervorruft – und zwar zuverlässig. NIGHT DEMON sind, wie mittlerweile allseits bekannt, deutlich mehr Substanz als Pose. Das namensgebende Maskottchen verführt als eine Art Mini-Eddie die Band im entsprechenden Song, „To Drink From the Chalice“. Und am Ende ist „Wasted Years“ wie immer der jungfräuliche Höhepunkt. Auch zum 14. Mal in einem Jahr noch gut.
„Welch ein Abriss!“ Da zieht der verzichtbare Ansager nach dem Auftritt von MADBALL ausnahmsweise mal ein passendes Fazit. Damit hier keine Zweifel aufkommen: Metal regiert. Aus diversen Gründen. Aber wer schon einmal einer wirklich intensiven Punk- oder eben Hardcore-Show beiwohnen durfte, mag Unterschiede ausmachen.
Freddy, Hoya und Mitstreiter leben ihre Musik, was sie auf der Bühne abziehen ist also keine einstudierte Show im Sinne des Entertainments. Sie unterhalten aber gerade deshalb extrem intensiv und interaktiv. Freddy Cricien ist ohnehin schon eine beeindruckende Erscheinung, wirbelt dazu wie angezündet kreuz und quer über und von der Bühne, schwitzt, röhrt und gewinnt wie kaum ein zweiter Frontmann im Zelt. Er bedankt sich mehrfach bei den Metalheads für ihr Interesse und wenn die Herren auch noch irgendwo Vinnie Stigma als Stargast aus der Hosentasche gezaubert hätten, wäre die Nummer mit „Start A Revolution“ vom Zelt aus vielleicht gar nicht mehr so illusorisch gewesen. MADBALL – wer nicht dabei war, darf sich schwarz und blau ärgern.
Und wenn alles nichts mehr hilft: Beten. Für mehr echte Penis- und Vagina-Zeit. Das finden zumindest die Jungs von STEEL PANTHER. Was ein Glück, dass wir das Online-Magazin eures Vertrauens sind, das alles schreiben darf. Und muss! Denn wir sollten deren erzieherischen Auftrag ja möglichst neutral an euch weiterleiten. Hollywood-Glam-Comedy ist nicht mehr lustig nach dem ersten Mal? Von wegen. Cocks Reloaded! Denn die Sprüche, die hier rausgekloppt werden, sind eine wohldosierte Mischung aus Spontaneität und natürlich sympathisch-durchgeplanter Selbstverarsche. Und wer schon mal witzig sein wollte, kennt die schwere Kunst, die dahinter steckt. Stecken! Und jeder steht drauf! Stehen!!! Bauchmuskelkater und dicke Hose von Anfang an und dazu noch eine tighte Band (tight!), die perfekte MÖTLEY CRÜE-Stimmung aufkommen lässt. Könnt ihr euch nur im Geringsten vorstellen, wie es ist, Gummipuppen und aufblasbare Cock-Schwimminseln beim Crowdsurfen Richtung Bühne zu stoßen?
Im Zelt ist derweil Primetime für HELMET: Der etwas gealterte Page Hamilton und seine Kompagnons machen einiges richtig: Zum Einstieg und zum Ende gibt es „Meantime“ – zuerst „Unsung“ und zuletzt das Titelstück. Dazwischen gibt es ein Best-Of-Set, das schwerpunktmäßig etwa ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel hat.
Der charakteristische HELMET-Groove funktioniert jedenfalls auch 2018 auf einem Mainstream-Metal-Festival. Herr Hamilton hat Bock, bedankt sich mehrfach artig mit „schönen vielen Dank“ und ausreichend kleine Hits hat er ohnedies in petto. Auch diesseits der grandiosen Noise-Rock-Anfangsjahre können mindestens das erwähnte „Meantime“-Album, aber auch „Betty“ immer noch alles. „Wilma’s Rainbow zum Beispiel ist unkaputtbar. Und auch „Just Another Victim“ wird vom Publikum dankbar aufgenommen. Musste man sich zwischenzeitlich Sorgen um die Legende machen, kann nach diesem Auftritt resolut festgehalten werden, dass Brösel doch recht hatte: „Bei die Arbeit: Helme auf!“
Zurück zur Hauptbühne: Der Begriff „Perfektion“ sollte natürlich nicht inflationär verwendet werden. Das, was HELLOWEEN als die „Pumpkins United“ jedoch am Abschlussabend zaubern, lässt nicht nur alten Hasen den Atem stocken. Wie kann ein gesamter Auftritt zumindest soundtechnisch nur so makellos sein?
Bei der Herbst-Tour munkelten wenige, da könne nur Playback im Spiel sein, doch dieser Gig wirkt dazu viel zu flüssig, spontan und spielfreudig. Die seltsamen Intermezzi sind schnell vergessen. In denen werden unter anderem witzlose Animationen der „Seth and Doc“-Kürbisse gezeigt, um der Band eine Atempause zu gönnen. Bei mehr als zwanzig Hits geht das voll klar! Angefangen vom obligatorischen „Halloween“ und „Dr. Stein“ über „Keeper Of The Seven Keys“ bis zum Grande Finale mit „Future World“ und „I Want Out“. Für manchen der deutsche Gewinner des Wacken in diesem Jahr.
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