Touché Amoré und Swain live
in der Oetinger Villa in Darmstadt

Konzertbericht

Billing: Touché Amoré und Swain
Konzert vom 13.06.2017 | Oetinger Villa, Darmstadt

Die Karten für das Konzert der Post-Hardcore Band TOUCHÉ AMORÉ waren in weniger als einer Stunde ausverkauft. Das liegt zum einen an der geringen verfügbaren Kapazität, aber selbstverständlich auch an der Beliebtheit von TOUCHÉ AMORÉ. Und wahrscheinlich liegt es auch an dem besonderen Veranstaltungsort, die Oetinger Villa ist wirklich eine sehr ungewöhnlich schnuckelige Location. Es handelt sich dabei tatsächlich um eine 1898 erbaute Villa, mitten in Darmstadt. Von sattem Grün umgeben, befindet sich darin ein selbstverwaltetes Jugend- und Kulturzentrum.

Oetinger Villa Darmstadt Juni 2017

Schweiß, Musik und Tränen

Die Stimmung vor dem Einlass ist sehr entspannt und niemand meckert, dass an der prunkvollen Tür ein Hinweis bezüglich einer halbstündige Einlassverschiebung angebracht wurde. Stattdessen trinken alle gemütlich ihr Wegbier und nach und nach kommen noch Besucher angeradelt. SWAIN proben gerade und so gibt es auch schon ein kleines Vorab-Konzert zu hören. Der Merchandisestand ist innen im prunkvollen Eingangsbereich aufgebaut, sowas nennen wir mal eine standesgemäße Präsentation. Die Shirts von SWAIN kosten 5 Euro weniger, als die von TOUCHÉ AMORÉ, damit wäre dieses hartnäckige Gerücht, dass Supportbands angeblich genauso viel für ihre Sachen verlangen müssen wie die Hauptbands, erneut widerlegt. Die Besucher sind zwar interessiert, aber richtig viel geht anscheinend nicht über den Ladentisch.

Die Niederländer von SWAIN kommen vor ihrem Auftritt unzählige Male aus dem Backstage, laufen geschäftig durch die Gegend, checken immer wieder den Aufbau und die Wasserversorgung, besonders Sänger Noam wirkt aufgeregt. Die Reaktionen auf den impulsiven Grunge-Sound vom aktuellen Album „The Long Dark Blue“ sind vor der Bühne noch etwas verhalten, als die Band gegen 20:15 Uhr loslegt. Auf der Bühne sieht das relativ schnell anders aus. Gitarrist Boy, Drummer Boris und Sänger Noam legen richtig Herzblut in ihre Songs und es kommt zu einigen harmlosen Kollisionen. Das Mikro wird ständig in Ekstase auf den Boden geknallt und es gibt beeindruckend gelenkige Zuckungen zu sehen. Die Stelle des Bassisten wird offensichtlich im rotierenden System besetzt. Wo vor wenigen Tagen in Stuttgart noch eine Ersatz-Bassistin werkeln durfte, wird heute ein unbekannter Mann eingesetzt. Deutlich mehr Zuspruch finden die Hardcore-lastigeren Songs vom Vorgängeralbum „Howl“, die Leute hier haben wohl einfach Bock auf Schreierei und zeigen sich urplötzlich erstaunlich textsicher. Die unsicheren Ansageversuche von Noam sind unterhaltsam: „Ich bin ganz schön fertig heute … weil … ich heute ganz schön fertig bin.“

Auch ohne große Pogoaktionen ist es in dem Konzertraum aber schon unerträglich heiß, glücklicherweise sind heute moderate Temperaturen. Während der Umbauphase werden die Fenster geöffnet, dies sorgt zumindest für etwas Abkühlung und den Rest übernimmt die stark frequentierte Bar. Die Preise sind angemessen, es werden Glasflaschen ausgeteilt und die Auswahl ist für einen so kleinen Veranstaltungsort überraschend groß.

TOUCHÉ AMORÉ checken derweil ihren Aufbau, seltsamerweise lässt das die Fans noch relativ kalt. Sobald um ca. 21:10 Uhr der erste Ton erklingt, ist die Stimmung allerdings wie auf Knopfdruck da. Die Fans drücken heftig gestikulierend und Texte brüllend zur Bühne Richtung Sänger Jeremy. Es sieht aus, als wollten sie ihn gemeinschaftlich verschlingen. Eer nimmt es ganz gelassen und nutzt seinen sehr kleinen Spielraum auf der Bühne optimal aus, hält das Mikrofon in die Menge und singt überraschend gut heute. In der Oetinger Villa darf Jedermann fotografieren und der Sänger lässt sich noch nicht mal von den Stümpern, die ihm ständig direkt ins Gesicht blitzen, irritieren.

Geteiltes Leid ist halbes Leid

Innerhalb weniger Minuten scheint sich die Temperatur verdoppelt zu haben, allerdings interessiert das im Moment niemanden hier. Mit angeklatschten Haaren und nassen Shirts tobt im vorderen Mittelteil ein entschlossener Pit, den Jeremy immer wieder bedient. Es hat sich so etabliert, dass er vorrangig den Kontakt zum Publikum aufnimmt, der Rest der Band ist zwar handwerklich engagiert aber ansonsten eher zurückhaltend. Die Songs kommen Schlag auf Schlag, alles geschieht wie im Rausch. Hier spritzt etwas Schweiß, dort etwas Bier. Fans und Sänger sind bezüglich Lautstärke gleichauf, der Chor bei „Palm Dreams“ lässt die Nackenhaare zu Berge stehen. Publikum und Band sind scheinen verbunden und gleichzeitig getrennt, irgendwie spielt jeder seinen eigenen Film zu den emotionalen Texten im Kopf ab.

Wer sich mit den Lyrics und Themen von TOUCHÉ AMORÉ nicht auseinandersetzt, wird gar nicht merken, wie Jeremy Bolm hier die Hosen herunterlässt und wie intim die Gedanken sind, die er bereitwillig mit allen teilt. Denn auf gewisse Art und Weise ist er überraschend souverän, wenn er bei „New Halloween“ die Textzeile bezogen auf den Krebstod seiner Mutter „Somehow it’s already been a year“ auf zwei Jahre erhöht und seinen Frust im Sinne von „Displacement“ vom Album „Stage Four“ vorträgt.  Ausschweifende Ansagen gibt es kaum. TOUCHÉ AMORÉ bedanken sich allerdings mehrfach für das zahlreiche Erscheinen, denn immerhin waren sie erst vor Kurzem hier in der Nähe und haben noch dazu die fast identische Setlist gespielt, und loben den Veranstaltungsort. Getreu dem Motto „kurz aber heftig“ vergeht das Konzert wie im Flug und kurz nach 22 Uhr ist schon Schicht im Schacht. Zufrieden und abgekämpft trotten die Besucher aus der Oetinger Villa. Die Beschreibung „komplett durchgeschwitzt“ hat heute eine neue Dimension erreicht.

Bei all dem Charme, den die Oetinger Villa sicherlich ausstrahlt, die Besucher in den hinteren Reihen werden vom Konzert wenig gesehen haben. Die Glücklichen in den ersten Reihen konnten den Bands dafür ungewöhnlich nah sein. SWAIN haben ihre Chance genutzt und den Auftritt sichtlich genossen, auch ein Konzert von TOUCHÉ AMORÉ lohnt sich immer. Die unprätentiöse Art unterstreicht die Inhalte, die die Amerikaner vermitteln möchten und gemeinschaftlich leidet es sich doch noch am schönsten.

 

14.06.2017

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