The Sisters Of Mercy
Schweißtreibende Temperaturen, kühler Sound
Konzertbericht
Seit Jahren deuten angekündigte Live-Auftritte der THE SISTERS OF MERCY auf ein zwiespältiges Erlebnis hin: In der Vergangenheit wurden Änderungen an den Songs und die Qualität der Performance an sich kontrovers diskutiert, wiederholt war von schwachen Auftritten zu lesen. Zu weiten Teilen ausverkauft ist die aktuelle Tour dennoch und auch das Capitol Hannover konnte bereits vor Monaten vermelden, dass es keine Karten mehr zu erwerben gibt. Entsprechend knüppelvoll ist es an diesem Abend.
Eine besondere Magie scheint die Band also zweifelsfrei auszustrahlen: Da gibt es ja auch diese Meilensteine des düsteren Rock, die Generationen von Dark-Rock- und Metal-Bands beeinflusst haben. Aber es gibt auch das Statement der Band, sich dem häufig zugewiesenen Genre des Gothic-Rocks nicht verpflichtet oder gar zugeordnet zu fühlen und sich künstlerisch entfalten zu wollen. Und so haben die Sisters im Verlauf ihrer Karriere nicht nur ihren Sound beständig verändert, sondern in der jüngeren Vergangenheit auch ihr vermeintliches Erbe nicht unverändert oder sogar nostalgisch verklärt auf die Bühne gebracht. Was jedoch beständig ist, sind die zeitlosen Melodien, die Hits wie „Temple Of Love“ und „This Corrosion“ mit sich bringen.
Ein gelungener Einstieg mit THE VIRGINMARYS
Aber bevor die Sisters auf die Bühne dürfen, beackern die englischen Alternative-Rocker THE VIRGINMARYS das Feld. Aktuell instrumental nur mit Schlagzeug und Gitarre ausgestattet beweist das Duo, dass es eine gute Wahl für einen Opening-Act ist. Denn eines bringen die beiden Herren zuhauf mit: Energie. Drummer Danny Dolan bearbeitet sein Instrument sogar derart intensiv, dass ihm des Öfteren die Trommelstöcke aus der Hand fliegen.
Drapiert vor einem schwarzen Vorhang, der den Bühnenaufbau des Hauptacts verdeckt, streunen THE VIRGINMARYS durch Hard Rock, Rock’n’Roll und Punk Rock. Merklich gut kommt diese dynamische Mischung, die live deutlich griffiger klingt als von Platte, beim Publikum an. Sänger Ally Dickaty jedenfalls ist engagiert und freut sich, vor einem so großen Publikum zu spielen. Nach vierzig Minuten dürfen THE VIRGINMARYS – ordentlich verschwitzt – in den Feierabend gehen, allerdings nicht ohne auf das eigene Merch-Angebot im Vorraum des Capitols hinzuweisen.
Unerwartet nur zu Dritt: THE SISTERS OF MERCY
Nur knapp zwanzig Minuten später betreten dann THE SISTERS OF MERCY die Bühne. Zunächst fällt auf: Die Band ist offensichtlich auf ein Trio geschrumpft. Sänger Eldritch steht an der Gitarre nur Ben Christo und hinter einer Synthesizer-Burg zur Bedienung des legendären Drumcomputers Doktor Avalanche anscheinend Chris Catalyst zur Seite (Nebel, Sonnebrille und Beleuchtung lassen hier keine abschließende Identifizierung zu). Von Gitarrist Dylan Chrisford Smith keine Spur. Mr. Eldritch selbst ist in einen übergroßen Kapuzenpullover gehüllt und mit einer Sonnenbrille ausgestattet, eine Kleiderwahl, die angesichts der schwülen Atmosphäre im Capitol ziemlich schweißtreibend scheint.
Hinter dem nun entfernten Vorhang werden Säulen sichtbar, die, von Innen heraus beleuchtet und mit Tarnnetzen behangen, eine Matrix-ähnliche Zeichenfolge ablaufen lassen und einen futuristisch-düsteren Bühnenaufbau bilden. Wechselnde Neon-Beleuchtung unterstreicht dabei das sinistere Sci-Fi-Feeling, passend zum industriellen Beat von Doktor Avalanche.
Den Einstieg wagt das Trio mit „Don’t Drive On Ice“, einem erst kürzlich erstmalig dargebotenen Titel. Ansonsten ist das Programm am heutigen Abend bunt gemischt: Neue(re) Titel wechseln sich im Verlauf des Sets mit Klassikern wie „Dominion/ Mother Russia“, „Marian“ und „Vision Thing“ ab. Auch ein Cover des Sisters-Seitenprojekts THE SISTERHOOD schafft es in den Spielplan. Im Setverlauf streunt Sänger Eldritch durchgehend rastlos umher und treibt Gitarrist Ben Christo damit beständig von einer Seite der Bühne zur anderen. Eine Dynamik, die mit einem eingespielten zweiten Live-Gitarristen sicherlich besser funktioniert hätte – so wirken die Protagonisten manchmal doch ein wenig verloren in ihrem Positions-Wechselspiel.
Mit dem Ende von „When I’m On Fire“ verlässt die Band schließlich die Bühne und kehrt für eine Zugabe zurück, die nochmal in der Klassiker-Kiste stöbert: „Lucretia My Reflection“ eröffnet den Abschlussteil, gefolgt vom Band-Hit „Temple Of Love“. „This Corrosion“ bildet den Abschluss – und wird vom Publikum, dass sich ansonsten bislang eher höflich zurückgehalten hat, dann doch noch ordentlich betanzt und besungen.
Das Publikum reagiert zurückhaltend
Diese allgemeine Zurückhaltung deutet darauf hin, dass an diesem Abend nicht alle Erwartungen der Zuschauenden erfüllt werden konnten. Zwar ließ die Auswahl der Titel prinzipiell nur wenige Wünsche offen, die älteren Tracks haben aber eine merkliche Anpassung erfahren – deren Live-Darbietung zeigt eine beachtliche Diskrepanz des Materials zur Schallplattenfassung. Wer also doch einen nostalgischen Ausflug in die 1980er-Jahre erhofft hatte, den dürfte dieser Auftritt nicht recht abgeholt haben, zu soundtechnisch geglättet und angeglichen klingen alle Titel. Bei 20 Titeln in knapp 70 Minuten ziehen die ikonischen Songs (oder besser: deren bemerkenswerte Melodien) zudem recht zügig und nur mit kurzen Unterbrechungen vorüber. Selbst wenn das Songmaterial bekannt ist, gelingt es nicht immer auf Anhieb jeden Track zu identifizieren. Dabei klingen die modern interpretierten Klassiker der Band mit einem gnadenlos hämmernden und markant eingesetzten Drumcomputer durchaus interessant arrangiert und livetauglich. Zwar wird der punkig-rockige Ansatz der älteren Songs damit weitgehend eliminiert, hinzu tritt jedoch ein aufreizendes und mit seinen Soli metallisch ausgerichtetes Gitarrenspiel, sowie ein dominanter, industrial-artiger, kalter Rhythmus.
Eher unstimmig wirkt allerdings der Gesang von Mastermind Andrew Eldritch an diesem Abend. Dieser ist phasenweise sehr weit im Hintergrund gehalten und scheint über ein tiefes Brummen und Knurren oft nicht hinaus zu gehen. Der Sänger wird häufig von der Instrumentierung und den Backing-Vocals überdeckt, was an verschiedenen Stellen im Capitol zu einem undifferenzierten Klang führt. Auch drängt der unerbittliche Doktor Avalanche die Performance des Sängers phasenweise stark in den Hintergrund und lässt nur gelegentlich dessen markante und stilbildende Stimme durchklingen.
Ein durchwachsener Auftritt also, der für die sicherlich weiterhin kontrovers geführte Diskussion über die Qualität der Live-Auftritte von THE SISTERS OF MERCY weiteres Futter geliefert haben dürfte. Frontmann Andrew Eldritch allerdings scheint mit seiner Performance zufrieden und verabschiedet sich ohne Band solo mit einer langen Verbeugung vom Publikum.
Setlist THE SISTERS OF MERCY – Hannover
01. Don’t Drive On Ice
02. Ribbons
03. I Will Call You
04. Alice
05. But Genevieve
06. Dominion / Mother Russia
07. Summer
08. Marian
09. More
10. Giving Ground (The Sisterhood Cover)
11. Doctor Jeep / Detonation Boulevard
12. Eyes Of Caligula
13. Something Fast
14. Crash And Burn
15. Vision Thing
16. On the Beach
17. When I’m On Fire
Zugabe:
18. Lucretia My Reflection
19. Temple Of Love
20. This Corrosion
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