System Of A Down
100 Minuten kompromisslose Gesellschaftskritik
Konzertbericht
In der Wuhlheide starten SYSTEM OF A DOWN im Rahmen ihrer Europa Tournee in ein Konzert, das das Publikum abwechselnd ausrasten, sich in Trance wiegen und lauthals mitsingen lässt. Den Anfang macht die Introversion von „Soldier Side“, die das bisher erfolgreichste Album „Mezmerize“ eingeleitet hat. Wer die Band kennt, weiß, dass die melancholische Einleitung dem Zurückziehen eines Pistolenhahns, der Ruhe vor dem Sturm gilt. Dann fängt die Wuhlheide Feuer und um die 15.000 Leute beginnen der Musik zu folgen, sprich ihre Gliedmaßen in alle Himmelsrichtungen zu werfen. Mosh und Circle Pits vom zweiten Song an sind ein Indiz dafür wie lange die Berliner und Angereisten diesem Konzert entgegen gefiebert haben. Ein großartiger Belastungstest für die aufgestellten Wellenbrecher.
Gesellschaftskritik zum Mitsingen
Serj Tankian, der wie seine Bandgefährten ein astreines Konzert spielt, zu übertönen ist gar nicht so einfach. Doch schon beim vierten Song „Violent Pornography“ brandet der Band ein Chor entgegen, der die Stufen des Amphitheaters hinab über ein Meer extatischer Akolythen hinweg rollt. Und das aus vollem Hals und ganzen Herzen. Mit Rhythmusbrüchen, treibenden Riffs und dem abwechselnden Gesang von Serj Tankian und Daron Malakian transportieren SYSTEM OF A DOWN Gesellschaftskritik und beziehen immer wieder Stellung gegen rasenden Konsumkapitalismus sowie den moralischen Bankrott der Regierung und der Musikindustrie. Manche Bands hört man, weil sie abwechslungsreich sind, andere wegen ihrer interessanten Texte und wieder andere wegen ihres kompromisslosen Geschrammels. Wer alles gleichzeitig will, ist hier.
#Highway
Eine Video-Leinwand hilft bei der optischen Untermalung. Sie teilt sich den Hintergrund mit einem vierteiligen Rautensymbol, das mal zusammengesetzt mal zerstückelt für Bewegung sorgt. Dabei stützen sich die Künstler nicht auf das Bildmaterial aus ihren zahlreichen Musikvideos, sondern geben Neues zum Besten. Die Beleuchtung ist grell und passend stroboskopisch. Szenen, die an Werbespots aus den siebziger Jahren erinnern – als Metapher für Regierungspropaganda – und Highwayfahrten in der Nacht und am Tag sind wiederkehrende Themen. Insgesamt sind die Bilder nicht zu ablenkend, sind sie doch der Musik nachgeordnet. Und davon gibt es eine Menge.
Galerie mit 29 Bildern: System Of A Down - live in Berlin 2017Die bessere Hälfte
Ein SYSTEM OF A DOWN Song ist durchschnittlich drei Minuten lang, etwas kürzer in den ersten drei und etwas länger in den letzten zwei Alben, lässt man das unveröffentlichte „Storaged Melodies“ einmal außer acht. Auf fünf Alben finden sich gut 200 Minuten Musik und da die Band um zwanzig nach acht beginnt, haben sie 100 Minuten Zeit. Wir kommen daher in den Genuss die (bessere) Hälfte aller Songs der Band zu hören. Kaum Ansagen oder größerer Kontakt mit dem Publikum bis auf vereinzelte Animation. Auf den Fotos ist der Band anzusehen, dass sie großen Spaß am Auftritt hat. Vor allem Serj Tankian strahlt geradezu. Die Band liefert, wozu wir alle hier sind: Ihre Musik. Im Gegensatz zu manch anderen wird sich nicht über Gebühr auf der Bühne in Szene gesetzt. Ein wenig Variation gönnt sich Daron Malakian, indem er „Psycho“ ein paar Takte des Olivia Jones Songs „Physical“ voranschickt. Den hat sich dieser Redakteur aus Recherchegründen dann nochmal anhören müssen. Danke Daron.
Das Ende einer Ära?
Die Fans in der Wuhlheide haben hier die Möglichkeit die Band nochmal so zu erleben, wie sie sie kennen und lieben gelernt haben. Die Hits kommen kompromisslos Schlag auf Schlag und es scheint als hätten es sich SYSTEM OF A DOWN zum Ziel gesetzt, soviel ihrer Musik wie möglich zu spielen. Im Hinblick auf das angekündigte neue Album geht damit auch ein Abschnitt Bandgeschichte zu Ende. Die lange Pause von über zehn Jahren nähert sich ihrem Ende und die Musik der Band wird sich weiter entwickelt haben. Doch hier und heute zeigen die Vier, dass sie nach wie vor großen Spaß an ihren alten Stücken haben. Und selbst wenn das neue Album wider Erwarten abgrundtief schlecht wird: Dieses Konzert, dieses Erlebnis kann uns keiner nehmen!
Text: Tobias Mühlau
Fotos: Andrea Friedrich
Setlist:
Interessante Alben finden
Auf der Suche nach neuer Mucke? Durchsuche unser Review-Archiv mit aktuell 37299 Reviews und lass Dich inspirieren!
Kommentare
Sag Deine Meinung!