Swallow the Sun
Moonflowers Tour 2023
Konzertbericht
Doom Metal geht immer. Insbesondere bei einem Billing wie diesen mit den finnischen „Trauerklößen“ SWALLOW THE SUN als Headliner. Die Tour läuft bereits seit fünf Wochen und nähert sich allmählich ihrem Ende. Der Stopp in Berlin markiert das viertletzte Konzert. Von Tourbeginn an dabei sind die italienischen Melo-Doomster SHORES OF NULL und während bis vor zwei Wochen noch DRACONIAN als Co-Headliner (metal.de berichtete aus Hamburg) mit von der Partie waren, ergänzen seit dem 21. April die 60ies/70ies-Doom-Rocker AVATARIUM das Package.
Leckere italienische „Doom-Antipasti“ mit SHORES OF NULL
Galerie mit 24 Bildern: Shores Of Null - Co-Headline Tour 2023 in StuttgartVor dem Neuköllner Club Hole⁴⁴ warten gegen 19 Uhr schon einige Fans auf Einlass, offenbar wissend, dass der überall für 20 Uhr proklamierte Showbeginn eine Farce ist. Und so beginnt das Doom-Spektakel an diesem Donnerstag überpünktlich um 19:29 Uhr mit SHORES OF NULLs „Destination Woe“. Was für ein Auftakt! Wenngleich die Italiener aus genannten Gründen zunächst vor halbleerem Raum spielen (müssen). Dem Enthusiasmus der bereits Anwesenden tut das allerdings keinen Abbruch. Bedenkt man, dass die Tour bereits seit einem Monat läuft, gibt sich das Quintett um Sänger Davide Straccione keinen Müdigkeitserscheinungen hin. Die Römer liefern ein mitreißendes, tightes Set ab und erstaunen zudem mit einer für Doom-Acts eher untypischen, effektvollen Lichtshow. In knapp 40 Minuten Spielzeit bleibt wenig Zeit für Trödelei und ausschweifende Ansagen, aber umso mehr für druckvollen, melancholischen Death Doom. Ihr Set besteht zu weiten Teilen aus aktuellem Material vom im März veröffentlichten Album „The Loss Of Beauty“, das auf dieser Tour übrigens in einer wunderschönen limitierten Vinyl-Version erhältlich ist. Highlights sind definitiv der grandiose Opener zusammen mit „Nothing Left To Burn“ und dem düsteren Rausschmeißer „My Darkest Years“. Gelungen abgerundet wird das Set mit den Titeltracks der ersten beiden Alben. Für die Kürze ihrer Spielzeit holen SHORES OF NULL wirklich raus, was geht, und geben einen mehr als würdigen „Starter“ für diesen Abend.
Aufgrund der vorgezogenen Startzeit hat leider so mancher SHORES OF NULL-Fan, der sich auf die im Vorfeld kommunizierten Zeiten verlassen hat, das Nachsehen. Sehr schade, dass es hier immer noch keine Verlässlichkeit und Verbindlichkeit bei den Angaben gibt.
Setlist SHORES OF NULL:
- Transitory (Intro)
- Destination Woe
- Nothing Left To Burn
- Quiescent
- The Last Flower
- Black Drapes For Tomorrow
- A Nature In Disguise
- Darkness Won’t Take Me
- My Darkest Years
Gelebte schwedische Retro-Liebe – AVATARIUM
Galerie mit 22 Bildern: Avatarium - Summer Breeze Open Air 2022Die nachfolgenden AVATARIUM sind gewissermaßen das Kontrastprogramm, sowohl im Vergleich zu ihren Tour-„Vorgängern“ DRACONIAN als auch stilistisch. Die schwedische Band setzt mit ihrem stark in den 60er/70er Jahren verwurzelten Psychodelic Doom Rock mit CANDLEMASS-Vibe erfrischende Retro-Akzente – musikalisch wie optisch. Sie eröffnen ihr Set mit dem vielgesichtigen „Stockholm“ vom jüngsten Werk „Death, Where Is Your Sting“. Der Fokus ihrer Setlist liegt ebenfalls auf aktuellerem Material der letzten beiden Alben mit großartigen Hymnen wie „The Fire I Long For“. Aber auch ältere Stücke wie das extravagante COVENeske „Pearls And Coffins“ und das CANDLEMASS-Cover „Porcelain Skull“ sind repräsentativer Bestandteil der AVATARIUM-Setlist.
Jennie-Ann Smith ist eine charismatische Frontfrau mit einnehmender Live-Präsenz, großer Stimme und eigenem „Gitarrenknecht“, der ihr regelmäßig auf Knien die fertig gestimmte Akustikklampfe reicht. (Dank an Tour-Backliner Tero Doukas). Besonders epische Momente erfährt das geneigte Publikum, wenn Jennie-Ann von ihren Männern gesanglich begleitet wird. Und die Band hat sichtlich Spaß. Vor allem Gitarrist Marcus Jidell lebt jedes seiner Riffs und Soli mit überbordender Hingabe. Zum Abschluss des Sets gibt es mit „Moonhorse“ noch einen echten Klassiker, den die Schweden mit einer Reprise des Themas ihres Openers „Stockholm“ zum Mitsingen beschließen.
Im Kontext des ansonsten sehr düster und metallisch gehaltenen Billings durchaus als „besonders“ zu bezeichnen, spricht dieser Part nicht jeden Doom-Fan per se an. Doch bei so manchem, der es vielleicht nicht erwartet hätte, springt heute kurzerhand der AVATARIUM-Funke über und der Zuspruch wächst mit fortschreitendem Gig. Die Dankbarkeit ist ganz beiderseits.
Setlist AVATARIUM:
- Stockholm
- Rubicon
- Porcelain Skull
- Pearls And Coffins
- God Is Silent
- The Fire I Long For
- Nocturne
- Girl With The Raven Mask
- Moonhorse
SWALLOW THE SUN – bewährte finnische Souveränität
Galerie mit 20 Bildern: Swallow The Sun - Co-Headline Tour 2023 in StuttgartBei SWALLOW THE SUN wird’s buchstäblich dunkel. Die aufgestellten LED-Kerzen blieben sonst auch wirkungslos. Bei den Finnen um Mastermind Juha Raivio weiß man, woran man ist. Wetten, welches TYPE 0-Shirt Sänger Mikko Kotamäki heute wohl tragen würde, wurden im Vorfeld angenommen. (Auflösung am Schluss) Die Band startet mit „Enemy“ von ihrer aktuellen Veröffentlichung „Moonflowers“ und auch SWALLOW THE SUN zeigen keine Ermüdungserscheinungen auf dieser ohne Frage anstrengenden, langen Tournee. Denn gleich im Anschluss feuern sie „10 Silver Bullets“ ins bewegungsfreudige Publikum. Erwartungsgemäß promoten die Finnen ihr jüngstes Werk mit insgesamt vier, sehr unterschiedlich gearteten Tracks, überraschend dicht gefolgt von ihrem 2009er-Output „New Moon“ mit drei Stücken. Der Rest der Songs verteilt sich auf drei weitere Releases ihrer Diskografie, wobei die Titel, abgesehen von der obligatorischen Zugabe „Swallow (Horror Pt. I)“, eher jüngeren Datums sind. Für Fans der ersten Stunde ist es sicher keine Traum-Setlist, dennoch ist sie intensiv und abwechslungsreich. Ein Fan fordert zwischendrin immer wieder „Winter“, „Winter“, was vermutlich auf den SWALLOW THE SUN-Oldie „Descending Winters“ abzielt, wird aber ignoriert. Eine gute Woche zuvor hätte er sogar Glück gehabt, als gewünschter Titel noch die Setlist zierte.
SWALLOW THE SUN sind eine sichere Bank in puncto Live-Performance: Präzises Spiel, fetter Sound und routiniertes Stageacting, das allerdings wenig bis keine Interaktion der Musiker untereinander oder gar Spontanität zulässt. Zwar ist jedes Bandmitglied für sich in Bewegung, doch scheint es, als dürfe keiner den ihm zugewiesenen Aktionsradius verlassen. Das Publikum fühlt sich aber durchaus animiert, wenn auch mehr gestikulär, denn verbal. Fronter Mikko zwängt finnisch-charmant wie üblich kaum mehr als „Thank You“ oder mit viel Glück auch mal einen Songtitel zwischen den Zähnen hervor. Seine diversen Vocals beherrscht er umso besser. Ab und an wird er dabei von Gitarrist Juho Räihä mit fiesen Backing-Growls und -Screams unterstützt. Richtung Set-Ende ziehen SWALLOW THE SUN noch einmal „undoomig“ das Tempo an und mobilisieren mit dem „Double-Trouble-Paket“ aus „This House Has No Home“ und „These Woods Breathe Evil“ zum kollektiven Headbanging. Das gibt Nackenschmerzen. Für bereits erwähnte Zugabe reicht die Energie aber trotzdem noch. These necks hurt evil!
Setlist SWALLOW THE SUN:
- The Fight Of Your Life (Intro)
- Enemy
- 10 Silver Bullets
- Falling World
- Keep Your Heart Safe From Me
- Firelights
- New Moon
- Woven Into Sorrow
- Stone Wings
- This House Has No Home
- These Woods Breathe Evil
- Swallow (Horror Pt. I)
Dafür, dass sich das verwöhnte Berliner Publikum unter der Woche gerne bitten lässt, ist die Veranstaltung einigermaßen gut besucht – weit entfernt von „Sold Out“, aber das hat man in der Hauptstadt definitiv schon schlimmer erlebt. Viel entscheidender: Wer hier ist, hat auch Bock auf die Bands und das bekommen die Acts auch reflektiert – vor der Bühne und am Merchandise-Stand, was ebenfalls belegt, dass SHORES OF NULL, AVATARIUM und SWALLOW THE SUN allesamt überzeugend abgeliefert haben – jeder auf seine wunderbare Weise.
PS: Mikko trug ein „Christian Woman-Shirt“
Text: Sabine Langner, Oliver Schreyer
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