Svavar Knútur
Ahoy! Tour 2018 in München
Konzertbericht
All jene, die sich gerne für den Reinerhalt der Berichterstattung auf unserer Seite stark machen, müssen nun ganz tapfer sein, denn obwohl der isländische Singer/Songwriter SVAVAR KNÚTUR sich offen zu einem „Soft Spot“ für Metal bekennt, hat seine Musik mit verzerrten Gitarren und treibenden Doublebass-Attacken beim besten Willen nichts zu tun. Und auch THE ROCKETBOYS, die ihn bereits zum zweiten Mal auf einer seiner regelmäßigen Touren durch Deutschland begleiten, dürften nicht unbedingt ins Beuteschema des archetypischen Headbangers fallen. Das soll uns aber nicht stören, denn qualitativ und unterhaltungstechnisch ist das gebotene von einer so herausragenden Qualität, dass ein Konzertbesuch wirklich jedem ans Herz gelegt sei, der zur musikalischen Untermalung der ruhigeren Momente seines Lebens nicht mehr als akustische Gitarrenklänge und emotional tiefschürfenden Gesang benötigt.
So stört es auch nicht, dass das Hansa 39 im Münchener Feierwerk am heutigen Abend bestuhlt ist. Im Gegenteil, schafft es doch eine gemütliche Atmosphäre und unterstreicht die geradezu intime Beziehung zwischen dem Künstler und seinen Fans. Seit vielen Jahren schon reist SVAVAR KNÚTUR alle paar Monate mit einem Interrail-Ticket ausgestattet durch Europa und hat sich gerade in Deutschland längst eine treue Fanbasis erspielt, die in stetig wachsender Zahl immer wieder zu seinen Konzerten kommt. Die unverkrampfte Herzlichkeit, mit der auch Neulinge hier aufgenommen werden und sich sofort als Teil der „Gemeinschaft“ (aus gutem Grunde eines von SVAVAR KNÚTURs deutschen Lieblingswörtern) fühlen dürfen, spiegelt die rundum positive Ausstrahlung des mit einem gewaltigen Charisma gesegneten Isländers wieder. Diese ausgeprägte Willkommenskultur gleicht jenen Mythen und Legenden, die wir den Konzerten und Festivals in „unserer“ Szene gerne selbst bescheinigen, ohne sie dort jedoch je so intensiv gespürt zu haben wie hier und heute.
Um sich warm zu spielen und emotional zu öffnen, beginnt SVAVAR KNÚTUR in altbewährter Weise mit einem Song-Tripel, das die drei für jeden Singer/Songwriter so wichtigen Gefühle „Weltschmerz“, „Waldeinsamkeit“ und „Wanderlust“ repräsentiert. Langjährigen Fans fällt auf, dass sich statt dem bekannten „Undir Birkitré“ dieses Mal das neue Stück „Morgunn“ harmonisch zwischen „Vetrarsól“ und „Wanderlust“ in den Liederreigen einreiht. Damit wäre auch bereits der Bogen zum neuen Album „Ahoy! Side A“ geschlagen, dem konsequenterweise binnen Jahresfrist „Ahoy! Side B“ folgen dürfte. Und obwohl der offizielle Release erst am nächsten Tag erfolgt, gibt es die Platte natürlich bereits am Merch-Stand zu kaufen, wo SVAVAR KNÚTUR nach der Show nicht nur mit unübersehbarer Freude und Dankbarkeit CDs und Vinyl-Scheiben signiert, sondern auch das auf seine Initiative hin in seiner Heimat neu aufgelegte „Rummungur ræningi“-Buch feilbietet – ein kurzer Blick aufs Cover reicht aus, um darin die isländische Übersetzung von Ottfried Preußlers Kinderbuch-Klassiker „Räuber Hotzenplotz“ zu erkennen.
Doch nun erst einmal zurück zur eigentlichen Show, wo der selbsternannte „Public Health Troubadour“ augenzwinkernd die gesundheitsfördernde Wirkung seiner Musik anpreist und damit die Zuschauer anstandslos zum Klatschen und Mitsingen bewegt. Und da Lachen ja nicht minder gesund ist, streut er zwischen die Lieder immer wieder kleine und größere Geschichten und lustige Anekdoten ein, deren Wahrheitsgehalt ebenso wechselt wie die Tonalität. Selbst wenn er dabei auf eher nachdenkliche Weise Einblick in die Entstehungsgeschichte einzelner Songs gibt, kriegt SVAVAR KNÚTUR stets die Kurve zu einer lustigen Pointe, was dem Unterhaltungswert der Show nur zugute kommt. Den in epischer Breite dargelegten aber letzten Endes kläglich gescheiterten Versuch, sich durch das „Werfen“ eines kleinformatigen Flachbildfernsehers aus einem suizidgesicherten Hotelfenster („it felt like mailing a letter“) ein Bad-Boy-Image zuzulegen, mag man getrost ins Reich der Legenden verweisen. Die Begeisterung für ihre Wut offen nach Außen tragende Deutsche kauft man dem Künstler hingegen ohne weiteres ab, für dessen eher zurückhaltende Landsleute bereits eine hochgezogene Augenbraue einer Morddrohung gleichkommen kann.
Doch auch wenn in bester Tobias-Sammet-Manier die Geschichten und der gerne bis hart an die Grenze des guten Geschmacks angeschwärzte Humor gefühlt die Hälfte der Spielzeit einnehmen, sind es dennoch die Lieder, die im Zentrum der Show stehen. Mit seiner wandlungsfähigen Stimme und seiner übermächtigen Ausstrahlung nimmt SVAVAR KNÚTUR die Menge beim fies eingängigen Romantik-Ohrwurm „Girl From Vancouver“ und der von Janoschs „Oh, wie schön ist Panama“ (und wieder ein zu Recht geliebter Kinderbuch-Klassiker) inspirierten „Tiger And Bear“ genauso gefangen wie beim apokalyptischen „While The World Burns“ oder der melancholischen Depressions-Hymne „Emotional Anorexic“. Und zum Abschluss des regulären Sets zeigt „Mr. Knútur“ dann doch auch eine harte, aggressive Seite: Seine aktuelle Single „The Hurting“ rückt ihn unerwartet nahe an den „Akustikgitarren-Metal“ von TENACIOUS D und ist ganz nebenbei auch ein fantastischer Song, dem zum ganz großen kommerziellen Hit eigentlich nur die richtige Vermarktung fehlt.
Apropos „richtige Vermarktung“: Bei den heute als Supportband den Abend eröffnenden THE ROCKETBOYS hoffe ich schon viel zu lange vergebens, dass endlich ein europäisches Label die Klasse der Texaner erkennt und ihre Musik auch hierzulande veröffentlicht. Denn dass die Indie-Rocker eine Menge auf dem Kasten haben und mit ihren größtenteils entspannt wirkenden, aber trotzdem niemals flachen Songs auch bei einer breiteren Zielgruppe einen Nerv treffen dürften, steht eigentlich außer Frage. So aber mussten sich die beiden grundsympathischen Bandköpfe Brandon Kinder und Justin Wiseman erneut ohne ihre Begleitmannschaft auf den Weg über den großen Teich machen und präsentieren ihre Songs teils in rein akustischen Versionen auf Gitarre und Keyboard, teils mit der dezenten Hilfe von Loops aus dem Computer. Das nimmt den großartigen Kompositionen indes nichts von ihrem Reiz, zu denen auch das Publikum rasch einen Zugang findet und das Duo mit mehr als nur Höflichkeitsapplaus bedenkt.
Ein wenig schüchtern wirken THE ROCKETBOYS bei ihrer ersten Show auf dieser Tour zwar noch, das wird aber rasch verfliegen. Als wir uns eine Woche später beim Konzert im Nürnberger Club Stereo wiedersehen, genießen sie es sichtlich, auf der Bühne zu stehen und das Publikum zum Mitsingen des überragenden „Viva Voce“ zu animieren. In München finden zwar deutlich weniger der Anwesenden so spontan ihre Stimme, die Begeisterung ob des Dargebotenen ist hingegen ebenfalls unverkennbar. Umso größer ist die Freude, als SVAVAR KNÚTUR seine beiden texanischen Freunde im Zugabenblock zu sich auf die Bühne bittet, um ein Stück gemeinsam zum Besten zu geben.
Nun ist es ohnehin nicht unbedingt üblich, dass der Hauptact seine Vorgruppe zu einer gemeinsamen Zugabe einlädt – dass man dabei aber auch noch einen Song eben jener Support-Band zum Besten gibt, darf als ganz besondere Auszeichnung verstanden werden. So setzt „The Best“ nicht nur einem ganz unmetallisch fantastischen Konzertabend die Krone auf, sondern unterstreicht darüber hinaus das besonders freundschaftliche Verhältnis zwischen SVAVAR KNÚTUR und THE ROCKETBOYS. Klar, der eingefleischte Metal-Fan mag auch diese Live-Sternstunde als verachtenswertes Weichei-Gedudel abtun. Wer jedoch nach Feierabend auch mal ganz ohne Patronengürtel und Killernieten seinen „Soft Spot“ für emotional vielschichtige Singer/Songwriter-Klänge ausleben möchte, sollte sowohl dem isländischen Troubadour als auch seiner fantastischen Support-Band einmal ein Ohr leihen – es wird hoffentlich nicht das letzte Mal gewesen sein, dass die Jungs gemeinsam in den Zug steigen und sich auf große Deutschlandreise begeben!
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