Sonata Arctica
The Ninth Hour World Tour - live in Nürnberg 2017
Konzertbericht
Als SONATA ARCTICA dann schließlich die Bühne betreten, ist die Neunte Stunde – oder ist es am Ende gar schon die zehnte? – bereits zur Hälfte vorbei. Dennoch dominiert das aktuelle Studioalbum „The Ninth Hour“ mit insgesamt fünf Stücken die Setlist. Und abgesehen vom durch einen allzu grausam in den Eingeweiden herumwummernden Bass entstellten „Fairytale“ können die Stücke in ihrer Live-Inkarnation wieder einmal noch stärker überzeugen als aus der Tonkonserve. Frontmann Tony Kakko ist nicht nur eine absolute Rampensau, sondern versteht es auch, seine bedeutungsschwangeren Texte so emotional und ausdrucksstark wie kaum ein anderer in Szene zu setzen.
Die heutige Songauswahl, bei der „Closer To An Animal“, „The Power Of One“ und „I Have A Right“ nur die plakativsten Weltverbesserer-Stücke darstellen, lässt ein nicht wegzudiskutierendes Sendungsbewusstsein erkennen. Allen Berufszynikern, die „Gutmensch“ noch immer für ein angemessenes Schimpfwort halten, mag dies sauer aufstoßen, bei einem Konzert der nordfinnischen Träumer dürften sie jedoch ohnehin schon seit jeher am falschen Ort gewesen sein – heute eben noch ein wenig mehr als sonst.
Doch natürlich fordern SONATA ARCTICA-Frontmann Tony Kakko und seine Mitstreiter ihr Publikum nicht mit wedelndem Zeigefinger zur Buße auf, sondern setzen in unverbrüchlich eskapistischer was-wäre-wenn-Manier auf Inspiration und lassen dabei insbesondere den Humor nicht zu kurz kommen. Die neue Kurzhaarfrisur von Drummer Tommy Portimo – neben Tony Kakko das letzte verbliebene Gründungsmitglied – wird natürlich prompt im Bandklassiker „Tallulah“ kommentiert. Und selbst wenn die subtile Textvariation hin zum „short-haired drummer of the band“ der einzige Grund gewesen sein könnte, die Ballade bei dieser Tour auf die Setlist zu nehmen, soll das den begeistert mitsingenden Anwesenden nur recht und billig sein.
Im SONATA ARCTICA-Backkatalog befinden sich inzwischen definitiv zu viele Klassiker, als dass es die Band all ihren Anhängern jemals recht machen könnte. Anstatt dies überhaupt zu versuchen und dadurch möglicherweise zur eigenen Retro-Cover-Band zu verkommen (ein in unserer Szene natürlich völlig unvorstellbares Schicksal *hüstel*), haben die Finnen auch heute wieder die eine oder andere Überraschung im Gepäck. Wo ich mich persönlich am meisten über „Abandoned, Pleased, Brainwashed, Exploited“ und das bereits erwähnte „The Power Of One“ freue, dürften andere eher bei „In Black And White“ oder „Misplaced“ aus dem Häuschen sein, während „FullMoon“ und der Rausschmeißer „Don’t Say A Word“ (gefolgt von dem nach wie vor extrem albernen „Vodka“-Singspielchen) dann doch die zu erwartenden Fixpunkte auf der Setlist darstellen.
Auf „White Pearl, Black Oceans“ hofft man heute leider vergebens. Dabei hätte es sich eigentlich angeboten, das Epos gemeinsam mit dem auf „The Ninth Hour“ enthaltenen zweiten Teil in den Zugabenblock zu packen. Okay, vermutlich war die Hoffnung von vorne herein eine Spinnerei, aber man wird ja wohl noch träumen dürfen. Und wo wir nun ohnehin bereits den Bogen zurück zum Wesenskern von SONATA ARCTICA geschlagen haben, sei mir noch dieser abschließende Appell gestattet:
Lieber Tony, lieber Tommy, lieber Henkka, lieber Elias, lieber Pasi,
bitte bleibt uns noch möglichst lange erhalten, auf dass wir uns auch in zwanzig Jahren noch von euren Konzerten zum Träumen einladen lassen können – selbst wenn die Welt bis dahin wahrscheinlich immer noch nicht zu einem besseren Ort geworden sein dürfte.
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