Acoustic Adventures
Sonata Arctica live in Nürnberg 2019
Konzertbericht
Routine ist der Tod für das kreative Schaffen eines Künstlers. Kein Wunder also, dass SONATA ARCTICA die Chance nutzen, die ihrige zu durchbrechen und sich auf eine ganz besondere Reise zu begeben. Der Titel verrät bereits, dass die Finnen auf dieser Tour weitestgehend „unverstromt“ zu Werke gehen. Und auch das Versprechen nach Abenteuer ist nicht zu hoch gegriffen, denn anstatt auf Nummer sicher zu gehen und einfach nur ihre größten Hits in ein betuliches Lagerfeuer-Gewand zu hüllen, haben SONATA ARCTICA viel Mühe in die Songauswahl wie auch die einzigartigen Arrangements für diese Konzertreise gesteckt.
Melancholie und Trauerbewältigung: WITHERFALL
Obwohl Mittwochabend nicht der günstigste Zeitpunkt für ein Live-Konzert ist, dürfen sich WITHERFALL bereits über ein hohes Publikumsinteresse im Nürnberger Hirsch freuen. Die Amerikaner um WHITE WIZZARD-Frontmann Joseph Michael und ICED EARTH-Gitarrist Jake Dreyer haben passend zu ihren Auftritten als Vorband auf dieser Akustik-Tour die „Vintage“-EP veröffentlicht, welche vornehmlich mit Akustik-Arrangements aufwartet. Die Trauer um den Verlust von Adam Paul Sagan, welcher Ende 2016 im Alter von nur 36 Jahren den Kampf gegen die Arschloch-Krankheit Krebs verlor, durchzieht als roter Faden das komplette Schaffen der Band, die im Gedenken an ihren ehemaligen Drummer einige beeindruckende Klangkathedralen errichtet haben.
Die düster-melancholische Atmosphäre von Großtaten wie „The Long Walk Home (December)“ nimmt die Zuhörerschaft gefangen, welche zum überwiegenden Teil aufmerksam lauscht und sich nur zwischen den Stücken immer wieder für wohlwollenden Applaus aus ihrer Trance reißen lässt. Klar, über Joseph Michaels rotes Samt-Sacko und seinen etwas schmierigen Gestus darf man geteilter Meinung sein, an der musikalischen Leistung gibt es hingegen nichts zu mäkeln. Mit Tom Pettys „I Won’t Back Down“ unterziehen WITHERFALL einen echten Klassiker ihrer unkonventionellen und doch gelungen Trauerweiden-Behandlung, bevor sie sich mit dem elfminütigen „Vintage“ von einem begeisterten Publikum verabschieden.
Ausgelassenheit und Lebensfreude: SONATA ARCTICA
So sympathisch SONATA ARCTICA auch sind, wird man doch den Eindruck nicht los, dass Frontmann Tony Kakko und seine Bandkollegen große Freude daran haben, ihr Publikum zu trollen. Mag man zunächst noch glauben, dass die unmittelbar vor Showbeginn vom Band eingespielte Waldgeräusch-Endlosschleife eine besinnliche Atmosphäre aufbauen sollen, wird mit fortschreitender Dauer des am Ende gut zehnminütigen Loops mehr und mehr klar, dass in Wirklichkeit Genervtheit die Gemütslage ist, in welche die Band ihr Publikum zu versetzen versucht. Ein gewisser Eigensinn war SONATA ARCTICA schon immer zueigen und so verweigern sie sich dem einfachen Weg der maximalen Gefälligkeit und belohnen all jene umso stärker, welche die Herausforderung der Band annehmen und neben den großen Bandklassikern auch eher obskure Stücke wie den „Winterheart’s Guild“-Japan-Bonus-Track „The Rest Of The Sun Belongs To Me“ auf sich wirken lassen.
Mit viel Liebe haben die Finnen ihre Songs umarrangiert und mit vielen kleinen Details wie dem dominanten Spieluhr-Keyboard von „As If The World Wasn’t Ending“ oder der nur optisch etwas albern anmutenden Melodica-Einlage bei „Flag In The Ground“ versehen. Dadurch kommt zu keiner Sekunde Langeweile auf und man hat nach Ablauf der anderthalbstündigen Spielzeit noch stärker als bei jeder „normalen“ SONATA ARCTICA-Show den Wunsch, die Band würde noch einmal mindestens genauso lange weiterspielen. Kurzweiligkeit ist also Trumpf und so profitieren einige der Stücke davon, dass Gitarrist Elias Viljanen mit dem gezielten Einstreuen verzerrter Solo-Einlagen absichtlich gegen den selbstgesetzten Akustik-Claim verstößt. Unterstützung hat sich die Band für diese Tour in Gestalt von Multi-Instrumentalist Masi Hukari (AMORAL) geholt, der mal an der Gitarre, mal am Keyboard, mal mit Percussion-Instrumenten die etatmäßigen Musiker unterstützt. Bei „Letter To Dana“ greift er sogar zur Querflöte, was den Gänsehaut-Faktor der Ballade bis weit über die 9000 hinaus katapultiert.
Die allerersten Troll-Autos
Natürlich finden sich auch viele der ganz großen SONATA ARCTICA-Hits auf der Setlist wieder und erwartungsgemäß werden „FullMoon“, „Black Sheep“ oder „Wolf & Raven“ von allen Anwesenden lautstark mitgesungen. Da kann es sich die Band sogar leisten, auf garantierte Abräumer wie „The Cage“, „Replica“ und sogar das als Rausschmeißer fast schon unvermeidliche „Don’t Say A Word“ bewusst zu verzichten, um weniger populäres, aber für das Akustikgewand ungleich geeigneter erscheinendes Songmaterial zum Glänzen zu bringen. Während die Zeit also wie im Flug vergeht, sitzt Frontmann Tony Kakko der Schalk noch immer tief im Nacken als er besonders ausschweifend seine Bandkollegen nach ihren ersten Autos zu befragt, nur um als Schlusspointe zum anschließenden „Paid In Full“ überzuleiten, dessen eigentliche Spielzeit mit Sicherheit kürzer ausfällt als die epische Überleitung.
Ein kleiner Troll steckt also ganz offensichtlich in den Finnen, was man ihnen aber angesichts der großen Freude gerne verzeiht, die allen Musikern überdeutlich ins Gesicht geschrieben steht und ohne Mühe bis in den letzten Winkel des Zuschauerraums schwappt. Schade nur, dass im Zugabenblock „Victoria’s Secret“ auf die Hälfte zusammengekürzt und als kurzer Solo-Spot für Tony und Gitarrist Elias dargeboten wird. Den Abschluss bildet dann „The Wolves Die Young“, das über einen kurzen „Eye Of The Tiger“-Ausschnitt in das inzwischen wahrlich ausgelutschte „Vodka“-Outro übergeht. Bleibt zu hoffen, dass SONATA ARCTICA nicht zum letzten Mal zu ihren „Acoustic Adventures“ aufgebrochen sind. Vor einer möglichen Wiederholung dürfen wir uns in der zweiten Jahreshälfte aber erst einmal auf ihr zehntes Studioalbum freuen, welches logischerweise wieder von einer „normalen“ Tour gefolgt werden dürfte. Und natürlich werden wir uns auch diese nicht entgehen lassen!
Setlist SONATA ARCTICA:
- Life
- Only The Broken Hearts (Make You Beautiful)
- Half A Marathon Man
- The Rest Of The Sun Belongs To Me
- As If The World Wasn’t Ending
- FullMoon
- Letter To Dana
- Alone In Heaven
- On The Faultline (Closure To An Animal)
- Wolf & Raven
- I Have A Right
- Black Sheep
- Among The Shooting Stars
- Tallulah
- Paid In Full
- Flag In The Ground
— - Victoria’s Secret
- The Wolves Die Young
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