Silent Concert in Hannover
Metal mit Kopfhörern
Konzertbericht
Bei bestem Biergartenwetter laden der hannoversche Metal-Club 30666 und das Béi Chéz Heinz zu einem Konzerterlebnis der besonderen Sorte: Ein Silent Concert wird gegeben, drei Bands spielen auf – echt und live! Das mussten wir uns unbedingt anschauen.
Erstmal zum überaus ungewöhnlichen Rahmen: Wie kann man bei bestehenden Abstands- und Lüftungsanforderungen am besten ein Konzert organisieren? Natürlich Outdoor. Viel Platz, viel frische Luft. Aber innerstädtisch ist das so eine Sache mit Freiluftkonzerten. Die Lautstärke eines Metalkonzerts und das Ruhebedürfnis der Anwohner sind mithin nur schwer übereinander zu bekommen. Die Lösung ist da so profan, wie in vielen Privathaushalten erprobt und bewährt, um die Lärmbelästigung zu reduzieren: Kopfhörer müssen her, ein Silent Concert wird gegeben.
Silent Concert – neue Erfahrungen auf einem Metalkonzert
Aber wie muss man sich das vorstellen? So: Jeder Gast hat sein eigenes Paar Kopfhörer, die Bühnenperformance wird direkt übertragen. Das Schlagzeug wird durch ein E-Drum ersetzt. Nur der Gesang ist damit neben dem stoischen Klackern des elektronischen Schlagzeugs eine wahrnehmbare Geräuschquelle, die sich letztlich nicht vermeiden lässt. Noch leiser wäre es für die Umwelt wahrscheinlich nur, würden die Bands gleich ganz an einem anderen Ort spielen – aber dann könnte man sich diese Veranstaltung ja auch gleich sparen. Will aber keiner. Die Schallemission dürfte sich jedenfalls deutlich unterhalb des Lärmpegels einer üblichen Straßenkneipe bewegen. Und: Wann kann man auf einem Konzert schonmal sorgenfrei mit Kleinkind aufkreuzen, ohne um die Gesundheit der Kleinen fürchten zu müssen? Eben.
Das klingt in der Theorie alles einigermaßen schräg, insbesondere im Kontext mit Metal, das ja ein ganzes Stück von der Ganzkörper-Liveerfahrung lebt. Aber schon nach den ersten Takten gewöhnt man sich an dieses Setting. Also Kopfhörer auf: Eine glasklare Übertragung des Geschehens auf der Bühne ist ein absoluter Pluspunkt dieses Formats. Ein bisschen Schade ist allerdings, dass man sich mit dem Nachbarn nur unterhalten kann, wenn man die Kopfhörer abnimmt und damit das Konzertgeschehen auditiv weitgehend verlässt – bei einem Lautsprecher-Konzert fällt der Wiedereinstieg in das Konzertgeschehen dank weiterlaufender Hintergrundbeschallung deutlich leichter.
Galerie mit 26 Bildern: Impressionen - Silent Concert 2020Aber das Auftritts-Setting der Bands ist nur eine der ungewöhnlichen Facetten dieser Veranstaltung. Der aktuellen Lage geschuldet hat ein Konzert im Sommer 2020 halt wenig mit einem Konzert zu tun, wie es noch im vergangenen Jahr stattfinden konnte. Anforderungen an die Organisation der Veranstaltung und die Gewährleistung der Sicherheit der Gäste setzen einen strikten Rahmen, den die Veranstalter vorbildlich ausfüllen. Damit kommt zu der gewohnten Kartenabreißer-Tätigkeit am Eingang eine weitere Facette hinzu: Concierge-artig werden die Gäste instruiert, auf hinterlegte Kontaktdaten abgeklopft und mit dem weiteren Vorgehen und den Regeln vertraut gemacht: Fest zugeordnete Tische. Mund-Nasenschutz nur am Tisch abnehmen. Getränkeverzehr ausschließlich am Platz. Vom Eingang geht es direkt weiter zur Kopfhörerausgabe: Frisch desinfizierte Audio-Ausgabegeräte werden zugeteilt, kleine Einweisung inklusive. Alles sehr geordnet und gut organisiert. Und dann geht es erstmal an den vorgesehenen Platz. Oder Getränke holen.
Gute Laune bei Bands und Zuschauenden – das Konzept Silent Concert geht auf
Den Bands scheint das Umfeld dennoch sichtlich zu gefallen – und auch die Möglichkeit endlich mal wieder vor Publikum aufzutreten, kommt gut an. Den Auftakt machen CURCUIT BREACH um kurz vor 18 Uhr. Der symphonische, melodische Death Metal der Jungs – angesiedelt irgendwo zwischen DARK TRANQUILLITY und AMORPHIS – kommt kraftvoll aus den Kopfhörern, kleinere technische Schwierigkeiten am Anfang des Sets werden unkompliziert gelöst. Das Bild, dass die Performance der Band abgibt, wenn man die Kopfhörer abnimmt, wird jedoch selbst treffend als „sechs Typen, die da vorne rumzappeln“ beschrieben – ungewohnt ist das alles schon aus. Publikum und Bands finden aber schnell zueinander.
Galerie mit 29 Bildern: Circuit Breach - Silent Concert 2020Wenig zappelig geben sich die folgenden LORIMER BURST. Das Trio passt mit seinem instrumentalen Post Rock mit sludgigem Einschlag vortrefflich zu dieser Veranstaltung: Sitzen, zuhören, Spätsommersonne. Nice. Die Aufforderung, dass man sich am Merchandise-Stand seines Vertrauens mit entsprechenden Tonträgern und T-Shirts versorgen kann, bleibt da nicht aus – hier kann man schließlich unmittelbar die Underground-Musikszene unterstüzten.
Galerie mit 11 Bildern: Lorimer Burst - Silent Concert 2020Den Abend beschließen THE BLACK COURT. Die Band um den hünenhaften Sänger Oskar sieht fast ein wenig gedrängt auf der kleinen Bühne aus – der Frontmann merkt lapidar und gut amüsiert an, dass der Unterschied zu übrigen Konzerten doch erheblich ist, habe man doch sonst oft nur den „einen Metaller im Vollsuff vor der Bühne, der headbangt, während der Rest zuschaut. Und nun sitzen alle.“ Aber Spaß und Spielfreude strahlt die Band aus, die es sichtlich genießt knapp eine Stunde ihren Melodic Death Metal zwischen SOILWORK und alten IN FLAMES darzubieten. Dass es als Zugabe dann sogar noch „The Maze“ gibt, das im Original-Tonträger-Format von Britta Görtz (CRITICAL MESS) gesanglich unterstützt wird, passt hervorragend zu dieser kleinen, aber feinen Veranstaltung in der niedersächsischen Landeshauptstadt (#Lokalmatadore, #LokaleMetalSzene).
Galerie mit 32 Bildern: The Black Court - Silent Concert 2020Einhellige Meinung: Unter diesen Umständen eine gute Alternative
Wie kam das Ganze bei den Bands an? Auf die Frage, wie Erfahrung der Band mit diesem ungewöhnlichen ausfällt, erzählt THE BLACK COURT-Schlagzeuger Philipp: „Unerwartet positiv! Wir hatten ja den Vorteil, dass wir dann im Dunkeln die Zuschauer nicht mehr so gesehen haben, und es deswegen fast egal war, ob wir nun auf einer hohen Bühne steht oder die Zuschauer sitzen. Außergewöhnlich war nur, dass man dann die ganzen grünen Kopfhörerleuchten gesehen hat. Es gab einfach viele Unklarheiten im Vorfeld, Sachen die man halt vorher nicht wusste oder einschätzen konnte. Ich habe aber gehört, der Sound war ganz fein, auf der Bühne war der Sound auch gut. Das spielen auf einem guten E-Drumset war auch ganz fein – aber ich bin mal gespannt auf die Aufnahmen von vor der Bühne ohne Kopfhörersound. Dieses rumklackern mit Geschrei klingt bestimmt ganz lustig.“
Und wie steht es mit einer Einschätzung ob dieses Formats? Ist das eine Live-Alternative? „Unter den aktuellen Umständen ist es für mich auf jeden Fall eine Alternative. Ich habe auch schon mit Leuten von 30666 ein bisschen geschnackt – natürlich hat niemand Lust darauf, dass das für die nächsten Jahre oder für immer die Lösung ist. Aber es ist jetzt mal ein Start und wahrscheinlich findet man ja sogar noch Sachen, die man noch besser machen kann. Vielleicht werden es ja dann auch Sitzkonzerte drinnen, in Locations mit guter Ablüftung. Aber es ist doch so: Es gibt Leute, die stellen sich darauf ein und verbessern dann das Ganze und es gibt welche, die sagen „Das ist mir zu doof“. Ich bin jedenfalls froh, dass das in Angriff genommen wurde, dass auch geschätzt knapp achtzig Leute hier waren. Der Mensch ist ja recht anpassungsfähig, das war heute vielleicht der Schritt in eine neue Normalität. Also: Am liebsten natürlich alles auf nem Gig, laut schreiend, grölend, moschend, aber so ist jetzt die Situation. Und das war ein guter Schritt in die richtige Richtung.“
Live-Metal trotz Corona – Kreative Lösungen sind gefragt
Word. Festzuhalten bleibt: Richtiges Pre-Corona-Konzert-Feeling kommt bei einem Silent Concert natürlich nicht auf. Aber das ist ja auch gar nicht anders zu erwarten gewesen – dicht gedrängte Konzertbesuche sind mit geltenden Hygienebestimmungen, den organisatorischen Auflagen und den notwendigen Vorsichtsmaßnahmen schlicht nicht vereinbar. Das „Silent Concert“ ist viel mehr ein musikalisch untermalter Biergartenbesuch, denn ein lauschiger Club-Gig.
Viele wichtiger ist daher das positive Signal, dass die Veranstalter an diesem Tag mit dem „Silent Concert“ aussenden – nämlich, dass man ob der bestehenden Situation nicht aufzustecken muss und Live-Musik auch unter schwierigen Bedingungen organisieren kann. Dass es gelingt, Bands und Fans zusammenzubringen – und letztlich der Metal-Szene (in diesem Falle der lokalen) ihre gewohnten „Rituale“ zu ermöglichen und eine Plattform bietet, ihre gemeinsame Identität auszuleben, Kutten zu zeigen, fachzusimpeln. Und sich natürlich gut unterhalten zu lassen. Im kleinen Rahmen.
Dass die Konzertbesucher sich diszipliniert und geordnet verhalten, dass Veranstalter und Veranstaltungsort den Konzertnachmittag routiniert und strukturiert abwickeln, stets auf die Einhaltung der Regeln achtend – all das trägt sein Übriges zu einem entspannten und gelungenen Spätsommerabend bei. Mit lauter Musik. Und trotz Corona.
Lest auf der folgenden Seite ein kurzes Interview mit Hendrik „Henna“ Deutsch, Vorsitzender des Metal-Clubs 30666.
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