Sick Of It All
live im Café Central Weinheim
Konzertbericht
Im Jahr 1986 spielten die Footballer der New York Giants ihre erfolgreichste Saison. Mit SICK OF IT ALL rauften sich zur gleichen Zeit Giganten der ganz anderen Art im New Yorker Stadtteil Queens zusammen, gleich ein Jahr später gab es die erste selbstbetitelte EP zu kaufen. Es sollte aber noch weitere zwei Jahre dauern, bis mit „Blood, Sweat And No Tears“ das erste Album über In-Effect Records verfügbar war und die bis heute anhaltende Erfolgsgeschichte der Hardcore-Punk-Urgesteine ihren Lauf nahm. Grenzen scheinen doch auf den Boden gemalte Striche zu sein, denn die Kids aus Deutschland waren gleichermaßen berührt von den Geschichten aus dem weit entfernten New York und spürten das gleiche Ungleichgewicht, dass SICK OF IT ALL sich von der Seele musizierten. 30 Jahre und zahlreiche durchweg starke Alben liegen zwischen 1986 und heute, sicherlich mehrere Tausend Auftritte von SICK OF IT ALL. Wir waren für euch im Café Central in Weinheim dabei. Das Motto ist unverändert: You will find blood, sweat and no tears!
CROWNED KINGS machen den Anfang, und was noch im CD-Review als laues Lüftchen beschrieben wurde, entfesselt live eine ganz andere Energie. Die Australier liefern rasiermesserscharfe Riffs, soweit der miese Sound dies zulässt, und kommen äußerst authentisch rüber. Hinter dem heute debütierenden Bassisten wurde eine Fahne vor der Box aufgehängt – darauf zu sehen, das Foto seines Vorgängers Carlos, der vor zwei Monaten verstarb. Das gleiche Bild wurde auch auf das Merchandise von CROWNED KINGS gedruckt. Der von oben bis unten zugetackerte Sänger und seine motivierten Mannen beweisen – Hardcore muss live gehört werden! Die Band selbst beschreibt sich als Mischung zwischen TERROR und HATEBREED, was gegen Mitternacht mit den Jungs direkt am Merchandisestand lautstark und scherzhaft ausdiskutiert wird, denn das sehen nicht alle so. Macht letztendlich aber nichts, denn CROWNED KINGS haben ihre Aufgabe mit Bravour gemeistert und Weinheim gut angeheizt. Wo sich die Review zu „Forked Roads“ bei sechs von zehn Punkten eingependelt hat, kann man die Band live hingegen ausdrücklich empfehlen. Denn was in der Review als abgeschmackt und übertrieben beschrieben wurde, ist live genau das, was zündet.
Auf der Damentoilette macht sich der Sänger von BROKEN TEETH noch schnell die Haare nass, bevor er seinen Auftritt hat. Seinen Auftritt deshalb, weil man BROKEN TEETH aus Manchester schon fast als One-Man-Show beschreiben kann. Der extrovertierte Sänger jagt wie ein wildes Tier über die Bühne und bellt die Menge wütend an, während seine Mitstreiter eher ungelenk und etwas eingerostet dazu musizieren. Am Alter kann es nicht liegen, denn es handelt sich um Mittzwanziger, die sich ruhig etwas mehr engagieren dürfen. Noch dazu hat einer der Gitarristen Geburtstag. Bei diesem nicht vorhandenen Enthusiasmus wird es schwer, dem Beispiel von SICK OF IT ALL zu folgen, auch wenn die Musik richtig knallt und zum Mitmachen anregt. Die Band bietet zwar bereits eine CD zum Verkauf an, allerdings handelt es sich um eine Zusammenstellung der bereits veröffentlichten EPs der Truppe. Ein Album wird demnächst über Nuclear Blast erscheinen.
Die Band arbeitet viel mit Beatdowns, was dem ganzen einen herben Touch gibt und die Aggressionen anheizt. Wie immer ist der unauffälligste Typ im Publikum derjenige, der eigentlich alle Texte kann und zwischendurch überraschend zum Violentdancer mutiert. Von den Weinheimer gibt es gleich einen rüden Stoß zurück an den Rand, was für ihn bedeutet, dass er sich gefälligst wieder aus dem Pit zu entfernen hat. BROKEN TEETH sind schwer einzuordnen, aber die Neugier auf das Album ist groß. Die Musik geht gut rein – der Auftritt jedoch überzeugt nicht vollends, da der Eindruck entsteht, dass alles auf den Schultern des Sängern lastet.
Let’s celebrate that we don’t give a fuck („Take The Night Off“, SICK OF IT ALL)
Dass SICK OF IT ALL im kleinen Café Central in Weinheim auftreten, liegt nicht daran, dass die Band aus der Mode gekommen wäre und Probleme hätte, größere Hallen zu füllen. Ganz im Gegenteil, mit dem aktuellen Album „The Last Act Of Defiance“ präsentierte sich die Band unverhältnismäßig stark. Es liegt eher daran, dass richtiger Hardcore eng und aufständisch ist und irgendwie fühlt es sich schon fast an wie ein Geschenk an die treuen Fans. Schon Monate vorher war die Show ausverkauft, die Zahl derjenigen, die „nur mal gucken wollen“ dürfte entsprechend gering sein. Das Café ist prall gefüllt mit Menschen, denen SICK OF IT ALL etwas zu bedeuten scheinen.
SICK OF IT ALL nehmen das Publikum mit auf eine Reise durch die komplette Diskografie, genauso wie man es sich bei einer Jubiläumstour anlässlich 30 Jahren Bandgeschichte wünscht. Vorab war es möglich, Wünsche für die Setlist einzureichen. Die Band hat kaum die Bühne betreten, als mit „Good Lookin‘ Out“ ein nicht enden wollender Sturm der Begeisterung losbricht. Die Songs kommen Schlag auf Schlag, Zeit zum Verschnaufen gibt es kaum, wird allerdings auch nicht gewünscht. Nicht wenige Songs leitet Lou mit Worten in die folgende Richtung ein: „Den folgenden Song haben wir geschrieben, als wir noch jung und wütend waren“. Und bei einigen fügt er sinngemäß hinzu: „Wir sind zwar nicht mehr jung, aber trotzdem noch wütend!“. Man nimmt es ihnen ab, zu 100 Prozent.
Irgendwie fragt man sich doch, warum SICK OF IT ALL gerade im kleinen Ort Weinheim spielen. Lou klärt uns auf: Die Mutter von Bassist Craig Setari ist in Weinheim aufgewachsen, was den Weinheimern einen angemessen Applaus wert ist. Niemand hat damit gerechnet, dass es tatsächlich irgendeine Verbindung zwischen New York und Baden-Württemberg geben könnte, darauf erst einmal ein lautes „Sanctuary“ und noch ein Cheers in Richtung der anwesenden Familie von Craig. Das ist übrigens neben „Machete“ der am lautesten und häufigsten geäußerte Songwunsch. „Machete“ wird uns besonders ausführlich und als heftig, richtig heftig, angekündigt, sodass sogar die mächtigen BLACK SABBATH als Vergleich herhalten müssen. Lou möchte dann wissen, wer morgen arbeiten muss und ist überrascht, dass es praktisch alle sind, die die Hände heben. Er bietet an, eine Krankmeldung auszustellen oder zumindest SICK OF IT ALL als Grund anzugeben. Allerdings merkt er dann, dass niemand gern daran erinnert werden möchte und schwenkt um, dass wir doch lieber alle darauf scheißen und den Moment genießen sollen. Das ist schon eher nach dem Geschmack des Publikums und weiter geht das fröhliche Geschubse. Wo andere Bands ihre Fans, manchmal sicher auch ungewollt, zu Zirkusäffchen machen, gehen SICK OF IT ALL immer sehr respektvoll mit ihren Anhängern um. Natürlich gibt es Stellen, an denen man mitsingen sollte („DNC – (Do Not Comply)“ Oi, Oi, Oi…), aber es ist nicht so, dass Lou Koller das Mikro vorhersehbar in die ersten Reihen zum Reinbrüllen hält oder seine Verantwortung an die Fans übergibt. Für Fan Jens geht heute allerdings ein Traum in Erfüllung und er darf mit SICK OF IT ALL „Rat Pack“ singen (Stand nicht auf der Setlist!). Lou ist aufrichtig begeistert von seiner Performance – kein Wunder, denn Jens (Ex-WARSTREET aus Karlsruhe) weiß, was er tut. So kann Lou, der sicherheitshalber am Anfang noch mitsingt, nach der ersten Strophe entspannt nach hinten treten und anerkennend den Daumen nach oben zeigen.
Die Fans in Weinheim lassen sich vom vor der Bühne aufgestellten Gitter in keiner Weise daran hindern, immer wieder Stagedive-Versuche zu unternehmen, was den kleinen Raum zwar immer wieder kurz an seine Grenzen bringt, die Stimmung aber noch mehr anheizt. Still stehen kann und will hier heute eigentlich eh niemand. SICK OF IT ALL sind eng mit ihren Fans und zwar nicht nur, weil es der Club heute zulässt. Es wird abgeklatscht, gescherzt und konstant Kontakt aufgenommen. Die gute Stunde fühlt sich tatsächlich so an, als ob hier absolut gleichberechtigt gefeiert und geschwitzt wird. Peter Koller führt auch 2016 noch sein Workout wie ein agiler Teenie durch. Wirklich bemerkenswert, wie fit der Gitarrist noch immer ist. SICK OF IT ALL sind knackfrisch und in Topform, das kann man über die Dauer des Konzertes aus der ersten Reihe sehr gut beobachten. Die Jungspunde von BROKEN TEETH sollten mal was abgucken.
Die Zeit wird für die Dauer des Konzertes nicht in Sekunden oder Minuten gemessen. Viel mehr ist es die Zeit zwischen Schuh verlieren und Schuh wiederfinden, die Zeit zwischen Hüpfeinsatz und Mitsingen und die Zeit zwischen Ellenbogen ausweichen und selbst austeilen. „Boah, ich werd‘ zu alt für den Scheiß“ oder „Was für eine abartige Sauna?!“, so hört man es aus allen Richtungen – wer heute durchhalten will, muss fit sein und sollte möglichst nicht auf die Toilette müssen. Wer einmal den Raum verlässt, kommt nämlich nur mit Gewalt wieder rein. Man merkt, dass die Fans zu großen Teilen mit SICK OF IT ALL aufgewachsen sind und dementsprechend eben auch nicht mehr Anfang 20. Zerstörte, glückliche Menschen mit komplett durchgeschwitzten Shirts tröpfeln gegen 23:30 Uhr nach und nach aus dem Konzertraum in die kühle Nacht und man sieht einigen deutlich an, dass sie sich etwas überschätzt haben. Aber wen interessiert die Muskelzerrung danach, wen die Gliederschmerzen und wen der Kater? Man lebt im und für den Moment. Für Hardcore-Fans ist die laufende Tour von SICK OF IT ALL selbstredend Pflicht, der Tourauftakt war vielversprechend und mit CROWNED KINGS und BROKEN TEETH gibt es zwei sehenswerte beziehungsweise hörenswerte Bands obendrauf.
SICK OF IT ALL sind eine der besten Hardcore-Bands weltweit, in meinen Augen sogar die beste. Die letzten 30 Jahre haben dies mehr als überdeutlich bewiesen. Geht hin und zieht euch die Typen rein, solange sie noch für euch ballern!
Setlist SICK OF IT ALL:
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