Schandmaul
Unendlich Tour - Live in Stuttgart 2014

Konzertbericht

Billing: Die Kammer und Schandmaul
Konzert vom 2014-03-08 | Liederhalle, Stuttgart

Mit dem Wechsel ins Major-Lager von Universal dürften SCHANDMAUL endgültig im Mainstream angekommen sein. Das neue Album „Unendlich“ wird mit Fernseh-Spots beworben und in den Charts erobert die Band einen hervorragend zweiten Platz zwischen Peter Maffay und Helene Fischer. Darf man mit dem Besuch ihrer aktuellen Tour nun also dem großen Ausverkauf einer der Mittelalter-Szene längst entwachsenen Formation beiwohnen?

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Nein, es darf Entwarnung gegeben werden, SCHANDMAUL sind noch immer Überzeugungstäter und ziehen weiterhin ihr ganz eigenes Ding durch – zugegebenermaßen inzwischen in der ausverkauften Liederhalle statt dem überschaubareren Theaterhaus und mit einer sichtlich aufwändigeren Bühnenproduktion, doch nichtsdestotrotz getragen Leidenschaft, Natürlichkeit und ungebremster Spielfreude. Auch am gewohnt bunt gemischten Publikum hat sich nichts geändert. Noch immer tanzt hier der beinharte Metaller neben dem gewandeten Mittelaltermarkt-Dauergast und die aufwändig gestylte Gothic-Lady neben dem Familienvater im Fußgängerzonen-tauglichen Alltags-Outfit.

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Den Opener gibt heute DIE KAMMER, die aktuelle Band von Marcus Testory (ex-CHAMBER) und Matthias Ambré (ex-ASP), die mit einer sehr ungewöhnlichen akustischen Mischmusik aufwartet und den offensichtlichen „Kammer-Musik“-Kalauer in ihrer ersten Ansage gleich selbst vorwegnehmen. Statt einem Bass findet hier eine Tuba Verwendung, die dem ganzen einen leichten Bierzelt-Charakter verleiht, ansonsten ist das Singer/Songwriter-Gebräu eher in der Folk-Ecke anzusiedeln, von Zeit zu Zeit fühlt man sich gar an amerikanische Country-Musik erinnert. Interessant klingt das auf alle Fälle, für meinen Geschmack aber auch eine ganze Ecke zu lahmarschig, um wirklich eine gute Einstimmung auf den Hauptact des Abends darzustellen.

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SCHANDMAUL läuten dann mit „In Deinem Namen“ wortwörtlich den Anfang einer mehr als zweistündigen Show ein, die neues Material gekonnt mit alten Klassikern vermischt und deren Setlist somit die meisten Zuschauer zufriedenstellen dürfte. Gleich zu Beginn verrät Frontmann Thomas Lindner „ein Geheimnis“ – die Person an der Geige ist nämlich gar nicht SCHANDMAUL-Violinistin Anna Kränzlein, die wenige Tage zuvor mit Söhnchen Luis Adrian ihr zweites Kind zur Welt gebracht hat. Statt dessen ist Tobias Heindl (FIDDLER’S GREEN) mit an Bord, der seine Sache auch extrem gut macht – insbesondere wenn man bedenkt, dass er erst wenige Stunden vor der gestrigen Wiesbaden-Show für die eigentlich als Ersatz vorgesehene Ally (ALLY THE FIDDLE) eingesprungen ist.

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Als nettes Gimmick haben SCHANDMAUL heute eine Kiste mit „ganz ollen Kamellen, die beim Ausmisten des Proberaumes aufgetaucht sind“ im Gepäck. Dass Thomas Lindner aus dieser indes mit großer Gestik ausgerechnet das „Teufelsweib“ hervorzaubert, verwundert – der Evergreen, der eigentlich bei keinem Konzert der Münchener fehlen darf, geht beim besten Willen nicht als Rarität, die lange irgendwo eingemottet war, durch. Besser sieht es da mit dem zweiten „Kisten-Stück“ aus, über den „Kurier“ freuen sich langjährige SCHANDMAUL-Fans ganz besonders, zumal der Sänger die „schöne Königin“ im Schlusspart des frivolen Stücks breit grinsend als das benennt, was sie ohnehin immer schon war: „eine geile Sau“. Hier zeigen sich wieder einmal die Entertainer-Qualitäten der Truppe und insbesondere ihres Frontmannes, die SCHANDMAUL-Konzerte niemals langweilig werden lassen. In diesem Rahmen wirkt auch das neue Nonsense-Sauflied „Der Teufel…“ nicht primitiv oder gar deplatziert, sondern lädt zum eifrigen Mitgröhlen ein.

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Doch auch vor ernsteren Themen schrecken SCHANDMAUL heute nicht zurück. So bitten sie die Zuschauer äußerst charmant um Unterstützung für die wohltätige Organisation „Viva con Agua“ in Form von gespendetem Becherpfand und dem Verkaufserlös von Trikots des „1. SC Handmaul“ (ja, nicht nur die Vorband kann Kalauer – Anm. d. Red.). In musikalischer Form stellt dann gerade das melancholisch-ergreifende „Euch Zum Geleit“ ein echtes Highlight des Abends dar, das einen auf ganz andere Art, aber nicht minder tief berührt als die unverzichtbare Gänsehaut-Ballade „Dein Anblick“. Nicht ganz so begeistert bin ich hingegen von der Anti-Nazi-Hymne „Bunt Und Nicht Braun“, die musikalisch für meinen Geschmack etwas arg simpel gehalten ist. Vermutlich braucht es aber wohl genau diese Einfachheit, um eine so klare und bedingungslos zu unterschreibende Aussage unmissverständlich rüberzubringen – und erfreulicherweise erntet das Stück auch besonders lauten Beifall und begeistertes Mitklatschen einer ohnehin Handklapper-willigen Menge.

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Insgesamt dominieren aber doch die Party-tauglichen Gute-Laune-Stücke den Eindruck dieses rundum gelungenen Konzertabends. Da werden Klassiker wie „Leb!“, „Vogelfrei“ oder die „Walpurgisnacht“ gnadenlos abgefeiert, erfreulicherweise scheinen SCHANDMAUL mit dem „Kaspar“ aber auch auf „Unendlich“ ein Stück im Angebot zu haben, das sich mühelos in den Reigen der Band-Highlights einreihen kann und zukünftig hoffentlich zum festen Bestandteil der Konzert-Setlist zählen wird. Zum Abschied gibt es schließlich noch die für meinen Geschmack immer eine Spur zu kitschige Ballade „Willst Du?“, die offenbar tatsächlich großen Geprächsbedarf bei einem überraschend großen Teil der Anwesenden weckt. Ob Thomas Lindner hier mit seiner überdeutlichen Aufforderung, die Gelegenheit für einen spontanen Heiratsantrag zu nutzen, womöglich voll ins Schwarze getroffen hat? Sei’s wie’s sei und wie es ist, wir verhalten uns diskret – zumal heute jeder Besucher mit einem seligen Grinsen im Gesicht nach Hause geht.

 

Setlist SCHANDMAUL:

  • In Deinem Namen
  • Auf Hoher See
  • Tippelbruder
  • Teufelsweib
  • Der Kurier
  • Leb!
  • Das Tuch
  • Anderswelt
  • Trafalgar
  • Das Seemannsgrab
  • Little Miss Midleton
  • Pakt
  • Bunt Und Nicht Braun
  • Der Letzte Tanz
  • Krieger
  • Traumtänzer
  • Lichtblick
  • Kaspar
  • Dein Anblick
  • Der Teufel…
  • Vogelfrei
  • Walpurgisnacht
  • Euch zum Geleit
  • Willst Du?
  • Auf Euch
09.03.2014

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