Rock im Park
Der große Festivalbericht vom Rock im Park 2014 in Nürnberg
Konzertbericht
Circle Pits in der Gluthitze
Vier Tage, drei Bühnen, und ein gigantisches Line-Up aus neunzig Bands verschiedener Genres. Kombiniert mit durchweg hochsommerlichen Temperaturen führte das über Pfingsten zu rund 70.000 Besuchern bei „Rock im Park“ – was in etwa der kompletten Einwohnerzahl von Städten wie Bocholt, Lüneburg oder Bamberg entspricht. Gefeiert wurde trotz Staub und Hitze intensiv, aber friedlich. Aber lest selbst: hier ist der große Rückblick auf RIP 2014!
Freitag, 06. Juni
Schon am frühen Nachmittag tummeln sich Zehntausende auf dem Nürnberger Zeppelinfeld am Dutzendteich – in finsteren Zeiten Austragungsort größenwahnsinniger Reichsparteitage, im Hier und Jetzt das Parkett für eines der größten deutschen Festivals. Es ist das übliche Szenario: auf den Zeltplätzen trinkt man sich in Stimmung, grillt eifrig und knüpft Kontakte zu den neuen Nachbarn; auf dem Gelände selbst flaniert man zwischen schier zahllosen Ständen und Bespaßungsoptionen à la Trampolinspringen und DJ-Spots. Der/die ein oder andere ist schon vollgetankt, bevor die ersten Riffs erklungen sind, andere zwängen sich auch bei 36 Grad im Schatten noch todesmutig in ein Ganzkörper-Bananen-/Giraffen-/Gorilla- oder wasauchimmer-Kostüm. Wie schon geschrieben: das übliche Szenario wie auf allen Festivals, nur in größeren Dimensionen. Konzentrieren wir uns deshalb auf das Wesentliche und Besondere: die Bands! Die Bandbreite reicht hier von Elektro über HipHop bis Rock in allerlei Variationen – mit Schwerpunkt auf Letzterem, auch in diesem Bericht. Wer also wissen möchte, wie Fanta 4 und Jan Delay die Crowd geflasht haben, kann an diesem Punkt aufhören zu lesen.
Der erste Festivaltag erweist sich mehr oder minder als ein erweiterter METALLICA-Gig, denn alles ist ganz auf das Finale Furioso, sprich: das Konzert des Freitags-Headliners zugeschnitten. Lediglich drei Bands werden vor den Thrashmetal-Giganten spielen, lediglich das 90.000 Quadratmeter große Areal vor der Hauptbühne („Centerstage“) ist geöffnet. Abgesperrt hingegen bleibt die Fläche vor der zweiten, etwas kleineren, und an diesem Tag unbespielten Open-Air-Bühne „Alternastage“. Auch die „Clubstage“ in der Eishockeyhalle der Nürnberg Ice Tigers bleibt vorerst verschlossen, wird ihre Schleusen aber noch im Lauf des Tages öffnen: zur Aftershowparty nach METALLICA. Die Thrash-Legenden aus der San Francisco Bay Area sind damit der einzige Headliner des Festivals, dem die volle Aufmerksamkeit des Publikums de facto garantiert ist mangels paralleler Alternativen.
Um 15:45 Uhr ist es soweit: IN EXTREMO eröffnen das RIP 2014 mit „Rasend Herz“, gefolgt von „Horizont“ und „Zigeunerskat“. Es ist noch früh am Tag, die heiße Luft aus der Sahara drückt, aber sowohl das Publikum als auch die sieben Berliner Musiker sind hochmotiviert – „In Extremo“ bedeutet schließlich soviel wie „bis zum Äußersten“, und dem will man gerecht werden. Gekonnt und druckvoll mischen sich die fiependen Marktsackpfeifen, Schalmei und Drehleier mit Gitarren, Drums und Bass zu eingängigem Mittelalter-Rock; Feuerfontänen sprühen, Sänger Michael Robert Rhein alias „das Letzte Einhorn“ heizt der Meute ein, und die tanzt sich dazu den Wolf. Zwar zünden auch die Songs vom aktuellen Album „Kunstraub“ (etwa „Gaukler“ oder „Himmel und Hölle“) und das Publikum zeigt sich textsicher, besonders stimmungsvoll wird es aber zum Endspurt hin, als nacheinander die Klassiker „Sängerkrieg“, „Frei zu sein“ und „Küss mich“ aus den Boxen dröhnen. Auftakt gelungen.
Als zweite Band beginnt der CREED-Nachfolger ALTER BRIDGE sein Set mit „Addicted To Pain“, der ersten Single-Auskopplung des aktuellen Albums „Fortress“. Wie ihr Bühnenhintergrund – simples Bandlogo weiß auf schwarz – sind auch Bühnenshow und Ansagen auf das Wesentliche reduziert, so dass der progressive Heavy-Sound mit seinen verspielten, oft komplizierten Übergängen, und vor allem Myles Kennedys dynamischer Stimme ganz im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Kein Gepose, keine Pyro, kein Tamtam. Die „Könige des modernen Hardrock“ lassen ihre hochklassige musikalische Performance, die bisweilen ein wenig an DREAM THEATER erinnert, ganz für sich wirken, und dieses Konzept scheint, den teils intensiv lauschenden, teils ausgiebig rockenden Fans nach zu urteilen, vollkommen aufzugehen. Nach längeren Ausflügen bei SLASH oder als Solokünstler merkt man vor allem den beiden wiedervereinten Hauptprotagonisten Kennedy und Gitarrist Mark Tremonti die Spielfreude jederzeit an. Neben neuen Songs wie der aktuellen Single „Cry Of Achilles“ spielt das Quartett aus Detroit zur Freude ihrer Fans auch viele der kraftvollen, energiegetriebenen Stücke alter Platten, darunter „Ties That Bind“, „Metalingus“ und „Blackbird“; zu „Find The Real“ tänzelt Frontmann Kennedy über einen Steg ins Publikum, der – soviel sei schon verraten – eigentlich exklusiv für METALLICA aufgebaut ist, um die Fans in den vorderen Reihen mitsingen zu lassen. Nach einer langen Version von „Isolation“ erklingt schließlich der Schlussakkord.
Im Anschluss an eine dreißigminütige Umbaupause ertönt Glockengeläut, kurz darauf setzen Gitarrenriffs ein, und AVENGED SEVENFOLD erscheinen auf der Centerstage. Feuerwerk! Zum Einstieg serviert der kalifornische Fünfer mit „Shepherd Of Fire“ einen Single-Hit vom neuen Album „Hail To The King, zu dem Sänger Matthew Sanders aka „M. Shadows“ die Crowd stetig anstachelt und von einer Seite der Bühne zur anderen flitzt. Ein ähnliches Szenario auch im weiteren Verlauf: viel Pomp und Getöse inklusive Flammensäulen und Pyro-Raketen, sehr agile Musiker, feierwilliges Publikum. Musikalisches Markenzeichen: der stetige Wechsel von vor Kraft und Energie strotzenden Metalcore-Parts samt Screams und Doublebass hin zu melodischen Passagen mit klarem, eingängigem Gesang. Ein wenig ruhiger und emotionaler wird es nur, als Sanders über den verstorbenen Freund und ehemaligen Drummer James „The Rev“ Sullivan spricht, dem sie den Song „So Far Away“ widmen. Dann folgt mit „Nightmare“ der nächste Kracher, um auch ja kein Trübsal aufkommen zu lassen, gefolgt von „Burn It Down“ und einem Gitarrensolo. Mit ihrer ersten Single „Unholy Confessions“ und reichlich Applaus endet die Show. AVENGED SEVENFOLD mögen vielleicht in Deutschland nicht denselben Status wie in den USA haben, aber zu einer echten Größe im Metal-Zirkus sind sie dennoch peu a peu auch hierzulande herangereift.
Mit Einbruch der Dunkelheit ist es schließlich soweit: METALLICA sind in the house, zum nunmehr sechsten Mal in der langen Rock-im-Park-Geschichte. Doch diesmal mit einer besonderen Setlist im Gepäck – „Metallica By Request“ ist das Stichwort. Heißt: jeder Fan, der ein Ticket gekauft hat, konnte vorab im Internet für seine Lieblingssongs stimmen. Die meistgewählten werden schließlich gespielt, und wer hätte das geahnt – es sind fast ausschließlich Kracher der ersten fünf Alben, die sich die Fans für Rock im Park gewünscht haben. Und einen aus drei Songs kann man in diesen interaktiven Zeiten zusätzlich noch vor und während der Show bestimmen, falls man denn 50 Cent für eine SMS investieren möchte. Thrashmetal meets Cashmetal.
Die beiden großen LED-Bildschirme, die sonst bei jeder Band links und rechts der Centerstage angebracht sind, werden eingefahren und machen noch weitaus gewaltigeren Geschwistern Platz, die über die komplette Bühnenhöhe von 19 Metern reichen, und auch auf der Bühne selbst thront ein monströser LED-Tryptichon. Das Drumkit von Lars Ulrich ist vorne mittig aufgebaut, so dass er inmitten seiner Kollegen statt wie üblich darüber/dahinter agieren wird, und von der Bühne führt ein schon oben angesprochener „Laufsteg“ für einige Meter mitten in die Fanmeute. Apropos Fans: eine Handvoll davon steht am Bühnenrand und darf sich das gleich anstehende Geschehen ganz nah bei ihren Helden ansehen – manch einer davon wird später gar einen Song ansagen und ein kleines Pläuschchen mit James Hetfield halten.
Zu den Klängen von Ennio Morricones „The Ecstasy Of Gold“ aus dem Spaghetti-Western „Zwei glorreiche Halunken“ betreten Lars Ulrich (Drums); James Hetfield (Vocals , Gitarre), Kirk Hammett (Gitarre) und Robert Trujillo (Bass) die Bühne, und hämmern nacheinander drei Songs vom 1986-er „Master Of Puppets“-Album in die Menge: „Battery“, „Master Of Puppets“ und „Welcome Home (Sanitarium)“. Die Band scheint bestens aufgelegt, der Sound ist nahezu perfekt und selbst in den hintersten Reihen, durch zehntausende Besucher und zig Wellenbrecher von der Bühne getrennt, noch druckvoll und knackig zu vernehmen. Die Musiker selbst kann man aus der Entfernung kaum noch erkennen, aber dank der überdimensionalen LED-Screens entgeht einem auch von dort kein über die Saiten flitzender Finger.
Nach „Ride The Lightning“, einem Gitarrensolo von Kirk Hammett und „The Unforgiven“, zu dem manch Feuerzeug entflammt wird, folgt „Creeping Death“, dessen Refrain “ So let it be written, so let it be done, I’m sent here by the chosen one …“ von der Menge lautstark mitgesungen wird. Gänsehaut. Dann kommt mit „Lords Of Summer“ noch ein ganz neuer Song, der flott nach vorne prescht und zu dem Lars Ulrich kräftig seine Double-Bass penetriert.
Weiter gehts mit „Sad But True“, einem Bass-Solo von Trujillo, dem grandiosen „Fade To Black“ und einer Version von „…And Justice for All“, bei der im Gegensatz zum Album auch der Bass gut zu hören ist. Hetfield und Hammett suchen dazu immer wieder die Nähe zu den Fans, lassen sich an allen Seiten der Bühne und inmitten der Menge auf dem „Laufsteg“ blicken. Danach trommeln Maschinengewehrsalven, auf den LED-Screens ziehen bewaffnete Soldaten ins Ungewisse, und leiten über zu dem Klassiker „One“. Als sich die Gitarren von James Hetfield und Kirk Hammett duellieren, zucken mächtige Laserstrahlen im Takt über das Publikum.
Nach „For Whom The Bell Tolls“, dem Thin-Lizzy-Cover „Whiskey In The Jar“, „Nothing Else Matters“ und „Enter Sandman“ ist das offizielle Set zu Ende und man lässt sich minutenlang für die Zugabe zurück auf die Bühne fordern. Diese startet mit „St. Anger“, gefolgt vom Gewinner-Song des „Vote Of The Day“ – das Rennen gemacht hat „The Day That Never Comes“ vom „Death Magnetic“-Album . Zu guter Letzt, nach zweieinhalb Stunden Spielzeit, beschließt „Seek And Destroy“ die Show, und im Anschluss regnet es Plektren und Drumsticks in die Menge. Fazit: eine durchweg mitreißende „Best Of“-Show, die hielt, was sie versprach.
Zum Ausklang des ersten Festival-Tags platzt anschließend noch die frisch geöffnete Clubstage schier aus den Nähten, wo die Londoner „Rudimental“ und das „Klangkarussell“ zur Aftershow-Party laden.
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