Rock im Park
Der große Festivalbericht vom 20. Rock im Park 2015
Konzertbericht
Dritter Tag: Sonntag, 07. Juni
Der letzte RIP-Tag bricht an. Eigentlich wollten wir ihn mit ROYAL REPUBLIC und den sympathischen Rostocker Punks von FEINE SAHNE FISCHFILET beginnen, aber wie das halt so ist nach einer schlaflosen Nacht. Ihr kennt das. Zum Einstieg bekommen wir das Ende des Konzerts von INTERPOL auf der Zeppelin Stage gerade noch mit. Unser Eindruck: interessante Band, zu dieser Tageszeit aber leider ein wenig verschenkt. Die New Yorker liefern vielschichtigen, intensiven Postpunk ab, der abends im Dunkeln sicher deutlich besser funktioniert hätte als in der prallen Nachmittagshitze. Notiz: irgendwann zukünftig nochmal ansehen.
Wir schleppen unsere noch müden Körper zur Alternarena, wo die vier (allesamt aus anderen Bands bekannten) Hardrocker von WE ARE HARLOT fast ihr gesamtes gleichnamiges Debutalbum spielen. Dabei geht es stimmungstechnisch über weite Strecken für RIP-Verhältnisse geradezu „gesittet“ zu: ein wenig mit dem Kopf nicken, mit dem Fuß wippen und der Musik lauschen. Aber ist ja auch mal eine willkommene Abwechslung, einen Auftritt einfach mal genießen zu können, ohne sich standig inmitten eines herumwütenden Moshpits zu befinden. Gegen Ende des Sets, als das etwas härtere Songmaterial zelebriert wird, kommt es dann doch noch zu einem Circle Pit. Na also.
Cut, nächste Szene: Zeppelin Stage. Vom Bühnenhintergrund lächelt einem ein Smiley entgegen, der einen Zylinder trägt und seinen Mund so weit aufgerissen hat, dass schon der Schädelknochen zu sehen ist. Zylinder? Genau: SLASH. Der ehemalige Guns`n-Roses-Gitarrist hat bereits zwei Alben mit dem Alter-Bridge-Sänger Myles Kennedy, Schlagzeuger Brent Fitz und Bassist Todd Kerns aufgenommen. Heute stehen sie als SLASH FEATURING MYLES KENNEDY & THE CONSPIRATORS auf der Bühne und liefern gleich mit dem Hardrock-Opener „You’re A Lie“ einen Beweis ihres Könnens: Myles Kennedy hat stimmlich einfach eine Wahnsinnsbandbreite, und Slash darf man getrost immer noch zu den weltbesten Gitarristen zählen. Neben eigenen Stücken, „Slither“ von VELVET REVOLVER sowie einigen Songs von ALTER BRIDGE werden zur Freude der vielen Besucher von der zusammengewürfelten Combo auch diverse der altbekannten Guns’n-Roses-Klassiker gerockt: „Nighttrain“, „You Could Be Mine“, „Sweet Child O‘ Mine“ und zum großen Finale als letzter Song der Show auch noch „Paradise City“. Kennedy singt die Songs dabei so gut, wie es Axl Rose wohl nie mehr hinbekommen wird, und schlendert dabei bisweilen gemütlich durch den Graben vor der Bühne um mit jedem einzuschlagen, der ihm die Hand hinhält. Zylindermann Slash spielt dazu selbst die komplexesten Soli auf Doppelhalsgitarren völlig makellos und ohne mit der Wimper zu zucken. Beeindruckend! Zum Abschied nach ihrer wirklich gelungenen Performance verbeugen sich die vier, während im Hintergrund vor den Marshall-Verstärkern Slashs Gitarre vor sich hinwummert. Als der Rest schon gegangen ist, schreitet Slash zum ersten Mal an diesem Abend ans Mikrofon und schickt ein „Rock im Park, it was awesome!“ in die Menge.
In der Alternarena stehen derweil schon BLUES PILLS auf der Bühne, die wie gestern Kadavar einem (wenn auch völlig anders gestrickten) Retro-Sound der Sechziger und Siebziger huldigen: statt mächtig im BLACK SABBATH-Stil zu doomen, verschreiben sich die Schwedern dem Heavy Blues, den sie mit passioniertem Soul und einer Prise Rock vermengen, stilistisch irgendwo zwischen Janis Jeplin und LED ZEPPELIN angesiedelt. Und das machen sie verdammt gut: ihre Songs wie „High Class Woman“, „Astralplane“, „Black Smoke“, „Little Sun“ oder“Devil Man“ grooven und haben Klasse, sie setzen sich zudem angenehm authentisch von dem üblichen überproduzierten Kram ab. Nicht nur stimmlich ein Ohren-, sondern auch optisch ein Augenschmaus ist zudem Sängerin Elin Larsson, die barfuss auf einem ausgelegten Perserteppich tanzt, die Haare rhythmisch umherschleudert und sehr charmant das Publikum mitnimmt. Während ihre Stimme die vielschichtigen Stücke emotional prägt, so gelingt das dem noch sehr jungen Gitarristen Dorian Sorriaux mit seiner technischen Finesse musikalisch. Zudem legen alle vier Musiker auch noch soviel Gefühl, Herzblut und Energie in ihren Auftritt, dass man sie einfach mögen muss.
Parallel zu ihnen fungieren derweil KRAFTKLUB als Anheizer für den letzten Tagesheadliner – und wie schon RISE AGAINST am Tag zuvor und die Beatsteaks am Freitag liefern auch die Chemnitzer diesbezüglich einen tollen Job ab. Ihr Auftritt startet mit dem Stück „Für immer“, samt Explosionen und Rauch auf der Bühne, an deren Außenseiten zwei gigantische, aufblasbare Hände die „devil horns“ bilden. Mit ihrer bisweilen an THE HIVES erinnernden Mischung aus Punk, Indie und Rap, den einprägsamen Texten und eingängigen Melodien sind sie für ein feierwilliges Publikum natürlich wie geschaffen; und das scheint nicht nur fast alle Songs zu kennen (denn diese werden häufig mitgesungen), sondern springt und schubst und startet einen Circle Pit nach dem anderen zu Stücken wie „Ich will nicht nach Berlin“, „Unsere Fans“, „Eure Mädchen“, „Schüsse in die Luft“ oder „Songs für Liam“ (mit einem Einsprengsel von „Hey Jude“ der BEATLES). Natürlich haben die Rampensäue aus der früheren Karl-Marx-Stadt auch so manches Mitmachspielchen im Repertoire, das zusätzlich Laune bringt, vom Konfettiregen über kollektives Entkleiden bis hin zu einem Crowdsurfing-Wettbewerb. Bei diesem lässt sich die Band zunächst mit einer mobilen Bühne durch die Menge ziehen, während sie unablässig weiterspielt; den Rückweg zur großen Stage gestalten sie dann als Contest, wer von ihnen am schnellsten über das Publikum dorthin surfen kann. Natürlich großes Gekreische und Ausgeflippe der Besucher inklusive. Sänger Felix hat übrigens gewonnen, nur so nebenbei. Die Atmosphäre und das ganze Tamtam sind rückblickend schon mal ein Vorgeschmack auf das, was im späteren Verlauf des Tages Deichkind noch abziehen werden.
Direkt im Anschluss flitzen wir wieder in die Alternarena, wo die ehemals als Riot Grrrrls gefeierten L 7 (einerseits ein Slang-Ausdruck für Spießer, aber auch Symbol für die sexuelle „69“) ihre Wiederauferstehung feiern. In den frühen Neunzigern häufig live gesehen, waren sie irgendwann von der Bildfläche verschwunden, gaben vor einem halben Jahr ihr Comeback bekannt und jetzt sehe ich sie nach über zwanzig Jahren hier das erste Mal wieder live. Und es ist so, als wäre die Zeit einfach stehen geblieben: Rotzige, ungehobelte Perlen wie „Andres“, „Deathwish“, „Everglade“, „Shove“, „Freak Magnet“, „Shitlist“, „Pretend We’re Dead“ oder „Fast and Frightening“ werden genauso heavy-punkig-grungig hingerockt wie früher; dieselbe quengelige, aufmüpfige Stimme von Donita Sparks, die ständig headbangende, rothaarige Bassistin Jennifer Finch, die weitgehend stoische Gitarristin Suzi Gardner, das alles ist wie eine nette kleine Zeitreise. Lediglich Demetra Plakas an den Drums ist neu dabei und macht nun statt der früheren Roy Koutsky einen ebenso energievollen Job an den Fellen, inklusive Stöckchenwirbeln und headbangen. Auch bei den vielen jüngeren Besuchern, die sie vermutlich zum Teil gar nicht kennen, kommt das gut an, die meisten im Saal gehen ordentlich mit und lassen die Mähne flattern. Welcome back L 7, schön dass es Euch wieder gibt!
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[Dem schließt sich „Everything’s Gone“ an, und es wird das einzige Stück vom aktuellen Album „Siren Charms“ bleiben. Stattdessen kredenzen sie einen gut ausgewählten Mix ihrer älteren Alben, darunter „Where the Dead Ships Dwell“, „Rusted Nail“, „Through Oblivion“ oder „Deliver Us“.]
In diesem Satz ist viel zu viel falsch:
1. Alle genannten Lieder sind von den aktuellsten beiden Alben
2. Rusted Nail und Through Oblivion (beide von Siren Charms) wurden nicht gespielt
Bitte ausbessern!