Rock im Betonwerk
Bericht 2013
Konzertbericht
FREITAG
Den Freitag eröffnen die Dresdner Thrasher NEVERTRUST, gefolgt von EBONY WALL, einer noch recht frisch geschlüpften Symphonic Metal-Band aus dem nicht fernen Kultörtchen Annaberg-Buchholz. Trotz einer humanen Anfangszeit von 14:00 Uhr entschließen sich, gemessen am vollen Zeltplatz und den dauerbelagerten (übrigens kostenlosen!) Duschkabinen, die meisten Besucher, das Aufwärmprogramm zu kürzen und erst mit XIV DARK CENTURIES einzusteigen. Die Thüringer Pagan Metaller, auch schon im fünfzehnten Jahr ihres Bestehens, liefern oben ohne gewohnte heidnische Kost und haben nicht nur Songs ihres aktuellen Albums „Gizit Dar Faida“, sondern natürlich auch kampferprobte Hits der beiden Vorgängeralbum im Gepäck. Das funktioniert sogar auf der Hauptbühne zur Mittagszeit echt gut.
Nachdem GORILLA MONSOON einer späten Mittagspause zum Opfer gefallen sind, dürfen HATE zeitgleich mit den aufstrebenden RAMMSTEIN-Nacheiferer von STAHLMANN (mit ihrer vollständigen Silberbemalung haben die Herren bei rund 35° im Schatten übrigens den Hauptgewinn gezogen…) auf der Black Stage ran. Die Polen, vor nicht einmal einem Jahr durch den Tod ihres Bassist Mortifer mächtig leidgeprüft, sind mit Sessionbasser Kain neu besetzt und wohl nicht gewillt, nach 23 Bandjahren die Segel zu streichen. Dabei muss man ihnen lassen, dass sie eine astreine Performance abliefern, was bei Material irgendwo zwischen BEHEMOTH und DIMMU BORGIR wirklich respektabel ist. Die Reaktionen sind trotzdem verhalten, was daran liegen mag, dass fast niemand die Songs der Polen zu kennen scheint. Das wiederum hat auch zwei Gründe: Erstens macht auch hier der Sound einen Strich durch die Rechnung. Zweitens: So richtig spannend und einprägsam ist es leider nicht, was HATE hier abliefern.
Dasselbe Problem haben nach den schwäbischen Haarsprayern KISSIN‘ DYNAMITE dann die Italiener FLESHGOD APOCALYPSE. Die spielen sich seit sechs Jahren konstant den Arsch ab und veröffentlichen in wenigen Wochen mit „Labyrinth“ die dritte Platte innerhalb von viereinhalb Jahren. Aller Fleiß hilft allerdings auf dieser Bühne nichts, denn letztlich verkommt der geradezu aberwitzig technische Extreme Metal der Band zu einem hintergründig orchestrierten Matsch mit Geschrei darüber. Das ist angesichts der absurden Geschwindigkeit und der kaum noch zu begreifenden Komplexität des Materials schade, aber kaum verwunderlich. So werden FLESHGOD APOCALYPSE auch kaum durch bangende Fans unterstützt, vielmehr sieht man allenthalben die Fassungslosigkeit in den Gesichtern der Anwesenden. So richtig begreifen kann man die Band live mit diesem Sound nicht, was wirklich bedauerlich ist. Dafür sehen sie mit ihren barocken Kostümen sehr ansehnlich aus.
Im freitäglichen Hauptprogramm beliefern die Finnen von TURISAS, mit vor zwei Jahren halberneuerter Besetzung, die mittlerweile beachtliche Menschenmenge vor der Hauptbühne zuerst mit dem obligatorischen „Conan“-Intro und dann mit etwas, was nur noch am Rande als Battle Metal durchgeht, und das trotz Songs von ihrem Debüt (Titelsong und „One More“) und von „Varangian Way“ („To Holmgard And Beyond“). Ansonsten reagiert der gefällige Konsensmetal, den „Stand Up And Fight“ beinhaltet und den die Band wohl auch auf dem neuen Album „Turisas2013“ zelebrieren wird. Das rot-schwarze Entertainmentprogramm kommt trotzdem sehr gut an, auch, weil TURISAS einfach eine überaus professionelle und sympathisch wirkende Band sind („it’s the first show where we look like after the show right from the start“) und damit auf jedem Metalfestival gerne gesehen. Warum sie allerdings zehn Minuten vor Ende der Show die Segel streichen und dann noch fünf Minuten mit einem Konservenoutro füllen, weiß der Teufel. Da wäre doch noch was gegangen!
Etwas anders gebärden sich die Engländer ANAAL NATRAKH, die auch live das Schlimmste von Grind, Black, Thrash, Doom und Death zusammenschmeißen und durch den Verzerrer jagen. Songstrukturen sind da nicht mehr auszumachen. Der Limiter, der auf der Anlage der Black Stage liegt, knüppelt alles gnadenlos zusammen, was nicht Geschrei ist, und gibt es als rhythmisches Rauschen von der Lautstärke eines startenden Airbus wieder aus. Apropos Geschrei: Derwisch Dave Hunt gibt am und gegen das Mikro alles, und darauf reagieren dann eine ganze Reihe versammelter Fans doch – bis auf diejenigen, die nicht vor dem infernalischen Geballer fluchtartig die Halle verlassen und gemütlich zur Hauptbühne schlendern. Da gibt die Peter Tägtgren-One Man Show, besser bekannt als PAIN, noch lauter, aber dafür weit verträglicher, ein Best Of zum Besten. Auf sieben Alben gibt’s genug Material, um eine Stunde Spielzeit schmissig zu füllen. Bedauerlicherweise kann da nicht jeder Song so griffig und mitsingbar wie „Dirty Woman“ von der letzten Platte „You Only Live Twice“ sein. Meinem Geschmack nach merkt man PAIN und Peter Tägtgren die vielen Jahre auf den Bühnen dieser Welt ein bisschen zu sehr an – aber was soll’s, es sind genug Besucher da, die für einfach strukturierten Elektrometal zwischendurch ganz dankbar sind.
Vorm Headliner und während der bayrischen Technical Death OBSCURA gönnen wir uns noch eine kurze Verschnaufpause, um dann „mal kurz“ bei der Hauptbühne vorbeizuschauen. „Mal kurz“ wird ganz unerwartet zur fast kompletten Show, denn die US-Ikonen des Crossover/Hardcore, SUICIDAL TENDENCIES, sind eine so erfrischende, mitreißende Band, wie sie das Rock im Betonwerk 2013 sonst nicht zu bieten hat. Seit 1981 im Geschäft, merkt man den Jungs ihr Alter kein Stück an – und paradoxerweise installieren auch nicht die Mittvierziger im Publikum die ersten brodelnden Circle Pits des Festivals, sondern Jungs in den Zwanzigern, neben denen noch jüngere Mädels in Normaloklamotten tanzen. Für SUICIDAL TENDENCIES sind ganze Wagenladungen an Tagesgästen eingetroffen, die die Band grenzenlos abfeiern, und das völlig zurecht. In puncto authentischer Aggression nehmen die Amis jeder Metalband des Festivals die Butter vom Brot, ganz abgesehen davon, dass die Jungs auch noch glaubhaft eine Aussage haben und diese auch vertreten – sie kommen immerhin aus einer Zeit, wo es sowas noch gab. Jedenfalls gibt das Quintett 70 Minuten lang Vollgas und spielt sogar Uraltschinken wie „War Inside My Head“ noch, als wäre es eine Livepremiere. Ich bin jetzt auch für mehr echte Hardcore-Bands auf Metal-Festivals.
Danach geht nicht mehr viel – mit Death Metal von LOCK UP und BRUTAL TRUTH sowie albernem Grindcore mit den Hans Dampfens (oder Hans Dämpfens?) in allen Gassen, den EXCREMENTORY GRINDFUCKERS, klingt der Abend dann noch ziemlich brutal aus, allerdings ohne mich. Denn: Die Zeltnachbarn pilgern, nachdem sie fast den ganzen Tag unter einem Pavillon sitzend verbracht haben, geschlossen zu den GRINDFUCKERS. Scheint die Band zu sein, die genauso viel Unsinn (musikalisch und verbal) verzapft wie sie selbst. Wie gesagt, den Moment, wo mal gerade nicht „Taking the hobbits to Isengard“ läuft, muss man nutzen – ab ins Zelt.
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