Rock am Ring
Der große Festivalbericht - Rock am Ring 2008
Konzertbericht
Opeth: Britisches Understatement ist gefragt!
Freitag, 6. Juni 2008
Ein effizientes Zeitmanagement tut not. Trotz der vielen Bands, die bei Rock am Ring spielen, gilt es zu Beginn jeden Tages eine Grundsatzentscheidung zu treffen: Möchte man so viele Bands wie möglich sehen, dafür nicht vollständig und oft genug aus schlechter Position, oder ist doch „weniger manchmal mehr“? Und wie aufs Stichwort traten OPETH auf die Bühne. Kenner, und davon schien es einige vor der Alternastage zu geben, wissen was kommt, nämlich eine simple Gleichung: 40 Minuten OPETH ergibt vier Songs. Genauer gesagt: “Wreath”, “The Baying Of The Hounds”, “Heir Apparent” und “The Drappery Falls”.
Opeth: wenig elektrisierend, trotz passender Frisur
Der Auftritt war wenig packend, die Stimmung drohte im Tageslicht und Wind des tristen eifler Wetters unterzugehen. Das geschmacklich breit gestreute Publikum schien die bis zu 10 Minuten vorgetragenen Monologe der Band bei relativ schlechtem Sound nicht wirklich honorieren zu wollen – dafür umso mehr die oft ironisch und teilweise latent arrogant vorgetragenen Statements von Bandchef Mikael Åkerfeldt: „Wir sind Opeth. Wir kommen aus Schweden. Schweden ist, das wisst ihr, für Bands bekannt wie ABBA, ROXETTE – und OPETH.“ Alter Schwede. Bleibt festzuhalten: Im abgedunkelten „Club Tent“ wären die Virtuosen deutlich besser aufgehoben.
Wer SERJ TANKIAN anschließend auf der Centerstage komplett sehen wollte, hatte ein Problem. Die Presseleute, soviel sei an dieser Stelle gesagt, hatten den Luxus, mit einer Limousine schnell von Bühne zu Bühne über den Hintereingang chauffiert zu werden. Das „normale“ Publikum (ja, die Anführungsstriche haben durchaus ihre Berechtigung) hatte kaum eine Chance, sich rechtzeitig durch die Menschenmassen zu pressen.
Serj Tankian: Wenig explosiv, mehr exklusiv
Pünktlich kam Zauberer TANKIAN mit Zylinderhut auf die Bretter und schallerte den Zuschauern zur Begrüßung einen tinnituserzeugenden Eunuchengesang entgegen. Prall gefüllt zeigte sich der Zuschauerraum der Centerstage, als der gebürtige Libanese den Soundtrack zu seiner politischen Haltung zum Besten gab. Mit dem eher mittelmäßigen „Elect The Dead“, das nur teilweise die musikalische Genialität frühere Tage offenbart, schaffte SERJ TANKIAN es nicht, den Zündstoff wie zu SYSTEM OF A DOWN Zeiten in der Luft zu versprühen. Eher wirkte er wie ein Showmaster auf der Bühne, der die Interaktion mit dem Publikum suchte und fleißig zwischen Mikrofon, Gitarre und Keyboard pendelte. Eingängige Songs wie das gute, mit einem Diskobeat unterlegte „Honking Antelope“ brachten die Mengen zum Tanzen. Doch die wirklichen Überraschungen blieben aus. Ebenso blieb der heimliche Wunsch unerhört, aus dem Hinterhalt mit einem aggressiven SYSTEM OF A DOWN Song den Pit platt zu walzen.
Die Perversität der Massen
Zu INCUBUS wurde zum ersten Mal richtig deutlich, was es bedeutet, am zweiten Wellenbrecher um die guten Plätze zu kämpfen. Oder genauer gesagt: Darum zu kämpfen, den zweiten Wellenbrecher zu überwinden, um am ersten Wellenbrecher einen neidischen Blick auf die guten Plätze im vorderen Bereich zu werfen. Hier ging es nicht mehr darum, ein Konzerterlebnis zu fühlen, einzig ein „ich war dabei – irgendwie“ konnte als Argumentation den gesunden Menschenverstand überwinden. Anders ist nicht zu erklären, warum Menschen, erdrückt von Artgenossen, sich kleine Ameisen hinter großen Leinwandtürmen anschauen wollen. Eine Live-DVD an der frischen Luft hätte es auch getan. INCUBUS lieferten den passenden Soundtrack dazu: „Love Hurts“ – und die Mädels wurden zum ersten Mal an diesem Tag nicht nur von oben feucht.
Incubus: Fernsehen kann man auch zuhause
Der Freitagabend stand im Zeichen der Verbrüderung – und einer erneuten Gewissensfrage: CAVALERA CONSPIRACY oder RAGE AGAINST THE MACHINE? Dass die Gebrüder Thrash erneut zusammen auf der Bühne stehen würden, hätten selbst SEPULTURA-Nostalgiker alter Tage vor kurzem noch nicht gedacht, geschweige denn erhofft. Es war also nur konsequent, dass Max und Iggor (jawohl, mit zwei „g“, der Herr möchte das seit neuestem so) neben dem Geknüppel ihres gemeinsamen Projektalbums „Inflikted“, welches live übrigens erwartet gut funktioniert, auch den alten Zeiten huldigten. Wen hat es also überrascht, dass bei Songs wie „Territory“ oder „Innerself“ die Stimmung am besten war?
Cavalera Conspiracy: Bereit für „Das Model und der Freak“?
Max Cavalera – mittlerweile ein GANZ heißer Kandidat für die Sendung „Das Model und der Freak“ – zeigte sich in Spiellaune, doch die großen Überraschungen blieben aus, was auch dem Umstand zu verdanken ist, dass dieser Mann mit seinen Bands nahezu inflationär auf deutschen Bühnen verkehrt. Da überraschte noch nicht einmal mehr, dass sein Sohn einen Song vortragen durfte. Besonders die exotischen, SOULFLY-typischen Intermezzos von Gitarrist Marc Rizzo bildeten einen angenehmen Gegenpol zu den Thrashkeulen auf „Inflikted“, die das Publikum vor der rotlichtüberfluteten Bühne förmlich anzündeten.
Cavalera Conspiracy: Bekannte Gesichter auf Dauertournee
Revolution lag in der Luft. Als laute Bombersirenen den Aufstieg des glühendroten Sterns auf dem Backdrop begleiteten, brachen alle Dämme – als hätten die Rock-am-Ring-Besucher acht lange Jahre nichts anderes gemacht, als darauf zu warten, ihre Crossover-Helden der 90er endlich wieder wahrhaftig und in Farbe zu sehen. RAGE AGAINST THE MACHINE entzündeten die Bühne und elektrisierten ihre Zuschauer. Jeder – nicht nur die üblichen Verdächtigen in den ersten Reihen – rastete beim Opener „Testify“ aus, 60.000 Menschen pogten und sprangen herum. Den Refrain von „Bombtrack“ („Burn, burn, yes ya gonna BURN!“) nahmen einige etwas zu wörtlich und fackelten mitten im Publikum bengalische Feuer ab (sie wurden laut Polizei festgenommen, erhielten Festivalverbot und eine Strafanzeige obendrauf). Vereinzelt verirrten sich auch USA-Flaggen darin.
RATM: Kollektiver Rausch
RAGE AGAINST THE MACHINE mögen nicht die legitimen Nachfolger Mozarts auf musikalischer Ebene sein, aber bei der Capy des Gitarrenvirtuosen Tom Morello, diese Musik ist für die große Bühne geschrieben. Die Revoluzzer, als hätte es nie eine Trennung gegeben, zeigten sich in Top-Form. Sie schossen Hit für Hit in die Menge, Songs des Meilensteins „Rage Against the Machine“ wie „Bullet In The Head“ oder „Know Your Enemy“ mit ihrem sägenden Riff wurden in modernem, fettem Soundgewand präsentiert und lieferten genau die Laut-Leise-Dynamik, die es bei Konzerten braucht. Der erwähnte Zündstoff lag endlich in der Luft, eine positiv-aggressive Stimmung nahm alle in den Bann und bereitete den richtigen Nährboden für die politischen Aussagen der Band. 90 Minuten pure Energie, zig Moshpits, heisere Stimmbänder und literweise Schweiß später wurde allen beteiligten klar: Der Höhepunkt des Festivals sollte bereits Freitagnacht erreicht sein. Wer auf dem Gelände war und das verpasst hat, ist selbst Schuld. Ein denkwürdiger Auftritt, zweifellos.
RATM: „Burn, burn, yes ya gonna BURN”!
Für Zündstoff ist garantiert – für Strafanzeigen auch
Setlist:
1. Testify
2. Bulls On Parade
3. People Of The Sun
4. Bombtrack
5. Know Your Enemy
6. Bullet In The Head
7. Born Of A Broken Man
8. Guerilla Radio
9. Ashes In The Fall
10. Calm Like A Bomb
11. Sleep Now In The Fire
12. Wake Up
13. Freedom
14. Killing In The Name
Wer sich den letzten Schmalz aus den Ohren pusten lassen wollte, hatte noch zwei gute Gelegenheiten dazu. Die Franzosen JUSTICE, komplett auf Elektro geschult, zogen überraschend viele Feierlaunige ins randgefüllte Zelt. Der harte Basssound vor hypnotisierenden Lichteffekten machte der Menge Beine. Wobei eine musikalische Interpretation der Songs mit einer Band im Rücken die deutlich attraktivere Alternative gewesen wäre. Zwei DJs, die sich hinter monströsen Amps und einem Christuskreuz verstecken, sorgen nicht unbedingt für viel Belebung auf der Bühne. Ich frage mich ohnehin, was DJs da so anspruchvolles machen…
The Prodigy: Psychosen, Neurosen – und Party
Eine zweite Möglichkeiten boten die bekloppten Inselaffen von THE PRODIGY, die selbst um 2:00 Uhr bei strömendem Regen auf der Alternastage die Feierwütigen zum ring a ding ding ding dong baten. Erschöpft oder gar enttäuscht sah kaum jemand aus. Ihr seid doch alle wahnsinnig!
The Prodigy: Violent Dancing – aber nur auf der Bühne
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