Rock am Härtsfeldsee
Der große Bericht - Rock am Härtsfeldsee 2009
Konzertbericht
FIDDLER’S GREEN (20:35 – 21:30)
Und noch einmal Erlangen: FIDDLER’S GREEN spielen nun zum Tanz auf. „Irish Speedfolk“ nennt das Sextett seinen Sound und vereint darin vor allem Irish-Folk- und Punk-Rock-Elemente. Damit stellen sie so etwas wie das deutsche Pendant zu FLOGGING MOLLY dar, wobei sie sogar bereits sieben Jahre mehr auf dem Buckel haben und kurz vor dem zwanzigjährigen Bandjubiläum stehen. Diese langjährige Routine merkt man FIDDLER’S GREEN auch an, denn auf der Bühne sind sie eine perfekt aufeinander abgestimmte Einheit, die ganz genau weiß, wie sie dem Publikum bestmöglich einheizen kann.
Wichtiger als die große Erfahrung ist aber die gewaltige Spielfreude, mit der FIDDLER’S GREEN auf der Bühne agieren. Die gute Stimmung überträgt sich direkt aufs Publikum, das noch wilder mithüpft, -tanzt und -pogt als am Vortag bei ENSIFERUM. Während E-Gitarrist Pat Prziwara für die nötige Härte und Aggression sorgt, rennen und posen Geiger Tobias Heindl und Akkordeon-Spieler Stefan Klug um die Wette. Jeder der sechs Musiker ist ein sympathischer Charakterkopf mit sehr eigenständigen Ausdrucksformen. Und doch entwickelt die Truppe erst im Kollektiv ihren besonderen Charme.
Einen Höhepunkt erreicht das wilde Treiben, als Pat Prziwara für ein Stück die elektrische Gitarre gegen eine akustische tauscht. „Ich habe mit unserem Soundman gewettet, dass wir bei diesem Stock auch ohne E-Gitarre eine Wall Of Death hinbekommen.“ Solcherart angestachelt teilt sich das Publikum natürlich gerne in der Mitte und rennt bei jedem Refrain wieder grinsend oder lauthals brüllend aufeinander zu. Good friendly violent fun eben, der dem Getümmel, das man von weitaus deftigeren Combos gewohnt ist, in nichts nachsteht.
Weniger gedrängt geht es am Rand der Menge zu. Dies machen sich einige für weit ausladende Tanzeinlagen im Polka-Stil zunutze. Dass man sich dabei auch gleich noch der T-Shirts entledigt, ist dem feuchtwarmen Klima absolut angemessen und freut auch die umstehenden Beobachter/-innen. In Kombination mit rotzigem Punk Rock sorgen eingängige und gut groovende Irish-Folk-Melodien eben nicht nur in verrauchten Pubs für beste Stimmung und einen hohen Bierkonsum.
FIDDLER’S GREEN hinterlassen also einen hervorragenden Eindruck und können heute ihren Fankreis noch einmal deutlich erweitern. Und wer sein Publikum als Rausschmeißer mit einem lauten „Bugger off!“ verabschieden kann und statt plötzlich vor einem leeren Saal zu stehen nur ein noch lauteres „Fuck you!“ entgegengebrüllt bekommt, der hat entweder einiges falsch gemacht oder alles richtig. Im Falle von FIDDLER’S GREEN gilt definitiv zweiteres.
DORO (21:55 – 23:00)
Der Altersdurchschnitt in den vorderen Reihen steigt plötzlich rapide an. Und wenn man sich so umschaut, bekommt man eindrucksvoll vorgeführt, warum die 80er als Jahrzehnt des schlechten Klamottengeschmacks in die Geschichte eingegangen sind. Viele der Anwesenden könnten DORO bereits vor fünfundzwanzig Jahren mit ihrer Band WARLOCK live gesehen haben und nutzen die Gelegenheit, ihrer verlorenen Jugend nachzutrauern. So fallen einige mit infantil-pubertärem Verhalten deutlich aus dem Rahmen und sorgen bei den jüngeren Semestern für Stirnrunzeln.
Auch bei DORO selbst haben die Jahre natürlich Spuren hinterlassen, darüber kann auch die dicke Schminke und die sexy Lederkluft nicht hinwegtäuschen. So halte ich mich heute an den eisernen Grundsatz „Alter vor Schönheit“ und bin ganz froh darüber, mir den Auftritt aus größerer Entfernung angucken zu können. Bei allem Respekt vor dem Schaffenswerk der Düsseldorferin hatte ich bislang ohnehin noch nie das dringende Bedürfnis mich mit ihrem musikalischen Schaffen näher auseinanderzusetzen.
Viel zu meckern gibt es hier aber auch nicht. DORO bietet ihren Fans genau das, wofür sie heute hierher gekommen sind, gibt sich dabei sympathisch und bodenständig und kann sich auf die Unterstützung einer soliden Band verlassen. Und bei Hits wie „I Rule The Ruins“ und „All We Are“ muss ich sogar am Crêpes-Stand vor dem Zelt unweigerlich mitwippen. Insofern muss man selbst als Nicht-Fan festhalten, dass DORO ein deutsches Metal-Urgestein ist und es nach wie vor versteht, eine kurzweilige und unterhaltsame Show auf die Bühnenbretter zu bringen.
EDGUY (23:30 – 1:00)
Auch als Samstagabend-Headliner spielt eine Band, an der sich die Geister der Metal-Gemeinde scheiden. Während die einen EDGUY für eine lächerliche Kasperltheater-Truppe halten, sehen die anderen hier eine Band, die sich bei aller musikalischer Klasse nie zu ernst nimmt und für jeden Spaß zu haben ist. Noch immer haben die Hessen mit „Tinnitus Sanctus“ ihr starkes aktuelles Studioalbum im Gepäck und auch das Grundgerüst der heutigen Setlist ist bereits von der letzten Tour bekannt. Überraschungen sucht man in dieser Hinsicht also vergeblich, was der Qualität des Auftritts aber keinen Abbruch tut.
Zur richtigen Einstimmung tönt vor dem Auftritt das geniale „Ba-Ba-Banküberfall“ der österreichischen Kult-Polit-Rocker ERSTE ALLGEMEINE VERUNSICHERUNG in voller Lautstärke aus den Boxen und wird von großen Teilen der nun wieder deutlich verjüngten Zuschauerschar begeistert mitgegröhlt. Es folgt der übliche „Ladies and Gentlemen, welcome to the freakshow!“-Eröffnungsschlachtruf, an den sich nahtlos das den Vibe von QUEENs „One Vision“ versprühende „Dead Or Rock“ anschließt.
Die schwarze Epauletten-Jacke hat sich Frontmann Tobi Sammet heute für den Zugabenblock aufgespart. Das weiße Leder, in das er sich zu Beginn kleidet, wirkt für die Verhältnisse des extrovertierten Künstlers fast schon dezent. Und auch sein Stageacting ist etwas weniger hektisch und unkontrolliert, ohne dabei an Agilität zu verlieren. Vielleicht liegt es an der nicht übermäßig großen Bühne, vielleicht wird der ewige Kindskopf aber auch so langsam erwachsen – ein Gedanke, den ich mit leichtem Entsetzen rasch beiseite wische, um mich voll auf die Show zu konzentrieren.
Über die todsicheren Bandhits, die man natürlich wieder im Gepäck hat, braucht man wohl kein Wort mehr zu verlieren. „Tears Of A Mandrake“, „Vain Glory Opera“, „Superheroes“ und „Babylon“ werden frenetisch abgefeiert. Bei „Lavatory Love Machine“ gibt’s das obligatorische Mitsing-Spielchen, „Save Me“ wird von brennenden Feuerzeugen und erleuchteten Handy-Displays begleitet und das Drum-Solo zitiert wieder einmal bekannte Filmmusik, im heutigen Falle „Fluch der Karibik“. Erfreulicherweise packt man darüber hinaus das düster-aggressive „Mysteria“ aus, was die Crowdsurfer-Dichte enorm in die Höhe schnellen lässt.
Auf der Bühne bietet sich das gewohnte Bild. Während Tobi Sammet die Menge animiert und zu Höchstleistungen antreibt, halten sich Dirk Sauer und Jens Ludwig etwas weiter im Hintergrund und konzentrieren sich auf ihr praktisch fehlerfreies Gitarrenspiel. Hin und wieder wird auch ein wenig mit den Hüften gewackelt oder gemeinsam mit Bassist Tobias „Eggi“ Exxel, der die übrige Zeit vor allem mit seinen wilden Grimassen auffällt, die Triple-Axe-Attack ausgerufen. Auf seinem Podest vor der die Bühne beherrschenden runden Jesus-Scheibe überblickt Felix Bohnke das Geschehen und verdrischt dabei sein Drum-Kit nach allen Regeln der Kunst.
Als der Frontmann sowohl auf „Hallo Dischingen!“ als auch auf „Hallo Härtsfeldsee!“ ungewohnt verhaltene Reaktionen erntet (Leute, wisst ihr eigentlich nicht, wo ihr euch gerade befindet?), greift er auf ein „Hallo Süddeutschland!“ zurück, bei dem sich die Menge endlich angesprochen fühlt und lautstark antwortet. Aber so ist der EDGUY-Tobi eben: Wenn es sein muss, sucht er auch mal etwas länger, bis er einen Draht zum Publikum gefunden hat. Die Kommunikation zwischen Fans und Band ist hier ziemlich einzigartig, Starallüren und arrogantes Gehabe treten ausschließlich als augenzwinkernde Parodien auf. Und nicht zuletzt dafür werden EDGUY von ihren Anhängern geliebt.
Erfreulich gut sind die Reaktionen auf die Stücke des neuen Albums. Dass „Ministry Of Saints“ ein absolut mitreißender Smash-Hit ist, steht außer Frage. Aber auch das vielschichtige „Speedhoven“ kann auf ganzer Linie überzeugen. Zwischendurch wird mal wieder betont, dass harte Rockmusik in erster Linie Spaß machen soll und man mit den übertriebenen Düstermann-Klischees der Black-Metal-Szene wenig anzufangen weiß. Auch gegen die Berichterstattung großer Teile der Metal-Presse zieht Tobi Sammet wieder verbal zu Felde. Würde mich echt mal interessieren, wer ihm da in jüngerer Vergangenheit so ans Bein gepisst hat…
Sei’s drum, nicht grübeln, sondern feiern ist nun wieder angesagt. Der Gig nähert sich in großen Schritten seinem Ende. Dass sich im Zugabenblock der „Rocket Ride“-Opener „Sacrifice“ wiederfindet, freut mich ganz besonders. Es folgt als Schlusspunkt eines genialen Festival-Wochenendes der bisher größte EDGUY-Hit „King Of Fools“, bei dem im Publikum noch einmal die letzten Reserven mobilisiert werden. Anschließend taumelt eine gewaltige Menschenmasse freudetrunken und/oder bierselig ins Freie und dem Campingplatz entgegen.
Setlist EDGUY:
– Dead Or Rock
– Speedhoven
– Tears Of A Mandrake
– Fallen Angels
– Mysteria
– Vain Glory Opera
– Drum Solo
– Lavatory Love Machine
– Ministry Of Saints
– Save Me
– Superheroes
– Babylon
– Sacrifice
– King Of Fools
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