Roadburn Festival
Roadburn Festival 2015 – der große Festivalbericht
Konzertbericht
Samstag, 11. April 2015
Die Nächte. Kollege Lattemann schläft im Hotel. Kein Kommentar. Während sich die Altersfraktion vermutlich gerade im Bademantel vor dem überdimensionalen Badezimmerspiegel betrachtet, haben Klug & Kostudis trotz einstelliger Temperaturen auch die zweite durchgefrorene Nacht hinter sich gebracht. In der Folge kriechen die beiden hellwach und putzmunter in Richtung Frühstückszelt, wo sie neben einer espressogroßen Tasse lauwarmen Kaffees auch noch ein herzhaftes Sandwich erwartet. Und das um 13:00 Uhr morgens! Wenn der Campingplatz-eigene DJ dann auch noch ernsthaft KING CRIMSONs „21st Century Schizoid Man“ auf Vinyl auflegt, wird dir schnell klar, warum du in den Niederlanden private Campingplätze getrost jedem Hotel vorziehen kannst.
Andersherum: Einer der Vorteile der unmittelbaren Erreichbarkeit des Konzertgeländes sind (neben einer warmen Dusche und Frühstücksbuffet natürlich) die Roadburn-Rahmenveranstaltungen, die meist zu nachtschlafender Zeit (so ab 13:00 Uhr) stattfinden und dabei den Musikzirkus und das ganze Drumherum prominent beleuchten. Beispiel gefällig: Harald Fossberg, ehemaliger TURBONEGRO-Fronter, diskutiert anlässlich seines neuen Buches „Nyanser av svart“ mit den sichtlich entspannten ENSLAVED-Mitgliedern Ivar Bjørnson und Grutle Kjellson sowie Dave Sweetapple (WITCH) über die Wurzeln des norwegischen Black Metals. Das ist witzig, recht persönlich – und liefert Einblicke und Anekdoten, die so ebenfalls zur einmaligen „Roadburn Experience“ beitragen. Und so gibt es Film-Screenings, anonyme Vinyljunkie-Treffen, Einführungen in traditionelle norwegische Instrumente mit Einar „Kvitrafn“ Selvik – auch ohne Musik ein abwechslungsreiches Programm.
Währenddessen: Die „Roadburn Experience“ für Arme.
Das Kino. Und es gibt noch mehr Dinge, die wohl nur auf dem Roadburn möglich sind. Zum Beispiel, dass sich eine Konzerthalle kurzerhand in einen Kinosaal verwandelt. 2500 Menschen haben es sich auf den Stufen oder dem Boden im großen Rund des Jupiler Zaals bequem gemacht. Auf der riesigen Leinwand am hinteren Bühnenrand flackern die ersten Bilder, während ein Herr namens Claudio Simonetti vergnügt hinter einem Berg aus Keyboards hervorlugt – eben jener Claudio Simonetti, der mit GOBLIN vor über 40 Jahren eine der einflussreichsten Prog-Rock-Formationen aus der Taufe hob. Wie bedeutend das Wirken der Italiener auch für die Metalszene ist, zeigt sich allein der Tatsache, dass OPETHs Mikael Åkerfeldt ihnen einen Song gewidmet hat. Oder aber an der Tatsache, dass die Herren den einen oder anderen legendären Film-Soundtrack fabriziert haben – unter anderem zum Zombie-Kultstreifen Dawn Of The Dead aus dem Jahr 1978. Eben jener flackert nun über die Leinwand, während Tastenzauberer Simonetti – heute das einzige Gründungsmitglied auf der Bühne – und seine Sessionmusiker an Bass, Gitarre und Drums das Ganze live untermalen. Das Verrückte: Was hier geschieht, fühlt sich völlig selbstverständlich und normal an. Und während sich im Film, der in Deutschland übrigens bundesweit beschlagnahmt ist, eine immer kleiner werdende Gruppe Menschen in einem Kaufhaus blutrünstiger Zombie-Heerscharen erwehrt, performen Simonetti & Co. den Soundtrack treffsicher und auf den Punkt. Dass sich das Hauptthema dabei gerade in der ersten Hälfte ständig wiederholt, macht die Show zwar ein klein wenig saftlos, ist aber auch irgendwie völlig egal. Denn sowohl Band als auch Publikum haben auch 37 Jahre nach Kinopremiere des Films ihren Spaß an dieser außergewöhnlichen Vorführung. Die Konsequenz: Als die Lichter nach über zwei Stunden wieder angehen, hagelt es langen und euphorischen Applaus.
Kennt man das Gemetzel aus vergangenen Zeiten aber bereits in- und auswendig, kann man auch anderswo seine Erleuchtung finden: KING DUDE predigt in der Stadt – und Kollege Lattemann ist dabei. Der stets in Schwarz gekleidete Americana-Folker und JOHNNY CASH-Bruder im Geiste beweist als glänzender Alleinunterhalter – nur ein Mann und seine Gitarre – unerwarteten Humor. Durch diverse Zwischenrufe animiert, weist er deutlich darauf hin, dass dies ja seine Show sei (und nicht die des offensichtlich betrunkenen Spaßvogels). Dass die Mehrheit der Anwesenden im rappelvollen Patronaat ihm dies auch nicht absprechen will und ihn geradezu kultig feiert, macht den Gig eher zu einer Art Gospel-Messe denn zu einem Konzert. Angesicht des begeisterten Publikums strahlt Herr Dude auch bis über beide Backen – und fühlt sich nach eigener Auskunft auch auf einem „Heavy-Metal-Festival“ sichtlich wohl.
Derweil, eine Straße weiter: Vapiano in Tilburg – gar nicht mal so scheiße.
Wenn schon Headliner, denn schon Headliner. Keine 24 Stunden nach ihrem „House Of Northern Gods“-Set stehen ENSLAVED abermals auf der Hauptbühne der 013. Statt 75-minütiger Grunz- und Knüppelorgie bauen Grutle Kjellson und Mannschaft das heutige Set pflichtbewusst um das aktuelle Werk „In Times“ herum auf. Freuen dürfte das vor allem den gestern wenig bis gar nicht gefragten Herbrand Larsen. Denn dessen Keyboardspiel und Klargesang prägen schließlich seit über zehn Jahren den modernen ENSLAVED-Sound. Umso bescheidener, dass der Herr heute weder für die zahlreich hergepilgerten Zuschauer, noch auf seinem Monitor zu hören sein scheint. Beim Rest der Besetzung scheint derweil alles in Butter: Frische Stücke wie „Thurisaz Dreaming“ und „Building With Fire“ sitzen perfekt, zum heute einzigen „RIITTIIR“-Stück „Death In The Eyes Of Dawn“ ringt sich Larsen dann erstmals ein paar kraftvollere, gerade Töne ab. Halb so wild, denn das Publikum scheint sich um 17:45 Uhr eh noch in der Aufwachphase zu befinden, die vor dem Gastauftritt des unheiligen Trios aus WARDRUNAs Einar Selvik, SÓLSTAFIRs Aðalbjörn Tryggvason und ex-OPETH-Keyboarder Per Wiberg auch kein Ende findet. Sieht als Männerchor im Hintergrund ganz nett aus, offenbart sich aber nicht als echte Bereicherung für das dargebotene „Daylight“. Dafür attestiert Kollege Kostudis Selviks folgendem Gesangspart während „Convoys To Nothingness“: „Besser als alles, was der Typ da hinterm Keyboard bisher gemacht hat.“
Na schön, vielleicht waren ENSLAVED schon in besserer Tagesform zu sehen, doch ein ROADBURN-Gig ist trotzdem immer etwas Besonderes. Um das zu unterstreichen, bittet man für das große Finale schließlich noch FOCUS-Gitarrist Menno Gootjes auf die Bühne, um gemeinsam LED ZEPPELINs „Immigrant Song“ anzustimmen. Letztlich ein durchschnittlicher Auftritt, doch zumindest das Familientreffen ist perfekt.
Setlist:
- Thurisaz Dreaming
- Building With Fire
- Death In The Eyes Of Dawn
- In Times
- Daylight
- Convoys To Nothingness
- As Fire Swept Clean The Earth
- Isa
- Immigrant Song (Led Zeppelin Cover)
Da Kollege Kostudis schon das gesamte Konzert über nervös von einem Bein aufs andere getippelt ist, weil er auch im zweiten Anlauf mit ENSLAVED nicht warm geworden ist, begeben sich Kostudis und Klug gemeinsam ins Patronaat, in dem bereits seit einigen Minuten die US-amerikanischen Blackened-Post-Punk-wasauchimmer-Krachbrüder TOMBS lärmen. Kollege Kostudis freut sich, denn es ist übel laut und übel groovig. Und auf der Bühne stehen fünf Typen, die aussehen, als hätten sie gerade Freigang und würden ansonsten anderen armen Seelen das Abendbrot in der Knastkantine ausgeben. Macht aber nichts, denn die brachialen Songs mit Industrial-Schlagseite zünden ganz gut und rütteln ordentlich an den Hosenbeinen. Die Kollegen vermeiden allerdings jedweden Blickkontakt mit der Band – man kann nie wissen.
Der latent cineastischen Schwerpunktsetzung des diesjährigen Roadburn Festivals wird durch die Londoner ZOLTAN ein weiteres Mosaiksteinchen hinzugefügt. Die drei Herren verschanzen sich erwartungsgemäß hinter einer Burg von Synthesizern, welche die ohnehin nicht für ihre Größe berühmte Stage 01 noch ein wenig kleiner erscheinen lässt. Macht ja aber nix – wichtig ist, was vorne rauskommt. Vor dem Hintergrund eines gefühlt 1200 Filmtitel umfassenden Zusammenschnitts werden Unterwasserungeheuer, Opferrituale und okkulte Riten gekonnt elektronisch vertont – JOHN CARPENTER lässt grüßen, VANGELIS schickt gleich eine imaginäre Kiste Pralinen. Auch wenn das Konkurrenzangebot mit FIELDS OF THE NEPHILIM gerade sehr verlockend ist: ZOLTAN funktionieren on stage ganz ordentlich, auch wenn die getragen-progressiven Klänge geradezu nach Kinobestuhlung schreien.
Während sich Lattemann bei ZOLTAN zuproggen lässt, pirscht sich Kollege Kostudis auf leisen Sohlen an den Eingang des Green Room heran. Sein Plan, in Ninja-Manier an allen anderen vorbeizuschleichen, scheitert jedoch. Mal wieder. Denn der kleine Saal ist wieder einmal bis zum Rand mit schwitzigen Leibern gefüllt. Der Doom der britischen UNDERSMILE kommt aber ohnehin etwas träge daher. Gut, das ist und soll Doom in der Regel natürlich auch sein – hier und heute entfacht die Band mit den beiden Fronterinnen Hel Sterne und Taz Corona-Brown aber keine wirkliche Magie. Der Gesang tönt etwas schräg daher und auch dramaturgisch wird nicht viel Packendes geboten. Zeit für eine zweite, echte Dröhnung.
Und die holen sich Kollegen anschließend bei FIELDS OF THE NEPHILIM, welche zum zweiten Mal die Bühne im Jupiler Zaal in dicken, purpurfarbenen Nebel tauchen. Dass einige Songs bereits am Vortag auf der Setlist standen, ist der Band und dem Publikum dabei völlig Latte. Ach so: Wo ist eigentlich Lattemann? Die Kollegen Klug & Kostudis können ihn unter den Hunderten Wikingerbärten, die beseelt im Nebel wanken, nicht ausmachen. Von der spärlich ausgeleuchteten Bühne quillen derweil tonnenweise Delay, pulsierende Drums und klagende Melodien, es herrscht eine wunderbar eisig-melancholische Atmosphäre. Carl McCoy flüstert, raunt und haucht wie ein Sektenführer vor seinen berauschten Jüngern, die Songs ziehen sich Minute um Minute, während jeder im Publikum sich auf seinen gänzlich eigenen Trip begibt: entweder entfesselt tanzend, hypnotisch zuckend oder auch stoisch staunend. Einziger Wermutstropfen ist am Ende, dass die Gothic-Legenden die Bühne 20 Minuten vorm anberaumten Ende verlassen. Na gut, wer sich’s leisten kann…
Setlist:
- Dawnrazor
- Preacher Man
- Moonchild
- The Watchman
- Last Exit For The Lost
- From The Fire
- For Her Light
- Mourning Sun
Wohin also mit den überraschend hinzugewonnenen Minuten? Ajo, unten spielen ja noch URFAUST. Die ach so kultigen URFAUST, die ja als Live-Duo eine Wahnsinns-Atmosphäre kreieren sollen. Nachdem diese aber schon im Zuge diverser Platten- und Weihrauch-Abende vollends am jüngsten beteiligten Autoren vorbeiging, will ihn der Blitz der niederländischen Black-Doom-Erkenntnis auch heute nicht treffen. Ändert an der Faktenlage aber nichts: Hütte voll, Menge in Trance, ein offenbar gelungener Auftritt. Schade Jungs, aber hier und heute gibt es durchaus bessere Live-Duos zu sehen.
Insofern ist es ein grandioser Schachzug der Roadburn-Macher, ZOMBI als letzte Band des Tages ins Rennen zu schicken. Nicht nur ist es eine der äußerst raren Europa-Konzerte des US-amerikanischen Duos, sondern auch eine wahre Synth-Prog-Messe, die Steve Moore (Bass, Synthies) und A.E. Paterra (Drums) da auf der Hauptbühne zelebrieren. Die beiden Musiker, die sich auf imposanten Raisern postiert haben, liefern eine pulsierende Performance, welche die meisten der noch Anwesenden, die „eigentlich nur mal kurz gucken wollten“, gefesselt bei der Stange hält. Moore spielt dabei nicht nur überragend Bass, sondern entlockt seinem beeindruckenden Stack aus Synthesizern gleichzeitig die knurrigsten, flippigsten Retro-Sounds, während Paterra tight wie ein Uhrwerk und mit – Verzeihung – dermaßen dicken Eiern dazu trommelt, dass den Kollegen Klug & Kostudis stetig der Sabber tropft.
Apropos „tropfen“: Herr Kostudis hat ja bekanntlich eine schwache Blase und eilt bereits nach der Hälfte der Show zum Urinal. Dabei bleibt er auch einige Minuten bei den finnischen Kraut-Proggern SAMMAL stehen, die zeitgleich im Green Room zocken. Deren Show ist solide, es herrscht beschwingte, bierselige Stimmung. Allerdings ist das hier Gebotene weit weniger spektakulär als das Geschehen auf der Hauptbühne, weswegen der Kollege die Finnen ihr Ding machen lässt und sich wieder in die uferlosen ZOMBI-Songs stürzt. Diese bieten weiterhin herrlich analoge Disco-Beats und fies groovende Funkbretter sowie spaciges Floyd- Geschwurbel und vertracktes Taktgeschiebe – es riecht förmlich nach Prog, Kabelbrand und vergilbtem Notenpapier. Im Finale zockt Moore dann eine griffige Bassline unisono mit dem Synthie-Loop – zum Niederknien! Was für ein Abschluss des dritten Festivaltages…
…der allerdings noch nicht zwingend zu Ende sein muss, denn: Zum erweiterten Angebot gehört natürlich ein launiger Party-Ausklang, für alle, die auch nach zwölf Stunden Festival noch nicht genug haben. Zum wiederholten Male gibt sich an diesem Abend Alan Averill, Fronter der Iren PRIMORDIAL alias DJ Nemtheanga die Ehre – und beweist, dass er auch mit Songmaterial aus der Dose sein Publikum fest im Griff hat. Zu thrashigen Klängen und dem besten Heavy Metal der letzten 40 Jahre, von KING DIAMOND bis MEGADETH, feiert die Meute in der Lobby der Venue 013 bis in Nacht. No Sleep ‚till Afterburner für die einen, abgekämpfter Rückzug zum Zeltplatz für die anderen. Wo der Magic Mushroom Man seit mittlerweile über 24 Stunden im Land der Träume verweilt.
Alle Fotorechte liegen bei Alex Klug, Anton Kostudis, Erik Luyten, Susanne Maathuis, Kris T. Therrian und Niels Vinck. Bericht von Alex Klug, Anton Kostudis und Sven Lattemann.
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