Roadburn Festival
Einmal Tilburg und zurück – Roadburn Festival 2016
Konzertbericht
Sonntag, 17. April 2016
Norwegische Verträumtheit zum Auftakt des traditionellen Afterburners: GREEN CARNATION bringen „Light Of Day, Day Of Darkness“ in Gänze auf die Bühne. Ein Song, eine Stunde Spielzeit – auch auf Platte ist das eine echte Herausforderung für den nervösen Zuhörer, Skippen fällt da halt einfach weg. Da GREEN CARNATION nicht gerade zu den häufig gesehenen Gästen auf den Metalbühnen der Welt gehören, ist dieser Auftritt auf dem Roadburn einer der bislang unerfüllten Träume eines jeden Gothic-Rock liebenden, melancholischen Teenager-Ichs: Und genauso stellt sich auch das Publikum dar, überwiegend männliche Mitdreißiger (oder knapp mehr), die sich damals zur Veröffentlichung des Albums im Jahr 2001 vermutlich vor Glück in die Hose gemacht haben.
Sänger Kjetil Nordhus ist stimmlich gut drauf, der Sound eine Wucht. Trotzdem ist die Gefahr immanent, so kurz nach dem Frühstück um 15 Uhr in der dunklen Halle wieder kurz wegzudämmern. Das 013 ist zwar nur halb voll, aber angesichts des weiteren Tagesprogramms fallen GREEN CARNATION mit ihrem progressiven Dark Metal auch ein bisschen aus dem Rahmen. Zum Glück bleiben dadurch ausreichend Stufen zum Hinsetzen im hinteren Bereich der Venue frei, sodass man sich dort gemütlich einrichten und die Show genießen kann.
Für Progressive Dark Metal würde sich manche einer wohl eine Ohrfeige von Herrn Møller einfangen, weshalb Kollege Klug gleich zu MIRRORS FOR PSYCHIC WARFARE im Green Room durchspaziert. Vielleicht hätte er sich schon bei der untypischen Endres-Wertung (7/10!) so seine Gedanken machen sollen, aber hey, viermal Scott Kelly an einem Wochenende hat ja auch noch niemandem geschadet. Denkste! Bei aller künstlerischer Freiheit und Respekt vor experimenteller Klangkunst, aber die morgendliche Drone-Mische, die der NEUROSIS-Fronter hier gemeinsam mit BURIED AT SEA-Gitarrist Sanford Parker abliefert, könnte kaum beliebiger sein. Da stapeln sich wummernde Laptop-Bässe über matschige Gitarrenwände, da duellieren sich spärliche Vocals mit hin und wieder interessanten Gitarrenpickings vom Band, da erklingen gelegentlich eigenwillige E-Drums, die völlig am restlichen Geschehen vorbeiarbeiten. Dass das Chaos hier bewusst Programm ist, steht gewiss außer Frage, aber ein bisschen Kontrolle und Struktur darf es doch hin und wieder schon sein, nicht wahr? Vermutlich sollen hypnotische Zustände geschaffen werden, ein Versuch, der jedoch bei maximal drei Prozent der Anwesenden Anklang findet. Für den Kollegen Klug beginnt der Afterburner mit einer Luftnummer.
Nicht mehr zum Lachen sind inzwischen auch die zum Scheitern verurteilten Zutrittsversuche zum Cul De Sac. Das Vorhaben, sich bei AMENRA-Gitarrist Mathieu Vandekerckhove a.k.a. SYNDROME davon zu überzeugen, dass es ja auch noch gute Live-Drone-Acts gibt, scheitert für den Kollegen Klug jedenfalls einmal mehr an der Eingangstür. Also den Herrschaften aus den „neuen“ Bundesländern schnell einmal niederländische Delikatessen nahegelegt und fix zurück ins 013, wo der hauseigene Foyer-DJ zum Abschluss endlich mal eine angemessene FLOYD- und CRIMSON-Quote erreicht. Boah, geil!
Ausschnitt aus der neuen Blogging-Reihe „Ossis essen ihre erste Frikandel“
Allerdings kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kollegen nach drei Tagen schon ziemlich mitgenommen sind. Die Musik, der Zeltplatz, das Wetter… alles fordert seinen Tribut. Wie schön, dass mit den Neuseeländern JAKOB nun eine Band auf der Main Stage spielt, die nahezu prädestiniert für ein entspanntes Sitzkonzert ist. Die Breitband-Post-Rocker haben sich für ihre Show mit dem niederländischen Visual Artist Jérôme Siegelaer zusammengetan, der samt Laptop hinterm Mischpult Platz genommen hat. Von dort aus steuert er live seine Projektionen – und die (zum Großteil sitzende) Menge sieht epische Naturbilder über die riesige Leinwand am hinteren Bühnenrand flackern, während die ersten raumfüllenden Klänge durchs 013 wabern. Das Trio bietet layerlastige und verträumte Soundkost, eben genau das Richtige, um halbwegs angenehm in den letzten Festivaltag zu gleiten. Der Genuss wird allerdings immer wieder durch einige starke Übersteuerungen der Anlage behindert – ganz offensichtlich ist der Soundmann dem Woge über Woge ausspuckenden Loop-Pedal des Klampfers Jeff Boyle nicht ganz gewachsen. Das resultiert immer wieder in fast schon schmerzhaft schrillen Klangpfeilen, welche die Trommelfelle malträtieren. Kollege Kostudis zieht sich die Kapuze tief ins Gesicht, um seine Ohren zu schützen, was hilft. Bis auf angesprochenen Mangel wird er den Neuseeländern hinterher einen guten Gig bescheinigen.
Das musikalische Gegenstück bestaunen Kostudis und Begleitung dann im anliegenden Green Room: ECSTATIC VISIONS ziehen dort eine schrille 70er-Psychedelic-Heavy-Rock-Nummer ab, die von unzähligen Zuhörern frenetisch verfolgt und gefeiert wird. Kein Wunder – gelingt es den Mannen um Klampfer und Frontröhre Doug Sabolik doch tatsächlich, die müden Körper vor der Bühne in wilde Wallungen zu versetzen. Krautig-kernig und plärrig-potent rüpeln die US-Amerikaner daher, dass sogar Kollege Kostudis anerkennend mitpendelt. Zwischendurch liefern sich Sabolik und Saxophonist Kevin Nickles immer wieder rassige Battles – oder treiben irgendwelchen Quatsch. Tatsächlich haben sich die rund 25 Minuten, die Kollege Kostudis erhascht, dann doch in vollem Maße gelohnt – wer hätte das vorher gedacht? Der Kollege jedenfalls nicht.
Für Herrn Kostudis geht der „Tag der Kontraste“, wie er ihn später bedeutungsschwanger nennen wird, dann auch gleich weiter. Nachdem AMENRA sich gestern mit ihren Akustik-Songs ziemlich nackt gemacht haben, fahren sie heute das schwere Programm. Müßig zu erwähnen, dass sich das gefühlt keiner der Gäste entgehen lassen will. Das 013 platzt folglich aus allen Nähten. Noch ist es ziemlich dunkel auf der Bühne, Nebelschwaden schlängeln sich langsam vom Bühnenrand in Richtung Empore, und auf der großen Leinwand flackert es schon ziemlich bedrohlich. Kollege Kostudis kämpft sich bis zur Bar vor und harrt dort gespannt der Dinge, die da kommen. Dann bricht ohne jedwede Vorankündigung die Finsternis herab. Anders kann es nicht gesagt werden.
Was im Verlauf der folgenden Stunde geschieht, ist nur sehr schwer in Worte zu fassen. Wut. Bosheit. Wucht. Und ein ganz, ganz schwarzer Zauber. Der Moment im Opener „Boden“, in dem zum ersten Mal die gesamte Band einsetzt und Colin H van Eeckhout mit schierer Vehemenz ins Mikro brüllt, ist mit dem beliebten „Schlag in die Magengrube“ nur sehr unzureichend beschrieben. Die Belgier verbreiten eine derart bedrückende Stimmung, entfachen einen derart starken Sog, dass sich Kollege Kostudis wirklich fragt, wann er so etwas in der Art schon einmal gesehen hat. Bei OMEGA MASSIF, beispielsweise, fällt ihm ein. Wie auch immer: Was für eine Show. Jeder Song der absolute Killer, jede Minute durchweg packend. Wahnsinn. Das muss hinterher auch Kollege Lattemann anerkennen, der das musikalisch Erlebte in seiner sachlich-eigenwilligen Art kommentiert: „Ich war von der negativen Atmosphäre positiv überrascht.“ Ja, schon klar, Herr Lattemann. Wie gesagt, alle waren schon ein wenig angeschlagen.
Dass die Belgier nach ihrer eindrucksvollen Darbietung die Bühne zehn Minuten eher als geplant und ohne ein einziges Wort zum Publikum verlassen, bekommt Kollege Kostudis nicht mehr mit. Er hat sich etwas eher aus dem Staub gemacht und sich in den Green Room geschlichen – aus Angst, bei seinem persönlichen Highlight KLONE nicht mehr reinzukommen. Während die Franzosen noch mit dem Soundcheck beschäftigt sind, sieht Kollege Kostudis allerdings nur eines: plattgetretene Bierbecher. Viele plattgetretene Bierbecher. Wo sonst zu dieser Zeit draußen schon eine Schlange steht, herrscht diesmal gähnende Leere. Aus der Ferne vernimmt der Kollege das das belgische Gedröhne – für die französische Hochkultur hat aktuell aber noch keiner etwas übrig. Anders gesagt: KEINE SAU ist in diesem Konzertraum – bis auf die Band und einen Typen, der mit verrenkten Beinen an der Wand lehnt und es wohl einfach nicht vor die Hauptbühne geschafft hat.
Als die Franzosen ihr Set beginnen, lehnen Kostudis und Begleitung gemütlich auf dem Geländer. Erste Reihe – wann hat es das an diesem Wochenende schon gegeben? Die Geschichte des Gigs ist schnell erzählt: Er ist exzellent. Da sich KLONE im Wesentlichen auf die Setlist ihrer Show beim jüngsten Euroblast Festival beschränken, gibt es für Kollege Kostudis keine großen Überraschungen zu erleben. Das ist ihm allerdings auch völlig wurscht, er freut sich einfach nur, dass er die Show ohne Gedränge und Stress von der ersten bis zur letzten Minute genießen kann. Als AMENRA dann nebenan fertig damit sind, den Weltuntergang zu vertonen, kommt auch ein gutgelaunter Kollege Klug angehopst, der sich elegant durch die luftigen Zuschauerreihen schlängelt und die Show ebenfalls von ganz vorn mitverfolgt. Ein Abschluss, wie ihn sich Kollege Kostudis nicht besser hätte ausmalen können.
Am finalen Festivaltag werden zwar nur noch drei der fünf Roadburn-Bühnen bespielt, doch ihren Fokus verlagern die Anwesenden ohnehin vollends auf die Hauptbühne. Nach dem AMENRA-Siegeszug kommt kaum jemand auf die Idee, von seinem eifrig umkämpften Plätzchen im Hauptsaal abzuweichen und die Hauptvenue zu verlassen. Schon die überraschende Leere beim KLONE-Gig lässt erahnen: NEUROSIS spielten ihren zweiten Roadburn-Jubliäumsgig hier außer Konkurrenz. Trotz selber Spieldauer wie am Vortag bringen es Kelly, von Till und Co. diesmal auf ganze 18 Songs ihrer Diskografie. Trotz einiger früher Hardcore-Punk-Intermezzi liegt der Fokus heute etwas deutlicher auf der Mittelphase um „Through Silver In Blood“, dessen Titelsong schon gestern für weiche Knie gesorgt hatte.
Wessen wochenendliches Maß an Post-Metal-Veteranentum für den Moment allerdings erfüllt ist, der zeigt auch einmal Solidarität mit den einsamen Kämpfern jenseits der Roadburn-Meile – Kollege Klug zum Beispiel. Während Kostudis und Begleitung nach einer herzerwärmenden Verabschiedung (diese Szenen waren wirklich noch schwerer zu ertragen als das AMENRA-Konzert) bereits den Weg zurück in die Horst Seehofers Heimat antreten (Wer wird denn gleich arbeiten müssen?), zieht es unseren einsamen Wolf ein letztes Mal ins Cul De Sac. Dort soll in wenigen Minuten das deutsche Pagan-Metal-Ensemble MENHIR aufspielen. In letzter Sekunde erreicht ihn eine digitale Warnung von Kollege Lattemann, der im Alter die schnieken EU-SMS-Tarife (9 Cent!) für sich entdeckt hat.
HE! DAS SIND JA GAR NICHT DIE PAGAN MENHIR. DAS SIND JA ANDERE!
„Watt is loss?!“, denkt sich der enttäuschte Kollege aus dem Rheinland, der den Umstand, dass die Thüringer Combo nur schwerlich ins hiesige Line-up passt, konsequent ignoriert und sich seit vier Tagen auf diesen Festivalabschluss gefreut hat. Und tatsächlich – keiner der drei jungen Herren auf der Bühne erinnert optisch auch nur ansatzweise an Heiko Gerull. Und eine Gitarre hat hier auch keiner. Tatsächlich ballern die anderen MENHIR ihren rotzig-groovigen Hardcore mit exakt zwei Bässen und einem Drumset durch. Das macht Druck, das macht Laune, aber damit lässt sich „Das Hildebrandslied“ eben einfach nicht spielen. Dennoch auch ohne Pagan-Hymnen eine amtliche Leistung der Jünglinge, die dank prominenter Konkurrenz im erstmals nur mittelmäßig gefüllten Club spielen. Neue Genremaßstäbe dürfte das Material vom dieser Tage erscheinenden Debüt „Hiding In Light“ trotz feinem Harmoniegespür (ja genau, Bassisten!) wohl keine setzen, ihr Alleinstellungsmerkmal ist MENHIR aber alle Male sicher – vom Bandnamen einmal abgesehen.
So sieht die Bude übrigens leer aus.
Zum Abschluss gibt’s Versöhnung. Denn wie sich herausstellt, kann MIRRORS FOR PSYCHIC WARFARE-Frickler Sanford Parker neben belanglosem Krach auch ziemlich starken Krach erschaffen. Mit BURIED AT SEA hat der Mann im Jahre 2003 nämlich eines der bösesten Stoner-Doom-Alben aller Zeiten aufgenommen. „Migration“ schimpft sich der knochentrockene Rotzbatzen, der nach wie vor das einzige Studioalbum der Vierers aus Chicago darstellt und dementsprechend auch bei der heutigen Europa-Premiere(!) weite Teile der Setlist ausmacht. Mit ihrem deutlich nach Wüstensand schmeckenden Material bedienen Redneck Parker (volltätowiert/Muskelshirt/Flying V) und seine Jungs dabei den Slot, der in der Vergangenheit häufig von den gern gesehen Roadburn-Gästen SLEEP und BONGRIPPER wahrgenommen wurde. Ein Vergleich, den das frühe Meisterstück nicht zu scheuen braucht, zumal „Migration“ wesentlich größere Drone-Anteile aufweist. Das gelegentliche Hassgekrächze durchs Zerrerpedal hätten sich die Truppe zwar sparen dürfen, aber ansonsten beenden sie das Roadburn mit einer gnadenlos vernichtenden Dystopie-Doom-Apokalypse.
Auch Kollege Klug macht sich nun auf den Weg ins Rheinland, während Kollege Kostudis irgendwo bei Mönchengladbach zum dritten Mal an derselben gesperrten Autobahnabfahrt vorbeirauscht. An anderen Tagen hätte ihn dies sehr verärgert, in dieser Nacht ist das anders: Viele Eindrücke drängen nachhaltig darauf, verarbeitet zu werden. Die Sonne und die Stadt, der kurze Wolkenbruch am Sonntag, infolgedessen sich der Pavillon der Zeltnachbarn unter Knacken und Bersten verabschiedete, die unglaubliche Musikdosis der vergangenen Tage, die verschwundenen Euroscheine im Geldbeutel, der Grad der Körperreinheit… all das beschäftigt den Kollegen, während er Stunde um Stunde durch die Nacht rollt. Doch er ist sich sicher: Der Ausflug nach Tilburg hat sich – wieder einmal – gelohnt.
Denn abermals hat das Roadburn seinen gänzlich eigenen Charme offenbart. Ein insgesamt beachtliches Niveau und eine unglaubliche Stilvielfalt. Bands, die zu Fans werden, sobald der eigene Gig vorbei ist. Vinyl-Dealer, die auf ihren Profit verzichten und dir untersagen, eine Platte zu kaufen, weil du gefälligst die Band am eigenen Merch-Stand unterstützen sollst. Bierpreise, die dich schockieren, die du aber letztlich gern bezahlst. Eine Atmosphäre, in der sich jeder willkommen, respektiert und zu Hause fühlt.
Das, liebe Leute. Das ist das Roadburn.
Ein Bericht von Alex Klug, Anton Kostudis und Sven Lattemann.
Fotos: Anton Kostudis (AKOS Livemomente und Alex Klug (2 Rights Make 1 Wrong).
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