Roadburn Festival
Einmal Tilburg und zurück – Roadburn Festival 2016
Konzertbericht
Donnerstag, 14. April 2016
15:30 Uhr. Zwei Drummer, drei Gitarristen, dreißig Moving-Lights – eine größere Live-Macht hätte das Roadburn wohl kaum an den Beginn der 21. Festivalrunde setzen können. Zu erschreckend früher Stunde erscheinen CULT OF LUNA im schummrigen Licht auf der Bühne der 013 Venue – und werden bereits von weit über 1000 Frühaufstehern empfangen. Zumindest Kollege Klug hat seine Lehren aus dem RUSSIAN CIRCLES-Desaster im vergangenen Jahr ziehen können und darf im Gegensatz zu seinem Festival-Kompagnon an der einstündigen emotionalen Talfahrt teilhaben, die 2006 unter dem Banner „Somewhere Along The Highway“ auf Platte gebannt wurde. Albumshows sind seit jeher eine Roadburn-Spezialität, doch auch wenn es sich angesichts der aktuellen Jubliläums-Tournee nicht um ein Exklusiverlebnis. An der Intensität des Materials und der transzendentalistischen Erfahrung ändert das jedoch nur wenig.
Das stilprägende Post-Metal-Werk ist zwar stark im Sludge verwurzelt, CULT OF LUNA bremsen ihre harsche Schlagseite jedoch immer wieder durch markante Post-Rock-Passagen („Finland“, „Dim“) sowie teils gar durch wirklich balladeske Depristücke („Marching To The Heartbeats“, „And With Her Came The Birds“) aus. Das Publikum verharrt in hypnotischer Starre – und zügelt erfreulicherweise sogar während der zerbrechlichen Interludien das sonst so lose Mundwerk. Das will schon was heißen, weiß Kollege und Over-the-top-Fanboy Klug, der erst drei Tage zuvor zum London-Gig der besten Liveband der Welt jettete. Zehn von zehn, perfekte Show, bitte, danke, ciao.
Nebenan im alten Klostergebäude des Patronaats verkabeln sich derweil DER BLUTHARSCH AND THE INFINITE CHURCH OF THE LEADING HAND, deren Bandname im Gegensatz zum Set vielleicht sogar als weiteres Highlight des Wochenendes durchgehen könnte. Vom zweifelhaften Military Industrial der Vergangenheit scheint sich die nicht image- wie besetzungsmäßig völlig umstrukturierte Truppe um Chefdenker Albin Julius inzwischen losgesagt zu haben. Stattdessen erklingt in den Mauern des Patronaats hausgemachter Psychedelic Rock, der zwar weniger Basis zum Schmunzeln bietet, der Band aber überraschend gut zu Gesicht steht. Wobei: Psychedelic gibt es an diesem Wochenende noch mehr als genug zu erleben. Folglich werden erst einmal fernöstliche Kollegen aufgegabelt und die nächste Stunde mit dem Zeltaufbau im besten Frühlingswetter totgeschlagen. 18°C, volle Sonne, und das Früh Kölsch aus der Dose ist auch noch nicht warm. Prädikat: Kann man schon so machen.
Was allerdings nicht für die lokalen Verpflegungskosten gilt – ein Problem, mit dem sich Kollege Klug noch früh genug wird auseinandersetzen müssen. Während die anderen schon mal die ersten Fuffies durch Club schmeißen (Bo! Bo!), zügelt der Herr seine sagenumwobenen sieben Mägen und sprintet in Windeseile vor die Main Stage, auf der HEXVESSEL in diesen Minuten ihr Set beginnen. Wo der psychedelische Forest Folk früherer Tage vollends untergegangen wäre, kommt die rockige Neuausrichtung der finnischen Waldfreunde gerade recht. GRAVE PLEASURES-Fronter Kvohst hat die großen Bühnen längst im Griff und versteht es, mit der modernen Variante eingängigen Psychedelic Rocks auch noch so manchen Althippie zu umgarnen. Köpfe nicken, Füße wippen, Band und Fans beglücken sich mit verbalen Schmeicheleinheiten. Fein!
Diese innige Zuschauer-Band-Beziehung erreicht derweil im neu errichten Keller der 013 Venue einen ersten Höhepunkt. Neben den Headlinern PARADISE LOST, CONVERGE und NEUROSIS stellen sich hier auch CULT OF LUNA den Fragen beziehungsweise Liebesbekundungen ihrer internationalen Anhängerschaft. Präsentiert werden diese einmaligen Talkrunden vom dänisch-niederländischen Analog-Ausrüster Hi-Fi Klubben. Das gesamte Wochenende über gibt dieser den Besuchern die Möglichkeit, frisch erstandene Vinyl-Einkäufe (die sich vermutlich auf mehrere Tonnen schwarzes Gold belaufen dürften) auf High-End-Systemen anzutesten.
So erschallt nun auch „Somewhere Along The Highway“ von Platte, wozu CoL-Chef Johannes Persson gesteht: „Ich habe da überhaupt kein Ohr für. Ob Kassette oder Neil Youngs neuer Pono-Player, ich würde da wirklich überhaupt keinen Unterschied hören.“ Ansonsten gibt sich Persson gewohnt emotional – und widmet jedem der rund 100 anwesenden Die-Hard-Fans eine Stunde lang seine volle Aufmerksamkeit. Das ist Fantreue, das ist Roadburn-Spirit.
Allmählich kann Kollege Klug sein seelisches und körperliches Magenknurren dann aber auch nicht mehr ignorieren, wenngleich das für ihn traurige Abwesenheit beim gerade stattfindenden MOLOKEN-Gig bedeutet. Angesichts dessen, was dem Kollegen hier für zehn läppische Euro als Pulled Pork serviert wird, eine wahrlich schlechte Entscheidung. Denn die amtliche Progressive-Post-Metal-Interpretation der derzeit von CULT OF LUNA gepushten Umeåner hält wenigstens, was sie verspricht. Vom London-Gig weiß der Kollege jedenfalls, dass hier ancheckbarer Nachwuchs für Genrefans am Start ist.
Wie sich die Zeiten doch ändern: Noch vor vier Jahren lockten die Finnen von ORANSSI PAZUZU nur wenige Zuschauer in das Patronaat. Mittlerweile ist die Truppe aus dem Land der tausend Seen aber anscheinend angekommen in der Roadburn Community – die Bude ist rappelvoll. Das liegt sicherlich auch an dem überzeugenden aktuellen Album „Värähtelijä“ sowie einem ordentlichen Maß an Neugier, wie denn das Ganze wohl live klingen mag. Ziemlich gut, bleibt festzustellen, obwohl der Spaß an der Musik nachhaltig durch den großen Andrang an Zuschauern getrübt wird: Entspannt zuhören und Musik wirken lassen, das geht hier nicht – leider. Ein Highlight also nur für diejenigen, die auf die erlesene Kombination aus engem Körperkontakt und abgedrehtem Space Black Metal stehen. Kein Highlight für alle Klaustrophobiker und Freunde eingängiger Melodien, muss Kollege Lattemann konstatieren.
Kollege Kostudis ist seinerseits mittlerweile nicht nur körperlich, sondern auch seelisch in Tilburg angekommen und wähnt sich nun bereit für die volle Dröhnung. Ebenjene erhofft er sich von den US-Amerikanern CONVERGE, die nun die Hauptbühne betreten, um ihr legendäres „Jane Doe“-Album aufzuführen – jenes Werk von 2001, welches für zahlreiche Anwesende in etwa so wichtig ist wie dem Kollegen der morgendliche Pott Kaffee. Und der ist dem Kollegen sehr, sehr wichtig.
Entsprechendes Gedränge herrscht vor der Main Stage und als Jacob Bannon und Kollegen ihr Set logischerweise mit „Concubine“, dem Opener der Platte, beginnen, kommt in den vorderen Reihen rasch Bewegung auf. Der Sound ist perfekt, es hämmert und schabt, Woge um Woge schießt aus der riesigen Anlage in das sich zunehmend verquirlende Zuschauermeer. Kurt Ballou stiert mit wirrem Blick umher und bearbeitet seine Sechssaitige mit kräftigem Schultereinsatz, Fronter Bannon springt rastlos von rechts nach links und würgt seine Textzeilen abgehackt und vehement in den kleinen stabförmigen Gegenstand an einer langen Strippe, der vor der Show mal ein Mikrofon gewesen war.
Allerdings kann die instrumental äußerst ansprechende Darbietung nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bannon stimmlich heute nicht ganz auf der Höhe ist. Anders gesagt: Wenn die Backing Vocals deiner Instrumentalisten durchsetzungsfähiger und härter sind als dein eigenes Organ, dann läuft bei dir als Frontmann irgendetwas schief. Das allerdings scheint den frenetisch hüpfenden Pulk vor der Bühne nicht zu stören – den Kollegen Kostudis aber schon ein bisschen.
Folglich verdrückt er sich bereits vor Ende des Sets und begeht damit die erste von diversen Freveltaten des Wochenendes. (Weitere Informationen unter alex@metal.de.) Zumindest in den Augen vieler beseelter Menschen, die berichten zufolge nach Ende der Show glücklich und jauchzend aus der 013 strömen. Davon allerdings bekommt der Kollege schon gar nichts mehr mit. Er hat sich mit seiner – wir bleiben jetzt einfach mal dabei, da die Mauer in manchen Köpfen ja offensichtlich noch steht – fernöstlichen Begleitung längst im Patronaat eingefunden. Dort lärmt seit einiger Zeit eine isländische Black-Metal-Kapelle herum, namentlich: MISÞYRMING. Und alter Vadder – sind die gut. Rohes, schonungsloses Geballer, eingekuttete Musiker, Nebel, Düsternis. Eigentlich gar nicht so die Baustelle des Kollegen. Aber was die Vulkaninsulaner da zu fortgeschrittener Stunde auf die Bühne bringen, kommt der fiesen Finsternis, die so viele artverwandte Truppen gerne heraufbeschwören würden, dann doch ziemlich nah. So nah, dass es fast schon furchteinflößend ist. Heijeijei…
PARADISE LOST gleicht live immer einem Überraschungsei. Man kann nicht sicher sein, ob man eine geile Figur oder nur so ein doofes, langweiliges Plastikauto bekommt – oder mit anderen Worten: Wenige Bands haben in den letzten Jahren so viele Plastikautos abgeliefert wie PARADISE LOST. Dass man mit „The Plague Within“ wieder ein richtig starkes Album im Markt hat, stimmt Kollege Lattemann im Vorfeld des Auftritts hoffnungsfroh: PARADISE LOST scheinen ihre Lebensgeister wiederentdeckt zu haben. Hinzu kommt ein besonderer Anlass: „Gothic“ feiert heuer 25-jähriges Jubiläum – DAS Referenzwerk der Engländer. Eine schöne Geschichtslektion für all diejenigen, die genau diese Phase der legendären Peaceville-Zeiten Anfang der 90er-Jahre verpasst haben und das Material bislang nicht live zu Gesicht bekamen. Aufgrund der Tatsache, dass viele „Gothic“-Songs seit über zwanzig Jahren nicht mehr live aufgeführt wurden, dürfte dies auf die meisten Anwesenden zutreffenden. Nach vierzig Minuten Albumshow folgt dann noch ein kleines Best-of-Set, unter anderem mit Material vom aktuellen Album („No Hope In Sight“) sowie Klassikern wie „Embers Fire“ und „Pity The Sadness“. Frenetisch abgefeiert wird jedoch insbesondere „As I Die“.
Auf der Bühne menschelt es ansonsten sehr: Die Herren Holmes – glattrasiert und neuerdings ohne Bart – und Mackintosh spielen sich gekonnt die Bälle zu – auch etwas, was in der Vergangenheit nicht immer so überzeugend geklappt hat. Das ist insbesondere deshalb erfreulich, da gerade das alte Material zeigt, was für ein ausgezeichneter Leadgitarrist Greg Mackintosh ist. Im Post-„Draconian Times“-Material geht diese Erkenntnis nämlich gerne einmal unter. Insofern geben die Halifaxer einen würdigen Donnerstagabend-Headliner, der sich trefflich in die Tradition vorheriger Roadburn-Gäste wie OPETH und PRIMORDIAL einreiht. Diesmal also wieder ein Happy Hippo (musikalisch, nicht körperlich auf der Bühne) von PARADISE LOST.
Leider ergibt sich für Kollege Lattemann hierbei eine der schmerzhaftesten Überschneidungen des Festivals. BEHOLD! THE MONOLITH bespielen zeitgleich den Green Room…
…derer sich derweil Anwesende widmen, die zur Zeit von “Gothic” eben noch gar nicht mal so am Start, geschweige denn geboren waren. Kollege Klug zum Beispiel. Der ist nach dem Konzert-, Interview- und Fressmarathon des ersten Tages nämlich noch putzmunter und wird mit Gleichgesinnten Zeuge des ersten Überrollkommandos des Wochenendes. Denn BEHOLD! THE MONOLITH spielen die Art wuchtigen Aggro-Sludge, der halt nur bei glasklarem Sound Spaß macht. Gut, dass das Roadburn hierfür eine der beste Anlaufstellen des Kontinents ist. Das L.A.-Quartett fährt schubkarrenweise Riffs gewohnter Genrekost auf, schreckt aber auch nicht vor blackigen oder gar modernen Hardcore-Momenten der LAMB OF GOD-Klasse zurück. Dass die Grobmotoriker mit Jordan Nalley einen erprobten Shouter statt eines vors Mikro gezerrten Rhythmusgitarristen am Start haben, gibt der Sache den letzten Schliff. Anstrengend, aber geil.
Freilich soll man aufhören, wenn’s am schönsten ist, aber dann hätte Kollege Klug schon am frühen Nachmittag nach CULT OF LUNA abzischen müssen. Deshalb soll am Ende des Abends auch noch der letzte Slot mitgenommen werden. Den Herrn zieht es folglich in den zum ersten Mal vom Roadburn annektierten Club „Extase“ – ein enger, schlauchförmiger Bau, der sicher als nette Bar, weniger jedoch als Festivallocation taugt. CHRCH sollen hier allerdings nun auf die Bühne bringen, was sich mitunter als Female-Fronted-Sludge vermarkten ließe. Der neueste Scheiß, also.
Blöd jedoch, dass es für Festivalgänger beim Gang zur Bühne zunächst besagten Schlauch zu durchdringen gilt. Einen zwanzigminütigen Vinyl-im-Jutebeutel-gegen-drängelnde-Idioten-Kampf später teilt sich Kollege Klug den offiziell für 250 Mann ausgelegten Raum mit der gefühlt zehnfachen Anzahl Personen. Aus dem hintersten Winkel lässt sich bei 42°C Betriebstemperatur abgesehen von einigen beachtlichen Schweißwolken nicht wirklich viel erfassen, weshalb das Unterfangen nach wenigen Minuten abgebrochen wird. Was war denn da los?
Die Mannschaft wankt also geschlossen zum Zeltplatz, wuchtet dort die Campingstühle in den weichen Boden und gönnt sich noch manches Betthupferl in Form inzwischen wieder bestens gekühlter Getränke. Die schlaftrunkene Runde ist sich einig: Der erste Tag hätte tatsächlich deutlich schlechter laufen können. Darauf lässt sich aufbauen.
Fotos: Anton Kostudis (AKOS Livemomente) und Alex Klug (2 Rights Make 1 Wrong).
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