Roadburn 2018
Sommer, Sonne, Stoner Doom
Konzertbericht
Ein Bericht von Anton Kostudis und Alex Klug. Alle Fotos von Anton Kostudis und Alex Klug. Redaktionelle Mitarbeit: Sven Lattemann.
Samstag, 21. April 2018
Ein bisschen unpassend ist da hier ja schon alles. Sonnenbrand im April, Funeral Doom zum Frühstück. Nachdem Kollege Klug bereits gestern mit THE RUINS OF BEVERAST (und morgen mit isländischem Black Metal) in den Tag startete, schließen sich heute BELL WITCH ans morgendliche Hafermüsli an (im Falle des Kollegen Kostudis besteht die Morgenmahlzeit übrigens aus Dosenfisch und Mate-Eistee – jeder, wie er meint …).
Wenn irgendeiner Band der stetige Lichteinfall durch die großzügigen Seitenfenster der Koepelhal Schmerzen bereitet, dann wohl BELL WITCH. Andererseits: Diese Band hat gelernt, den Schmerz zu akzeptieren. Der Tod von Gründungsmitglied Adrian Guerra lastet auch nach zwei Jahren auf den US-Amerikanern. Entsprechend wehklagend, aber auch einfühlend fällt das aktuelle Monument “Mirror Reaper” aus, das – wie könnte es anders sein – hier heute in Gänze dargeboten wird.
Trauerarbeit am Tapping-Bass
Relativ krachend und mit verdammt wenig BPM geht es entsprechend zu Werke, nur mit Bass und Drums wummert sich das Duo in die Herzen der Anwesenden. Später wird es ruhiger, Gastsänger Erik Moggridge kommt hinzu und verleiht dem Ganzen einen ordentlichen 40 WATT SUN-Touch. Basser Dylan Desmond tappt auf seinem Bass herum wie andere auf einem Klavier, wechselt von zärtlichen Harmonien im Chapman-Stick-Stil zu krachenden Distortions. Es mag hier und heute verdammt schwierig sein, alldem über 84 Minuten zu folgen, dennoch ist für Kollege Klug eines völlig klar: Vinyl wird eingetütet!
Eingerollt wird hingegen einige Meter weiter. Und ausnahmsweise geht es dabei einmal nicht um Betäubungsmittel, sondern um: Kunst. Bereits zum zweiten Mal versammeln sich Künstler unter dem Banner FULL BLEED, um Artworks und darüber hinausgehende Kunstwerke vorzustellen. Und schon am ersten Tag begegnen den Kollegen vielerorts Menschen mit lustigen runden Papprollen unter den Armen, zärtlich die teils exklusiven Arbeiten von Jacob Bannon (CONVERGE), John Baizley (BARONESS), Arik Roper und weiteren umhüllend.
Norwegen Urklänge
Natürlich steht aber auch an diesem Tag die Musik im Vordergrund. Waren ENSLAVED-Bandchef Ivar Björnson und WARDRUNA-Mastermind Einar Selvik vor drei Jahren noch als Roadburn-Kuratoren aufgetreten, eröffnen sie nun das auditive Samstagsprogramm auf der Mainstage, und zwar mit ihrem Projekt HUGSJA. Im Mittelpunkt: nachdenkliches und eindringliches Liedgut nach alter norwegischer Tradition. Und das funktioniert zu früher Stunde ausgesprochen gut, regelrecht gebannt folgt das Publikum dem Wirken des Duos, welches im Hintergrund von einer Handvoll Instrumentalisten und Sänger unterstützt wird, die aber im kaltblauen Nebel, der über die Bühne zieht, nur schemenhaft zu orten sind. Eindrucksvoll. Nicht zuletzt deswegen, weil das Roadburn wieder einmal zeigt: Akustik-Gitarre, kehlige Gesänge und sphärische Mystik können zwischen Black Metal, Elektro und Sludge-Gewuchte hervorragend funktionieren.
Ähnlich hervorragend läuft es derzeit auch für PANOPTICON. Seit sich Austin Lunn zwei Jahre zuvor dazu durchgerungen hatte, seinen Atmospheric Black Metal auf die Bühnen der Welt zu bringen, warteten Genrefans weltweite auf die Ankunft seiner Heiligkeit. Und entsprechend stattlich schaute am Vortag die riesige Schlange vor dem Patronaat aus: Als wartete das halbe Roadburn auf eine Audienz beim Papst.
Heute dann aber ein Gig auf großer Bühne. Für den Auftritt im 013 ist ein Best-of-Set angekündigt. Entsprechend üppig fallen die Wechsel zwischen extrovertierten Melodierasereien und zarten Folk-Parts aus. Bei letzterem wirkt der sachte am Rand positionierte Lunn beinahe schon etwas entfremdet. Und so räumt sich dann auch nach und nach die in diesem Kontext etwas überdimensioniert wirkende Location. Dabei machen PANOPTICON ihre Sache ja durchaus solide. Doch sind ihre intimen Melodien eben wohl einfach nichts für große Hallen.
Island zeigt sich von seiner sperrigen Seite
Selbst fürs Patronaat zu undergroundig ist dann aber das neue gemeinsame Projekt der isländischen Truppen NYIÞ und WORMLUST. Hat sich die restliche Szene der Elfeninsel vornehmlich dem Classic Rock oder Black Metal (wovon es am Folgetage noch genug geben soll) verschrieben, so vertreten die beiden Parteien unter dem Fraktionsnamen HIEROS GAMOS eher die etwas rauschenderen Töne – und verjagen mit ihren Drone-Experimenten die halbe Zuschauerschaft des Patronaats. Ein seltener Anblick.
Wir sehen: Unverhofft kommt oft. Vor allem auf dem Roadburn. Der nächste Beleg dafür: Als die Kollegen am fortgeschrittenen Nachmittag die Koepelhal betreten, wummern ihnen von weitem bereits mächtige Beats und poppige Synthies entgegen. Was ist da denn los? ZOLA JESUS ist da los. Ein Schlagzeuger, ein Gitarrist – und eine Dame mit einer gewaltigen Stimme. Bei ebenjener handelt es sich um Nika Roza Danilova, eine US-amerikanische Singer-Songwriterin, welche CONVERGE-Frontmann Jacob Bannon als Kurator unbedingt dabeihaben wollte.
Doom? Passt schon!
Warum er das wollte, zeigt sich in der Folge: Zu zarten Drum- und Saiten-Akzenten und auf waberndem Synthie-Fundament schwingt sich die Hauptprotagonistin mit einer intensiven, leicht entrückten Performance alsbald zum neuen Liebling des Roadburn-Publikums auf. Denn tatsächlich: Langbärtige und heftig Tätowierte, Hipster und Schwarzmetaller – alle wiegen wie in Trance gemeinsam zu den wohligen Klängen, welche das Gemäuer erfüllen. Zugegeben, es reiht sich dabei nicht unbedingt Highlight an Highlight. Aber: Die Musik, das Setting, die Stimmung – das passt in diesem Moment einfach. Nebenbei sorgt Danilova auch noch für den einen oder anderen Lacher. So beispielsweise bei der Anmoderation einer Ballade: “Der nächste Song ist sehr langsam. Aber ihr mögt ja Doom. Dann passt das ja.”
Doch nicht nur Mrs. Danilova zeigt Sinn für Humor und Ironie: Die angrenzenden Tilburger Lokale sind hierin längst ausgelernte Vollprofis. So zieren die Straßenaufsteller das ganze Wochenende über exquisite Speisetafeln mit Vokabular wie “Roadburn Menu”, “Roadburn Meal” oder “Roadburn Burger”. Heißt im Klartext: Selbe Karte, aber extra für euch alles zwei Euro teurer. Lass schmecken!
Doch ein Restaurant hat beim Marketing-Seminar offenbar besonders gut aufgepasst. Kurzerhand hat man die Headliner-Spalten der allgegenwärtig zur Schau gestellten Poster durchforstet und die schmissigsten Namen übernommen. “Motorpsycho Burger”? Geschenkt. “Weedeater Tofu”? Kann man schon so machen. Was allerdings die erklärte Vegetarier-/Veganer-Truppe um Kurator Jacob Bannon von den bandeigenen “Converge Spareribs” hält? Vermutlich eher weniger.
Kollege Klug packt derweil allmählich die Nervosität. Und das hat einen Grund: Denn in einigen Minuten spielen seine Helden GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR auf der Hauptbühne auf. Dass die Show des kanadischen Soundmaler-Kollektivs allerdings auch bei vielen anderen Festivalbesuchern große Begehrlichkeiten weckt, ist bereits vor Beginn des Konzerts zu sehen. Sogar in den Gängen im Oberrang türmen sich die Menschen, hier gilt jetzt die Regel, die sonst nur im Patronaat und dem stickig-engen Cul de Sac zur obersten Maßgabe wird: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Oder besser: bekommt den Platz.
Ton auf Ton, Schlag auf Schlag
Dann beginnt es. Zunächst leise, verhalten, behutsam. Ton auf Ton, Schlag auf Schlag. Und aus dem zarten Soundgeflirre erhebt sich alsbald eine kraftvolle, raumfüllende Klanggewalt. “Luciferian Towers”, das aktuelle Werk der Band, erklingt in Gänze. Und wie es das tut. Während Kollege Klug nicht mehr ansprechbar wirkt, kann sich der neben ihm kauernde Kostudis jedenfalls nicht erinnern (doch, kann er, RADARE kommen ihm irgendwann in den Sinn), jemals im Live-Kontext etwas derart dynamisch Breites gesehen zu haben. Abgerundet wird die Darbietung zudem noch von kriseligen, stimmungsvollen Film-Schnipseln, welche das neunte Bandmitglied, Karl Lemieux, von hinter dem Mischpult aus per Hand und mittels alter Filmmaschinen auf die riesige Leinwand hinter seinen musizierenden Kollegen projiziert. Was hier zu sehen ist, ist so etwas wie die endgültige Definition von Handarbeit. Und zwar im ganz großen Maßstab.
Was GY!BE dem Kollegen heute derweil auch noch beibringen, ist: Post-Rock und Collagerei kann und darf auch wehtun. Denn insbesondere in den intensiven Momenten dröhnt und flimmert es derart schrill von der Bühne, dass selbst unter Halbtaubheit leidende Konzertveteranen mit dem Pegel zu kämpfen haben (währenddessen haben andere Teilnehmer der Veranstaltung mit anderen Pegeln zu tun – aber das ist ein anderes Thema). Müßig zu erwähnen, dass das Ganze letztlich ziemlich großartig ist. Findet zumindest der sonst so launische Kollege Kostudis. Die beseelten Menschen mit frohen, glücklichen Gesichter, die nach Ende der Show anschließend zu Tausenden ins Freie wanken, geben ihm jedenfalls recht. Fazit des Kollegen: Konzert der Marke “Gut, dass ich das einmal sehen durfte”.
Auch auf den Nebenschauplätzen: Pickepackevoll.
Noch während des GY!BE-Gigs kommt es allerdings zu einer ziemlich skurrilen Situation. Kollege Kostudis, vom Harndrang zwischenzeitlich aus der Halle getrieben, eilt mit schnellen Schritten zum Pissoir. Auf dem Weg gerät er dabei in eine klangliche Doppelbeschallung: Von rechts tönt das getragene, epische Liedgut von der Hauptbühne, von links das straighte Psychedelic-Gerocke SACRI MONTIs aus dem Green Room. Dieses Szenario bringt die ohnehin schon strapazierten Synapsen des Kollegen für einige Augenblicke gehörig durcheinander, entpuppt sich später, nach Ende der GY!BE-Show, aber als durchaus leckeres Häppchen. Fuzz, Energie, Gitarrengeschwurbel – Roadburn-Herz, was willst du mehr? Ähnlich scheinen es viele weitere Gäste zu sehen, denn der Green Room ist pickepackevoll. Zu Recht aber eben auch, denn der Fünfer aus dem US-Bundesstaat Kalifornien gibt alles. Und macht dabei auch alles richtig. Starkes Ding.
Und nicht nur in der Hauptvenue 013 kocht es, gerade die unklimatisierte Koepelhal samt angrenzender Neu-Venue Hall Of Fame ist dem allgegenwärtigen Sommerhoch hilflos ausgeliefert. Entsprechend schwer fällt es dem Low-End-Projekt OLD TOWER, seine ästhetisierte Kälte auszustrahlen. Da helfen auch keine Schneeflocken auf Leinwänden. Als designierte Dungeon-Synth-Connaisseurs ziehen wir – in Form von Kollege Lattemann – vor dem Abzug trotzdem kurz den Hut.
Synth-Projekte sind ja immer so eine Sache, Jamsessions sind es auch. Jeder mehr oder weniger ambitionierte Musiker hat fraglos bereits einmal in einem feuchten Proberaumkeller gehockt und mit einer Handvoll Gleichgesinnter mehr schlecht als recht versucht, ein paar Skalen auf E-Moll und G-Dur zu schrammeln. Ebenfalls klar ist, dass es natürlich Musikschaffende gibt, die sich wesentlich souveräner in der Improvisation bewegen können. Aber zur Headliner-Zeit? Und zu neunt? Vor Tausenden Zuschauern? Das musst du erst einmal bringen.
Earth meets West
Was dann aber unter dem Motto “East meets West” die Herrschaften von EARTHLESS und KIKAGAKU MOYO auf der Mainstage veranstalten, ist schon beeindruckend. Nicht nur, weil mit Ryu Kurosawa ein Session-Teilnehmer imstande ist, seiner riesig anmutenden Sitar die schrägsten Klänge zu entlocken, sondern vor allem, weil sich die zusammengewürfelte Truppe in gut anderthalb Stunden eine derart mächtige Psychedelic-Wall-of-Sound heraufbeschwört, dass der eine oder andere jungfräuliche Zuschauer wohl zur Überzeugung gelangen dürfte, dass das hier ein ganz regulärer Auftritt einer ganz regulären Band sei. Und auch wenn die Performance gegen Ende ihre Längen hat – einen solchen Eindruck muss man als Jam-Kollektiv erst einmal glaubwürdig erwecken. Hut ab – da können MONO locker einpacken.
Das eben erlebe Psychedelic-Gewusel taugt dann auch ganz gut als standesgemäßer Tagesabschluss. Nur noch einmal aufwachen. Nur noch ein Tag Roadburn. Auf dem Nachhauseweg wird es folglich emotional. Angeregt diskutieren die Kollegen Klug und Kostudis über ungeniert blökende Gäste bei Post-Rock-Konzerten, das politische Weltgeschehen und – natürlich – Musik im Allgemeinen. Am Zeltlager eingetroffen, verabschieden sich beide mit einem knappen Gruß voneinander. Die vergangenen drei Tage haben fraglos auch kräftemäßig ihre Spuren bei der Belegschaft hinterlassen. Aber: Es ist noch nicht vorbei. Also Kräfte bündeln. Und dann weiter im Programm.
Phantom Winter dokumentieren ihre Roadburn-Erfahrungen
P.S.: Am späten Nachmittag unternahmen die Kollegen im Übrigen den Versuch, der Show der Würzburger Brachial-Metaller PHANTOM WINTER beizuwohnen. Wie so oft im Cul de Sac war aber 30 Meter vor der abgesenkten Bühne Schluss. Einfach Schluss. Weil: Einfach zu viele Menschen sich in die schlauchförmige Location gedrängt hatten. Praktisch, dass die Band ihren Roadburn-Samstag aber für uns im Ticker festgehalten hat. Wie es den Würzburgern ergangen ist, lest ihr auf der nächsten Seite.
Ein Bericht von Anton Kostudis und Alex Klug. Alle Fotos von Anton Kostudis und Alex Klug. Redaktionelle Mitarbeit: Sven Lattemann.
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