Roadburn 2017
Magisch, doomy, familiär.
Konzertbericht
Ein Bericht von Alex Klug, Anton Kostudis und Sven Lattemann.
Alle Fotos von Alex Klug und Anton Kostudis.
Sonntag, 23. April 2017
„It’s better to burn out than to fade away.“ Mit den Worten NEIL YOUNGs im Ohr starten die Kollegen in den finalen Festivaltag. Die letzten Merchstände werden abgegrast, ein letztes Mal dringt das ewig röhrende „Dopesmoker“ durchs Foyer, während die weniger bierseligen Zuschauer im Dudok-Café unterhalb des Patronaats ihre finale Kaffeestunde genießen. Einzig Kollege Lattemann gestaltet seinen Tag gleich dem vorherigen: Bei manchen ist eben immer Doom o’clock.
Roadburn – das ewige Geheimtipp-Trüffelschwein.
Und hier gehören insbesondere PALLBEARER zu DEN aufstrebenden Bands des Genres. Wunderbar gelingt es den US-Amerikanern mit ihrem aktuellen Album „Heartless“ die Ideen des melancholischen Metal in ein zeitgemäßes, ja, progressives Gewand zu hüllen. Entsprechend hoch ist auch das Interesse des Publikums: Obwohl die Band bereits zu nachtschlafender Zeit um 16:30 Uhr ran muss, ist die Halle proppenvoll. Auch im Falle von PALLBEARER hat das Roadburn Festival seine wiederholte Trüffelschwein-Qualität eindrucksvoll bewiesen: Letztmalig 2013 im kleinen Green Room mit ihrem ersten Europa-Konzert vertreten, folgt vier Jahre später ein Auftritt vor voller Halle im 013 – not bad.
Das Quartett aus Arkansas lässt sich der Erwartungshaltung entsprechend auch nicht lumpen: Ein bunter Ritt durch die bisher veröffentlichten drei Alben wird geboten. Das wunderbare, ausufernde „Dancing With Madness“ ist dabei sicherlich eines der Highlights – obwohl der Gesang von Frontmann Brett Campbell hätte ein wenig lauter abgemischt sein können. Jammern auf hohem Niveau, kann man sagen.
Post-Metal-Hohepriester Aaron Turner tut sich schwer.
Nimmt man die stattliche Schlange vor dem Patronaat als Maßstab, dann folgt nun das unumstrittene Highlight des gesamten Festivals. Eine geschlagene halbe Stunde jedenfalls stehen sich die Kollegen die Beine in den Bauch, um sich dann endlich in die hinteren Reihen drängeln zu dürfen. Der Grund für den Massenauflauf sind SUMAC – jene Truppe um Ex-ISIS- und OLD MAN GLOOM-Mann Aaron Turner, die scheinbar jeder einzelne Roadburner unbedingt sehen will. Allerdings entpuppt sich das vermeintliche Glanzlicht schnell als ziemlich heftige Enttäuschung. Was vor allem am Sound liegt, der so grottenschlecht ist, dass das wuchtige und wütende Gebräu der US-Amerikaner sich scheppernd zwischen den steinernen Mauern verliert. Daran hat nicht zuletzt Drummer Nick Yacyshyn (BAPTISTS) seine Aktien, der zwischen Becken mit dem Durchmesser von Lkw-Reifen sitzt und mit einer dermaßen ungezügelten Gewalt auf sein Kit eindrischt, dass von Songdienlichkeit nur noch im Entferntesten gesprochen werden kann. SUMAC mögen eine großartige Band sein – heute sind sie jedoch nur stumpfer, konzeptlos wirkender Krach. Jammerschade. Was ein Reinfall. Enttäuscht verlassen die Kollegen die Venue. Draußen in der Sonne verbessert sich die Laune dann aber schnell wieder.
Auch Kollege Lattemann befindet sich weiterhin in bester Doom-Stimmung. Mit Vorfreude auf LES DISCRETS ausgestattet marschiert er guten Willens in den großen Saal – immerhin sind die bisherigen Studioalben der Franzosen von durchaus überzeugender Qualität und lassen einiges erwarten. Auch der 2015er Roadburn-Auftritt in Begleitung von Artist In Residence Néige (ALCEST) war ja durchaus ansehnlich. Aber wer – oder besser – WAS ist denn da auf der Hauptbühne los?
Wo wohliger Post-Rock mit romantischem Einschlag zu erwarten war, wird nun einschläfernster Chanson-Pop auf der Mainstage geboten. Und das noch nicht einmal gut oder gar erträglich: Die Vocals von Fursy Teyssier harmonieren nicht im Geringsten mit der zweiten, weiblichen Gesangslinie, das Schlagzeug klingt wie betäubt und viel zu dumpf. Auch was das Keyboard da macht, bleibt unklar. Und wo man scherzhaft bei ORANSSI PAZUZU sagen kann, dass alle Musiker unterschiedliche Songs spielen, so unterstellt man den Finnen dabei Absicht – LES DISCRETS hingegen hatten das aber wohl anders geplant. Stimmung kommt damit in der großen Halle überhaupt nicht auf – und dass, obwohl durchaus ein netter Querschnitt über die bisherigen Werk der Band dargeboten wird. Entsprechend konstant leert sich der Zuschauerraum in Richtung Essenspause, Biernachschub und Vorbereitung auf den anstehenden Auftritt von ULVER. Warum LES DISCRETS einen der wertvollen Hauptbühnen-Slots belegen dürfen, bleibt allerdings ungeklärt.
Die Wölfe kommen.
Nicht dass die Live-Auftritte ULVERs nicht ohnehin schon eine echte Rarität sind: Die Ankündigung eines Roadburn-Besuchs von Kristoffer „Garm“ Rygg samt multinationalem Ensemble gleicht beinahe einer musikalischen Sonnenfinsternis: Gibt’s nur alle paar Jahre, aber alle sind aus dem Häuschen und jeder will mal einen Blick riskieren. So steigen die Erwartungen auch bei Kollege Klug ins Unermessliche, als er sich pünktlich zum Linecheck sein Fangirl-Plätzchen am FOH sichert. Kaum gesellt sich Kollege Kostudis mit seinem gar nicht mal so obergärigem Alkoholfreiem dazu (letzter Tag und so), wird es dunkel im proppenvollen 013. Dann setzt der vertraute Stampfer-Beat der brandneuen ULVER-goes-New-Wave-Hymne „Nemoralia“ ein. Mit der Anfangsnervosität weicht zugleich jedes Licht aus dem Saal und schafft Raum für eine eigens auf die heutige Performance zugeschnittene Lasershow. Ladies and Gentlemen: Das ist „The Assassination Of Julius Caesar“.
Natürlich ist die Live-Umsetzung eines waschechtes Synth-Pop-Albums eine Herausforderung, der sich auch die immer eingespielteren Gastmusiker mit einer ganz anderen Herangehensweise nähern müssen. Und wo das Set mit „Nemoralia“ und „1969“ so eingängig startet, behaupten sich die ganz großen Synth-Ausbrüche in „So Falls The World“ schon etwas schlechter im Gesamtmix. Der ist mit Drums, Percussions, Gitarre und allerlei Elektronik nämlich klar um Ryggs sexy Bariton herum positioniert. Der eine oder andere zusätzlich unterstützende Backing-Track wie bei „Rolling Stone“ wäre gewiss angemessen, der hypnotischen Kraft des Auftritts tut das allerdings keinen Abbruch. Genauso wenig, wie ein nervenaufreibendes 4-Minuten-Free-Form-Intermezzo von JAGA JAZZIST-Gitarrist Stian Westerhus und dem finalen 18-Minuten-Jam „Coming Home“. Die Nähe zu Live-Dokumenten wie „ATGCLVLSSCAP“ bleibt trotz anderer Grundausrichtung bestehen. Wieder einmal loten ULVER die Extreme atmosphärischer Dichte aus – von überzuckertem Nostalgie-Pop bis hin zur krautrockigen Elektro-Mantras.
Nachdem der insbesondere von der Lightshow nicht gänzlich unbeeindruckte Instagram-Newbie Kostudis die lange Heimfahrt ins ferne Seehofer-Land angetreten hat, arbeitet sich Kollege Klug ein letztes Mal in den Green Room vor. Seine Erwartungen an die bezaubernde EMMA RUTH RUNDLE waren nicht gerade klein, doch wie die RED SPAROWES-Musikerin hier mit nichts als einer mystisch nachhallenden Gitarre in der Hand Zottelbärte und Althippies zum Schweigen bringt, hat etwas wahrhaft Magisches. Auch ohne Liveband überzeugen die Stücke des hochgelobten 2016er Albums „Marked For Death“. Nummern wie „Protection“ und „Real Big Sky“ bewegen sich irgendwo zwischen Folk, Post-Rock und barockem LANA DEL REY-Pop – und werden von den Anwesenden äußerst dankbar aufgenommen. Mit geschlossenen Augen und seligem Unschuldslächeln, versteht sich. Unterstützt von einem saftig bestückten Effektboard gelingt Rundle ein wirklich einzigartiges Spiel mit der Dynamik. Ob Gesäusel oder Klagegesang – heute Abend hängt das Roadburn an den Lippen dieser Frau.
Der allsonntägliche Afterburner steht mehr denn je für Kontrastprogramm: Nach einer knappen Stunde in der Oase der Stille geht es vor der Hauptbühne nicht weniger unkonventionell weiter. Kultproduzent Martin „Youth“ Glover (u.a. MARILYN MANSON, PINK FLOYD) hat nämlich nicht nur die Finger beim jüngsten ULVER-Album im Spiel – sondern gemeinsam mit Neofolk-Hohepriester David Tibet zudem auch selbst ein neues Projekt in der Röhre. Dennoch sehen sich HYPNOPAZUZU mit vergleichsweise erschreckender Leere im Saal konfrontiert. Aber na ja, sind ja Profis auf der Bühne. Tibet, heute im blütenreinen weißen Anzug, beschränkt sich aufs energische Predigen in Crowley-Manier, Youth‘ Kompositionen streifen teils orientalische Psychedelic-Strukturen und berufen sich auf Steel Drums, Orgeln, Streicher und wummernde Bässe. Die sphärische Ambient-Weltmusik entfaltet eine ausnahmsweise durch und durch positiv einschläfernde Wirkung und ist aller Eigenwilligkeit zum Trotz vielleicht sogar der ideale Rausschmeißer. Und so wird die durch und durch respektable musikalische Leistung weitgehend mit wohlgesinntem Nicken aus den nunmehr sitzenden Reihen quittiert.
PILLORIAN geben den schwarzmetallischen Rausschmeißer.
In Anbetracht der lähmenden Müdigkeit und des zähflüssigen Heimwegs, von dem zumindest Kollege Kostudis zum jetzigen Zeitpunkt schon ein paar Kilometerchen zurückgelegt haben dürfte, kostet es durchaus Überwindung, die Wartezeit bis zum großen PILLORIAN-Zapfenstreich ab 23:10 Uhr zu überbrücken. Da sich der zwischenzeitlich beinahe gänzlich leergefegte Saal nun aber zumindest wieder etwas füllt, fassen sich Klug und Lattemann ein Herz und lassen sich ein letztes Mal auf den Stufen des 013 nieder.
Nur ein einziges Mal – 2012 – hat es John Haughm mit seiner Ausnahme-Vorgängerband AGALLOCH zum Roadburn geschafft. Und tatsächlich erinnert die wesentlich schwarzradikalere Grundausrichtung PILLORIANs ein wenig ans damals aktuelle „Marrow Of The Spirit“. Die kalte, stellenweise durch und durch böse Riffenergie Haughms steht hier klar im Vordergrund, 60 Minuten lang wird grundsolider, elegischer Melo-BM geboten. Ein Schelm jedoch, wer das Material des Debütalbums „Obsidian Arc“ im Hinterkopf durchgehend mit dem Schaffen AGALLOCHs vergleichen muss.
Kollege Klug zum Beispiel. Der kann den heutigen Gig zwar trotz halbkomatösem Zustand genießen, weiß aber ganz genau, wie viel magischeres und berührenderes Werk der Mastermind aus Portland, Oregon bereits auf dem Buckel hat. Aber genug der Heulerei: PILLORIAN beweisen klar, dass sie sich ihren Slot auf der Mainstage redlich verdient haben – und liefern, was sie versprechen: Ein starkes Finale für ein familiäres Musik-Happening, dem kein Festivalbericht der Welt jemals gerecht werden könnte.
Danke, Roadburn.
Ein Bericht von Alex Klug, Anton Kostudis und Sven Lattemann.
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