Roadburn 2017
Magisch, doomy, familiär.
Konzertbericht
Ein Bericht von Alex Klug, Anton Kostudis und Sven Lattemann.
Alle Fotos von Alex Klug und Anton Kostudis.
Samstag, 22. April 2017
Völkerverständigung ist natürlich auch beim Roadburn ein Thema. Und nicht erst seit diesem Jahr vertreiben sich die Kollegen den reichlich zehnminütigen Fußmarsch vom Zeltplatz zu den Locations mit einem munteren Hobbykurs „Niederländisch für Anfänger“. Herr Klug, der sich sprachlich bereits im Fortgeschrittenensegment bewegt, füllt dabei die Rolle des strengen Oberlehrers aus, Herr Kostudis wiederum versucht, das, was auf Plakaten, Schildern und Fahnen geschrieben steht, in seine Muttersprache zu übersetzen. „Uw geld is belangrijk voor ons.“ Tricky. „Unser Geld ist belanglos für uns“, orakelt Kostudis. Natürlich großer Quatsch – warum sollte eine Bank damit werben? Vielmehr behauptet das Kreditinstitut, das Geld seiner Kunde sei ihm „wichtig“. Die Kollegen überprüfen noch einmal, ob sich die Brieftaschen noch am rechten Fleck befinden und gehen lieber schnell weiter.
Nicht nur werfen die ersten Acts des Tages ihre Schatten voraus, sondern auch eine alljährliche Tilburger Tradition: Das Frikandelessen. Bei der Spezialität handelt es sich um längliche, frittierte Fleischrollen, die bei unseren Nachbarn in etwa so beliebt sind wie bei uns das Schnitzel. Ordentlich Mayo, Ketchup und Zwiebeln druff, ein Riesenberg grob geschnitzte Pommes dazu – und ab dafür. Kollege Kostudis muss wie im vergangenen Jahr nach der Hälfte kapitulieren, macht aber nichts, denn Herr Klug besitzt die Fähigkeit, einfach ohne Unterlass zu essen. Was er dann auch tut. Wohl bekomm’s!
Schwere Kost für Liebhaber – nicht nur an der Imbissbude.
Mit einem flauen Gefühl im Magen betritt Kollege Kostudis wenig später die 013, wo Dylan Carson (EARTH) und Kevin Martin alias THE BUG (folglich unter dem Namen THE BUG VS DYLAN CARLSON auf der Bühne) schon seit einiger Zeit vor sich hindröhnen. Flirrendes Fiepen, Industrial-Beats, eine Prise Americana – und auch sehr viel Leerlauf. So zumindest lautet nach wenigen Minuten die Einschätzung des Kollegen, der alsbald weiterzieht. So richtig taugt das minimalistische Gelärme eben nicht als energiespendender Tagesauftakt.
Kritisierte Kollege Lattemann im Vorjahr noch das Gedrängel beim ORANSSI PAZUZU-Gig, das seinem kuscheligen Rauschebart beinahe die Luft zu Atmen nahm, scheinen die eigenwilligen Psychedelic-Blacker ihren Geheimtippstatus allmählich gänzlich eingebüßt zu haben. Gefühlt jeder zweite Roadburner macht zur Nachmittagsstunde einen Abstecher zur Hauptbühne. Dabei brauchen die 15-Minuten-Mantras der Finnen durchaus einige Zeit, um ihre kosmische Fuzz-Energie zu entfalten. Keine guten Bedingungen also für Durchreisende, die kein Plätzchen beim Once-In-A-Lifetime-Coverensemble RAZORS IN THE NIGHT ergattern konnten. Während sich im Patronaat also BARONESS- und NEUROSIS-Mitglieder mit ihren liebsten Classic-Punk-Nummern austoben, genießt das metal.de-Gespann die spacige Huldigung an Pazuzu aus den obersten Reihen der 013. Angenehmes Geschenk für alle Wiederholungstäter: Diesmal liegt der Fokus nicht mehr ausschließlich auf dem gehypten 2016er-Output „Värähtelijä„.
Scheuklappen runter, YOUTH CODE kommen.
Mit YOUTH CODE steht anschließend – und irgendwie typisch fürs Roadburn – wieder gänzliches Kontrastprogramm an. Denn das Zweigespann aus Los Angeles ist wieder deutlich elektronischer ausgerichtet. Und die Vorrecherche hatte bereits ergeben: Das Krawall-Duo dürfen sich die Kollegen auf keinen Fall entgehen lassen. Also ab ins Patronaat, noch schnell ein Bier gegriffen – und ab geht die wilde Luzi. Und die Kollegen sollten nicht enttäuscht werden: Ohrenbetäubend schrilles Gefiepe, hämmernde Beats und eine Fronterin, die offensichtlich keinerlei Wert darauf legt, ihre Stimmbänder in den kommenden Tagen irgendwie noch einmal zu benutzen. „I moshed my fucking microphone off“, brüllt Energiebündel Sara Taylor nach dem ersten Song in die Menge. Also Kabel wieder rein und schon ballert die PA erbarmungslos weiter, während die Menge im rhythmischen Flackerlicht zuckt – und so etwas wie eine wilde EBM-Synth-Trash-Party feiert. Die Kollegen wippen munter mit und freuen sich hinterher, dass den Machern des Festivals mit dieser Verpflichtung eine weitere Überraschung gelungen ist. Bemerkenswert auch, dass heutzutage mutig zusammengestellte Tour-Pakete mit YOUTH CODE, DEAFHEAVEN und EMMA RUTH RUNDLE doch so gut zu funktionieren scheinen. Ein Hoch auf Anti-Scheuklappen-Musik!
Kollege Klug weiß derweil, dass YOUTH CODE seinen avantgardistischen Scheuklappen-Kollegen Kostudis lediglich in den Bann ziehen, weil sie hier vor Ort das vielleicht deutlichste Kontrastprogramm zum doomigsten aller Festivaltage bieten. So verdrückt er sich nach kurzem beherzten Schmunzeln lieber Richtung Hauptvenue. Da beginnt sogleich das nächste Trauerspiel. Im positiven Sinne natürlich.
Träume werden wahr: WARNING sind zurück.
Wenige Monate nach dem verzückenden 40 WATT SUN-Zweitling „Wider Than The Sky“ (warum genau haben wir dazu keine verdammte Review?) lässt Mr. Patrick Walker nämlich die Kultdoomer WARNING wiederauferstehen – und schenkt dem Roadburn-Publikum 60 Minuten bittersüße Melancholie. „Watching From A Distance“ lautet der einzige und meistgewünschte Programmpunkt – und so beschränkt sich der erste Auftritt seit der neuerlichen Auflösung 2009 auf die Gesamtperformance des 2006er Depri-Meilensteins. Zähflüssig, monoton, klagend – kaum jemand bringt die Schattenseiten der Romantik besser auf den Punkt als der mit einem goldenen Stimmchen gesegnete Walker. Und auch wenn der etwas weniger wuchtige, besser durcharrangierte Sound der Nachfolgertruppe noch ein bisschen mehr Raum für hoffnungsvolle Momente birgt – in Sachen Melo-Doom aus Großbritannien spielen WARNING ihre später noch auftretenden Landeskollegen MY DYING BRIDE heute mit Leichtigkeit an die Wand.
Nautik Doom im Green Room.
Die Verdammnis des Einen endet da, wo die eines Anderen beginnt. Ziemlich genau zwei Monate bevor WARNING 2006 ihren Schwanengesang in die Welt schickten, erfüllten sich drei süddeutsche Metalheads ihren langgehegten Traum vom eigenen Funeral-Doom-Album. Elf Jahre später stehen AHAB an der Spitze der deutschen Szene – und schippern an diesem Wochenende gen Tilburg, um den nautischen Kreis ein für alle Male zu schließen. „The Call Of The Wretched Sea“ in voller Länge – das gab’s so noch nie. Und wird es vielleicht auch nie wieder geben.
Dass das Material keinesweges eingerostet ist, sondern von AHAB im Laufe der Zeit nur noch perfektioniert wurde, zeigt das bis heute als Live-Opener geschätzte „Below The Sun“: Brühend heiß ist es im Green Room geworden, was zwar dem Songtitel gerecht wird, den einen oder anderen Anwesenden aber doch nach einem kleinen Tauchgang im Sinne des vielfach besungenen Moby Dicks lechzen lässt. Dank glasklarem, nicht bis ins Lächerliche übersteuertem Roadburn-Sound entpuppt sich die kuschelige Zeit im Green Room in der Folge aber doch als erschreckend genießbar.
Ein paar kleinere Probleme mit dem Backing-Track sind angesichts absoluter Monumentalwalzen wie des heimlichen AHAB-Hits „Old Thunder“ schnell vergessen. Danach werden die Minuten vor der Bühne jedoch zunehmend länger und ausmerzender. Gewiss kommt der Funeral Doom hiermit seiner wahren Bestimmung gleich, aber dennoch zeigen gerade die unbekannteren Stücke, warum AHAB von Album zu Album mehr Anhänger verzeichnen können: Weil sie dieser extremen Kunstform mit Alben wie „The Giant“ ihre ganz eigene, weitaus melodischere und fragilere Note aufgedrückt haben. Ein wahrgewordener Traum für Fans (Kollege Klug), ein durchschnittliches, aber ansprechendes Doom-Set für Neulinge (alle anderen Kollegen).
Der ULTHA-Hype hält an.
Im stickigen und engen Extase sind derweil ULTHA aufmarschiert. Kollege Kostudis verbringt zunächst eine Viertelstunde in der Schlange, bis er endlich in den hinteren Bereich der dicht zusammengepferchten Menge gelangt, die wie ein riesiger, schwitziger Klumpen Biomasse in die Location gepresst worden scheint. Wie zur Hölle sind nur alle diese Menschen hier reingekommen? Ein Durchkämpfen in die vorderen Reihen? Aussichtslos bis unmöglich. Und so sieht und hört der Kollege von der Band nicht viel – aber immerhin zwei schlecht auflösende Monitore an einem Deckenpfeiler übertragen das Treiben auf der Bühne. Das stimmungsvolle Black-Metal-Material der Kölner kann seine Wirkung so aber natürlich nicht entfalten. Der Kollege dreht entnervt ab …
… nur um im Vorbeilaufen Kollege Klug zu verpassen, der sich grazil wie eine junge, schlanke und unalkoholisierte Gazelle durch die Massen bewegt. Das allerdings auch sehr langsam. Fakt ist: Wenn du nach vorne willst, kommst du nach vorne – auch ohne alle Anwesenden in Arschloch-Manier umzurempeln. Und natürlich muss unser Quoten-Kölner seinen Faschingskollegen angesichts der jüngsten, an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbietenden Faschismusvorwürfen seitens Hamburger Lokalitäten am heutigen Tag ganz besonders beistehen. Tatsächlich entfaltet das USBM-inspirierte „Converging Sins“-Material hier im köchelnden Höllenschlund noch einmal eine andere, wenn auch nicht ganz so einnehmende Intensität. Trotzdem stoßen die halligen Schreie und das rasende Griffbrettgewitter des Dreifach-Frontgespanns hörbar auf mächtig viel Gegenliebe im Publikum. Hier verweilt endlich mal jeder Zuschauer bis zur letzten Noten andächtig auf seinem Plätzchen – wenngleich ihm angesichts akuter Überfüllung im vorderen Drittel (gewissenhafter Zuflusskontrolle der Veranstalter zum Trotz) wohl ohnehin keine andere Wahl bliebe. Sie-ges-zug! Sie-ges-zug!
MY DYING BRIDE sind der Zankapfel des Abends.
Kollege Kostudis – gestärkt durch eine Portion gebratene Nudeln und ein hopfenhaltiges Kaltgetränk – hat sich mittlerweile wieder vor der Mainstage eingefunden, wo die Briten MY DYING BRIDE versuchen, ihren Headlinerstatus zu rechtfertigen. Das gelingt der Truppe heute aber eben nicht, zumindest für den Kollegen Kostudis ist es eine der bislang blutleersten Darbietungen des Festivals. Leidenschaft? Irgendwie ja. Magie? Irgendwie nein. Natürlich feiern die meisten im Publikum ihre Helden bedingungslos ab, den Kollegen lässt das Ganze aber ziemlich kalt. Großer Name, nichts dahinter?
Lattemann kontert gekonnt: Natürlich ist keiner der sogenannten „Peaceville Three“ bekannt für mitreißende und überschwängliche Liveauftritte. Was PARADISE LOST selbst an guten Tagen zeitweise abgeliefert haben, würde jede Schülerband beschämen. Aber geht man mit den Augen eines Zeitzeugen der Veröffentlichung von „Turn Loose The Swans“ an den Auftritt heran, legt sich schnell der Schleier des Nostalgischen über den Auftritt. Und der verzeiht auch mal einen falschen Einsatz des Frontmanns Aaron Stainthorpe – wann hat man schon die Gelegenheit einen Klassiker des Doom in epischer Ausführung und in dieser Klangqualität zu erleben? Selten, eben. Also: Augen zu und durch. Im wahrsten Sinne des Wortes. Dennoch muss man leider feststellen, dass der vorhergegangene Auftritt der verwandten Doom-Legenden WARNING den stärkeren und sympathischeren Eindruck hinterlassen hat. Verbunden mit der Frage: Was hätte aus WARNING nicht alles werden können… Na ja. Dass das Roadburn damit ganz nebenbei mit MY DYING BRIDE seine Sammlung englischer Doom-Ikonen nach dem heutigen Tag nach den letztjährigen Auftritten von PARADISE LOST und ANATHEMA komplett gemacht hat, ist eine schöne Randnotiz.
Disco, Disco, Disco.
Das Gute am Tilburger Line-up ist aber eben auch, dass Enttäuschungen und (vermeintliche!) Durchhänger stets abgefedert werden können. Zum Beispiel durch das reichlich spacige Disco-Geballer der Franzosen CARPENTER BRUT, auf die sich insbesondere die Kollegen Lattemann und Kostudis schon tierisch gefreut haben. Den Weg vor die Bühne im kleinen Green Room zu finden, ist natürlich erneut eine Herausforderung, allerdings sind die Kollegen diesmal mehr als überpünktlich am Start und schaffen es, sich in die ersten Reihen vorzudrängeln. Und der Kampf sollte sich gelohnt haben, denn was das Trio um KLONE-Drummer Florent Mercadet in der anschließenden Stunde veranstaltet, hat allerhöchstes Unterhaltungspotenzial. Flippige 80er-Jahre-Synthies, akzentuierte Beats, der ein oder andere deftige Klampfenanschlag – fertig sind die Zutaten für eine schrille, ausgelassene Feierei. Die Menge honoriert das Gebotene mit frenetischem Applaus, Biergläser werden in die Höhe gereckt, Menschen in nahtlos bestickten Kutten tanzen ausgelassen wie wohl zuletzt vor 20 Jahren in der Dorfdisco um die Ecke. Es ist einer dieser Momente, die zeigen: Auf dem Roadburn ist eben irgendwie nichts unmöglich. Und das, finden die Kollegen, ist eine ausgesprochen feine Sache. We’re maniacs, maniacs on the floor.
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