Roadburn 2017
Magisch, doomy, familiär.
Konzertbericht
Ein Bericht von Alex Klug, Anton Kostudis und Sven Lattemann.
Alle Fotos von Alex Klug und Anton Kostudis.
Freitag, 21. April 2017
Nachdem sich die Kollegen aus den Zelten geschält haben, erwartet sie die erste Herausforderung des Tages: Die Einrichtung einer mobilen Redaktion. Diese entsteht schließlich an einem Starkstromverteiler zwischen zwei Wohncontainern und verdient ihren Namen am Ende nicht wirklich – zumal das Zeltplatz-WLAN äußerst instabil und niederländische Datenpakete ziemlich schnell aufgebraucht sind (Klug: „100 Megabyte sind nichts!“). Doch die Kollegen beißen die Zähne zusammen. Früher, als Chefpapa Maronde sich auf Festivals noch selbst die Finger schmutzig gemacht hat (also vor Klugs Geburt), gab es schließlich noch gar kein Internet. Also hauen die Kollegen mit windsteifen Fingern in die Tasten. Yolo!
Nach dem obligatorischen Fußmarsch zum Gelände findet sich der Trupp in einer trotz früher Stunde ausgewachsenen Schlange vor dem Patronaat ein. Dort spielen in einigen Minuten die Schweizer SCHAMMASCH auf – und irgendwie scheint sich herumgesprochen zu haben, dass die Truppe einen Abstecher wert sein könnte. Kollege Klug geht während der Warterei irgendwie verloren, Kostudis – hin- und hergerissen zwischen Kollegialität und Eigensinn – entert schließlich die Venue in der Hoffnung, dass sich sein Kompagnon schon wieder einfinden wird. Und tatsächlich: Etwa eine Viertelstunde schwarzmetallisch eingefärbter Krach ist vorbei, da taucht auch Kollege Klug wieder auf. Nun also im Duo verfolgen die Kollegen das Treiben auf der Bühne, welches Kostudis als „vier Klassen besser als BATUSHKA“ und Klug gönnerhaft als „ganz o.k.“ bewertet. Geboten wird fiese, angeproggt-treibende Kost, die aufgrund der eher mäßigen Abmischung nicht vollends zündet, aber zumindest als durchweg solider Start in den Festival-Freitag taugt.
Vorsicht Metaller: Spezielle Prog-Kost auf der Mainstage.
Es folgt ein Abstecher zu den Prog-Ikonen MAGMA auf der Mainstage, der allerdings mehr Fragen als Antworten zurücklässt. Nachdem OPETH-Chef Mikael Åkerfeldt die Truppe bereits drei Jahre zuvor in seiner Rolle als Kurator verpflichtete, bietet der heutige Gig wieder ein im Vergleich zum restlichen Billing doch starkes Kontrastprogramm: Unzählige Musiker stehen auf der Bühne, die eine Hälfte widmet sich den bandeigenen „kobaïanischen“ Sprechgesangsmantras, die andere ergeht sich in recht spannungslosem Gedudel. Ob und warum die Franzosen, die immerhin als Wegbereiter des Zeuhl-Subgenres gelten, Kultstatus haben, bleibt unklar – oder kann zumindest am heutigen Tag von der Band nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. Immerhin gibt der Bandkopf Christian Vander hinter dem Drumkit alles, und das zu guter Hälfte gefüllte 013 honoriert die Darbietung mit freundlichem Applaus.
Im Anschluss gehen die Kollegen ihrem neu gewonnenen Hobby nach: Anstehen vor dem Patronaat. In ebenjenem stehen als nächster Programmpunkt die Isländer ZHRINE auf dem Plan, welche sich bei der Vorrecherche als Truppe mit Highlight-Potenzial herauskristallisierte. Nach einigem Gedrängel und Gewarte sichern sich die Kollegen einen guten Platz in der Nähe des Mischpults, die Isländer legen alsbald auch ziemlich fies los und ballern ihre melodisch-nachdenklich gefärbten Black-/Post-Metal-Arien in die Menge. Der Sound ist erneut nicht wirklich zufriedenstellend, aber die Musiker gehen ungeachtet dessen mit vollem Einsatz an E-Upright-Bass, Drums und mit SIGUR RÓS-Geigenbogen gespielter Gitarre zu Werke – und können so große Teile des Publikums begeistern. Trotz mäßigem Patronaat-Klang eine angenehme Abwechslung zur schwarzmetallischen Dauerraserei.
OATHBREAKER als klares Tageshighlight.
Dennoch erlaubt sich die Reisegruppe keine Trödelei und huscht schnell vor die Mainstage. Dort sind OATHBREAKER zugange – und wie. Kollege Kostudis ist sofort hin und weg von der Darbietung, schwelgt und schwärmt, und ist völlig gefangen im vertonten Trübsal, welches die zu Teilen mit AMENRA-Personal agierenden Belgier in die Menge wuchten. Schwere, Epik, Leiden – OATHBREAKER gelingt eine ganz und gar magische Performance. Und wie die meisten im Heer der kopfnickenden Zuhörer will Kostudis nicht akzeptieren, dass es das nach einer Stunde geschwärztem Hardcore mit femininem Klagegesang schon gewesen sein soll. So ist es dann aber – und der Kollege freut sich kurz darauf über eine wegweisende Erweiterung seiner Plattensammlung. Das aktuelle „Rheia“ spielen die Belgier übrigens fast am Stück. Wahnsinnig gut.
Gern gesehener Gast in der Metalszene: CHELSEA WOLFE.
Dauergast Lattemann fragt sich derweil: Ist der jüngste Auftritt von CHELSEA WOLFE auf dem Roadburn wirklich schon fünf Jahre her? Kaum zu glauben, passt doch Frau Wolfe mit ihrer Mischung aus Gothic Rock, Post-Punk und Avantgarde zu diesem Festival wie kaum ein anderer Künstler. Wie auch immer: Es ist schon erstaunlich, welchen steilen Aufstieg die Kalifornierin seit ihrem Konzert 2012 hingelegt hat – beinahe bis an die Grenzen der Mainstream-Popularität. Wer bereits einen ihrer Live-Auftritte erleben durfte, stimmt sicherlich zu: Die Band spielt sich in einen postapokalyptischen, hämmernden Rausch, getragen von einer unverwechselbar charismatischen Stimme. Und auch das Roadburn 2017 wird zu einem wahren Triumphzug: Vor voller Halle liefert CHELSEA WOLFE einen der stärksten und stimmungsvollsten Auftritte des Festivals.
Zeit für Kontrastprogramm: Angekündigt sind ZU als Jazzcore-Ensemble, tatsächlich findet das italienische Avantgarde-Trio aber tatsächlich seinen Platz inmitten der doomigen Roadburn-Abgründe. Während sich 50 Prozent des Line-ups damit begnügen, sich gegenseitig im Herunterstimmen ihrer Gitarren zu überbieten, präsentieren ZU mit Drums, Baritonsaxophon und bis zum Anschlag verzerrtem Bass einen grundlegend anderen Ansatz an druckvollen Sludge- und Metalsound. Mit beeindruckendem Händchen für Fuzz-Momente, atmosphärische Interludien und Mathcore-lastige Breaks erschüttern die Italiener den Green Room in seinen Grundfesten. Und da ist die gar nicht mal so metaphorische Phrase endlich einmal angemessen, denn zum Ende des Sets schlottern Kollege Klug nicht nur ordentlich die Knie, sondern er spürt auch, wie der dauerhaft vibrierende Fußboden langsam aber sicher unter ihm zu aufzusplittern droht. Ein beängstigend druckvoller Auftritt, der Genre-Konkurrenten wie TRIOSCAPES ganz schön blass aussehen lässt.
AMENRA dürfen gleich noch mal ran.
Wohl unter dem Motto „Never change a winning team“ stand die Verpflichtung von AMENRA. Die Belgier, die dem Festival bereits im Vorjahr mit zwei denkwürdigen Konzerten ihren Stempel aufdrückten, sind auch diesmal wieder mit von der Partie. Und es ist immer wieder ein Phänomen zu sehen, wie der freundliche und so fannahe Colin H. van Eeckhout zuerst stundenlang lachend und scherzend sein Merch verkauft, um dann auf der Bühne zum feuerspuckenden Derwisch zu mutieren. Die Setlist ist zu weiten Teilen dieselbe wie im Vorjahr, und nachdem sich der Auftakt für das Empfinden des Kollegen Kostudis noch nicht ganz so bitterböse wie 2016 darstellt, entfachen die Belgier alsbald dann doch ihre bekannte, nihilistische Magie. Kollektiver Dank geht an BARONESS-Kurator und AMENRA-Fanboy John Baizley, der sich zu „Nowena | 9.10“ gemeinsam mit NEUROSIS-Fronter Scott Kelly zu den Publikumslieblingen auf die Bühne gesellt. Hach ja, das nennt man dann wohl einen klassischen Roadburn-Moment.
Und auch Mr. Baizley weiß: Roadburn, das bedeutet Geben und Nehmen. Gegeben wurde seiner damals gerade einmal sechs Jahre existierenden Truppe 2009 beispielsweise ein Festivalslot auf der Roadburn-Hauptbühne. Acht Jahre später die Revanche: 2017 übernimmt John Dyer Baizley den Headliner-Slot, das Grafikdesign und obendrein noch den freitäglichen Kuratorenjob. CHELSEA WOLFE, OATHBREAKER, AMENRA, WEAR YOUR WOUNDS – bittedankeschön.
BARONESS sagen Danke.
Glücklicher und dankbarer könnte der 2012 infolge eines Busunfalls nur knapp dem Tod entronnene Baizley hier und heute kaum strahlen, als er um 22:20 Uhr der dicht gefüllten 013 Venue entgegenblickt. BARONESS starten das Set mit „Tower Falls“ von der 2004er Debüt-EP, bevor sie sich in den folgenden anderthalb Stunden insbesondere durch die Tracklists ihrer gefeierten „Purple“ und „Yellow & Green„-Alben wühlen. Twin-Guitar-Salven und dreckiger Röhrengesang dominieren den Sound, der zwar erdig, aber heute leider auch etwas hölzern erschallt. „Das ist halt Rock’n’Roll“, sagt Lattemann. Unrecht hat er nicht, aber Klug und Kostudis scheinen nicht die einzigen Anwesenden zu sein, die die Müdigkeit heute früher denn je dahinrafft. Zwar taut das zunächst stocksteife Publikum in den vorderen Reihen angesichts Baizleys authentisch freudiger Poserei langsam auf, spätestens nach dem hymnischen „March To The Sea“ leert sich der Saal aber in erschreckendem Tempo. Im Nebensaal rennen sie dem unorthodoxen Blues-Black-Metal-Projekt ZEAL & ARDOR die Türen ein, BARONESS hingegen haben Mühe, ihr Publikum auf Dauer bei der Stange zu halten. Ein übermotivierter Auftritt, bei dem der Funke heute einfach nicht überspringen will. Passiert.
Ein bisschen tanzen.
Ein weitaus größeres Experiment wagen die Roadburn-Veranstalter mit dem Auftritt von PERTURBATOR. Schließlich mag der hämmernde Elektro-Cyber-Synthwave des Franzosen James Kent so gar nicht in die Stoner-Doom-Psychedelic-Atmosphäre des Festivals passen. Auf der anderen Seite: Der Auftritt im Patronaat beweist, wie stilistisch offen und experimentierfreudig die Macher sind. Und das veranstalterische Risiko ist durchaus gut kalkulierbar: So brachte PERTURBATOR die Fangemeinde bereits auf dem Hellfest und auf gut besuchten Club-Tourneen zum Ausflippen. Und wer sich den vorherigen Auftritt der genre-sprengenden ZEAL & ARDOR (die zwischenzeitlich mit Stromausfällen zu kämpfen hatten) gegeben hat, den kann ein bisschen Dark Electro sicher auch nicht abschrecken.
Der überraschend harte Bass macht den fast eineinhalbstündigen Gig von PERTURBATOR dann eher zu eine 90er-Dance-Party. Stakkatolicht, hämmernde Beats und ein extatisch tanzender Mob sind das Ergebnis. So mancher Kuttenträger stößt bei Titeln wie „Disco Inferno“ an seine körperlichen Grenzen und kommt richtig ins Schwitzen. Vielleicht sollte Herr Kent noch eine Cover-Version von SNAPs „Rhythm Is A Dancer“ in sein Set aufnehmen.
Interessante Alben finden
Auf der Suche nach neuer Mucke? Durchsuche unser Review-Archiv mit aktuell 37235 Reviews und lass Dich inspirieren!
Crippled Black Phoenix, Wolves In The Throne Room, Deafheaven, Batushka, Schammasch, Chelsea Wolfe, Amenra, Baroness, Perturbator, Oranssi Pazuzu, Ahab, Ultha, Carpenter Brut und Pallbearer auf Tour
23.11.24 | Baphofest - Winternights (Festival)Batushka, Endstille, Desaster, Nornír, Malphas, Boötes Void und HrastPosthalle Würzburg, Ochsenfurt |
04.12.24 | Sólstafir - Nordic Descent Tour 2024Sólstafir, Oranssi Pazuzu, Hamferð und HelgaZ7, Pratteln |
05.12.24 | Sólstafir - Nordic Descent Tour 2024Sólstafir, Oranssi Pazuzu, Hamferð und HelgaTechnikum, München, München |
Alle Konzerte von Crippled Black Phoenix, Wolves In The Throne Room, Deafheaven, Batushka, Schammasch, Chelsea Wolfe, Amenra, Baroness, Perturbator, Oranssi Pazuzu, Ahab, Ultha, Carpenter Brut und Pallbearer anzeigen » |
Kommentare
Sag Deine Meinung!