Rinderwahnsinn
live im Zoom in Frankfurt a.M.
Konzertbericht
Kurz auferstanden von den Toten – ein letztes Mal „Kuh-Kern“ live in Frankfurt
RINDERWAHNSINN in Frankfurt! Doch nicht der BSE-Erreger grassierte am 28. März in der Mainmetropole, sondern die längst totgeglaubte Band aus Dietzenbach: für ein kurzes und – soviel sei vorab verraten – überaus gelungenes Live-Revival im „Zoom“!
Rückblende: Von 1993 bis 2001 packte das Quartett zahlreiche Songs auf insgesamt vier Alben, die damals wie heute in keine Schublade pass(t)en: ihr eigenwilliger „Kuh Kern“-Sound war nicht nur ein schwer verdaulicher Bastard aus vertrackten Hardcore- und Metal-Elementen, garniert mit poetisch-verstörenden deutschen Texten weitab des Üblichen, sondern zudem schwer polarisierend: Man liebte ihn oder konnte rein gar nichts damit anfangen, was auch auf die Musikjournaille zutraf. Unbestritten waren hingegen ihre Live-Qualitäten: Trotz reichlich Pech mit der Auswahl ihrer Plattenfirmen, die sie kaum unterstützten oder insolvent gingen, erspielten sich die Rinderwahnsinnigen dennoch eine große treue Fanbasis mit ihren energiegeladenen, sehr intensiven und häufig gar spektakulären Konzerten. Daran änderte sich auch nichts durch den Wechsel von Drummer Christian Gruhlke (der seine Felle stets splitternackt betrommelte) zu Tim Stüben. Schließlich kam es 2001 zur Auflösung – Gitarrist Aren Emirze und Bassist Chris Aidonopoulos legten fortan den Fokus auf ihre Band HARMFUL. „Wir hatten alles gesagt, was wir konnten und wollten“ begründet Chris den damaligen Schnitt.
Nun also stehe ich also am 28. März im Frankfurter „Zoom“, dem vorletzten Gig einer kleinen Reunion-Tour, und freue mich wie Bolle auf das Konzert. „Aus einer Schnapsidee heraus“ sei die Idee dazu entstanden, wie Chris vorab erklärt. Ein längerfristiges Wiederaufleben sei aber nicht zu erwarten: „Wir haben unsere besten Hits schon geschrieben und die spielen wir jetzt nochmal live. Es soll knallen wie noch nie! Danach werden wir alle wieder unserer Wege gehen“.
Das „Zoom“ ist an diesem Samstagabend proppenvoll, und auf der Bühne stehen zwei Schlagzeugkits nebeneinander – beide ehemaligen Drummer werden gleich exakt parallel die Felle betrommeln und damit immensen Druck erzeugen. Die Zeitreise beginnt mit dem Stück „Chirurgische Eingriffe“, gefolgt von „Zeit“, „Das Rind“, „Warum ich“, „Rosendornen“, „Ich kann nicht schlafen“ und „Kühlschrank“: ein kleiner Querschnitt aus allen Alben, zu dem sich Band und Publikum erstmal auf Betriebstemperatur bringen und sich gegenseitig hochpushen. Beim dann folgenden Song „Auf dem Land (bringt man Dich um“ brechen aber schließlich alle Dämme, und ein Orkan bricht los – vor der Bühne ein tobendes Menschenknäuel, und das wird den kompletten Gig hindurch so bleiben!
Die Schlagzeuger Christian Gruhlke (genauso spärlich bekleidet wie in alten Zeiten) und sein Nachfolger Tim Stüben beackern ihre Schießbuden mit vielschichtigen, komplexen Rhythmen, die von Chris Aidonopoulos‘ pulsierenden Basslinien veredelt werden, und zwar mit vollem Körpereinsatz. Den liefert auch Aren Emirze, der sich zu seinen schneidenden, messerscharfen Gitarrenriffs im Stile alter PRONG und HELMET stakkatohaft den Wolf bangt und Grimassen schneidet. Im Mittelpunkt des Getümmels agiert der charismatische Sänger Frank Simon, sich völlig verausgabend und stets changierend zwischen mittelalterlichem Geschichtenerzähler und psychotischem Derwisch; bisweilen murmelt er seine sperrige Lyrik finster, bedrohlich und mit stechendem Blick vor sich hin, um sie im nächsten Moment urgewaltig herauszuschreien. Das Ganze wirkt so intensiv und wie aus einem Guss, als sei die Band nie weggewesen von der Bildfläche. Es lodert also noch, dieses Feuer, das RINDERWAHNSINN einst zu einem besonderen Live-Erlebnis machte, und der Funke springt über und zündet mächtig.
Besonders turbulent wird die Stimmung bei den Songs der ersten zwei Alben „B.R.E.T.T“ und „Vorhof zur Hölle“, die auch den Schwerpunkt der Setlist bilden: Klassiker wie „Benzin“, „Notmaßnahmen am Unfallort“, „Lebendig begraben“, „Treib den Keil“ oder „Hexenjagd“ werden gnadenlos abgefeiert; ebenso wie die beiden IDEAL-Cover „Herrscher“, das sich recht nah, wenn auch um ein Vielfaches härter am NDW-Original orientiert, und „Telepathie“ mit seinem eigenwillig umgemodelten Soundkorsett. Mit „Aufdassesbesserwird“ ertönt der vorläufige Schlussakkord, aber die Band wird zur Zugabe auf die Bühne zurückgebrüllt und liefert noch einen Nachschlag in Form von „Auseinandergehen“, „Klangritual“ und „Ich spuck Blut“. Zu diesem letzten von insgesamt 25 Songs, ebenfalls ein Klassiker aus der „B.R.E.T.T“-Ära, werden nochmal die letzten Energiereserven mobilisiert, zig Kehlen intonieren lautstark den Refrain, und Stagediver werfen sich von der Bühne in den Moshpit.
Das war es dann also endgültig mit Rinderwahnsinn – Stand jetzt. Aber die Zeitreise in die Vergangenheit hat klargemacht, dass sie noch immer eine besondere Band sind, die ein Publikum so leidenschaftlich und dramatisch wegrockt wie es nicht viele können. Mit zahlreichen außergewöhnlichen Song-B.r.e.t.t.e.r.n im Gepäck. Mich und wohl auch alle anderen im „Zoom“ haben sie jedenfalls nach all den Jahren wieder schwer infiziert. Und wer weiß, vielleicht folgt ja doch irgendwann ein neuerliches Comeback? Aus einer Schnapsidee heraus?
Text + Fotos: Heiko Weigelt
Interessante Alben finden
Auf der Suche nach neuer Mucke? Durchsuche unser Review-Archiv mit aktuell 37299 Reviews und lass Dich inspirieren!
Kommentare
Sag Deine Meinung!