Prophecy Fest 2019
Begraben unter Liedern
Konzertbericht
ZWISCHENSPIEL II
Wer das Sauerland von seiner romantischen Seite kennenlernen möchte, sollte zu Fuß von seiner Unterkunft in Eisborn zur Balver Höhle wandern. Gleitschirmflieger segeln lautlos am blauen Himmel und zufriedenes Vieh grast auf sattgrünen Weiden. Eine Abkürzung durch einen weglosen Buchenwald wird zum Abenteuer, ist aber bei weitem nicht so gefährlich wie der Marsch entlang der vielbefahrenen Landstraße. Dann, endlich, kommt wieder die Höhle in Sicht, wo nicht rasende Blechkisten den Puls erhöhen, sondern mitreißende Musik. (MT)
LASTER
Die Niederländer LASTER bildeten den Opener am zweiten Tag des Prophecy Fest. Das bedeutete für alle Gäste im doppelten Sinne: Erstmal wieder reinkommen.
Zum Start empfing uns im Sauerländer Felsenmaul also das avantgardistisches Trio aus Utrecht, das seinen experimentellen Black Metal erst in diesem Jahr auf dem neuen Album “Het Wassen Oog” (“Das wächserne Auge”) verewigt hat. Dabei sind sie viel im Mid-Tempo-Bereich unterwegs und spicken ihre Lieder mit schönen Grooves. Die Riffs von LASTER sind jedoch deutlich vertrackter, als der Sound zunächst erwarten lässt. Ihnen gelingt ein moderner Mix verschiedener Stilmittel aus unterschiedlichen Genres. Das mag sperrig erscheinen und als erster Act des Tages etwas ambitioniert sein, doch LASTER fängt die Hörer*innen stets wieder ein durch gelungene Übergänge in eingängige Parts. Mit viel Spaß präsentierte instrumentale Passagen nehmen große Teile der Lieder ein, passend zur Selbstbeschreibung “Obscure Dance Music”. Alle etwaige Vorbehalte gegenüber maskierten Bands waren schnell vergessen: Die Jungs wissen was sie tun.
Sind die Vocals gefragt, so gibt es viele verschiedene Varianten, auch bewusst komische. Beide Vokalisten spielten sich in originellen Wechseln den Ball zu. Auch cleaner Gesang in verschiedenen Ausprägungen ist zu hören und bildet zusammen mit weichen Keyboard-Pads einen sinnvollen Gegenpol. Es mag an den trostlosen Motiven der auf die Leinwand geworfenen expressionistischen Bilder liegen, doch LASTER wecken sehr greifbare, eigenartige Assoziationen. Die Musik erscheint beim Hören plötzlich wie ein Soundtrack zu Verzweiflung, Wahnsinn und Gewalt in einem vergessenen und längst aufgegebenen Mehrfamilienhaus irgendwo vor den Grenzen der Stadt, wo fernab jeder gesellschaftlichen Aufsicht dem Irrsinn freien Lauf gelassen wird. Ziemlich abgefuckt, aber stets interessant.
LASTER erheben ihre Schrägheit als wirkungsvolles Stilmittel und präsentieren sich dabei immer auch ein wenig spöttisch. Die Musiker haben sichtlich Spaß und beim Blick in das wippende, hüpfende, nickende und tanzende Publikum sind sie damit nicht allein. Obskure Tanzmusik eben. (MoG)
TCHORNOBOG
Im Vergleich zu LASTER wird es nun deutlich leerer. Kein Wunder, denn TCHORNOBOG aus den Staaten sind nicht nur etwas unbekannter, sondern auch wahrscheinlich die brachialste Band des Festivals. Gitarrist und Sänger Markov Soroka hat sich die Augen verbunden, ebenso wie Bassistin Gina Eygenhuysen. Während der Frontmann dennoch wie ein Derwisch über die Bühne hampelt, bleibt die Frau am Tieftöner etwas starr und zeigt trotz der fünf Saiten eine eher – sagen wir mal – reduzierte Spielweise. Auch wenn dieses Augenbinden-Gimmick dadurch etwas unnötig scheint, sitzt jeder Ton im rabiaten Black-Death-Metal-Mix. Passend zum Festival glänzt die Band durch stampfende, atmosphärische Nummern, lässt aber auch erkennen, welche Abrissbirne in ihnen schlummert. Für andere Spielorte vermutlich zu sperrig, lassen TCHORNOBOG die Balver Höhle ein Stück näher an den infernalischen Abgrund rücken, sind aber auch für einen guten Teil des Prophecy-Publikums in ihrem blinden Wahn zu eintönig.
FEN
Da die Briten von FEN überaus produktiv sind und eine stattliche Diskographie vorzuweisen haben, kann die Band bei ihrem Live-Set natürlich aus dem Vollen schöpfen. Folkloristisch angehauchter Post-Black-Metal erklingt, der aber die nötige Härte mit sich bringt, um die Balver Höhle in die Finsternis zu stürzen. Bassist und Gitarrist keifen abwechselnd ins Mikro, lassen aber auch ihre klaren Stimmen ertönen. Der Wechsel aus nordischem Geschrammel und atmosphärischen Parts gelingt dem Trio so gut, dass die Musik trotz aller Gegensätze flüssig und authentisch aus den Boxen strömt. Das Publikum nimmt es dankbar an und spendet reichlich Applaus, wenngleich sich die Reihen in der Höhle weiter lichten.
YEAR OF THE COBRA
Eine Bassistin am Mikro, ein Schlagzeug, mehr braucht es manchmal gar nicht. YEAR OF THE COBRA aus dem us-amerikanischen Nordwesten zeigen von Beginn an, dass es auch zu zweit geht. Unfassbar druckvoller Stoner Doom knarzt durch die Höhle, geleitet vom melodischen Gesang der Frontfrau Amy Tung Barrysmith. Beachtlich auch der Einsatz von Schlagzeuger Johanes Barrysmith, der mit waghalsig gespielten Rhythmen zum verhältnismäßig dichten Klangbild beiträgt. Trotz aller Konzentration, die einem ein solch intensiver Auftritt abverlangt, bleibt das Duo souverän und vor allem sympathisch. Schade, dass ein guter Teil des Publikums den Auftritt dieser eher unbekannten Band nutzt, um vor der Balver Höhle frische Luft zu schnappen.
VEMOD
In der Höhle wird es nun wieder voll, denn eine Band, die nicht so häufig auf der Bühne zu sehen ist, gibt sich die Ehre. Bei der Songauswahl haben es VEMOD aus Norwegen einfach. Seit ihrem vielversprechenden Debüt „Venter på stormene“ vor sieben Jahren ist kein weiteres Werk nachgerückt. Der nordische Black Metal, dessen Vorbild ganz klar das Frühwerk von ULVER ist, weht klagend durch die Höhle. Offen, entspannend, majestätisch – aber doch lupenreines Schwarzmetall ohne jegliche Post-Rock-Elemente oder andere Spielereien. Leider ist der Sound etwas dünn, sodass es die auf die Bühne projizierten Sterne und Nordlichter braucht, um das Publikum völlig in den Bann zu schlagen. Dennoch gelingt VEMOD ein großartiger Auftritt, der hoffen lässt, dass sich diese Band in Zukunft nicht mehr so rar macht. (MT)
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