Prophecy Fest 2017
Der Weg nach Innen
Konzertbericht
Tag 2 – Kein Kaltstart: von Spannungsbögen und psychedelischen Erlebnissen
Den Samstag eröffnen die US-Amerikaner LOTUS THIEF. Die Post-Rocker mit Ambient-Anleihen und ganz kurzen Ausflügen in Richtung Black Metal haben für den Auftritt ihr Personal aufgestockt. Nunmehr kümmert sich Kore um das Schlagzeug, während Iva Toric das Keyboard bedient und Backing Vocals beisteuert. Damit Multi-Instrumentalistin und Sängerin Bezaelith sich auf Bass und Gesang konzentrieren kann, wird sie von zwei Herren, die mittlerweile auch Teil der Band sind, an den Sechssaitern unterstützt..
Auf der Leinwand läuft zur visuellen Untermalung ein etwas kruder Mix aus einer Stummfilm-Version von Dantes Inferno, Atombombentests, eskalierenden Demonstrationen und weiteren Filmschnipseln. Die Musik ist zum Glück nicht ganz so durcheinander, auch wenn LOTUS THIEF ganz bewusst auf Genre-Grenzen pfeifen. Die Band aus San Francisco wirft mit groovigen Space Rock-Riffs um sich, baut an einigen Stellen stakkatohaftes Geknüppel ein und bricht ihre Songs durch ruhige Keyboard-Parts auf. Auch lyrisch werden verschiedenste mythologische Themen gemischt. Während wir Zuschauer in der Mitte des Sets zum Beispiel noch auf das alte ägyptische „Book of the Dead“ eingestimmt werden, verabschiedet die Band uns, passend zum Spielort, mit den germanischen „Idisi“.
Zwar wirkt diese ganze visuelle, musikalische und inhaltliche Mischerei stellenweise etwas zusammengewürfelt, aber unterm Strich schafft es die Band mit einem souveränen Auftritt, die müden Glieder zu wecken und auf den zweiten Festivaltag einzustimmen. (MT)
Das ungarische Duo THE MOON AND THE NIGHTSPIRIT, das seit über 14 Jahren existiert und von weiteren Live-Musikern unterstützt wurde, verquickte versiert moderne Song-Strukturen mit folkigen Figuren und eingängigen Rhythmen. Im Zentrum der meisten Arrangements steht Agnes Toths zauberhafter Gesang: mal kraftvoll, mal zerbrechlich vorgetragen, rätselhaft, doch immer wieder nahbar, vereinzelt mit sanften Erinnerungen an DEAD CAN DANCE. Dabei unterstützten die akustischen Instrumente samt Geige sowie der männliche Gesang von Mihaly Szabo die charismatische Sängerin und bereicherten den vielschichtigen Sound um weitere Facetten. Arabesque Melodien unterstrichen die mystisch-magische Stimmung, mit der THE MOON AND THE NIGHTSPIRIT ihr Publikum umarmten. Die Location übrigens erledigte bei diesem Unterfangen den Rest: Bis zu diesem Zeitpunkt konnte sich keine Combo so gelungen in den einzigartig vereinnahmenden Raum des natürlichen Gewölbes einfügen wie die Pagan-Folker. Dank viel Spielfreude und Herzlichkeit wurde der Auftritt zu einem märchenhaften Erlebnis.
Diejenigen Besucher, denen die italienische „Suicide Pop“-Gruppe kein Begriff ist, sollten beim grellen Scherenschnitt von Prophecys Art Director Irrwisch neugierig geworden sein: Ein lachender Widder, im Hintergrund der stilisierte Pilz einer massiven Explosion, dabei kräftige Farben wie auf einem sowjetische Plakat. Damit stach SPIRITUAL FRONT bereits vor dem ersten Akkord aus der Riege der Bands hervor.
Die Inszenierung auf der Bühne indes verzichtete auf derart kraftvolle Farben: Drei Musiker in Schwarz, dazu im Hintergrund der schwarz-weiße Klassiker „Mamma Roma“ von Skandalregisseur Pier Paolo Pasolini. Im Fokus der Show in Balve stand das vor elf Jahren veröffentlichte stilprägende Scheibe „Armageddon Gigolo“, die in Kürze bei Prophecy sein Re-Release feiert.
Düstere, dreckige und polarisierende Themen stehen dabei in einem gewissen Kontrast zur eingängigen und oft poppigen Musik. Geprägt vom charismatischen und humorvollen Simone Salvatore verpacken SPIRITUAL FRONT ihre Texte über Sex, Hingabe und Gender-Klischees in ein melodisches, schmissiges Gewand. Oft provokativ, stets mit einem Augenzwinkern.
An einigen Stellen fehlte dem Sound der Musik allerdings etwas der Druck und teilweise hatte ich zudem den Eindruck, die Band freute sich nicht auf alle Lieder gleichermaßen. Beim wahrscheinlich poppigsten Act des gesamten Lineups war es dem Publikum zwar anzumerken, dass SPIRITUAL FRONT nicht den Geschmack aller Gäste traf, doch nicht zuletzt wegen des sympathischen Auftritts von Salvatore und der unwiderstehlich tanzbaren Grooves zogen die Südeuropäer im Verlaufe des Konzerts auch einige Skeptiker in ihren Bann. Mit dem neuen „Children Of The Black Light“, bei dem alle drei Musiker an den Drums zugange waren, leistete man sich zudem einen äußerst stimmungsvollen Ausflug tief in Military-Pop-Gefilde und wurde dabei lautstark vom Publikum unterstützt. Fazit: Ein launiges Konzert mit gelungener Setlist, dessen Unterhaltungswert stetig anstieg. (MoG)
Obwohl nur zwei Personen im kühlen Schatten der Balver Höhle die Bühne betreten, füllen sie die Luft mit melancholischer Schwere, wie kaum eine andere Band an diesem Wochenende. Sängerin Êlea und Gitarrist ndris erschaffen mit wenigen Mitteln eine dichte Atmosphäre in der bittersüße Schwermut gedeiht. Kein Wunder, dass die Musik so düster ist, denn NOÊTA aus Skandinavien widmen sich den ganz großen existenziellen Fragen nach dem Sinn des Seins, dem Leben und Sterben sowie der Angst, niemals die Frage nach dem großen „Warum“ beantwortet zu bekommen.
Partystimmung kommt also nicht auf, aber die wird auch nicht vermisst. Beinahe schon andächtig verfolgen die Zuschauer den Auftritt des Duos und wippen höchstens andächtig und verträumt mit dem Kopf. Aber gerade durch diese ernsthafte Ruhe bleiben NOÊTA trotz der kurzen Spielzeit im Gedächtnis hängen und verfolgen einen mit einprägsamen Songs wie „Hades“ durch die nächsten Tage. (MT)
Als Preview auf die 2018er Akustik-Tour präsentieren DORNENREICH sich in Balve von ihrer ruhigen Seite. Ehrlicherweise hatte ich für das Prophecy-Fest auf eine Show als Metalband gehofft, insbesondere im Kontext des bisher relativ akustiklastigen Tages. Auf der anderen Seite fügten sich die Österreicher somit perfekt in den ansteigenden Spannungsbogen des Tages ein. Nur zu zweit (und etwas verloren auf der riesigen Bühne) schaffen es Eviga und Inve durch filigrane Arbeit an der Gitarre und Violine, reduziert auf sehr partiellen Gesang, eine tiefgreifende Atmosphäre zu erschaffen. DORNENREICH sind mittlerweile eine Institution und haben ihre ganz eigene Nische erschaffen. Die Setlist als Querschnitt durch sehr alte, alte und neuere Stücke repräsentierte dies perfekt. Das Highlight ist die Hesse-Vertonung „Ich bin ein Stern“, ein Bonustitel von „Durch den Traum“. Dieses Stück hatte ich überhaupt nicht mehr auf der Agenda!
Ich bin ein Stern,
ich bin ein Stern am Firmament,
der die Welt betrachtet, die Welt verachtet
und in der eignen Glut verbrennt.
(SvW)
THE VISION BLEAK gehören ja mehr oder weniger zum Prophecy-Inventar, weswegen es nicht verwundert, dass die Band auf diesem Festival auftritt. Die Auftritt ist natürlich dennoch erwähnenswert, alleine wegen der zahlreichen Gastmusiker. Konstanz und Schwadorf lassen sich dieses Mal nicht nur an den Saiteninstrumenten und am Schlagzeug unterstützen, sondern haben auch noch zwei Cellisten, einen Trommler, sowie einen Sänger und eine Sängerin verpflichtet, die mit ihnen die Bühne betreten.
Auf der Setlist gibt es allerdings keine Überraschungen. Alte Klassiker wie „Deathship Symphony“ und „Carpathia“ reihen sich an neue Hits wie „Into The Unknown“ und erfreuen vor allem jene Fans, die in erster Linie wegen dieser Band anwesend sind. Sichtbaren Spaß haben auch die von der guten Stimmung sichtlich angespornten Musiker, die einen durchaus souveränen Auftritt abliefern. Dieser ist dann aber auch sehr schnell und plötzlich vorbei, als die Band sich nach einer knappen Stunde mit „By Our Brotherhood With Set“ in den Feierabend verabschiedet. Ich habe keine Ahnung, ob dies so geplant war oder an der zu diesem Moment bereits sehr großen Verzögerung im allgemeinen Ablauf lag. Angesichts des großen Aufwandes, der für die Einbindung der vielen Musiker betrieben werden musste, ist die kurze Spielzeit jedenfalls zu bedauern. (MT)
HEXVESSEL sind ein Phänomen. Die Finnen stehen irgendwo zwischen Wacken und Woodstock und rocken live mit sanften Tönen. Wie gut das funktioniert?! „Teeth Of The Mountain“ vom aktuellen Album „When We Are Dead“ sollte Beweis genug sein. Was hat Frontmann Mat McNerney für eine fantastische Stimme! Einige Zuschauer nutzen die Gelegenheit der angenehmen Hippie-Atmosphäre sogleich und verliehen dem psychedelischen Aspekt der Musik durch diverse legale und halb-legale Rauschmittel weiteren Nachdruck. Ekstase in Slow-Motion, frei nach Rousseau – „Zurück zur Natur“, der Weg ins Innere, …sucht euch etwas aus.
Die große Varianz der Finnen drückt sich in reinen Akustik-Passagen und rockigeren Stücken aus. Gerade diese Vielseitigkeit, welche nicht auf die Leichtigkeit verzichtet, macht die Band interessant und einzigartig zugleich.
Und dann – DOOL! Nach dem Sammelsurium aus Folk, Akustik und Orchester traf die Wucht der Niederländer mit vollem Anlauf. Spielfreudig, bis auf die Haarspitze perfekt eingespielt, tight wie die Hölle und begleitet von exklusiven Gastmusikern, u.a. auch der Schwester von Ryanne van Dorst an den Backing-Vocals, beendeten DOOL ihre “Summer Of The She-Goat”-Tour mit einem Feuerwerk.
Bewaffnet mit ihrem Debüt-Album „Here Now There Then“ und einem neuen Stück namens „The Wells Run Dry“ machen die Niederländer keine Gefangenen und holten nochmal das Letzte aus dem Balver Publikum und auch sich selbst heraus. Von der angeblichen Müdigkeit am Ende der Tour, von der uns Ryanne vor dem Gig berichtet,war jedenfalls auf der Bühne nichts zu bemerken. Im Gegenteil! Wie drückte es Bela B. neulich noch aus: „Deep, dark & BRACHIAL!“
Das gesamte Interview, welches wir umringt von fliegenden Ameisen und „Sauerland in der Hose“ in Balve mit DOOL führten, erscheint übrigens demnächst auf diesem Kanal.
Für nicht wenige Besucher waren DOOL sicherlich der Headliner des zweiten Festivaltages. Gleichwohl hatten die Veranstalter noch ein letztes Highlight für den mittlerweile sehr späten Abend eingeplant. Dies war eine mutige Entscheidung, denn HYPNOPAZUZU sind nicht nur label-fremd, sondern markieren mit ihrem exzentrisch-sperrigen Sound einen drastischen Genrewechsel zum Ausklang des Festivals.
Eine Handvoll Besucher in vorderster Reihe hatten sich gar ausschließlich für die finale Band ein Wochenend-Ticket geholt und waren erst kurz vorher in der Höhle eingetroffen. Dieser Umstand mag die Sonderstellung dieses letzten Kapitels des Wochenendes unterstreichen.
„Hypnopaz?zu“, ein abgefahrenes Kunstwort, beeinflusst von der koptischen und von der akkadischen Sprache, zusammengesetzt aus Hypnogogie, Hypnos und Pazuzu. Hinter all dem stehen David Tibet (CURRENT 93, NURSE WITH WOUND u.a.) und niemand geringerer als Martin „Youth“ Glover, Bassist bei KILLING JOKE, Produzent von Tom Jones, Paul McCartney und vielen anderen. Aus dieser Kombination entstand ein verschrobenes Projekt, bei denen sich bedrohliche Synthie-Sounds mit hellen Melodien vermischen, kakophonische Passagen von klaren Refrains abgelöst werden, stets geprägt vom unverwechselbaren Gesang David Tibets.
Unter Applaus in Balve betrat dieser als Letzter die Bühne, er wirkt dabei müde und gebrechlich. Schräger Hut, schräger Anzug, die Hände an Mikroständer und Weißwein. Unterstützt von fünf weiteren Musikern springen vielschichtige Flächen von einer Höhlenwand zur anderen, verstreute Gitarrenakkorde und ein wildes Geigenspiel unterstreichen die Dynamik einer sich auftürmenden, umfassenden Einheit. Auf diesem akustischen Podest thront dann David Tibet, dessen charaktervolle Stimme der Darbietung wie auf einer Messe Gestalt gibt. Wie in Trance hebt er beschwörend die Arme, verleiht den delphischen Texten mit ihren langgezogenen Vokalen Bedeutung, wird laut und hebt die Stimme bis zum Schrei, um dann am Schluss des Stückes in sich zusammen zu stürzen. Da steht dann wieder der müde, schmale Mann mit suchendem Blick. Kaleidoskopische Lichtarrangements, live inszeniert vom Visual Artist, begleiten und bekräftigen die enigmatische Stimmung dieser außergewöhnlichen und berauschenden Darbietung.
Wortkarg bis zum Ende winken die Künstler dem lauschenden Publikum zum Abschied und hinterlassen schließlich – der Plan der Veranstalter geht auf- eine dunkle Balver Höhle und träumende Menschen mit Gänsehaut. (MoG)
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