Perturbator & Carpenter Brut
Leather Sacraments Tour 2023
Konzertbericht
Berlin – Huxley’s Neue Welt – 11.11.2023
Bereits in der Warteschlange vor dem Huxleys ist die Vorfreude auf den anstehenden Konzertabend allseits zu spüren. Samstagabend, Berlin hat Bock.
Im Huxleys selbst ist es zum Start der Abendkonzerte noch ziemlich entspannt vor der Bühne, kein Wunder: Kurzfristig wurde der Konzertbeginn um eine halbe Stunde auf 19:30 Uhr vorverlegt, diese Änderung auf der Homepage des Veranstaltungsortes aber nicht nachgezogen. Entsprechend dürften nicht alle Besuchenden diesen Umstand mitbekommen haben und erst kurz vor knapp eintrudeln.
Keinen Abbruch tut dieser Umstand allerdings der langen Warteschlange vor der Garderobe. Diese zieht sich bis tief in die Halle hinein – bei einem anstehenden ausverkauften Haus und der Aussicht auf eine schweißtreibendes Bühnenprogramm mit ordentlich Tanzpotenzial scheint es für viele Menschen eine gute Idee, nicht allzu dick bekleidet zu sein.
HO99O9 – Ungestüm in die Nacht
Während sich das Huxleys also noch füllt krachen HO99O9 schonmal los. Langsam, aber stetig, erarbeitet sich das Trio den Zuspruch des Publikums. Das Rap-DJ-Duo ist passend zu seinem wüsten und ungestümen Sound sehr dynamisch auf der Bühne unterwegs und fordert immer wieder nonverbal zum Mitmachen auf. Und so kommen die ersten Reihen vor der Bühne langsam, aber sicher, in Bewegung, was seinerseits das Energielevel und die Intensität auf der Bühne weiter erhöht. Dieses Duo surft geradezu auf der Stimmung der Zuschauenden und quittiert dies mit einem „We feel the love“. Spätestens nach dem eingespielten „My Way“-Sample von Frank Sinatra geht auch der Pogo-Pit vor der Bühne richtig ab.
Bei all den schweren und mitunter sehr groovigen Gitarren im Sound von HO99O wäre eine echte Gitarre auf der Bühne allerdings eine gute Ergänzung gewesen. So ein Mensch aus Fleisch und Blut, so richtig mit Moshen, Posen und breit aufgestellten Beinen, der hätte diese brachiale, aber doch vom Band kommende Heavyness zwischen Hardcore und Thrash noch fett unterstrichen. Aber das ist Gejammer auf hohem Niveau: HO99O9 liefern ab und machen das Publikum schonmal gründlich warm.
Und so bleibt der Eindruck eines wunderbar extravaganten lila Trainingsanzugs auf der Netzhaut hängen und die Erkenntnis: Genregrenzen sind öde und HO99O9 sollte man mal gesehen haben.
CARPENTER BRUT – Neon-Disco-Party
Hier geht es auf der Bühne zwar wesentlich zurückhaltender zur Sache als bei HO99O9, aber der Fokus liegt eindeutig auf poppiger Party-Atmosphäre. Mastermind Hueso spart sich, wie gewohnt, jede Ansage, gestikuliert aber immer wieder in Richtung Publikum. Dazu rollt er sein Altar-ähnliches Synthesizer-Arrangement, das mit einem leuchtenden Logo von CARPENTER BRUT verziert ist, über die Bühne und dreht es wiederholt in Richtung Schlagzeug oder Gitarre – auch um den Rest der Band mit einzubinden und zu kleinen Einlagen zu animieren.
Der Zuspruch der Zuschauenden ist jedenfalls durchweg positiv, es wird ausgelassen getanzt. Und was man so mit einem menschlichen Gitarristen alles anstellen kann, das zeigen CARPENTER BRUT im Gegensatz zu HO99O9 auch: Die hinteren Reihen auf der Tribüne des Huxleys wird von Gitarrist Adrien Grousset eingebunden, der ansonsten lässig auf einem kleinen Podest für Stimmung sorgt. Merklich besser funktionieren heute allerdings die Titel, die ohne Gesangsuntermalung auskommen – das abschließende „Maniac“ hier einmal ausgenommen. Sechzig Minuten Dark-Pop-Synthwave: Erwartungen locker erfüllt, CARPENTER BRUT.
PERTURBATOR – Die Mensch-Maschine
Der mächtige Bühnenaufbau von PERTURBATOR war im vergangenen Jahr bereits auf der deutlich kleineren Bühne im Heimathafen im Einsatz, verfehlt aber auch im Huxleys nicht seine Wirkung. Das stilvoll in die Bühnenmitte gestellte LED-Pentagramm sorgt für Aufsehen, es blitzt und strahlt, dass es eine wahre Freude ist. Wenig verwunderlich, dass die Setlist sich in Berlin nicht von der in Wiesbaden in der Woche zuvor unterscheidet, die Abstimmung von Licht und Performance ist so ausgezeichnet und perfekt, da bleibt wenig Platz für Spontanität.
Auch James Kent kommt während des Auftritts kein Wort außerhalb seiner Textzeilen über die Lippen, was den distanzierten und mechanischen Sound von PERTURBATOR noch verstärkt und den dunklen Bühnenaufbau unterstreicht. Hier befindet man sich im düsteren Maschinenraum der Tanzmusik, nur gelegentlich zaubert Herr Kent noch eine Gitarre hervor. Überhaupt zeigt sich an diesem Abend vor knapp 1.500 Fans, welchen Weg der Franzose in den letzten fast zehn Jahren genommen hat: Aus der kleinen Synthwave-Nische heraus, hin zu allgemein dunkler Elektromusik.
PERTURBATOR beeindrucken jedenfalls, und wirken doch so ganz anders als CARPENTER BRUT zuvor. Das gesamte Soundbild ist extremer, selbst die älteren Songs von der „Dangerous Days“, die noch eine Spur Noir-Disco-Charme enthalten, werden auf einen kühlen „New Model“- Sound heruntergebrochen. Dieser Sound steht den Bandklassikern wie „Future Club“ und „Humans Are Such Easy Prey“ zwar gut, wirkt aber auch lange nicht mehr so nerdig-verspielt. Und auch jeglicher flockiger Pop-Appeal fehlt gänzlich.
Entsprechend weniger enthusiastisch als bei den vorherigen Bands ist die Publikumsreaktion– hier wird eher zu der uhrwerkartig-präzisen Arbeit von Schlagzeuger Dylan Hyard gewippt, denn ausgelassen gefeiert. Passend zum Setting verabschieden sich Kent und Hyard ohne Ankündigung oder Zugabe nach einer Stunde von der Bühne.
Ansonsten hat sich das Huxleys als wunderbare Location entpuppt. Volles Haus, trotzdem gutes Klima und eine fixe Abfertigung beim Einlass trotz Sold-Out, ein Express-Tresen ausschließlich für den Bierausschank (genial!) und ein guter Sound: Das sind stimmige Rahmenbedingungen für einen gelungenen Konzertabend. Und so findet sich eine kleine Gruppe an Weiterfeierwilligen abschließend bei frischer Berliner Luft noch am Kiosk nebenan ein, dessen Besitzer passenderweise CARPENTER BRUT für einen kleinen Nachklapp aus seiner Musikanlage schallen lässt.
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