Party.San Open Air
Der große Festivalbericht 2008
Konzertbericht
FREITAG
IRATE ARCHITECT
Pünktlich um 13:45 Uhr dürfen IRATE ARCHITECT den Party.San-Samstag eröffnen – und tun das bei strahlendgrauem Himmel, der einem mit weit geöffneten Schleusen vor der Bühne empfängt. Für einen Quasi-Newcomer werden sie überraschend bereitwillig vom noch nicht ganz so zahlreich versammelten Publikum aufgenommen; dementsprechend aufgelockert schmettern und ballern die Holmer ihre komplexen Extreme-Brecher unter die Leute, hauen mir ein Brett vor den Kopf, und ich weiß so früh am Tage noch gar nicht, wie darauf zu reagieren wäre. Ob walzende Kanonaden oder straighte Nackenbrecher, auf Platte beherrschen IRATE ARCHITECT die gesamte Palette, spielen gekonnt mit schwindelerregendem Tempo und runder Dynamik. Leider hinkt der Sound an allen Ecken und Enden: Ein Zuviel an allem, sodass nur wenig von den auf der Bühne vollzogenen Kapriolen das Lauschorgan des Publikums erreicht. (Conni)
DEFLORATION
Wer bei IRATE ARCHITECT noch nicht aufgewacht ist, der bekommt zu DEFLORATION eine zweite Chance vor den Latz geknallt. Die neue Scheibe der Thüringer, „Necrotic Nightmares“, feiert auf dem Party.San offizielle Live-Premiere. Trotz wieder einmal prasselnden Regens wird ordentlich von der Bühne herunter geholzt, besonders Sänger Uwe gefällt durch eine angenehme Präsenz auf der Bühne. Leider deutlich weniger präsent sind hingegen vor allem die mittleren und hohen Töne des Klangspektrums, oder einfach ausgedrückt: Der Sound ist insbesondere vorne matschig wie Haferschleim. Schade eigentlich, gehen die Solospuren so doch absolut unter. Dennoch ein sehr überzeugender Auftritt. (Andreas)
TYRANT
Schon ganz fickrig auf UNANIMATED, wäre ich jetzt auch ohne weiteres für eine VINTERLAND-Reunion zu haben. Is aber (noch?) nich. Dafür muss ich mich jetzt eben erst einmal mit TYRANT zufrieden geben. Nicht gerade dasselbe, aber man kann nicht alles haben (wieso eigentlich nicht?). Herr Bragmann sieht die Angelegenheit offenbar recht locker, macht sich mit seinem (Interims-?)Betätigungsfeld keinen Stress, steht auf der Bühne mit der Bierdose in der Hand und macht auch sonst nicht viele Anstalten, Black Metal zu sein. Daniel Ekeroth macht hier an der Klampfe einen vitaleren Eindruck auf mich als tags darauf mit INSISION. Wenn auch nicht die erhoffte Mitneunziger Schwedenkeule, überzeugen die Schweden immerhin mit noch weiter zurück zu datierendem Material, das sich gerne in Endachtziger-Black-Thrash-Ursuppe suhlt. Passt irgendwie zu den Bodenverhältnissen. Nice! (Thomas)
HAIL OF BULLETS
Klar, regnen tut es auch wieder, aber das ist ja 1.) absehbar und 2.) nicht so schlimm, der Party.San-Besucher ist es ja gewohnt und es ist ihm recht wuppe. Schade nur, dass es ausgerechnet wie aus Eimern anfängt zu schütten, als Martin van Drunen (PESTILENCE, ASPHYX) und Ed Warby (GOREFEST) die Death-Metal-Uhr zurück drehen: Beim Gig der Holländer von HAIL OF BULLETS klingt das Schlagzeug noch nach Schlagzeug und die Gitarren schmettern voll und satt, egal ob bei den massiven, schleppenden Parts oder den brachialen Doublebass-Attacken. Hier gibt es alles zu hören.
Man sollte immer skeptisch sein, wenn einem die Reinkarnation des Death Metal versprochen wird, aber die Songs von „…Of Frost And War“ funktionieren! Sowohl auf Platte und mehr noch auf der Bühne: Das ins Gesicht hängende, bügelglatte Haar ist zwar mittlerweile grau, an den herrlich knarzenden Riffs der jungen alten THANATOS-Gitarristen kann nicht gerüttelt werden. Die Band ist ein wahrer Jungbrunnen an Tightness und Spielfreude, van Drunen ist ständig in Bewegung und mit seinen freundlichen Ansagen in Hochglanzdeutsch weiß er zusätzliche Sympathiepunkte einzufahren. HAIL OF BULLETS offenbaren in dieser Dreiviertelstunde eine wahre Rifforgie, kommen einer riesigen Dampfwalze gleich, die alles, was sich ihr in den Weg stellt, ohne Erbarmen überfährt. Auch ihre Brüder und Schwestern im Geiste von BOLT THROWER lassen sich die Show nicht entgehen und verfolgen sichtlich gut gelaunt das Set der Holländer aus den vorderen Zuschauerreihen. Von solchen Bands sollte es mehr geben! Fabelhaft! (Conni)
LIVIDITY
Was ENDSTILLE für den Black Metal, sind LIVIDITY für den Brutalo Death Metal. Zumindest was die Verbreitung von Merch-Artikeln angeht. Sonderlich vom Hocker haben mich die Amis noch nie gerissen. Dazu ruht man sich schon etwas zu selbstgefällig auf seinem Image und den technischen Möglichkeiten des Harmonizers aus. Zugegeben, eine Weile macht es Spaß, Von Young beim Gurgeln zuzuhören. Wenn die Kreativität dabei auch nicht bis zum Horizont reicht, wissen LIVIDITY diese halbe Stunde durchaus zu amüsieren, bevor einem das ewig gleiche Rezept dann doch irgendwann auf den Zeiger geht. Immerhin hält das Wetter einigermaßen durch. Bis zum Schluss kann mich die Band dann aber doch nicht halten. (Thomas)
TYR
Huch, die schon wieder? Die Vielfliegermeilen der Faröerjungs von TYR hätte ich nur zu gerne auf meinem Konto, grasen sie dieses Jahr doch fast jedes deutsche Festival ab. Das scheint aber niemanden großartig zu stören, zumindest sind die Publikumsreaktionen von Beginn an als äußerst positiv zu beschreiben. Zur Musik an sich muss man eigentlich nicht mehr viel sagen, über die dürften sich nach dem mittlerweile dritten Album wohl jeder sein Bild gemacht haben. Im Vergleich zum Zabbaduschder Festival nur wenige Wochen zuvor fällt vor allem die wieder erlangte Nüchternheit von Gitarrist Terji auf, der diesmal wohl etwas weniger tief ins Wodka-Glas geschaut hat. Auch wenn ich die musikalische Darbietung von TYR sehr mag, können sie mich nach dem xten Liveauftritt in diesem Jahr nicht mehr vom Hocker reißen. Keine großartige Veränderung der Setlist und auch keine sonstigen Überraschungen, selbst das stets gut inszenierte „Hail To The Hammer“ mit Mitsingpart kann das Ruder für mich diesmal einfach nicht herumreißen. Dem Festivalpulk scheint es dennoch zu gefallen. (Andreas)
UNANIMATED
Reunions hin, Reunions her, Sinn rein, Sinn raus, aus die Maus. Wenn eine Wiedervereinigung in den letzten Jahren eine Daseinsberechtigung hatte, dann die von UNANIMATED. Auf zwei Alben haben es die Schweden in den Neunzigern gebracht, für die heute horrende Liebhaberpreise gezahlt werden. Wirklich Beachtung fanden sie damals allerdings nicht, und geht man nach dem Publikumsandrang vor der Partysanbühne, scheinen es auch heutzutage eher Eingeweihte (Eingeweide?) zu sein, die um die Sensation wissen, der sie da beiwohnen. Dennoch: die vorderen Reihen sind textsicher. Von fünfarmigen Kerzenständern flankiert steht die Band auf der Bühne und würde mit ihrem beinahe beiläufig hingeschmierten Warpaint sicher einen der vorderen Plätze im NIFELHEIM-Look-alike-Contest mit nach Hause nehmen. Musikalisch nehmen einen die vier mit auf eine Zeitreise 15 Jahre in die Vergangenheit. Wie angewurzelt stehen die Musiker da und bewegen sich keinen Zentimeter. Dennoch wirkt die Show einfach nur mächtig, wozu unerreichte Perlen wie „In The Forest Of The Dreaming Dead“, „Oceans Of Time“, „Die Alone“ und das sensationelle „Eye Of The Greyhound“ ihren unüberhörbaren Beitrag leisten. „Wiedersehensfreude“ mag man das nicht nennen, verschlägt es UNANIMATED anno 2008 doch zum ersten Mal überhaupt nach Deutschland. Dennoch überkommt einen bei jedem Song ein heimeliges Gefühl. Einfach nur geil. Richard Cabeza (u.a. ex-DISMEMBER) und Peter Stjärnvind (ex-ENTOMBED, uvm.) vervollständigen 2008 das Line-Up. Man darf gespannt sein, ob sie auch auf dem angekündigten Reunion-Album mit von der Partie sein werden. Wie auch immer: nach diesem Gig muss man dankbar sein, dass es UNANIMATED wieder gibt. Für mich klar die beste Band des Festivals. (Thomas)
ENDSTILLE
Es rumpelt, es knattert, es lärmt und schmerzt im Ohr. So klingen ENDSTILLE heute. Dazu nieselt es permanent und nervtötend – eben die richtige Weltuntergangsstimmung fürs Kieler Krawallkommando. Man kann die Band für ihren kompromiss- wie abwechslungslosen Sound mögen oder es auch lassen. Warum diese Band letztendlich so ein Phänomen ist, während andere – wie etwa die sträflich vernachlässigten, aber weitaus interessanteren NEGATOR – kaum Beachtung finden, weiß wer will. Mir bleibt das schleierhaft. Dem Publikum – schätzungsweise zu 50% in ENDSTILLE-Merch gewandet – stellt sich diese Frage offenbar nicht. Das geht mit zu Iblis’ krächzendem Keifen, den flirrenden Läufen und den ratternden Drums. Selbst wenn der rasselnden Sound der MARDUK-Nachhut heute nur stumpf und matschig klingt und ENDSTILLE nur einen einzigen Song zu spielen scheinen, juckt das hier – niemanden. (Thomas)
BLOODBATH
Jetzt wird es aber endlich Zeit für ein Blutbad, ha! Der BLOODBATH-Auftritt ist selbstverständlich eine der großen Nummern des diesjährigen Party.San-Billings, ist es doch immerhin erst der zweite offizielle Auftritt des schwedischen All-Start-Projekts aus OPETH und KATATONIA-Mitgliedern, komplettiert von Per Eriksson. Rechtzeitig zum Auftritt und dem neuen, bald erscheinenden Album, ist auch Mikael Åkerfeldt wieder ans Mikrofon zurückgekehrt. Schafft man damit den Anschluss an den viel umjubelten Auftritt beim Wacken 2005? Zugegeben, die Vergleichsmöglichkeiten fehlen mir. Zumindest tritt man im selben Blut befleckten Klamottenstil auf wie bei besagtem Auftritt. Interessant ist es immer wieder, wie es Åkerfeldt gelingt, die Menge in den Bann zu ziehen. Zwar mögen die gewählt dargebotenen Ansagen nicht zwingend zum Musikstil von BLOODBATH passen, ein Schmunzeln und ein paar Lacher rufen sie dennoch hervor. Auf der musikalischen Habenseite kann man vor allem mit „Resurrection Through Carnage“-Material punkten, „Ways To The Grave“ walzt einfach nur so durch die Gegend und macht platt, was ihm in den Weg kommt. Allzu textsicher scheint Åkerfeldt allerdings nicht mehr zu sein: Verdächtig oft steht er ziemlich unbeweglich am Monitor, ein später bei Wind aufgewehtes Buch ruft schnell Spekulationen um ein vermeintliches Textbuch auf den Plan. Somit bleibt am Ende ein guter Gig, der mir musikalisch sehr gut gefällt, bei der Bühnenperformance aber eher einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt. (Andreas)
Im Gegensatz zu Kollege Andreas habe ich den direkten Vergleich zum Wackener Auftritt von vor drei Jahren zur Hand und den Gig von damals noch allzu gut im Gedächtnis, war die Band damals doch der Überflieger schlechthin. Den Exotenbonus können die Allstars auch 2008 noch für sich verbuchen, selbst wenn die Kuh namens BLOODBATH mit drei Releases in einem Jahr (das bald erscheinende dritte Album einmal mitgerechnet) jetzt wohl doch noch kräftig gemolken werden soll. An die Glanzleistung von 2005 können Åkerfeldt & Co. aber nicht anknüpfen. Zum einen spielt auch bei ihnen der Sound nicht mit, was selbst bei ihrem schrammeligen Stockholm-Sound negativ ins Gewicht fällt. Zum anderen sind sich die Herren – allen voran Åkerfeldt selbst – ihrer Sache einfach zu sicher. Eine mitreißende Show scheint man sich und dem Publikum nicht mehr schuldig zu sein. Texte auswendig zu können offenbar genauso wenig. Åkerfeldt verbringt nahezu den kompletten Gig über Monitorbox und Songbook gekauert und gibt dabei weder selbst noch für die Band ein gutes Bild ab. Dass dann auch noch „Furnace Funeral“ fehlt, ist nur noch der Fliegenschiss auf dem I eines weiter nicht erwähnenswerten Auftritts. (Thomas)
BOLT THROWER
Der große Triumphfeldzug steht heute noch an. Am hinteren Rand in Position bringen, schließlich wollen wir was sehen, ohne allerdings zermosht zu werden, und BOLT THROWER mit offenen Armen empfangen. Hinter mir steht ein Pärchen, das gibt Sicherheit – Verliebte rasten selten aus. Allerdings macht mir der Typ mit der Gesichtstätowierung direkt vor mir etwas Angst. Die auf zahlreiche Hände gemalten Xe als lachhaftes und inzwischen auch sinnbefreites Überbleibsel einer längst vergangenen Ära irritieren mich hingegen eher. Na egal, nun das kitschig-pompöse Intro. Gleich zu Beginn bei „World Eater“ werde ich noch weiter nach hinten gemosht und auch das Pärchen hinter mir hat keine Gnade: Die Frau boxt permanent gegen meine Wirbelsäule. Aber was soll’s – das hatte man ja nicht nur erwartet, das muss so sein, also: Zeigefinger ausgepackt, zurückgeschubst, mitgegrölt! So ist der Einstieg ins Set für BOLT THROWER an diesem Abend wieder ein Kinderspiel.
Die Jugend, die man aufgrund des Stigmas der späten Geburt niemals hatte, wird wieder einmal live und in Farbe aufgerollt und man wird mitgerissen von einer nostalgischen Welle der Euphorie. Bei den Engländern gilt seit ihrem Debüt, dass es sowohl live als auch auf Platte kaum eine Musik gibt, die stimmungsvoller und treibender wirken kann – kein Schnickschnack, keine Spielereien. Hier geht’s straight zur Sache. Hier will man keine Kreativität, nichts Neues, hier will man einzig und allein die gute, altbekannte Fanfare. BOLT THROWER begegnen dem an diesem Abend damit, dass sie ziemlich bald die Linie ihrer Setlist in Richtung Hitmaschine abwenden.
Sie spielen „Cenotaph“, „Mercenary“, „At First Light“, „No Guts, No Glory“ usw., begleitet von euphorischem Gepröte des Publikums. Baz und Gavin degradieren uns mit jedem einzelnen Riff zu einem willenlosen Objekt; Karl Willets stampft über die Bühne, parliert freundlich mit seinen Fans. Die gesamte Band wirkt zufrieden, und das Publikum ist es ausnahmslos auch. Und das war eigentlich abzusehen. Live wirkt ihre Musik noch kraftvoller als auf Platte, zäh, ungewöhnlich massiv und fast schon spirituell. Das sind Kategorien, die man gebündelt im zeitgenössischen Death Metal lange suchen muss! Kurzum, einen besseren Headliner als BOLT THROWER hätten die Party.San-Veranstalter nicht ausmachen können. (Conni)
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