Nine Inch Nails
90 Minuten die Großmeister kontemporärer Elektro- und Industrialmusik erleben
Konzertbericht
Am 2. Juli strömt gefühlt halb Berlin in die Zitadelle Spandau, um einen Großmeister kontemporärer Elektro- und Industrialmusik zu feiern: Trent Reznor ist mit NINE INCH NAILS im Rahmen ihrer Europa- und Asientour in der Stadt und wir freuen uns nach drei langen Jahren auf ein Wiedersehen.
Came Back Haunted
Dichte Rauchschwaden kündigen einen rauschhaften Abend an, der mit seinen treibenden Rhythmen und der kratzenden Elektronik die Zuschauer in eine Trance aus Wut, Schmerz und dem Übertreten in andere Welten führt. NINE INCH NAILS sind wieder in Berlin und Trent Reznor kommt an diesem lauen Sommerabend erhofft energetisch auf die Bühne und eröffnet mit “Branches/Bones” einen rockigeren Ausschnitt aus der acht Studioalben umfassenden Diskografie. Mit “Wish” schaltet die Band nochmal einen Gang höher und es zeigt sich wieder mal, wie gut Atticus Ross, Robin Finck, Alessandro Cortini und Ilan Rubin ihre Instrumente beherrschen. Besonders Rubin überzeugt immer wieder durch prasselnde Soli (“Copy Of A”). Es folgen “Less Than” und das wunderbar rotzige “March Of The Pigs” bis dann die weichen Klaviermelodien von “The Frail” einen behutsameren Part einleiten. Es ist das Aufatmen zwischen Ausbrüchen, wie sie vor allem die jüngere Bandgeschichte musikalisch dominiert haben. Der Sturm und Drang, die Verzweiflung und der gewalttätige Befreiungsschlag sind immer wieder zu hören und Frontmann Trent Reznor hat in seiner Authentizität selbst mit 53 Jahren nichts eingebüßt. Wahrscheinlich auch deswegen, weil er laut eigener Aussage das Gefühl nicht dazu zu gehören und die damit verbundene Wut und Unrast, die schon das Debüt Album “Pretty Hate Machine” geprägt haben, nie ganz losgeworden ist.
Viele Hüte
Trent Reznor galt viele Jahre lang als einer der einflussreichsten Musiker überhaupt. Die acht Studioalben von NINE INCH NAILS stehen neben den mit Atticus Ross produzierten Soundtracks zu u. a. “The Social Network”, die dem Duo sogar einen Oscar eingebracht haben. Zum Album “Year Zero” initiierte er 2007 ein aufwändiges Alternate Reality Game, dass er nicht als Werbecoup, sondern das Erschließen einer neuen Kunstform verstanden wissen möchte. Gründung eines eigenen Labels, bei dem selbst MARILYN MANSON mal unter Vertrag war, die Zusammenarbeit mit zahllosen Künstlern als Sänger, Instrumentalist und Produzent und die Liste an Errungenschaften setzt sich weiter stetig fort. Heute findet Reznor auch politische Töne, in denen er sich dafür schämt wie Trumpism oder das Zelebrieren von Dummheit Amerika demontiert. Dabei wird der Musiker immer noch getrieben, springt von Projekt zu Projekt und erschließt sich immer neue Betätigungsfelder. Doch steht dies hier heute Abend, das Performen der eigenen Musik vor den Fans, zu dem Reznor immer wieder zurückkehrt und das hoffentlich auch noch lange wird.
Purest Feeling
Die Zitadelle ist an diesem Abend in elektronischem Taumel und es bilden sich auch weit hinten immer wieder Inseln von Tanzenden, die einfach nicht stillstehen können. Vom vollgestaubten Hexenkessel vor der Bühne mal ganz zu schweigen. Bei diesem Auftritt gibt es keine aufwendige Video-Show, sondern nur ein paar gezielt eingesetzte Effekte, wie etwa Live eingespielte Aufnahmen der Musiker, die verzerrt wiedergegeben alles einem unwirkliche, wahnhafte Note geben. Künstler und Publikum verstehen sich und kommen gemeinsam auf ihre Kosten, sei es mit dem David Bowie Cover “I’m Afraid Of Americans” oder dem wiederum von Johnny Cash gecoverten “Hurt”, dessen Text unter violetten Baumkronen aus fast 10.000 Kehlen von den alten Gemäuern der Zitadelle widerhallen. Vielen Fans fährt genau wie Reznor wieder die alte Wildheit in die Glieder als sie gemeinsam die Musik aus dieser Zeit feiern. Der Funke springt noch immer über und wird zu Lauffeuern, die sich in stroboskopisch schnellen Wellen über die Menge verbreiten. Leider spielen NINE INCH NAILS “nur” 90 Minuten und wir gehen ausreichend durchgetanzt nach Hause.
Galerie mit 20 Bildern: Nine Inch Nails - Citadel Music Festival 2018NINE INCH NAILS Setlist
Branches/Bones
Wish
Less Than
March of the Pigs
The Frail
The Lovers
Reptile (With Closer tease)
Shit Mirror
Ahead Of Ourselves
God Break Down The Door
Copy Of A
Gave Up
I’m Afraid Of Americans (David Bowie cover)
I Do Not Want This
Digital (Joy Division cover)
The Hand That Feeds
Head Like a Hole
Encore:
Even Deeper
Hurt
Text: Tobias Mühlau
Fotos: Andrea Friedrich
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