Nightwish
Imaginaerum Europa-Tour - live in Stuttgart 2012
Konzertbericht
NIGHTWISH
Wie man sich mit mächtig viel Theatralik, großen Gesten und geschickt eingesetzten Effekten visuell perfekt in Szene setzt, kann man heute wieder einmal von NIGHTWISH lernen. Der mit weißen Stofffetzen besetzte Vorhang erweist sich zu Beginn als großartige Projektionsfläche für den Schatten von Bassist Marco Hietala, der dahinter im Schaukelstuhl sitzend das „Taikatalvi“-Intro tatsächlich live singt. Und erst nachdem die Band den Opener „Storytime“ bereits zur Hälfte gespielt hat, fällt der durch Windmaschinen in unruhige Bewegung versetzte Sichtschutz und gibt den Blick auf die Bühne frei, die von einem großen Video-Screen im Hintergrund und eine an skurrile Orgelpfeifen erinnernde Keyboard-Burg im Vordergrund dominiert wird.
Aller visueller Opulenz zum Trotz (mit Pyro-Effekten und Feuersäulen wird von Beginn an nicht gespart) bin ich heute vor allem auf die Leistung von Frontfrau Anette Olzon gespannt, die ich heute zum ersten Mal am NIGHTWISH-Mikrofon erleben darf. Und die Dame, der man überhaupt nicht ansieht, dass sie nach Bassist Marco Hietale das zweitälteste Bandmitglied ist, macht ihren Job dermaßen gut, dass man ihre Vorgängerin Tarja Turunen zu keinem Zeitpunkt vermisst. Das liegt auch an der geschickten Songauswahl, denn auf Stücke, die ohne Tarjas klassischen Sopran kaum vorstellbar sind, wird bewusst verzichtet, wenn man sie nicht – wie im Falle des akustisch dargebotenen „Nemo“ – in ein völlig anderes Gewand kleiden kann.
Galerie mit 50 Bildern: Nightwish - Imaginaerum European Tour 2012 - StuttgartIm Mittelpunkt steht natürlich erwartungsgemäß das aktuelle „Imaginaerum“-Album. Eher überraschend kommen dagegen die „Century Child“-Stücke „Ever Dream“ und „Dead To The World“ daher, die auch (abgesehen vom obligatorischen Gary-Moore-Cover „Over The Hills And Far Away“) die ältesten Stücke im Set bilden. Dass NIGHTWISH bei allem Orchester-Bombast ihre harten Metal-Wurzeln nicht verleugnen wollen, machen sie gleich zu Beginn mit „Wish I Had An Angel“ deutlich. Das von Bassist Marco in den Schlussakkord hinein gebrüllte „Fuck You!“ bietet dabei einiges Potential für Spekulationen – womöglich eine kaum versteckte Botschaft an die Ex-Sängerin, dass man sie garantiert nicht zurück haben möchte?
Sei’s drum, angesichts der brillianten Form, in der sich die Finnen heute präsentieren, kann man die Vergangenheit auch einfach ruhen lassen und sich dem Hier und Jetzt von NIGHTWISH widmen. Zum Beispiel mit „I Want My Tears Back“, für das man den Engländer Troy Donockley zu sich auf die Bühne holt, der dieses und die folgenden Stücke mit den Klängen von Flöten und Uilleann Pipes bereichert. So leitet man über „The Crow, The OWl And The Dove“ geschickt über in einen kleinen Akustik-Block, der mit dem überragenden „The Islander“ für echte Gänsehaut sorgt. Und auch wenn es ein wenig die gerade erst so gekonnt aufgebaute Stimmung killt, kommt man doch nicht umhin zu grinsen, als die Band spontan mit einem kleinen „Show Me How To Die“-Akustik-Jam ihrer Vorgruppe Tribut zollt.
Kaum haben NIGHTWISH ihren Gast nach dem instrumentalen „Last Of The Wilds“ vorerst entlassen, wird mit „Planet Hell“ die ganz derbe Metal-Keule geschwungen. Die in rotes Scheinwerfer-Licht getauchte Bühne wird dabei exzessiv von meterhohen Flammensäulen erhellt, während der Videoscreen im Hintergrund ein Paar schwarzumrandeter Augen zeigt. Diese stellen eines von drei Background-Motiven dar, die – in teilweise leicht variierter Form – immer wieder bei verschiedenen Songs auftauchen und so den roten Faden, der sich durch die Setlist zieht, deutlich betonen. Was den Spannungsaufbau und die Strukturierung ihrer Bühnenshow angeht, macht NIGHTWISH eben so schnell keiner was vor.
Das Ende des regulären Sets markiert wenig überraschend „Over The Hills And Far Away“, das die Band mit schlichten, aber bewegenden Worten seinem im letzten Jahr verstorbenen Schöpfer Gary Moore widmet. Hier greift erneut Troy Donockley zu den Uilleann Pipes und stiehlt dabei Gitarrist Emppu Vuorinen gewissermaßen die Show. Dieser hat es gegen die dominanten Keyboard-Teppiche von Bandchef Tuomas Holopainen ohnehin nicht leicht, kann aber an den wenigen Stellen, wo er sich in den Vordergrund spielen darf, glänzen. Bassist Marco Hietala hat als geborener Entertainer, der auch als Sänger überzeugt und mit seinen launigen Ansagen den Old-School-Rock’n’Roller verkörpert, naturgemäß weniger Probleme, seine verdiente Aufmerksamkeit zu bekommen.
Unmissverständlich fordert Hietala die Fans zu lauten Zugabe-Rufen auf, bevor auch er seinen Kollegen von der Bühne folgt, die er wenig später mit einem absurd-komischen Fliegerhelm auf dem Kopf wieder betreten wird, um in die als Duett zwischen Tuomas Holopainen und Troy Donockley beginnende Klassik-Hymne „Finlandia“ einzustimmen. Es folgt „Song Of Myself“, das vor dem Spoken-Word-Teil der Album-Version jedoch abgebrochen wird, bevor mit dem „Last Ride Of The Day“ das Ende eines fulminanten zweistündigen Konzerts erreicht ist, das NIGHTWISH wieder einmal von ihrer Schokoladenseite zeigte und keinen Fan der Finnen enttäuscht haben dürfte.
Setlist NIGHTWISH:
- Taikatalvi (Intro)
- Storytime
- Wish I Had An Angel
- Amaranth
- Scaretale
- Ever Dream
- Slow, Love, Slow
- I Want My Tears Back
- The Crow, The Owl And The Dove
- The Islander
- Nemo
- Last Of The Wilds
- Planet Hell
- Ghost River
- Dead To The World
- Over The Hills And Far Away
- Finlandia
- Song Of Myself
- Last Ride Of The Day
- Imaginaerum (Outro)
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