Neurotic Deathfest
NDF 2013 mit Carcass, Death To All, Repulsion
Konzertbericht
Oh du herrliches Gebolze – wie gerne huldigen wir dir Pit für Pit, Slam für Slam, Blast für Blast. Und wie gerne folgen wir dem Ruf nach Holland, wo dieses Jahr schon zum zehnten Mal in Folge eines der (mittlerweile) größten Extrem-Indoorfestivals Europas stattfand. Mit hochkarätigem und exklusivem Besuch – DEATH TO ALL, die Chuck Schuldiner-Gedenkband mit Originalmitgliedern der legendären DEATH spielten hier ihr einziges Europakonzert – und wie!
Zunächst muss jedoch die Übernachtungsfrage geklärt werden. Zwar sind viele Besucher nur für einen der drei Tage vor Ort, der Mehrheit läuft man jedoch alle Tage über den Weg. Indoorfestivals bieten vielleicht nicht den Komfort von Campingstuhl und Bierkasten, dafür aber eine gewisse Intimität, da man in der Halle vom 013 auf recht engem Raum verweilt. Wer keinen Platz in den ausgebuchten Hotels ergattert hat, weicht halt auf einen der Campingplätze vor Tilburg aus. Dies führt zu lustigen Begebenheiten, da dort eigentlich die holländische Kleinfamilienidylle vorherrscht. Zwischen Campingwagen und Bauernhof mit Ponys und anderem Getier findet man einen bizarr-unterhaltsamen Kontrast zu den harten Klängen in der Konzerthalle. Wenn man nachts aber einen Esel breen hört, weiß man – der Metaller ist überall zuhause.
Galerie mit 25 Bildern: ALLE TAGE - Neurotic Deathfest 2013
Freitag, 03.05.13
Heimisch wird es auch, wenn es am Freitag gleich mit dänischem Tech-Death von INIQUITY los geht, während die Nebenbühne von BODYFARM eröffnet wird. Als zweite Band auf der Amphitheater ähnelnden Hauptbühne sind DECAPITATED dran – für diese polnische Death Macht zwar etwas früh, angesichts des allgemein sehr starken Freitag Line-Ups aber vertretbar. Ihnen folgen MORBID SAINT aus den USA, die sehr schweren Thrash auf die Meute loslassen. Bei bestem Sound feiert der volle Saal die Jungs herzlich ab und der Frontman Pat Lind schüttelt fleißig die Glatze. Gute Leistung!
Eine solche folgt auch bei den gefühlten Merch-Königen DEVOURMENT. Mike Majewski ist mittlerweile fast genau so fett geworden wie die Slams der Band – seinen Squeals und Grunts schadet dies aber keineswegs. Die Amis sind brutal und drückend wie eh und je – das überträgt sich auf das gut gelaunte Publikum im vollen Saal – der Pit kocht, und trotz Verbotsschilder segeln die Fans über die Menge hinweg. Das ist nicht nur wegen der Pferdemaske des Bassisten ein tierisch guter Gig.
Wer sich nun auf die zweite Ladung Qualitätsdeath „Made in Poland“ gefreut hat und nicht frühzeitig einen Platz auf der Zweitbühne gesichert hat, wird schwer enttäuscht. Der zu kleine Saal ist bei VADER gnadenlos überfüllt. Man erhascht nicht mal einen Blick auf die Band. Vor dem Eingang gibt es gefährliches Gedrücke und viel Frust. Für Piotr und Co. ist das natürlich nicht wild – sie spielen vor einer wahnsinnigen Meute. Und das tun sie gewohnt gut. Am Ende gibt es noch einen der zahlreichen Festivaltribute an den verstorbenen SLAYER-Gitarristen Jeff Hanneman in Form eines „Hell Awaits“-Covers. Geiles Ding.
Nun wird einem anderen Helden gehuldigt, der die Death-Metal-Landschaft geprägt hat, wie kaum ein anderer. Schon über zwölf Jahre ist der Tod von Chuck Schuldiner her – sein musikalisches Erbe hat in dieser Zeit aber nichts von seiner Magie und Qualität verloren. Ganz im Gegenteil – der folgende Auftritt von DEATH TO ALL entpuppt sich als einer der absoluten Höhepunkte des gesamten Festivals. Zusammengesetzt aus unterschiedlichen Musikern aus allen Phasen von DEATHs Schaffen, tourt diese Bandkonstellation durch die Welt und sammelt mit ihren Auftritten Geld für die „Sweet Relief“-Stiftung für kranke Musiker. Viel edler kann das Ziel eines Konzerts nicht sein. Entsprechend ergriffen lauscht man auch dem Querschnitt der Bandkarriere. „Overactive Imagination“, „The Philosopher“ (großartige Gitarre-Bass-Duelle am Ende) – die Liste der Hits ist lang, da Death einfach keine schlechten Songs haben. Am Mikrofon und immer wieder auch an der Gitarre ist an diesem Abend der EXHUMED-Sänger Matt Harvey, der sich das Set innerhalb von neun Tagen mal eben drauf gepackt hat. Hut ab vor dieser unglaublichen Leistung, da der Mann einen großartigen Job abliefert. Die Band ist zwar etwas statisch – die Jungs sind nun mal zusammengewürfelt – doch was die Technik und Gefühl angeht, gibt es hier nicht den Hauch von Kritik. Man hört jede Saite kristallklar schwingen, während Gene Hoglan (wer auch sonst) fast schon gruselig tight die Stöcke schwingt. Schönes Drumintro, und weiter geht es mit „Zero Tolerance“. Die Ansagen sind knapp aber herzlich, die Musiker haben sichtlich Spaß an der Sache. Die Fans sowieso, auch wenn man sich kaum zu bangen traut – jedes Riff will aufgesaugt werden. Das Finale markieren zwei Songs vom „Sound Of Perseverance“-Album – „Bite The Pain“ und „The Flesh And The Power It Holds“. Wunschlos glücklich? Nicht ganz – natürlich fehlt noch die Bandhymne vom „Leprosy“-Album. Matt gibt vor: „There is no hope – why don’t you…“ und der Saal brüllt aus tausenden Kehlen „PULL THE PLUG!“ Gänsehaut! Und wer immer noch nicht durchgeprügelt genug ist, gibt sich vor dem Schlafengehen noch OBSCURA auf der Nebenbühne.
Samstag, 04.05.13
Am Samstag dürfen die tilburgschen Lokalmatadore ANTHROPOMORPHIA mit ihrem Death Metal die Hauptbühne eröffnen. Den „Denver’s premium Death Metal“ von ENEMY REIGN kann man wieder nur bedingt genießen – der Nebenraum, in dem sie spielen, ist trotz früher Stunde furchtbar vollgestopft – nur eine der beiden Flügeltüren steht offen – richtig nachvollziehbar ist das nicht. Wer es rein geschafft hat, bekommt für seine Mühe aber ein ordentliches Holz vorgehobelt. „We are very excited to be here!“ spricht der Sänger und schüttelt die wohl geilsten Dreads des Festivals.
Platzprobleme haben HAEMMORHAGE auf der Hauptbühne zwar nicht, dafür sinkt hier aber das musikalische Niveau. Der Sound ist Matsch, die Bässe wummern – viel mehr aber auch nicht. Dafür hat sich die Band fleißig in blutige Chirurgenkostüme herausgeputzt und bietet auch sonst ordentlich was fürs Auge. Sei es die Gitarristin oder der blutüberströmte Sänger oben ohne. Ihr Goregrind bleibt aber eine sehr monotone Angelegenheit, auch wenn Gimmicks wie das Kauen an einem Gummibein dem Gig einen Unterhaltungswert verleihen. Nur eben keinen musikalischen. Ganz anders sind da die Brutalos HAMMER CULT aus Tel Aviv, die auf der Zweitbühne ziemlich abräumen. Angethrashter Death, eine sehr motivierte Darbietung – so schwitzt man gern.
Schweißtreibend ist es auch wenig später bei PIG DESTROYER. J.R. Hayes ist herrlich angepisst, tigert wie ein Irrer über die Bühne und greift hier und da mal beherzt zu der Whiskeyflasche. Die amerikanischen Grinder ohne einen Bassisten (dafür aber mit einem Dude an einem Samplingboard) erinnern sehr positiv an Napalm Death und erledigen ihren Job super. Das geht richtig schön auf die Fresse. Zeitgleich spielen BURIED auf der kleinen Drittbühne. Zwar ist dort nicht sehr viel los, die allesamt glatzköpfigen Jungs schwingen ihre nicht vorhandenen Matten aber gekonnt und bei gutem Sound zu einem technischen und abwechslungsreichen Death Metal. Hier sind alle Beteiligten offensichtlich bestens gelaunt.
Nach der Glatzencrew folgt die ungekrönte und geilste Königsmatte weit und breit. Dass Ross Dolan von IMMOLATION nicht über sein prachtvolles Haupthaar stolpert, ist schon für sich große Kunst. Dazu feuern die Jungs aber auch noch eine Breitseite New Yorker Old School Death ab. Bei tollem Sound kommen Songs wie „Shadows And The Light“ super heavy und schleppend daher. Doch auch derbe Blasts („Swallow The Fear“) fehlen natürlich nicht. Um Punkt acht Uhr ist in Holland eine offizielle Gedenkzeit an die Opfer des zweiten Weltkriegs. Dies respektiert auch die Band und das Publikum. Für zwei Minuten gibt es nichts als Stille (ein paar besoffene Ausreißer nicht eingerechnet) – ein Gänsehautkontrast zur Dauerbeschallung der vergangenen Stunden. Diese wird zwei Minuten später vom Titeltrack des Debüts „Dawn Of Possession“ förmlich zerrissen. Es folgt neues Material vom 2010er Album „Majesty And Decay“. Auch hier fehlt die allgegenwärtige Ansage an SLAYERs verstorbenen Gitarristen nicht. Ihm wird „All That Awaits Us“ gewidmet.
Und wieder platzt die Zweitbühne aus allen Nähten. Scheinbar haben die Leute ganz viel Bock auf eine ordentliche Intimbereichbehandlung. Diese bekommen sie von COCK & BALL TORTURE ausreichend vorgeblubbert. Der Spaßfaktor steigt ganz schnell, und schon nach wenigen Songs kreist ein enthusiastischer Circle Slam durch den kleinen Saal. Manchmal reichen schon ein Riff pro Song, um alles richtig zu machen. Mann muss es nur können. Am Ende dann noch den unschlagbaren Doppel aus „Faggot Filter“ und „Enema Bulldozer“, und das Gemächt schmerzt und drückt, dass es eine Freude ist.
Ganz andere Stimmung herrscht bei den Urgesteinen CARCASS. Die Briten haben eine tolle Leinwandshow dabei, die nichts für schwache Mägen ist. Sezierte Gehirne, eiternde Genitalien, Schmerz, Leid und Pathologie wohin man schaut. Das passt optisch richtig gut zu den Songs, die soundtechnisch allerdings eher Mittelklasse sind. Zwar ist die Band deutlich besser eingespielt als bei der Reunionshow auf dem 2008er Wacken, trotzdem zündet das Ganze nur bedingt. Das mag auch an den mäßigen Frontmann-Qualitäten von Bill Steer liegen, der die Ansagen teils komplett verhaut, indem er irgendwas unverständliches erzählt. Auch die Riffs gehen vor allem bei dem brachialen Altmaterial sehr unter. Fans kommen bei diesem Gig vor allem durch die Inszenierung voll auf ihre Kosten – ansonsten ist dieser Headliner aber Mittelmaß.
Sonntag, 05.05.13
Ermüdungserscheinungen werden am Sonntag von frühen klasse Akts wie DECREPIT BIRTH weggeblasen. Die erste Party feiern aber definitiv CLITEATER. Mit einem Fronter, dem die Sonne aus dem Arsch scheint und einem Sinatra-Intro geht das Gerumpel fröhlich los. Der Sound ist gut, der Drummer trägt eine Propellermütze und die Anwesenden zeigen ihre Anerkennung durch das Drehen von Kreisen. Hier wechseln sich Stampf-Slams mit Geschwindigkeitsausbrüchen ab, der Frontman hüpft über die Bühne, legt hier und da einen schönen Tritt in die Luft hin und lädt das Publikum zu sich auf die Bretter ein: „Make party, come on stage – we don’t give a shit!“ Gesagt – getan. Und so tanzen die Leute zusammen mit der Kapelle zu „Your Cascet Awaits“ und „Eat Clit Or Die‘.
Auf der Hauptbühne sind währenddessen EXHUMED zu Werke. Der Sound ist schrecklich, dafür bangt sich der Bassist die Seele aus dem Leib. Nutzt bei den monotonen Songs trotzdem nicht viel – das Publikum bleibt sehr verhalten. Auch hier sorgen Showeinlagen für die dringend nötige Abwechslung. Sei es der Auftritt eines Kettensägenirren (nicht sehr originell) oder der Zusammenbruch des Gitarristen. Dieser fängt nämlich beim Solo von „Limb From Limb“ an verdächtig zu schwanken, dreht sich ein paarmal um die eigene Achse, kotzt einen ekligen Schwall Zeugs auf die Bühne und bleibt regungslos liegen. Zum Glück ist der irre Kettensägemensch nicht allzu weit und hat diesmal sogar einen Defibrillator dabei. Die Wiederbelebungsversuche bleiben allerdings erfolglos, bis der selbsternannte Doktor dem Patienten eine Dose Bier einflößt. Prompt geht es dem Armen besser und er kann wieder solieren. Nett ist das alles.
Richtig „grindy“ wird es währenddessen auf der kleinsten Drittbühne. Dort treiben nämlich RECTAL SMEGMA ihr Unwesen. Und die Jungs sind wahrlich eine Pracht. Ein uriger Basser mit Vollbart, ein Gitarrist, der optisch eher in eine Metalcore-Band passen würde und natürlich der Anabolika-Wonnepoppen am Mikro. Zusammen ein unschlagbares Grindcore-Superteam, welches entsprechend gefeiert wird. Unterhaltungswert ist hier wieder mal enorm hoch – man weiß, wie Humppa geht.
Im krassen Kontrast dazu wüten die Death Metal Daddys POSSESSED auf der Mainstage. Ihr Sound gleicht einem Gewitter, bei dem Riffs und Soli ineinander fließen. Der im Rollstuhl sitzende Jeff Becerra ist gut gelaunt, unterhält mit spaßigen Ansagen und bangt fleißig mit, während er die Bühne auf und ab fährt. Das wird vor der Bühne entsprechend gewürdigt – das Neurotc Deathfest geht zu Songs wie „The Eyes Of Horror“, „Storm In My Mind“, „Seven Churches“ und natürlich „Death Metal“ steil.
Tolles Jubiläumswochenende!
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CARCASS sind Briten und Amott ist überhaupt nicht mehr in der Band. Wenigstens Hausaufgaben machen ,wenn man eine Band schon fälschlicherweise verreißt. Mannmann
Ou, da hast du natürlich recht. Danke für den Hinweis – jetzt ist der Text korrekt. Ein Verriss war das aber bei weitem nicht. Im Qualitätsvergleich mit anderen Bands des Festivals haben die Jungs nun mal nicht wirklich überzeugen können. Schlecht war das aber bei weitem nicht. Cheers, der Eugen
hi Eugen, grundsätzlich gefällt mir dein Artikel schon, er trifft es ganz gut. Bis eben auf diesen einen Punkt. CARCASS sind eines der wenigen genreprägenden Originale wie eben auch DEATH, die Band muss niemandem etwas beweisen, hör dich mal durch ihren Back-Katalog und verfolge die Entwicklung der Band, die eigentlich immer allen anderen einen kleinen Schritt voraus war. Und in Tilburg dem neuenholländischen König ein Foto mit zertretenen Eiern zu widmen hat durchaus Unterhaltungswert 😉