Neal Morse
Konzertbericht
Im Namen Gottes sind schon einige fragwürdige Sachen geschehen. Bei Prog-Freunden dürfte die Geschichte vom erleuchteten Neal Morse weit oben auf der Liste stehen: Besagter Neal Morse hatte die Angewohnheit beim Joggen zu beten (Zeit sparen, körpereigene Drogen und so…). Eines Tages tat sich dann der Himmel auf und Neal Morse wollte fortan dem Herrn dienen – obwohl er selber für nicht wenige Verehrer von Frickel-Rock, Killer-Melodien und Engelsgesängen ein gar göttliches Wesen war. Doch der Mann beschloss, von diesem Tag an sein ganzes Schaffen in den Dienst der Verkündung froher Botschaften zu stellen. Kein Spock’s Beard mehr (Bruder Alan Morse war not amused) und auch nie mehr Supergroup-Veröffentlichungen (Transatlantic-Freunde trauerten). Statt dessen bestand das Morse’sche Schaffen seitdem gerne mal aus Veranstaltungen der Marke „Special Interest“, wie es so schön auf der Labelseite vermerkt war. Dahinter verbargen sich sehr persönliche Gottesdienste (Worship Sessions) mit musikalischer Untermalung – also eher obskure Partys für den durchschnittlichen Atheisten und Konzertbesucher.
Nicht verschwiegen werden dürfen allerdings die Solo-Alben. Selbige waren zwar durchdrungen von christlichen Text-Konzepten, sahnten jedoch Top-Wertungen bei den Kritikern ab. Gelernt ist eben gelernt und ein Ohrgasmus bleibt ein Ohrgasmus, auch wenn er höheren Zielen dienen mag. Vor diesem Hintergrund erfreute vor kurzem die Ankündigung, dass Neal Morse über den viel zitierten Teich fliegen würde, um den Europäern im Juli sein Liedgut auf einigen wenigen Konzerten leibhaftig darzubieten. So richtig. Mit Band. „A prog extravaganza!“, um Neal zu zitieren. Das klang verheißungsvoll. Hinzu kam, dass der letzte Tour-Gig beim kleinen Nachbarn der Columbiahalle angesetzt wurde, was für diverse feuchte Flecken bei einigen Berlinern gesorgt haben dürfte, schließlich muss man hier normalerweise ohne den Genuss von Inside-Out-Künstlern auskommen. Laut Label sei das erwartbare Interesse einfach zu gering, so dass wider anfänglichen Planungen nicht einmal Riverside aus dem nahe gelegenen Polen in der Hauptstadt aufspielten.
Eine gewisse Gespanntheit basierte an jenem Freitag aber auch auf der Frage, welches Publikum wohl erscheinen würde. Vielleicht eine Hundertschaft „Jesus-Loves-You“-Fanatiker, nur darauf wartend, den konsequent in Schwarz gekleideten Twen jüngeren Baujahres mit der Macht der Nächstenliebe zu bekehren? Allzu abwegig war diese Vorstellung nicht, denn nur einen Tag später sollten sich 25000 konservative Protestanten aus dem gesamten Bundesgebiet sowie der Schweiz und Österreich im Olympiastadion zu einem Massengottesdienst versammeln. Bei Ticketpreisen bis zu 70 EUR waren die Aufputschmittel hoffentlich inbegriffen, ansonsten hätte einen Abend vorher der Besuch des Columbia Clubs sicherlich die nötige positive Energie zum Durchhalten des „Calling-All-Nations“-Events gebracht.
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