Mystic Festival 2022
Ahoi, Gdansk!
Konzertbericht
03.06. Tag 2 – Auf Kaperfahrt in tiefe Gewässer
Der erste Tag stand noch ganz im Zeichen der größeren Bands. Das lag vor allem an der etwas unpraktischen Taktung von BARONESS, MASTODON, HEILUNG und OPETH fast direkt hintereinander weg. Der zweite Tag kann zwar ebenfalls mit Schwergewichten erster Güte aufwarten. Heute bleibt aber etwas mehr Zeit, sich auch einmal um die kleinen Bands aus dem (teils lokalen) Underground zu kümmern.
Fettes Brett am frühen Abend mit FLESHWORLD
Mit fast ohrenbetäubender Lautstärke läutet die Krakower Band FLESHWORLD den Abend ein. Diese mögen auf internationaler Ebene noch nicht weitere Bekanntheit erlangt haben. Und zugegeben: Ihre Mischung aus Black Metal und Post-Hardcore gefällt nicht jedem im Saal. Dennoch hat man fast das Gefühl, dass FLESHWORLD mit ihrem brachialem Sound und roher Energie jede Sekunde die Shrine Stage zum zerbersten bringen. Am Ende des Sets muss nicht nur Sänger Tytus Kulicki tief durchatmen.
TRIBULATION verdunkeln die Abendsonne
Fast schon ein bisschen früh für ihren Musikstil spielen dann um 19 Uhr die schwedischen Okkult-Deather von TRIBULATION auf der Park Stage. In fast schon gewohnter Routine rollen diese gemächlich (und etwas zu leise) über die Köpfe der Zuschauerinnen weg. Wer auf gemütlichen Death steht, um von BENEDICTION im Vorprogramm erholen möchte, schert sich hierher. Wer dagegen gerade erst Energie aufgeladen hat, geht hingegen zur Sabbat Stage.
OKKULTOKRATI – Der Geheimtipp am zweiten Abend
Die aus Norwegen stammenden OKKULTOKRATI beweisen nämlich, dass sie durchaus bereit wären, auch größere Bühnen einzureißen. OKKULTOKRATI liefern eine fulminante Mischung aus Black Metal und Down-Beat-Hardcore. Nach einem eher langsamen und groovigem Anfang, spielen sich die Norweger immer mehr in Rage. Sänger Black Qvisling peitscht uns seinen keifenden Gesang nur so um die Ohren, während die Rhythmusfront alles dafür tut, dass Nacken und Beine nicht still stehen. Das Publikum dankt es mit einem Moshpit, der mit jedem Song immer größer zu werden scheint und bei dem CARCASS nur erblassen können. Überraschend vor allem: Der Pit besteht vor allem aus Teenagern, die einfach all ihren Frust herauslassen. Sie untermauern damit etwas, das generell beim Mystic Festival beobachtet werden kann: In Polen scheint eine sehr junge Generation an Metalheads heranzuwachsen, von der wir in Zukunft (hoffentlich) noch viel zu Sehen und Hören kriegen. Schweißgebadet und hungrig geht es dann zu einem kleinen Chill-Out vor die Hauptbühne.
SAXON sind noch keine „Broken Heroes“
Wer auch immer den Foodcourt bei der Main Stage entworfen hat, er oder sie war ein Genie. Denn was könnte es besseres geben, als neben einer leckeren und frisch zubereiteten Pizza unter freiem Himmel zu erleben – und nebenbei auch noch ein Konzert der legendären britischen NWOBHM-Helden von SAXON mitzuerleben. Fast so, als wäre man selber Pit dabei. Nur, dass man eben auf einer Bierbank entspannt. Anders als vielleicht ich, zeigen SAXON selbst, dass sie noch nicht zum alten Eisen gehören. So griff Biff Byford kurzerhand zum Smartphone und streamte sich und die wirklich gut gelaunten Fans kurzerhand live via Facebook. SAXON sorgen daraufhin spontan für pure Gänsehaut. Die polnischen Fans dürfen sich aussuchen, welchen Song SAXON als nächstes spielen sollen. Die Masse entscheidet sich für die 1985er Hymne „Broken Heroes“. Byford muss nicht lange fackeln und widmet den Song der Ukraine. Nun gibt es für die ohnehin schon gut aufgelegten Fans kein halten mehr und alle stimmen sie den Song mit an. Die Bühne wird zudem kurzerhand von blauem und gelben Leuchtern angestrahlt. Wer schneidet hier auf einmal Zwiebeln?
Polnisches Black-Metal-Stand-Off
Nach einem wirklich stimmungsvollen Auftritt von SAXON treibt es die Einen zur Essensausgabe. Die anderen dürstet es aber nach düsterer und härterer Musik. Die Park Stage wird so voll wie noch nie. Kein Wunder, denn die vor allem in Polen gefeierten MGŁA machen sich bereit. Aus Gründen zieht es uns aber weiter zu den kleineren Bühnen. Denn auf der Sabbat Stage wartet eine weitere polnische Black-Metal-Urgewalt auf uns: Die aus Gdansk stammenden AZARATH. Leider ist heute Drummer Inferno (BEHEMOTH) nicht höchstselbst am Drumkit. Doch Adam Sierżęga liefert einen würdigen Ersatz. AZARATH entwickeln Heimspielatmosphäre und walzen sich nur so über uns hinweg. Kein Wunder, dass die Halle trotz MGŁA bis zum Bersten voll ist. Kenner wissen, wo sie hingehören.
Post-Black-Metal vom Feinsten mit DELUGE
Wer neben AZARATH und MGŁA nicht genug Black Metal am Abend genießen konnte und sich nicht mit dem Hauptprogramm des Abends zufrieden geben will, findet ein weiteres kleines Highlight auf der Shrine Stage. Denn die französische Band DELUGE tischt uns zu später Stunde feinsten Post-Black-Metal auf. Doch wir fahren mal mit dem Hauptprogramm fort.
JUDAS PRIEST – Metal-Urgestein im Hafen von Gdansk
Das ist DER Moment auf den alle BesucherInnen des Mystic Festivals 2022 schon vor der Corona-Pandemie gewartet haben: Die einzig wahren, altehrwürdigen JUDAS PRIEST kündigen sich an. Und wie sich das für eine so große Band gehört, geht es natürlich nicht ohne ein beeindruckendes Intro. Das bekannte Logo von JUDAS PRIEST wird – mit Scheinwerfer ausgestattet – an Drahtseilen hochgezogen, sodass es über dem Kopf von Lead-Gitarrist Glenn Tipton schwebt und ihn in orange-gelbes Licht hüllt. Es ist eigentlich kaum zu fassen, dass die Truppe um Rob Halford tatsächlich schon seit 50 Jahren aktiv ist. Natürlich merkt man Halford an, dass er nicht mehr der schlanke, sportliche Typ zu „Breaking the Law“-Zeiten ist. Und hier und da sitzt nicht mehr jede hohe Gesangspassage. Es ist auch fragwürdig, ob er dieses mit übertrieben eingesetztem Hall-Effekt kompensieren muss. Aber dennoch gehen JUDAS PRIEST derbe gut ab und präsentieren dem zum bersten vollen Infield vor der Mainstage ein gelungenes Best-Of. Selbst ihr früher Hit „Rocka Rolla“ gelingt ihnen herrlich zeitlos. Kein Wunder also, dass sich die älteren Herrschaften im Publikum genauso wohl fühlen, wie die neue Generation an Metalheads. Hier geht eigentlich niemand mit unglücklichen Gesichtern in die Nacht hinaus. Doch halt! Es wäre nicht das Mystic Festival, wenn es nicht auch noch nach JUDAS PRIEST einen Absacker gäbe.
MAYHEM – Love ‚em or hate them
Nach MGŁA gibt es nämlich die zweite, etwas fragwürdige Buchung am Abend – die norwegische Trve-Kvlt-Black-Metal-Band MAYHEM. Es gibt wohl kaum eine andere Band aus dem (Black-)Metal-Bereich, die umstrittener ist, als die Norweger. Die sind zumindest optisch dank Zusammenspiel aus Kostümierung und Lichtspiel schön anzusehen. Wie man musikalisch und ideologisch zu ihnen steht, soll jeder selber entscheiden.
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