My Dying Bride
live in Saarbrücken
Konzertbericht
Am 03. April 2016 regnet es. Das Sonnenlicht kann sich spätestens ab Mittag nur noch stichprobenartig durch die Wolkendecke kämpfen. Den ganzen paarungswilligen Vögeln, die seit Tagen zu unchristlichen Zeiten den Nachtschlaf regelrecht zerhacken, ist der Schnabel gestopft und auf der Autobahn flattern allen Ernstes vereinzelte Schneeflocken auf die Windschutzscheibe. MY DYING BRIDE geben alles für ihre Fans und sind hierzu offenbar sogar mit Petrus ins Bett gestiegen, um anlässlich ihrer „Feel The Misery“-Tour das ganze Saarland in Seelenschmerz zu hüllen. Passend dazu ist auch die Fangemeinde, die sich heute in der Garage versammelt hat, dem Tod schon etwas näher. Jedenfalls lässt sich kaum eine Gestalt unter 30 Jahren ausmachen, mit Ausnahme von zwei Schirmmützenträgern, die jünger sein dürften, als der Headliner – zur Erinnerung: MY DYING BRIDE haben gerade ihr 25-jähriges Bandjubiläum hinter sich. Eine würdige Beobachtung, denn die Briten schaffen, was nur den Wenigsten gelingt: Sie begeistern nach so vielen Jahren Menschen, die erst nach der Veröffentlichung des ersten Albums geboren wurden und bringen gleichzeitig die Fans der ersten Stunde dazu, Babysitter einzubestellen und die Zahnprotesten zu reinigen. Von Euphorie kann dennoch keine Rede sein – schließlich stimmen sich die Anwesenden auf wohlklingenden Weltschmerz ein.
Als Wegbereiter haben MY DYING BRIDE die texanischen OCEANS OF SLUMBER mitgebracht und hiermit großes Potenzial auf die Bretter gestellt – nicht ohne Grund hat „Winter“, das aktuelle Album des Sextetts (heute nur zu fünft ohne Synth-Mann Uaeb Yelsaeb auf der Bühne), bei uns glatte neun von zehn Punkten abgestaubt. Das Prog-Doom-Konzept geht auf, denn die obligatorische Zurückhaltung gegenüber der Vorband löst sich bald in enthusiastischem Applaus und steigender Zuschauerzahl auf. OCEANS OF SLUMBER überzeugen insbesondere durch Stimmigkeit – alles wirkt geschmeidig, aber nicht abgelutscht, die komplette Gitarristenriege bedient auch Mikrofone ohne sich auf den Klischeereigen aus Frauengezwitscher und Growls einzulassen. Zwischendurch wechselt Klampfer Sean Gary auch mal schnell ans Schlagzeug, damit Drummer Dobber Beverly die Hände frei hat für eine spielerisch beeindruckende Keyboardeinlage. Dass Sängerin Cammie Gilbert nicht nur den Ohren, sondern auch den Augen schmeichelt, muss nicht extra erwähnt werden und deswegen tun OCEANS OF SLUMBER das auch gar nicht, sondern stellen sich allesamt in einer Reihe auf. Keine „Frontfrau“ fürs Poster, sondern einfach nur verdammt viel Talent und eine Hammerstimme am Mikro – davon dürfte es in der Szene gerne mehr geben. Im Anschluss findet die Band sich noch am Merchstand ein, schüttelt freundlich Hände und verkauft die eigenen CDs selbst, während auf der Bühne die Vorbereitungen für MY DYING BRIDE abgeschlossen werden.
Der Sechser aus Großbritannien saugt ab den ersten Takten den letzten Hauch von Fröhlichkeit aus dem Saal. Es ist schon beeindruckend, wie alle Musiker es schaffen, trotz des großen Fanzuspruchs anderthalb Stunden lang keine Miene zu rühren. Aber „Feel The Misery“, Titel von Tour und aktuellem Album, ist seit 25 Jahren Programm und MY DYING BRIDE ehren dieses Motto zur Perfektion.
Gestartet wird mit „Your River“ vom 1993er „Turn Loose The Swans“, ehe in den nächsten anderthalb Stunden Titel von insgesamt zehn Releases zum Besten gegeben werden. Dass die Jubiläums-Platte aus 2015 mit der Anzahl der Songs vorne liegt, ist nicht überraschend. Dass „Feel The Misery“ mit „And My Father Left Forever“, dem Titeltrack und „To Shiver In Empty Halls“ das Set dominiert, kann indes wahrlich nicht behauptet werden. Stattdessen jagt ein Schmankerl das nächste und MY DYING BRIDE durchkreuzen hierbei virtuos zweieinhalb Jahrzehnte Bandgeschichte, in die sich die Songs der aktuellen Platte nahtlos einfügen. Den erforderlichen stilistischen Balanceakt meistern die aus Halifax stammende Band durch eine Zweiteilung des Abends. Vor „The Prize Of Beauty“ kündigt Fronter Aaron Stainthorpe an, dass es nun deutlich düsterer zugehen werde und tatsächlich spielen Keifen und Death-Einschläge ab hier eine weitaus dominantere Rolle, als bislang. Als persönliche Highlights sind „Erotic Literature“ sowie die Zugabe zu nennen: Nachdem Stainthorpe mit der Andeutung eines (vielleicht nur eingebildeten?) Schmunzelns zur Kenntnis genommen hat, dass das Publikum offenbar noch ein bisschen mehr zu leiden wünscht, wird zum Abschluss das rund zwölfminütige „Symphonaire Infernus et Spera Empyrium“ von der gleichnamigen 1991er EP in die Menge gerammt. Ein großartiger Abschluss eines großartigen Abends. MY DYING BRIDE haben ihr Publikum das Elend spüren lassen und entlassen uns in ein stilecht kalt-verregnetes Saarland.
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