My Chemical Romance
Reunion Tour 2022
Konzertbericht
An diesem lauen Sonntagabend gehen so manche Teenagerträume in Erfüllung. Für viele, die in den 2000er Jahren in die gitarrenlastige Musik hineingewachsen sind, brach sicherlich eine kleine Welt zusammen, als MY CHEMICAL ROMANCE 2013 ihre Auflösung bekanntgegeben haben. Schließlich gehören ihre Alben „Three Cheers For Sweet Revenge“ und vor allem das übergroße „The Black Parade“ zu den wichtigsten Werken der damaligen düsteren Alternative-Rock-Bewegung. Kaum eine Band aus dieser Zeit hat eine Szene und ihren Look so sehr geprägt.
Nach der Trennung wurde es ziemlich still um die Band und ihre Mitglieder. Nur Sänger Gerard Way hat sich noch mit Solo-Projekten und seiner Graphic-Novel-Reihe „The Umbrella Academy“ in Erinnerung behalten. Umso überraschender kam die Nachricht, als sich MY CHEMICAL ROMANCE 2019 plötzlich für ein Konzert Los Angeles zurückgemeldet haben. Aus einem Konzert wurde eine kleine Tour, die wegen Corona verschoben werden musste. Am 12.6.2022 ist es für das Berliner Publikum so weit und MY CHEMICAL ROMANCE empfangen die Fans im (nicht ganz so rockigen) Velodrom.
CREEPER verkürzen die Wartezeit
Angesichts des legendären Status von MY CHEMICAL ROMANCE ist es kein Wunder, dass sich schon frühzeitig eine extrem lange Schlange vor dem Velodrom bildet. Viele wollen so nah wie möglich an Way und Co. herankommen. Als wären die 2000er nie vorüber gegangen, haben viele der (mittlerweile gealterten) Fans wieder ihre alten Klamotten aus der Mottenkiste herausgekramt: bunte Haare, schwarz-weißen Streife, Emo-Eyes. Fast wähnt man sich wieder im Jahr 2009. Doch auch Kuttenträger sieht man hier und da. Klar, MY CHEMICAL ROMANCE haben so manchem Metalhead den Weg in die Szene vereinfacht. So füllt sich das Velodrom kurz nach Öffnung der Tore bis in die obersten Ränge.
Bevor es endlich so weit ist, wärmen die britischen Punk-Rocker CREEPER die Menge auf. Eine Aufgabe, die sie erstaunlich leicht bewältigen. Schon während ihres ersten Songs werden CREEPER von den fast 6000 Anwesenden wie eine Hauptband begrüßt. Die zeigen sich total überwältigt und spielen sich in einen wahren Rausch hinein, der nach 30 Minuten (und unter tosendem Applaus) fast zu früh zu Ende geht.
Galerie mit 30 Bildern: My Chemical Romance - Tour 2022Der Moment, auf den alle gewartet haben
Nach der obligatorischen Umbauphase gehen im Velodrom erneut alle Lichter aus und düster-atmosphärische Gitarrenklänge tönen von der Bühne her. Die allerdings unter dem lauten Jubel der Masse untergehen. Es dauert eine Weile, bis man erkennt, dass MY CHEMICAL ROMANCE ihr Set mit der neuen Single „The Foundations of Decay“ einleiten. Als die Band die Bühne betritt, kennen die Fans kein Halten mehr und es wird noch einmal eine Schippe lauter im Saal. Gerard Way (stilecht in einem gelben Clownskostüm) stimmt die erste Strophe an und schon schließt sich das Publikum fast geschlossen ein. Und das, obwohl die Single erst ein paar Wochen alt ist. Wer nach dem eher melancholischen Stück denkt, dass MY CHEMICAL ROMANCE nach fast zehn Jahren Pause ruhiger geworden sind, irrt. Ohne Umschweife und mit vollem Tempo geht es mit dem Krachern „Thank You for the Venom“, „Give ‚Em Hell, Kid“ und „Tomorrow’s Money“ weiter.
Der Hexenkessel von der Landsberger Allee
Das ganze Infield wird zum Hexenkessel. Im wahrsten Sinne des Wortes. Trotz moderner Arena verfüt das Velodrom anscheinend nicht über eine Klimaanlage und Lüftung oder sie wurde trotz hoher Temperaturen nicht eingeschaltet. Gerard Way muss das Publikum ein erstes Mal Zügeln. Zu sehr drücken die Massen nach vorne zur Bühnenabgrenzung. Securities verteilen fleißig Wasserflaschen, damit die Damen und Herren der ersten Reihen nicht dehydrieren. Way kommentiert die Hitze mit seinem (viel zu warmen) Kostüm, dass er aber nie wieder ausziehen möchte.
Zum runterkommen gibt es „The Only Hope For Me Is You“. Doch die Verschnaufpause währt nicht lange. Denn nach einem stimmungsgeladenem „Boy Division“ kommt der Über-Song: Das Intro von „Helena“ lässt auch die Oberränge von ihren Sitzen aufspringen. 6000 Kehlen stimmen jede einzelne Zeile an. MY CHEMICAL ROMANCE haben das Velodrom endgültig unter ihre Kontrolle gebracht.
Wechselbäder der Gefühle mit MY CHEMICAL ROMANCE
Mit „You Know What They Do to Guys Like Us in Prison“ und „Save Yourself, I’ll Hold Them Back“ gibt es noch einmal eine leichte Entspannung für die Stimmbänder. Angesichts der knappen Luft im Saal ist das angebracht. Schließlich gilt es bei „Na Na Na (Na Na Na Na Na Na Na Na Na)“ und „Teenagers“ noch einmal Vollgas zu geben. Gänsehautstimmung entsteht bei „S/C/A/R/E/C/R/O/W“, als viele im Saal unaufgefordert ihre Handy-Taschenlampen anmachen und die spiegelnde Decke des Velodroms in einen Sternenhimmel verwandeln. Doch keine Zeit für lange Romantik, denn Schlag auf Schlag folgen „Famous Last Words“, „Mama“ und das einzig wahre „Welcome To The Black Parade“. Abermals wird das Velodrom zum Hochofen.
Famous Last Words
Nach einer kurzen Pause glänz der Zugabeteil mit „Skylines and Turnstiles“ und dem Kultsong „I Am Not Ok (I Promise)“. Gerade bei letzterem zelebrieren MY CHEMICAL ROMANCE den totalen Abriss. Schade nur, dass das Konzert nach exakt 90 Minuten vorbei ist. Keine großes Danke, kein Verbeugen, keine berühmten letzten Worte von Way. Hier hätte die Band nach all der Zeit ruhig etwas mehr Fanservice einplanen können. Auch wenn MY CHEMICAL ROMANCE bestimmt einen engen Zeitraum haben (am nächsten Tag geht es nach Stockholm), die fünf Minuten hätten sie einplanen können.
Man hätte sich auch deutlich mehr Zeit für in die Aussteuerung des Sounds investieren können. Denn wo selbst die Vorband CREEPER einen satten Sound aufweist (und das trotz Hallenakustik), ist es bei MY CHEMICAL ROMANCE leider stark übersteuert. Der Gesang wird immer wieder von einem unangenehmen Schnarren begleitet, als ob das Mikro einen Kabelbruch hätte. Das sollte gerade bei einer großen Band nicht über das gesamte Set hin vorkommen. Doch sei es drum, MY CHEMICAL ROMANCE haben nach neun Jahren Abstinenz dutzende Berliner und extra Angereiste mehr als glücklich gemacht und es tut ab und an gut, sich mal wieder an die alten Helden der Jugendjahre zu erinnern.
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