Metal Hammer Paradise 2023
Unser Festivalbericht

Konzertbericht

Billing: Kreator, Epica, Amorphis, Phil Campbell and the Bastard Sons, Knorkator, Death Angel, Orden Ogan, Sólstafir, Destruction, Rage, Wind Rose, Dog Eat Dog, Nervosa, Freedom Call, Ad Infinitum, Wolfheart, All For Metal, Screamer, Mob Rules, Erdling, Before The Dawn, Hinayana, Lost Society, Skyeye, Hiraes, Erik Cohen, Brazing Bull und Brunhilde
Konzert vom 17 und 18.11.2023 | Ferienpark Weissenhäuser Strand, Wangels

Samstag, 18.11.2023

Als der Wecker klingelt, kann der Kopf das noch nicht glauben. Trotzdem müssen wir aufstehen, um die bestellten Brötchen abzuholen. Ein paar Metalheads sind schon unterwegs und vermischen sich mit Wochenendausflügler*innen, die die Ferienanlage mit ihren Kids besuchen. Lustiges Bild. Und über unseren Köpfen schlängeln sich die blaue, gelbe und rote Wasserrutsche wie riesige Tentakel. Irre.

Gespräch über Geld, Bands, das Festival und Geld

Galerie mit 41 Bildern: Impressionen & Riff Alm, Samstag - Metal Hammer Paradise 2023

Noch etwas matschig in der Birne lauschen wir dem Veranstalter-Talk in der Motörhütt. Auf dem Podium sitzen Sebastian Kessler und Stephan Thanscheidt, CEO von FKP Scorpio. Letzterer betont recht früh, dass das MHP „keine Cashcow“, sondern eine „Herzenssache“ ist, denn „das Festival hat über die Jahre immer schöne Geschichten geschrieben.“

Wir erfahren auch, dass KREATOR inzwischen eigentlich zu teuer sind, die Organisator*innen aber einen guten Draht zur Band haben. Übrigens: Nach jahrelangem Kampf, wie Thanscheidt mehrmals betont, gab es bei der KREATOR-Show endlich die ersten Pyros im Zelt.

Beim Metal Hammer Paradise sind 2023 rund 4.000 Gäste. Skalierbar ist die Zuschauerzahl für FKP Scorpio aber nicht, denn sie wollen den besonderen Charme erhalten und das Festival nicht weiter aufblasen – gemessen an der erwähnten Auslastung der kleineren Venues ist das eh kaum möglich. Auch eine Zusammenlegung mit dem Plague-Noir-Festival, das im kommenden Jahr eine Woche nach dem MHP stattfinden wird, ist ausgeschlossen.

Dann erzählt uns der FKP-Scorpio-Geschäftsführer eine Anekdote zum künstlichen Dämon, den eine Gästin dieses Jahr im Zelt vermisst. Den habe man der Band GOTHMINISTER damals zu einem fairen vierstelligen Preis abgekauft. Doch inzwischen sei der „Rentnerdämon“ in die Jahre gekommen.

Zum Schluss dürfen die Anwesenden ihre persönlichen Bandwünsche äußern. Und ein Vorschlag hat die Denklichter von Thanscheidt besonders angeknipst: DIMMU BORGIR. Ebenfalls hoch gehandelt: SONATA ARCTICA und THE NIGHT ETERNAL. Wir sind gespannt auf die Bands für 2024.

Metal mit abwechslungsreichem Rahmenprogramm

Galerie mit 17 Bildern: Erdling - Metal Hammer Paradise 2023

Das Metal Hammer Paradise ist wie eine neumodische Metal-Kreuzfahrt ohne die hohe Umweltbelastung: Livemusik, Meeresnähe, eine steife Brise und viele Nebenschauplätze. Während ERDLING den zweiten Tag einleiten, bewegen wir uns zu einem davon: dem Vocal-Workshop mit der überaus sympathischen Britta Görtz, die später mit HIRAES performen wird.

Wir erfahren, dass sie die Workshops seit 2020 hauptberuflich betreibt, sehen ihre Stimmlippen in einem Video von innen und lachen mit ihr über Sätze wie „Weil wir von innen alle anders hohl sind“. Danke für die sehr lehrreiche und unterhaltsame Stunde!

Galerie mit 22 Bildern: Freedom Call - Metal Hammer Paradise 2023

Nachdem wir so viel zugehört haben, schlendern wir kurz zum Strand, der nur wenige Fußminuten entfernt ist. Dabei begleitet uns der Power Metal von FREEDOM CALL, die heute als erste Band im Zelt auftreten. Und dazwischen mogelt sich immer wieder der Dudelsack – wilder Mix.

Ihr merkt es schon: Die erste Tageshälfte steht mehr im Zeichen der Nebenschauplätze. Immerhin gilt es zu erkunden, was das MHP abseits der Bühnen alles zu bieten hat. Sehr beliebt ist das Spaßbad, zu dem Menschen mit einem Festivalbändchen freien Eintritt haben. Also packen auch wir die Badesachen zusammen und checken es vom Wellenbad über die Rutschen bis zum Whirlpool aus. Urteil: unbedingt mitnehmen!

Musikalische Abwechslung par excellence

Galerie mit 14 Bildern: All For Metal - Metal Hammer Paradise 2023

Und was geht auf den Bühnen? Als Cöntest Winner bieten BRAZING BULL ihren Nu Metal in der Riff Alm dar. Trotz jungfräulicher Bandgründung im Vorjahr dürfen ALL FOR METAL um den ASENBLUT-Fronter Tetzel ihren kitschigen Heavy Metal auf die Hauptbühne bringen.

Galerie mit 24 Bildern: Mob Rules - Metal Hammer Paradise 2023 Galerie mit 14 Bildern: Wolfheart - Metal Hammer Paradise 2023

Dr. Nico Rose liest aus „Hard, Heavy & Happy“ und MOB RULES erzählen ihre (Fantasy-)Geschichten im Baltic Ballroom, bevor WOLFHEART den Raum zerlegen. Warum HIRAES in der erwartungsgemäß aus allen Nähten platzenden Riff Alm spielen – insbesondere nach dem Workshop mit der Fronterin – bleibt neben den unverschämten Bierpreisen eines der größten Fragezeichen des MHP 2023.

Galerie mit 13 Bildern: Destruction - Metal Hammer Paradise 2023

Sehr laut und noch einen Tick brutaler als bei KREATOR wird es im Zelt, denn DESTRUCTION haben einen richtig gewalt(tät)igen Sound mitgebracht. So kommen blasphemische Stücke wie „Antichrist“ und Uraltnummern wie „Thrash Attack“ vom 85er-Debüt „Infernal Overkill“ besonders gut zur Geltung. Als Schmier die Bühne verlässt, treffen sich die Saitenmusiker in der Mitte, spielen abwechselnd und animieren die Anwesenden. Wenn man es kann, kann man auch posen.

Galerie mit 15 Bildern: Ad Infinitum - Metal Hammer Paradise 2023

Im Baltic Ballroom überzeugen AD INFINITUM, bei denen Melissa Bonny bockstark zwischen Klargesang und Growls wechselt, während die Männer ihr instrumental zuarbeiten. SKYEYE sind in der Riff Alm gut aufgehoben, die zur Abwechslung nicht vollkommen überfüllt ist und somit genug Platz für die Fans der Slowenen bietet. Beim Toilettentalk hören wir später sogar Folgendes: „Beste Band, die sind wie IRON MAIDEN, nur besser.“ Der Urheber dieser gewagten Worte wurde seitdem nicht mehr gesehen.

Der Headliner spielt als drittletzte Band

Galerie mit 18 Bildern: Knorkator - Metal Hammer Paradise 2023

KNORKATOR erweisen sich als die bekannten Stimmungsmacher mit oft wertvoller Message. „Seid ihr so weit? Dann macht alle mit!“ Na, wer hatte gerade die verdrehte Stimme von Stumpen im Kopf? Mal geht es um „Rache, Vernichtung, töten“, dann fragen uns KNORKATOR freundlich, ob wir tanzen wollen, das Kackeschild kommt ins Spiel und der Fronter vertreibt sich die Zeit bei einer Federballrunde mit Kollege Alf Ator. Die Facetten sind reichhaltig – und entsprechend abwechslungsreich ist die Show. „Jubel!“

Ein Höhepunkt ist „Weg Nach Unten“, bei dem zunächst nur Agnetha Ivers performt. Dann kommt Stumpen hinzu und in dritter Instanz darf auch das Publikum mitsingen. Apropos Agnetha: Wenn die Tochter des Fronters die Strophen von „Ding Inne Schnauze“ singt und zum Refrain den Haarpropeller zündet, ist klar, dass sie der Band eine großartige neue Dimension verleiht. „Jetzt machen wir ein Lied, das ist ein sehr gutes.“ KNORKATOR sind heute der heimliche Headliner.

Gen Ende lässt uns Stumpen wissen: „Der Veranstalter hat gesagt, dass wir Strafe zahlen müssen, wenn wir überziehen. ich bin bereit, Strafe zu zahlen, wenn ihr wollt.“ Dann ab dafür. Und wir gehen schon mal rüber zu WIND ROSE.

Und jetzt alle: „I am a dwarf and I’m digging a hole“

Galerie mit 19 Bildern: Wind Rose - Metal Hammer Paradise 2023

Sind wir nicht alle ein bisschen zwergig? Zum Intro gehen aufblasbare Äxte und Spitzhacken hoch. „Germany, are you ready?“ In Anbetracht des derzeitigen Hypes um die Italiener und der Passgenauigkeit zum MHP kann die Antwort nur ein lautstarkes „JA!“ sein. Die Menge singt sofort mit und springt bei jeder Gelegenheit, befeuert vom erneut überraschend (für den Raum) guten Sound. WIND ROSE sind ein Selbstläufer, der noch lange nach dem Gig „Diggy diggy hole“-Gegröle erklingen lässt.

In der Riff Alm spielen Texaner finnischen Melodic Death Metal. Wie bitte? Ja, richtig gelesen: HINAYANA kommen aus Austin und fühlen sich musikalisch in Nordeuropa sehr wohl. Logisch, dass wir kurz anstehen müssen, um die Venue zu betreten. Doch das Warten lohnt sich, denn HINAYANA ist eine typische Band zum Entdecken. Sollte man sogar, denn die Amerikaner räumen mächtig ab.

Galerie mit 10 Bildern: Phil Campbell And The Bastard Sons - Metal Hammer Paradise 2023

Zum alten Eisen mit Legendenstatus gehört PHIL CAMPBELL, der das Zelt zusammen mit seinen Bastard Sons mit MOTÖRHEAD-Liedern beliefert. In jeder Dating-App wäre das ein klassisches Match, doch irgendwie funkt es heute nicht. Auf der Bühne ist die Stimmung auch nur so lala, denn bis auf die Hasenohren, die Neil Starr dem Bassisten verpasst, wirkt die Gruppe statisch und lahm. Aber wir wollen doch eh nur Lemmy huldigen – beispielsweise mit „Rock Out“ vom „Motörizer“-Album.

Schade um die finale Besetzung

Galerie mit 11 Bildern: Rage - Metal Hammer Paradise 2023

Die letzten Bands in den kleineren Locations fassen den musikalischen Hauptfaktor des Metal Hammer Paradise 2023 zusammen und stellen uns vor eine Entscheidung: Heavy (Power) Metal oder Melodic Death Metal. RAGE oder BEFORE THE DAWN. Natürlich beide! Also switchen wir, bleiben aber länger bei der letztgenannten Band. Dort sitzt Tuomas Saukkonen von WOLFHEART am Drumkit, doch im Mittelpunkt steht Paavo Laapotti, der seit 2022 bei den Finnen aktiv ist und vor allem mit seiner Klarstimme beeindruckt.

Galerie mit 32 Bildern: Epica - Metal Hammer Paradise 2023

Der heutige Headliner ist die gravierendste Fehlbesetzung des Metal Hammer Paradise 2023, denn bei EPICA ist die Luft im Zelt überwiegend raus. Die Reihen sind licht und die Anwesenden sichtbar unmotiviert. So passiert auf der Bühne, die mit einem von Schlagzeug und Keyword flankierten mittigen Podest unüblich angeordnet ist, deutlich mehr als davor.

Oder liegt es daran, dass der sonstige Growler im Bandgefüge aus Gründen des frischen Nachwuchses heute nicht dabei ist? Schwer zu sagen, doch Fakt ist: Symphonic Metal ist nicht das, was bei den ausgebrannten Menschen die letzten Energiereserven aktiviert.

So geht das Metal Hammer Paradise 2023 mit einem kleinen Dämpfer zu Ende, der nicht verschleiern soll, dass es insgesamt ein gelungenes Jubiläum mit dem wohl besten Billing der Festivalhistorie war.

Text: André Gabriel, Jürgen Fenske
Fotos: Jürgen Fenske

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02.12.2023

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