Mastodon
Tool und Mastodon live in Stuttgart
Konzertbericht
Das Jahr 2006 dürfte ziemlich sicher als das tourintensivste in die Bandgeschichte TOOLs eingehen. Seit Veröffentlichung ihres neuen Albums „10,000 Days“ gibt die ehemals so öffentlichkeitsscheue Extravaganza den nimmermüden Nomaden. Fünf Jahre ließen sie Europa warten. Fünf Jahre, die zwar rechnerisch keine zehntausend Tage ergeben, die es aber gedauert hat, um den Nachfolger zu „Lateralus“ zu entbinden. Und plötzlich waren sie wieder da, und gleich in der Stuttgarter Porsche-Arena, die im Vergleich zu anderen sogenannten Arenen zwar eher zum Austragen von Hallenhalma-Turnieren geeignet ist, aber dennoch immerhin 7500 Leute fasst. Im Vergleich zur in der direkten Nachbarschaft beheimateten Schleyerhalle ist der noch nicht einmal ein Jahr alte Bau doch ziemlich überschaubar. Nach einigen bösen Überraschungen in den letzten Wochen, wo Bands schon zu Toresöffnung auf die Bretter geschickt wurden (aufgrund des fehlenden Publikums im doppelten Sinne!) um einiges klüger, war ich diesmal sehr pünktlich vor Ort, da es mir an diesem Abend weniger um den Headliner als um den Opener MASTODON ging.
Der spontanen Verwunderung meiner Begleitung („Wo is’n hier was los? Hier is ja gar nix los! Was is’n hier los?!“) ob der sträflichen Missachtung MASTODONs seitens des Publikums konnte ich mich zwar eingangs nicht anschließen, wohl aber angesichts der zurückhaltenden Reaktionen erkennen, dass hier offensichtlich TOOL gefragt waren und sonst niemand. Pünktlich um acht betraten die vier Wunderknaben die Bühne und zockten in einem für eine Vorband unglaublich lauten Sound ihr Set herunter. Musikalisch zwar topfit, war es bedauerlicherweise überdeutlich, dass MASTODON unter dem Joch des Openers zu leiden hatten. Um dem Headliner nicht die Schau und sich selber nicht zu viel Zeit zu stehlen, wurde auf Ansagen komplett verzichtet, das Set zeitlich ökonomisch heruntergespielt und die daraus resultierende unausweichliche Distanz zum Publikum zähneknirschend in Kauf genommen. Keine Frage, die Mucke hat gedrückt, einerseits dank andererseits trotz der enormen Lautstärke und des sehr basslastigen Sounds.
Schade, wenn auch nachvollziehbar, war dagegen, dass die Setlist bis auf zwei „Leviathan“-Titel nur Material vom neuen Album „Blood Mountain“ beinhaltete. Zwar gibt es am neuen Werk der Atlanta-Jungs absolut nichts zu kritteln, Songs wie „Blood And Thunder“, „I Am Ahab“, „Iron Tusk“ und sogar das komplette „Remission“ zu vernachlässigen, finde ich allerdings etwas arg. Etwas weniger Promo-Gedanke wäre da wünschenswert gewesen. Von der neuen Scheibe fanden „This Mortal Soil“, „The Wolf Is Loose“, „Crystal Skull“, „Capilarian Crest“, „Colony Of Birchmen“, „Circle Of Cysquatch“ und „Sleeping Giant“ ihren Weg ins Set, während die beiden „Leviathan“-Brocken „Megalodon“ und das den kompletten Auftritt überragende „Hearts Alive“ mit einem genialen Solo den Abschluss bildeten. Insgesamt standen die vier Kerle etwa eine Dreiviertelstunde auf der Bühne, was meine eher skeptischen Erwartungen auf angenehme Weise für unnötig erklärte. Eine etwas undankbare Mission hatten MASTODON aber dennoch zu verrichten, da TOOL eine Band zu sein scheinen, deren langer Schatten keine Gnade mit anderen zu kennen scheint. Wo man hinsah warteten die Leute mit verschränkten Armen ab und straften eine wirklich gut spielende Band mit Unverständnis und ungeduldigem Hufescharren. Perlen vor die Säue!
Nachdem MASTODON den Weg zwischen beiden Ohren mit ordentlich Druck freigeräumt hatten, man die Worte seines Gegenübers nur noch wie durch Zuckerwatte wahrnahm, flanierten wir über die blitzsauberen Flure der Porsche-Arena, und erfuhren dort von einem freundlichen Haustechniker sogar noch die eine oder andere Hintergrundinfo. So kam das verhängte Rauchverbot im Saale nicht vom Hallenmanagement selbst, sondern wurde von TOOL mit einigem Nachdruck verhängt. Qualmende Fans = Konzertabbruch. Da hat wohl jemand kein Vertrauen in die kaum ein Jahr alte Entlüftungsanlage, wie? Ein kleiner Vorgeschmack auf das nahende (?) Rauchverbot seitens der Bundesregierung und ein nicht gekanntes Gefühl, mit nicht stinkenden Klamotten von einem Konzert nach Hause zu kommen… Schöne neue Welt!
Ähnlich rigoros wie beim Maulkorb für die Anwesenden waren die Bestimmungen, was das Fotografieren anging. Dass Kameras und selbst kleinere Digicams nicht erwünscht waren, lässt sich ja noch nachvollziehen. Dass es aber nicht einmal den Haustechnikern erlaubt war, vor dem Soundcheck ein paar Fotos von der menschenleeren (!) Bühne zu machen und man selbst mit einer popeligen Handy-Cam während des Konzerts von patrouillierenden Securitys ermahnt wurde, das gefälligst sein zu lassen, fällt bei mir nicht einmal mehr unter akzeptieren-aber-nicht-verstehen-müssen. Wer über 40 Euro für ein Konzert bezahlt, bei dem die Shirt-Preise nebenbei erwähnt bei 30 Flocken anfangen, wird ja wohl noch ein winziges, verrauschtes, sonst zu nichts zu gebrauchendes Erinnerungsfoto machen dürfen?! Vielleicht lag diese fast schon willkürlich wirkende Interpretation aber auch im Ermessensspielraum der zwar omnipräsenten aber dennoch überfordert und verkrampft wirkenden Ordnungskräfte.
Wie dem auch sei. Trotz der gewohnt aufwändigen Video-Installationen ging die Umbauphase zwischen den Bands überraschend flott vorüber und Maynard James Keenan samt Gefolgschaft enterten unter frenetischem Jubel die Bühne. Mr. Keenan scheint wirklich enorm schlechte Erfahrungen mit unzureichender Entlüftung gemacht zu haben, denn er absolvierte das komplette Konzert mit einer Gasmaske auf dem Kopf, in die sein Mikro gesteckt war. Ein positiver Nebeneffekt davon war allerdings, dass seine Stimme dadurch zu jedem Zeitpunkt glockenklar zu vernehmen war. Der Sound insgesamt war auch laut und vernehmlich. Mit besonderer Betonung auf „laut“. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich noch nie im Leben ein derart lautes Konzert gesehen habe. MOTÖRHEAD? Kindergarten. MINISTRY auf dem Wacken? Allenfalls ein energisches Flüstern. Selbst MASTODON direkt davor waren im Vergleich noch angenehm! Wenn man die Halle verließ, um sich draußen ein Bier zu kaufen, musste man sein Gegenüber anschreien, um gehört zu werden.
Was die Band selbst anging, präsentierten sich TOOL wie ich sie von vor fünf Jahren in Erinnerung hatte. Wenig kommunikativ, introvertiert, eine Welt und eine Show für sich. Die fehlende Bewegung der Musiker wurde durch die Video-Projektionen kompensiert, die – klassisch TOOL – zum einen aus fast meditativen Farb- und Formspielereien, zum anderen aus apokalyptisch-beklemmenden Visionen bestanden und einige Versatzstücke aus den bekannten Promo-Videos beinhalteten. Einzig Frontmann Maynard übte sich in Bewegung, der Rest der Band dagegen in stillem Understatement. Den Einstieg machten TOOL mit „Stinkfist“ und verharrten auch mit dem folgenden „Forty Six & 2“ noch bei „Ænima“, bevor mit „Jambi“ die ersten Töne vom neuen Album „10,000 Days“ erklangen. Mit einem Song selbst vom Debüt-Album („Swamp Song“) präsentierten TOOL in zwei Stunden Spielzeit einen recht umfassenden Querschnitt ihres Schaffens, der mit instrumentalen Psycho-Strecken und Laser-Show gegen Ende beeindruckend choreographiert war. Auch wenn der Auftritt Überraschungen im Endeffekt vermissen ließ, entsprach das Gebotene genau den gehegten Erwartungen an eine TOOL-Show. Und das trotz der langen Abwesenheit. Vorhersehbarkeit trotz des eisernen Willens zur Unberechenbarkeit? Irgendwie schon…
Setlist:
Stinkfist
Forty Six & 2
Jambi
Schism
Lost Keys
Rosetta Stoned
Swamp Song
Wings For Marie
10,000 Days
Lateralus
Vicarious
Ænema
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