Kraan
Kraan
Konzertbericht
Da waren sie wieder. Vier deutsche Jazzrocker, deren wichtigstes Werk ein Live-Album ist. Eingespielt wurde es 1974 im Berliner Quatier Latin. Mein Vater, der die Aufnahme damals aus dem Westen bekam, hörte sie dann im Ostteil Berlins nach eigenem Bekunden so oft, dass er noch heute jeden Ton auswendig kenne. Das originale Vinyl mit den drei barbusigen Konzertbesucherinnen auf dem Cover steht schon lange im Keller. Die Zeichnung stammt übrigens von Gitarrist Peter Wolbrandt, der damals mit seinem Erguss für einige Magenschmerzen bei der Plattenfirma sorgte. Jedenfalls hat sich mein Vater neulich in Ermangelung eines Plattenspielers „Live“ auf CD gekauft. Quasi aus Vorfreude. KRAAN gibt es nämlich immer noch. Besser: KRAAN gibt es wieder. Seit 2000. Älter sind sie natürlich geworden und ihren Saxophonisten haben sie gegen einen Tastendrücker eingetauscht. Der Begeisterung tat das jedoch keinen Abbruch. Verständlich, denn der Sound im Kesselhaus war gut, die Präsentation virtuos. Vielleicht 200 Besucher standen in dem zur Kulturbrauerei gehörenden Industrie-Gebäude nicht besonders dicht beisammen und verhielten sich gesittet – Fans altern halt auch. Und KRAAN spielten vor allem ihre Klassiker. So durften zum Beispiel ’Holiday am Marterhorn’, ’Nam Nam’ und die „Live“-Eröffnung, namentlich ’Jerk Of Life’, nicht fehlen. Sie taten es auch nicht. Während der Großteil des Publikums zu den oftmals ausufernden Kompositionen gepflegt mitwippte, kehrte bei einigen älteren Semestern sogar jugendliche Agilität in die Glieder zurück. Ein Herr schwang in offensichtlicher Verzückung – und von Haarausfall verschont – seine Matte, während ein anderer beständig umherhüpfte, um zum Schluss noch eine Ermahnung wegen Mikrorüttelns vom Security-Mann einzustecken. Der hatte die Rechnung allerdings ohne die Alt-Hippie-Friedbedürftigkeit des Sandalen und Schafspelzweste tragenden Rüttlers gemacht, weswegen er sich anschließend eine ausdauernde Entschuldigung anhören durfte.
Was abseits der Musik anhören durfte sich auch das Publikum, denn Bassist Hellmut Hattler war in Plauderlaune („Als wir damals ins alternative Abseits glitten…“). Irgendwann spielte Peter Wolbrandt, dessen Bruder am Schlagzeug aktiv ist, dann auch mal von alleine los. Normalerweise gibt allerdings Hattler den Ton innerhalb der Band an. So kümmerte er sich nach 110 Minuten auf der Bühne anschließend noch höchstpersönlich um Verkaufsangelegenheiten. Während des Konzertes war er es auch, der die Band vorstellte („Der Peter war ja damals unser Womanizer…“) und sich auf einen Zwischenruf hin auch einen Kommentar zu Ex-Mitglied Johannes Pappert nicht verkniff („Der hat jetzt eine Multimedia-Firma…“). Von Pappert trennte man sich bereits 1976 aufgrund von Ego-Problemen unter den Solisten sowie unterschiedlicher „Weltanschauungen“. Der musikalischen Qualität tut der fehlende Saxophonist – zumindest für meinen Geschmack – jedoch keinen Abbruch. Mit Ingo Bischof, der auch früher schon mal bei KRAAN spielte, wirkt die Band heute sogar fast noch eine Idee lebhafter und psychedelisch-rockiger. Dieser Eindruck bestätigt sich auch, als KRAAN eines ihrer neueren Stücke anstimmten. Mehr Gesang, zupackendere Gitarre. Die exotischen Einflüsse von damals – Drogen und künstlerischem Interesse seien sie gedankt – bestimmen aber auch heute noch einen wesentlichen Teil der Show. Wobei Show eigentlich das falsche Wort ist, verzichten die Herren doch auf nennenswerte Schaueffekte und lassen stattdessen lieber Musik pur wirken („…um Spaß zu haben und nebenbei noch ein paar Euro zu verdienen…“). Dabei wäre es sicher leicht die alten Zeiten zu verklären, während denen sie im Teutoburger Wald auf dem Gut von Graf Peter von Metternich lebten. Doch Peter Wolbrandt erklärte das Leben in der Kommune neulich im WDR-Rockpalast ganz unromantisch: „Wir hatten einfach kein Geld…“ Drauf haben es die Krautrock-Veteranen aber auch nach über 30 Jahren noch. Die Gelegenheiten KRAAN live zu sehen sind relativ selten – und sicherlich sehenswert. Alt-Fans dürften eh ihren Spaß haben, junge Zuhörer bekommen zudem eine Ahnung, wo der Prog-Rock seine Ursprünge hat.
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