Klein, aber fein: Pelagic Fest 2018 in Berlin
Konzertbericht
Sonntag, 20. Mai
Passend zum Sonntag herrscht auf dem Pelagic-Fest-Gelände geschäftiges Treiben. Bei der Ankunft der journalistischen Division sind eben noch die letzten Wehen des hiesigen Flohmarktes spürbar. In der ziemlich ambitionierten Frühsommersonne spielen Kinder, dudelt Musik und plaudern zahlreiche Leute, die aus unterschiedlichen Gründen – Musik, Getränke, Kletterstunde – in den Garten des Areals gespült wurden. ‚Tschuldigung – wo geht’s hier zum Festival?
Die Kollegen sind der einhelligen Meinung: Wenn man im Leben Orientierungsprobleme hat, sollte man sich professionelle Hilfe holen. Also werden kurzerhand die Herrschaften von EARTH SHIP zur Hilfe gerufen – und nebenbei noch dazu verpflichtet, einen Liveticker zum Festival zu schreiben. Keine Gegenwehr. Berliner waren auch schon mal resistenter.
OHGOD, OHGOD
Wieder erweist sich des Tages-Opener als Glücksgriff. OHGOD aus Südafrika betreten das erste Mal europäischen Boden und holpern sich dann auch durch die damit verbundene Ansage. In der Folge bleiben sie dann lieber auch dort, wo augenscheinlich ihre Stärken liegen: bei pulsierendem, erfrischend naivem und progressivem Post-Rock.
Das etwas polternde Schlagzeug überhört man zugunsten mehrheitstauglicher Gitarrensoli und griffiger Riffs. Verdientermaßen füllt sich denn auch der noch sparsam besuchte Raum des Cassiopeia. Dementsprechend gerührt sind die vier, als ihnen merklicher Zuspruch entgegenschlägt. Zu Recht, denn nur mit Saiten, ohne Synthies oder Sampler derart viel Sphäre und Dichte aufzuladen, will erst einmal gekonnt sein.
16 Uhr: Load-In, Aufbauen & die mittlerweile (Tag dreiiiii) arg lädierte Crew ärgern. Höhö!
17 Uhr: Sound checken, Merch aufbauen, Getränke suchen, warten.
TELEPATHY packen zu
Viel Zeit zum Nachhallen haben bleibt den feinen Klängen OHGODs nicht. Denn im Badehaus TELEPATHY zu verpassen, wäre ein Unding. Und der kurzfristig verpflichtete Vierer aus England liefert dort dann auch eine Post-Metal-Session vom feinsten. Hart und herzlich, stählern und treffend, unnachgiebig und intensiv. Die Kollegin, die nun eher selten an Merch-Ständen zu finden ist, visiert kurz darauf eben diesen an und hält sogleich das Scheibchen der eben gesehenen und bestaunten Truppe in den Händen. Die Untermalung der Rückfahrt ist schon mal safe. Guter Stoff.
18 Uhr: Die Stimmung kocht. Erdnussflips, Bier und Waldmeister-Vodka. Ebenfalls: Gespräche ÜBER Erdnussflips.
EARTH SHIP: Ein Bart, sie zu knechten
Dritter Programmpunkt, dritte Facette, dritter Anlass zur Begeisterung. EARTH SHIP enttäuschen nicht, rollen und reißen mit ihrem rohen Set die Zuhörerschaft mit sich. Hier zeigt sich auch der große Wert eines Label-Festivals: Wenn die grundlegende Marschrichtung sympathisch ist, sind Ausfälle kaum zu erwarten. Das gilt auch für das Berliner Krawall-Trio, welches sich in der Folge amtlich groovend durch ihre rotzig-wuchtigen Kompositionen sowie den dickflüssig aus einem röchelnden Kasten quillenden Nebel lärmt. Dass selbst solch eher traditionell angehauchte Mugge mittlerweile mit einer am Drumkit montierten GoPro gespielt wird, ist ja logisch. Wir sind ja schließlich im hippen Berlin. Aber mal echt, eh: Das. Macht. Richtig. Freude. Yeehaa!
19.20 Uhr: Stagetime! Magen leer, Waldmeistervodka auch. Halbzeit im Set: Immer noch nix kaputtgegangen, dafür aber randsexuelle Tanzmoves im Publikum. Und kein Hall. Yay!
Danach: Merch machen, was essen, zurück zum Merch, Load-Out, Massiv unseriöses Interview in einer Sauna geben. Na ja…
Hello again – ABRAHAM
Nachdem sie am Vortag bereits die erste Hälfte ihres neuen Albums kundgaben, gibt es nun die „Phytocene“ und „Oryktocene“ auf die Nuss. Wer in Erwartung einer sich wiederholenden Darbietung ABRAHAMS zweiten Auftritt auslässt, ist zu bedauern. Denn die Schweizer legen noch eine fiese Schippe zu. Das drückt teils mächtig – und lässt an anderer Stelle den Hörer frösteln. Auch wenn die Jungs ihren Performance-Job bisweilen etwas überstrapazieren, ist es doch (noch) ein bemerkenswerter Beitrag zum Festival.
Ruppig, riesig, ROSETTA!
Bemerkenswert. Ja, das ist ein ganz hervorragendes Wort, wenn es um ROSETTA geht. Und bemerkenswert ist zunächst auch der Zuschauerandrang – bei wohl keiner Band im bisherigen Festivalverlauf war das Badehaus dermaßen gefüllt. Manch einer ist da ja schmerzfreier und schiebt sich einfach stoisch durch die Reihen, Kollege Kostudis wahrt aber die Nettikette und rammelt nicht irgendwie döschig durch die Menge.
Was der Kollege – unter selbstverständlich wesentlich spärlicherem Soundbeschuss – dann von der Seite der Bühne erhascht, lässt ihn dann aber mehrmals die Kontrolle über den Unterkiefer verlieren. Mal verträumt, mal heftig hämmernd servieren die US-Amerikaner ihre Post-(Rock und Metal)-Hymnen, dass es eine wahre Freude ist. Der energischen und grundsympathischen Aufforderung des Frontmanns Mike Armine („Jetzt packt einfach mal die Handys weg und gebt euch und uns einfach mal sieben Minuten. Einfach nur sieben Minuten zuhören. Danach könnt ihr wieder posten.“) leistet dann sogar Kollege Kostudis Folge – obwohl er vom Bühnenrand durch einige lärmende Leute hinweg, die just gerade estwas unglaublich Wichtiges lautstark zu besprechen haben, noch irgendwie ein brauchbares Bildchen knipsen muss. Am Ende ist aber alles im Kasten – sowohl ein überragend starker Gig ROSETTAs als auch die gewünschte digitale Momentaufnahme. Vom vielleicht besten Gig des gesamten Festivals. Und ja – irgendwann hat das redselige Duo am Bühnenrand dann auch glücklicherweise – Pardon! – mal die Fresse gehalten.
Auf der Suche nach TWINESUNS
Nach dem formidablen Ebengehörten spielen TWINESUNS im Cassiopeia. Vermutet man. Wirklich sicher ist sich die Redaktionsabordnung aber nicht. Zwar dröhnen aus dem Raum durchdringende Töne – aber auch jede Menge Nebel. Die Sinneswahrnehmung reduziert sich auf Hör-, Tast- und Riechsinn. Letzterer lässt zunehmend zweifeln, dass Trockeneis wirklich die einzige Nebelquelle ist. Da sich das Doom-Drone-Set des Bielefelder Trios offensichtlich eingeschränkt abwechslungsreich gestaltet und die spätere Fahrtüchtigkeit einzelner Anwesende oberste Priorität genießt, lauschen die Kollegen der Sache dann im lauen Innenhof. Kurz vor Schluss des Pelagic Fests stellt der Auftritt von TWINSUNS aber definitiv noch einen Ausreißer dar. Schön, schön.
Der Weg zum Glück: PG.LOST
Den Feierabend-Slot haben PG.LOST gewonnen – und konsequenterweise auch eine Menge Zuhörer. Der Raum im Cassiopeia platzt jetzt aus allen Nähten. Die Luft ist feucht, stickig und zum Schneiden dick. Perfekte Bedingungen also, um melancholische, drängende oder feinsinnige Klangwellen zu transportieren. Wenn denn die Technik mitspielt. Kristian Karlssons Bass verstummt zeitweilig, auch die Synthies mucken rum. Der Laune auf und vor der Bühne schadet das jedoch nicht. Zu groß ist die Spielfreude und zu tief reißen die Schweden mit in ebenjenen Sog, den Post-Rock gerne mal verursacht. Nicken, schwanken, loslassen – sich einfach keine Sorgen mehr machen. Vor, zurück. Vor, zurück. Lächeln. Glücklich sein. So, und zwar genau so muss das sein.
23 Uhr: PG.LOST vor einem proppevollen Cassiopeia gucken – bringt hoffentlich auch den letzten gefühlskalten Eisblock schön angetaut ins Bett.
Bye-bye, Pelagic Fest!
Musikalische Bandbreite oberster Qualität, ein entspanntes und interessiertes Publikum und passende Locations: Das Pelagic Fest hat sich abermals als ein Sahneschnittchen in der Festival-Landschaft erwiesen. Die Kollegen freuen sich über das überschaubare und dennoch reichhaltige Programm, das den Festival-Koller gar nicht erst aufkommen lässt. Nach den obligatorischen, langwierigen Merch- und Flur-Gesprächen auf mittlerweile etwas wackligen Beinen steht schlussendlich noch die Heimreise an. Relativ unverbraucht startet die Fahrt Richtung Süden, die untermalt von der TELEPATHY-Platte noch eine würdige Nachlese darstellt.
Fazit: Grandiose Crew, ziemlich viele bekannte Gesichter, schöne Venues, alle Hallpedale dieser Welt (alle!), mehr Nebel als in sämtlichen Edgar-Wallace-Filmen zusammen – und tatsächlich ging der Plan mit der etwas intimeren Atmosphäre auch auf. Grande!
Bericht: Sophia und Anton Kostudis, Sebastian Grimberg. Bilder: Anton Kostudis und Sebastian Grimberg.
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