Klein, aber fein: Pelagic Fest 2018 in Berlin
Konzertbericht
Samstag, 19.Mai
Am zweiten Tag zieht das Pelagic Fest ins Friedrichshainer Venue-Ensemble Cassiopia/Badehaus und verteilt sich dabei auf drei Bühnen. Das ist auch notwendig, um den engagierten Plan mit neun Programmpunkten abzuarbeiten. Ohne mittäglichen Beginn, aber mit Ende vor Mitternacht. Und mit durchschnittlichen Spielzeiten, die sich ziemlich schnell der Stundenmarke nähern.
Das ursprüngliche Line-up hat dabei eine Veränderung erfahren. Anstelle der Atmo-Proggies HYPNO5E gastieren PHANTOM WINTER als Abordnung von Golden Antenna Records. Und schließlich steht auch noch die Auflösung des Secret-Headliner-Secrets an. Es bleibt spannend.
Pelagic-Opener No. 2: SHRIVEL
Doch von vorn: Der erste Slot im Cassiopeia fällt SHRIVEL zu. Hinter diesem Namen verbirgt sich der Hamburger Knöpfchendreher Peter Voigtmann, welcher – von Synthies und blinkenden LED-Leisten umringt – unter dem fahlen Lichtkegel einer Stehlampe mitten im Raum Platz genommen hat und seine drone- und ambientlastigen Kompositionen zum Besten gibt.
Dass elektronische Klänge und zünftige Gitarrenkost durchaus neben- und miteinander funktionieren können, haben ARMS AND SLEEPERS bereits am Vortag bewiesen. Diesmal ist bei den Zuhörern allerdings ein bisschen mehr Geduld gefragt, denn Voigtmann webt seine sphärischen Stücke behutsam und sacht zusammen, lässt sie langsam und behäbig anschwellen, bis sie schließlich ihren beat-geschwängerten Höhepunkt erreichen. Der eine oder andere mag sich womöglich etwas Derberes gewünscht haben, um die Müdigkeit aus den Gliedern zu schütteln – andererseits: Mit SHRIVEL lässt es sich eben auch gemütlich in den Tag hineingleiten, was auch nicht verkehrt ist. Krach wird es heute nämlich fraglos noch genug auf die Ohren geben.
HYENAS‘ fehlende Funken
Beispielsweise bei HYENAS. Der Vierer hat im Badehaus Stellung bezogen und begrüßt die allmählich hinzuströmenden Zuhörer mit seiner energischen Hardcore-Mixtur. Die punkig angehauchten, geradlinigen Stücke sind eigentlich wie dafür gemacht, um die Menge auf Betriebstemperatur zu bringen, wollen allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht so richtig zünden. Die Nürnberger lassen sich aber nicht hängen und geben auf der Bühne Vollgas. Vorzuwerfen haben sich die Bayern nichts, aber manchmal will der Funke eben einfach nicht überspringen. Auch nicht bei der Belegschaft, die sich angesichts noch wartender Belastungen noch zehn Minuten in der Berliner Nachmittagssonne gönnt, bevor sie zur nächsten Bühne weiterschlendert.
ABRAHAM haben einiges vor
Dort kramen ABRAHAM in einer ähnlichen Schublade. Post-Hardcore, Sludge, Metal, allerlei kommt dabei zutage. Die sechs Mannen fordern dabei nicht nur personell einiges an Raum. Sie verteilen ihr offensichtlich umfangreiches Repertoire auf zwei Gigs. Der erste ist nun im Cassiopeia zu verfolgen. Jüngst haben die Schweizer ihr Album „Look, Here Comes The Dark!“ veröffentlicht – ein zwei-scheibiges Vergnügen in vier Akten. Die ersten beiden – „Anthropocene“ und „Phytocene“ – gibt es heute zu hören.
Was sich von Platte durchaus angenehm behorcht, ist live kaum zu erfassen. ABRAHAM werfen ihre Beiträge mit Energie und Hingabe zu einer großen Collage zusammen, die immer nur stückweise aufnehmbar scheint. Das hat eine eigentümliche Bannkraft zur Folge, die nach Meinung der Kollegen vom Publikum nicht entsprechend gewürdigt wird. Ein starker Auftritt, der Vorfreude auf den zweiten Teil am Sonntag macht.
Gestatten, Abriss: LLNN
Das ließe sich nun entweder durch Sanftheit toppen – oder aber durch Brachialität. LLNN entscheiden sich für letzteres. Das dänische Quartett haut auf der zweiten Bühne des Cassiopeia mächtig auf den Putz und bringt nicht nur die eigenen Trommelfelle an die Schmerzgrenze. Kollege Kostudis wusste das schon vom ersten Eindruck auf dem Roadburn-Festival. Dass heute alle Instrumente die Dreiviertelstunde augenscheinlich unbeschadet überstehen, ist nicht selbstverständlich. Selten befürchtet man einen Basssaitenriss derart begründet wie hier. Handwerklich wie tonlich walzen LLNN die Apokalypse unversöhnlich breit und ernten dafür eine Menge Zuspruch. Zu Recht. Denn neben der wuchtigen Doom-Sludge-Post-Klatsche selbst ist die rohe Körperlichkeit, mit der die Kopenhagener ihre Instrumente bearbeiten, jeden Beifall wert. Starke Sache.
Temperatursturz mit PHANTOM WINTER
In musikalischer Hinsicht hätte PHANTOM WINTER ohne Weiteres einen Slot im Line-up verdient gehabt. Da HYPNO5E nun ausfallen, „lieh“ sich das Festival die Würzburger bei Golden Antenna Records kurzerhand als Ersatz aus. Und der Fünfer dankt es auf seine Weise: Mit düster-wuchtigen Hassbatzen, welche mit Nachdruck an den Wänden des Badehauses rütteln. Wie immer unter blau-frösteligem Dämmerlicht und ohne jegliche Ansagen berserkern sie durch ihr Set. Dabei hat die Band noch das Glück, dass der Sound im Vergleich zur Roadburn-Show vor einigen Wochen diesmal um einiges besser ist – und die fiesen Song-Ungetüme, mit welchen PHANTOM WINTER um sich werfen, bestens ins Szene setzt. Die Sonnenstrahlen, welche der Belegschaft nach Ende der Show im Freien entgegentänzeln, fühlen sich dann jedenfalls um einiges kälter an. Schaurig.
Überraschung!?
Die Spatzen hatten es im Vorfeld von den Dächern gepfiffen – aber auch so brauchte es nicht viel Phantasie, um das Rätsel um den „Secret Headliner“ am Samstagabend zu entschlüsseln. Da sich bereits alle Bandmitglieder THE OCEANs auf dem Festivalgelände herumtrieben und Band- und Pelagic-Chef Robin Staps als federführende Kraft hinter dem Line-up agierte, war es wenig überraschend, dass von der abgedunkelten Bühne des Cassiopeias schließlich die markante Melodie von „Siderian“ ertönte. Spätestens jetzt war klar, dass die Menge in den Genuss einer „Precambrian“-Setlist kommen würde, mit welcher die Band anlässlich des zehnjährigen Geburtstags der Platte jüngst auch auf Tour gegangen war.
Dass THE OCEAN ihr Handwerk verstehen und live immer eine Macht sind, ist hinlänglich bekannt. Und so können sich Staps, Drummer Paul Seidel und die weiteren Musiker es dann auch erlauben, zwischen allen organisatorischen Herausforderungen und unzähligen Handgriffen, die während eines Festivalwochenendes von Veranstalterseite eben nötig sind, mal „zwischendurch“ eine Show zu spielen. Ebenjene ist dann auch von gewohnter Güteklasse, wenngleich Frontmann Loic Rossetti zu Beginn ein kleines bisschen schwächelt. Am Ende steht aber – wie so oft – ein routinierter und starker Gig der Berliner, für welchen sie vom Publikum zu Recht lautstark gefeiert werden. Und zwar so sehr, dass die Band für eine Zugabe (diesmal „The Quiet Observer“ von der 2015er-Split-EP mit MONO) auf die Bühne zurückkehrt. Auch das ist am heutigen Abend natürlich keine Überraschung.
RADARE stechen sanft EF aus
Kollege Kostudis versah die Erwähnung von RADARE in der Vergangenheit oft mit einem Herzchen-Emoticon. Seine Kollegin stellt nun fest, dass dies mehr als gerechtfertig war. RADAREs Set ist ein jäher Tritt auf die Bremse. Es fällt im gesamten bisherigen Line-up aus dem Rahmen und wächst zu einem Ruhepol im geschäftigen Festival-Ablauf. Behutsam, ernsthaft, hingebungsvoll und warmherzig füllt das Quartett den Raum mit multiintrumentalen Klängen. Dabei ist nicht nur der Einsatz von Klarinette und Saxophon eine willkommenes Extra: Auch für die Abstimmung des Schlagzeugs will die Kollegin dem verantwortlichen Tontechniker den Arm tätscheln. Allein die Snare hallt zum Verlieben und liefert zusammen mit dem differenzierten Spiel von Schlagmann Henrik Eichmann einen großen Beitrag zur herrschenden eindrücklichen Stimmung. Dass diese überhaupt so wachsen kann, ist auch dem Publikum zu verdanken. Wer hier ausharrt, tut dies um der Musik Willen und nicht auf der Suche nach persönliche Party-Untermalung. Wun-der-fein.
Dieser Einschub sensibler Intensität und die fortgeschrittene Stunde machen es hernach für EF schwer, die Kollegen zu überzeugen. Das keinesfalls schwache Post-Rock-Geplänkel vermag sich nur der eben erlebten Stimmung kaum zu nähern. „Solide, aber Standard“ lautet daher die einhellige Meinung, die weniger den Schweden selbst als eben der schweren Bürde der RADARE-Nachfolge zu verdanken ist. Positiv betrachtet verschaffen sich die Kollegen damit eine mentale Verschnaufpause, die mit Blick auf das bislang Gehörte dringend nötig scheint.
Rustikaler Schluss mit BISON
Die letzte Stunde schlägt mit BISON. Die Pelagic-Crew hat den Tagesplan vortrefflich zusammengestellt. Denn nichts anderes würde jetzt noch in gut gefüllte Birnen passen als eine bodenständige Sludge-Zocke. Gut, ein Bier vielleicht. Wie auch immer, die Kanadier rüpeln ihr Set in die Menge und lassen sich dabei auch von technischen Wirrungen nicht beeindrucken. Die wankelmütige Gitarrenverstärkung und lose Mikrofone werden nebenbei verarztet. Bei bester Laune auf beiden Seiten der Bühne geht so der zweite Tag des Pelagic Fests als Highlight-Hatz mehr als würdig zu Ende.
Bericht: Sophia und Anton Kostudis. Bilder: Anton Kostudis.
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