King Crimson
"The Elements Of King Crimson" – live in Utrecht 2015
Konzertbericht
Im Alter von 23 Jahren das erste Progressive-Rock-Album der Welt aufnehmen, um in den nächsten Jahrzehnten satte 20 Mitglieder in acht grundverschiedenen Line-ups zu verschleißen. Robert Fripp regiert wahrhaftig mit eiserner Hand. So folgt der Wiederbelebung KING CRIMSONs im Jahre 2013 eine deutliche Ansage des inzwischen 69-Jährigen: „Wer nur kommt, um ‚In The Court Of The Crimson King‘ zu hören, kann sein Ticket gleich wieder verkaufen. Es steht gar nicht erst auf der Setlist.“ Doch auch die eisernste Hand lockert eines Tages ihren Griff. Auch ein Robert Fripp wird im Alter etwas milder, wie die schaffensübergreifende Songauswahl an diesem Samstagabend beweist. Statt vom einflussreichen Debüt hat sich Fripp in Wirklichkeit nur von der New-Wave-lastigen Phase der 1980er losgesagt – und nach 32 Jahren Zusammenarbeit auch von Frontmann Adrian Belew. Dennoch werden die aus aller Herren Länder angereisten Prog-Heads im Utrechter TivoliVredenburg mit einem Best-Of-Set verwöhnt, wie es der Band wohl nicht jeder zugetraut hätte.
Kaum dass der Opener „Larks‘ Tongues in Aspic, Part One“ (1973) den Rängen um 20:30 Uhr erste Jubelstürme entlockt, wird klar, dass die neuste Reinkarnation KING CRIMSONs in erster Linie vom infernalischen Schlagzeuger-Trio der vorderen Bühnenreihe motorisiert (und verjüngt) wird. Dort reihen sich neben Stamm-Drummer Pat Mastelotto neuerdings auch ex-R.E.M.-Trommler Bill Rieflin und PORCUPINE TREE-Virtuose Gavin Harrison ein. Das Ergebnis lässt sich getrost als Neuerfindung der Polyrhythmik definieren. Im Hintergrund schart Sesselhocker Fripp mit Mel Collins, Tony Levin und Jakko Jakszyk vorwiegend alte Weggefährten um sich. Trotz perfektionistischer Fehlerlosigkeit schenkt er deren Instrumentalleistungen ebenso eisige Blicke wie seinen meterhohen Effektracks. Doch gerade diese erlauben es, den Sound von 70er-Klassikern à la „Pictures Of A City“ („In The Wake Of Poseidon“, 1970) mit dem eines aktuelleren „The ConstruKction Of Light“ (2000) zu verknüpfen. Und obwohl die diversen malerischen Klangfarben der Saiten- und Blasinstrumente das Publikum in gekonnter Manier zu betören und verstören wissen, versetzt gerade die personelle Übermacht einigen Songs so manchen Dämpfer. „Level Five“, die wohl deutlichste Metal-Anbiederung der 46-jährigen Bandkarriere, strotzt bereits in ihrer Originalversion vor Komplexität, doch zusätzliches Saxofon-Geträller und die Aufsplittung der Drum-Parts nehmen dem Werk heute einiges an ureigenem Druck. Höher, schneller, weiter und das um jeden Preis. Typisch Fripp, typisch Crimson.
Umso erstaunlicher, dass die sonst so essentiellen Live-Improvisationen bis auf einige bestens durchkomponierte Drum-Interludien vollständig ausbleiben. Stattdessen wird das siebenköpfige Ensemble heute zu eben jenem Wunschbrunnen, den Fripp auf vergangenen Touren nie in Betrieb nehmen wollte. Und wenn dann gegen Ende des Sets die zeitlose Dystopie-Ballade „Epitaph“ („In The Court Of The Crimson King“, 1969) angestimmt wird, offenbart sich die wahre Macht dieser einzigartigen CRIMSON-Tournee: Denn in diesem Moment gehen im Saal knapp 2000 Jugendträume gleichzeitig in Erfüllung. Das Spiel mit der Nostalgie einmal beiseitegelassen liefert Jakszyk hier die wohl beste Gesangsleistung des Abends. Das klagende „Confusion will be my epitaph“ kommt ihm derart inbrünstig über die Lippen, wie es sich der geneigte Hörer vom eigenwilligen Mr. Belew wohl nie hätte erträumen können.
Doch auch hier schimmert einmal mehr der wohl durchdachte Plan durch, die volle Aufmerksamkeit auf das perkussive Front-Gespann zu lenken. Dort gibt sich beispielweise Mastelotto im Laufe des Abends allerhand akustischen Spielereien zwischen Gummi-Spielzeugtieren und E-Drum-Samples hin. Eine Experimentierfreude, die schließlich im Schlagzeug-Battle zu „The Talking Drum“ („Larks‘ Tongues In Aspic“, 1973) mündet, bei dem es Mastelotto sogar gelingt, dem hochkonzentrierten Kollegen Harrison das erste Lächeln des Abends zu entlocken. Rieflin beweist bei „Epitaph“ und „The Court Of The Crimson King“ zudem seine Geschicke an den Tasten. Dafür steht dem silberhaarigen Gentleman zwar kein echtes Mellotron zur Verfügung, doch im Jahre 2015 lässt sich der Charme der Klassiker tatsächlich auch in Form eines MIDI-Keyboards einfangen.
Die schier auf Perfektion ausgerichtete – und folglich auch ohne jegliche Ansagen auskommende – Reise durch die eigene Diskografie lässt aber auch die eine große Frage offen: What’s next? Wurde mit „The Elements Of King Crimson“ etwa das (seit 1974 immer wieder angekündigte) letzte Kapitel einer der einflussreichsten Rockbands aller Zeiten abgeschlossen? Nimmt Fripp nach dieser Tour endgültig den Hut? Ein Blick auf die Setlist lässt Gegenteiliges vermuten. Denn dort haben sich mit „Radical Action“, „Meltdown“ und „Suitable Ground For The Blues“ gleich drei neue Songs eingeschlichen. Ob nun Schwanengesang oder nicht: Sollten KING CRIMSON diese Tour noch einmal nach Deutschland bringen, so sollte sie in jedem gut geführten Prog-Terminplaner erscheinen.
Setlist:
- Larks‘ Tongues in Aspic, Part One
- Pictures Of A City
- Radical Action (To Unseat The Hold Of Monkey Mind)
- Meltdown
- Hell Hounds Of Krim
- The ConstruKction Of Light
- Suitable Grounds For The Blues
- Level Five
- Banshee Legs Bell Hassle
- Easy Money
- Epitaph
- Interlude
- The Talking Drum
- Larks‘ Tongues In Aspic, Part Two
- Starless
- The Court Of The Crimson King
- 21st Century Schizoid Man
Interessante Alben finden
Auf der Suche nach neuer Mucke? Durchsuche unser Review-Archiv mit aktuell 37294 Reviews und lass Dich inspirieren!
Kommentare
Sag Deine Meinung!