Iced Earth
World Dystopia Tour 2012
Konzertbericht
Die intensive Show vor fast genau einem Jahr am selben Ort ist vielen, die dabei waren, noch lebhaft im Gedächtnis. Kein Wunder also, dass die Ludwigsburger Rockfabrik auch am heutigen Sonntagabend gut gefüllt und die Stimmung hervorragend ist.
Galerie mit 11 Bildern: Dead Shape Figure - World Dystopia Tour 2012DEAD SHAPE FIGURE
Den Anfang machen auch heute Abend DEAD SHAPE FIGURE, die mit ihrem Core-lastigen Neo-Thrash-Mix stilistisch arg aus dem Rahmen fallen und nicht bei allen Anwesenden auf Gegenliebe stoßen. Zu modern tönt es hier für die eher traditionsbewussten US-Power-Metal-Fans. Dabei liefern die Finnen eine intensive und energiegeladene Show ab. Der Gesang von Galzi Kallio sitzt nicht immer hundertprozentig, dafür entschädigen aber die Grimassen, die der äußerst fotogene Gitarrist Juhani Flinck zur Freude der Fotografen zum Besten gibt.
STEEL ENGRAVED
Weit eher auf ihre Kosten kommen die Traditionalisten bei den bayerischen Power-Metallern STEEL ENGRAVED, die schon durch ihr Posing klar machen, dass ihnen alle modernen Szene-Trends gepflegt am Arsch vorbei gehen. Riffing und Attitüde der Truppe mögen altmodisch wirken, funktionieren als Stimmungsbringer heute aber hervorragend. So klatscht die Menge begeistert mit und lässt sich auch zu kleineren Mitsingspielchen hinreißen. Für die Zukunft darf es gerne noch etwas mehr Eigenständigkeit sein, das RoFa-Publikum bringen sie aber auch so schon auf eine vernünftige Betriebstemperatur.
EVERGREY
Obwohl die Schweden EVERGREY merklich progressiver zu Werke gehen als der Headliner, verfügen sie über genügend Biss und Eingängigkeit, um sich vor der ICED-EARTH-Fanschar zu behaupten. Bandleader Tom Englund ist sichtlich gut gelaunt und erlaubt sich eine Menge kleiner Späße mit Bassist Johan Niemann (ex-THERION) und Gitarrist Marcus Jidell. Dass die Band dabei mit dem einen oder anderen technischen Problemchen zu kämpfen hat, ist offensichtlich, wenn es sich dabei aber nur um lästige Details – wie einen Tom Englund, der die Tonabnehmer seiner Gitarre nicht eingeschaltet hat – handelt, ist dies wohl zu verkraften…
Die Setlist wartet mit einigen echten Krachern auf, vor allem der Dreierpack aus „Wrong“, „Frozen“ und „Recreation Day“ weiß zu begeistern. Kein Wunder also, dass es vor der Bühne schon richtig kuschelig und die Stimmung unter den Zuschauern extrem gut ist. Zwar schont die Mehrheit noch ihre Kräfte für den Headliner, am Ende gehen EVERGREY aber mit weit mehr als nur Höflichkeitsapplaus in die Kabine.
ICED EARTH
Noch immer machen ICED EARTH Werbung für ihr „Dystopia“-Album, die Setlist hat sich aber im Vergleich zum Auftritt vor einem Jahr stark geändert. So bilden nun alle drei „Something Wicked…“-Alben das Rückgrat der Show, dazu kommen Klassiker wie „The Hunter“, „Wolf“ oder „Pure Evil“. Frontmann Stu Block hat sich in seine Rolle bestens eingefunden und lässt – bei allem Respekt vor Matthew Barlow – keinerlei Sehnsüchte nach einem seiner Vorgänger aufkommen. Mastermind Jon Schaffer wirkt heute noch etwas introvertierter als man es von ihm gewohnt ist. Die Ansagen überlässt er heute komplett seinem Sänger und im Posen stehlen ihm Lead-Gitarrist Troy Seele und Bassist Luke Appleton die Show.
Apropos Luke Appleton: Im letzten Jahr durfte er mit seiner Band FURY UK noch als Vorgruppe ran, inzwischen hat er den im Frühjahr ausgestiegenen Freddie Vidales als festes Bandmitglied ersetzt. Das ist zwar einerseits extrem schade, weil seine absolut hörenswerte Ex-Band damit bis auf Weiteres auf Eis (pun intended… – Anm. d. Red.) liegt, andererseits harmoniert er aber hervorragend mit seinen neuen Bandkollegen, hat sichtlich Spaß auf der Bühne und ist damit eine große Bereicherung für ICED EARTH.
Bei aller Zurückhaltung scheint auch der heute nicht ganz so grau wie sonst wirkende Bandkopf (färbt sich da etwa jemand die Haare?) den Gig zu genießen und sich am großen Zuspruch der Menge zu erfreuen. Und als Fan fragt man sich einerseits wirklich, ob ICED EARTH nicht auch etwas größere Hallen füllen könnten, andererseits kann man die besondere Atmosphäre einer solch geradezu intimen Clubshow nicht hoch genug bewerten.
Bei „V“ schnappt sich Stu Block eine ihm von den Fans dargebotene Guy-Fawkes-Maske und setzt sie sich auf, wobei anzunehmen ist, dass er unter dem Plastikteil mindestens genauso breit grinsen dürfte wie die Maske selbst. Nach „My Own Savior“ wird es dann mit „I Died For You“ erstmals etwas ruhiger und emotionaler, im Wesentlichen wird heute aber amtlich abgerockt. Dafür sorgen Kracher wie „Prophecy“ oder „The Hunter“, heimliches Highlight ist aber das erhabene „Anthem“, das als überragende Mitsing-Hymne in der Liga der Bandklassiker mitspielen kann.
Viel zu früh scheint der kurzweilige Gig nach rund anderthalb Stunden zu Ende zu gehen, doch natürlich gibt es noch einen Zugabenblock, bei dem ICED EARTH mit „Melancholy“ noch eine ihrer Über-Balladen auspacken, die von wirklich jedem vor der Bühne mitgesungen wird. Und natürlich markiert das unverzichtbare „Iced (Motherfucking!) Earth“ das Ende des Gigs – nein, heute nicht!
Unerwartet tritt doch noch Jon Schaffer selbst ans Mikrofon, um sich sichtlich bewegt bei allen Anwesenden zu bedanken und ein weiteres Stück anzukündigen. „Watching Over Me“ macht das Balladen-Tripel voll und stellt damit den krönenden Abschluss einer fantastischen Live-Show dar. Da kann man es kaum erwarten, bis ICED EARTH nach den Feiertagen wieder zusammenkommen, um mit den Arbeiten an einem neuen Album zu beginnen, das hoffentlich an das starke „Dystopia“-Werk anknüpfen kann.
(Florian Schörg)
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