Hotei
Japanischer Gitarrenvirtuose live in Berlin
Konzertbericht
Im Fahrwasser des “51 Emotions – The Best For The Future” Albums tourte HOTEI im April 2017 durch Europa. An einem kalten Dienstagabend hatten auch die Berliner das Vergnügen, dem japanischen Gitarrenvirtuosen zu lauschen.
Einen kleinen Ausschnitt seiner Arbeit kennt fast jeder. Hat er doch mit seinem Beitrag zu “Kill Bill” (2003), “Battle Without Honor Or Humanity”, das Passieren eines Hotelflurs eigenhändig in ein Stück Filmgeschichte verwandelt. Doch sonst ist der Ausnahmegitarrist und eine der Legenden japanischer Rockmusik in Deutschland eher unbekannt. Dies schlägt sich auch im eher bescheidenen Venue heute Abend nieder und darin, dass nicht mal dieses ganz voll ist. Das Publikum ist bunt gemischt und auch ältere Semester sind darunter, was nicht verwundert, blickt HOTEI doch auf eine lange und sehr vielfältige Karriere zurück. Sein jüngstes Studioalbum “Strangers” haben wir letztes Jahr ausführlich besprochen.
Raumgreifend
Mit markigen Riffs und mehr Melodiethemen, Brücken und Soli als andere Bands über ganze Alben strecken, zeigt HOTEI schon mit dem Opener “Strangers” was er kann. Ich bedaure es nicht, dass das Keyboard von Shinya Okuno hier noch nicht ganz funktioniert. Umso mehr Gitarre. Es wird schnell klar: Tomoyasu Hotei könnte das auch alleine machen. Nichtsdestotrotz sind da noch Drummer Zachary Alford (B52’S, DAVID BOWIE), Bassist Noko (APOLLO440) und Keyboarder Shinya Okuno mit ihm auf der Bühne. Sie sind nicht nur erfahrene, sondern auch exzellente Musiker und lassen Tomoyasu Hotei den Raum, den er braucht, um voll zur Geltung zu kommen.
Melissa Auf der Maur (HOLE, SMASHING PUMPKINS) sagte einmal: “In einer guten Band hat der Drummer die Rolle eines Vaters, die Bassistin die einer Mutter und der Gitarrist die des jungen, übermütigen Draufgängers.” Genau danach klingt HOTEI hier. Strotzend vor Selbstbewusstsein, verspielt aber gleichzeitig so abwechslungsreich, als wäre eine ganze Schar von jungen Gitarristen auf der Bühne, die miteinander um die Wette spielen würden. Gerade in den ersten Songs, (“Strangers”, “Medusa” und “New Chemical”) stößt er sich kraftvoll ab, reißt die Bühne an sich und das Publikum mit. Durch die unorthodoxen Strukturen verliere ich jegliches Gefühl dafür, in welchem Teil des Songs wir uns befinden und nicke mir selbst zu: Der könnte von mir aus einfach stundenlang so weitermachen.
Gastsänger und Coverbands
Bei “How The Cookie Crumbles” fehlt IGGY POP und auch bei “Sphinx” ist Tomoyasu Hoteis Stimme der Musik zwar nicht abträglich aber auch kein echtes Plus. Natürlich darf sein Hit “Battle Without Honor Or Humanity” nicht fehlen. Er wäre nach früheren Auftritten angesprochen worden, wie gut er diesen Song covern würde. Er lächelt. In Japan füllt dieser Mann ausgebuchte Stadien. Er weiß, wer er ist. Nur wir wissen es kaum. Und wir verpassen was. Genau, wie die Szene in “Kill Bill” keine zwei Minuten dauert und die Darbietung hier acht grandiose Minuten lang ist, sehen wir an diesem Abend nur einen kleinen Teil von dem, was HOTEI war und ist.
Brüche und Fallstricke
Mit “Howling” wird es dann verträumt und Keyboarder Shinya Okuno wird präsenter. Dabei ist zwischenzeitlich nicht ganz klar, wer wen führt und wer wen begleitet. Sie übergeben einander Melodien und spielen im Hintergrund Variationen und Improvisationen, sodass sich wieder einmal Zeitlosigkeit einstellt. Plötzlich ist da der Song “Materials”, der rockig vorantreibt und auch “Bad Feeling” und “No! NY” schlagen in die gleiche Kerbe, wobei “Dreamin’” zum Mitsingen einlädt und “Bambina” sogar an Ska erinnert. Hier verlässt sich HOTEI mehr auf seine Stimme und in Rock und Pop übliche Songstrukturen. Ich freue mich jedes Mal, wenn aus diesem Rahmen ausgebrochen wird, da mir die Band an diesen Punkten am besten gefällt und ich mir auch einen ähnlichen Nachfolger zu “Howling” gewünscht hätte. Wenn die Musiker introvertiert mit geschlossenen Augen für sich selbst spielen und nicht mit markigen Rock’n’Roll Gestus Stimmung machen, sind sie am besten. Die Zugabe “Russian Roulette” ist da nicht anders und dann genehmigt sich HOTEI ein “Born To Be Wild” auf das zumindest ich auch hätte verzichten können.
Ausgewogenes Potpourri
Gitarrenkunst von diesem Format muss man lange suchen, und gerade wenn HOTEI frei und ungehemmt spielt, klingt er am besten: hypnotisch, cineastisch, elektrisierend. Auf der anderen Seite kommt da sehr gut ausgeführter japanischer Rock. Doch Tomoyasu Hoteis Stimme beeindruckt mich nicht und gewöhnliche Rockmusikstrukturen engen ihn nur ein.
Die Konzeption dieses Abends wirkt wie ein ausgewogenes Potpourri. Gerade für neue Hörer und nicht eingeschworene Anhänger des japanischen Rocks, sind die instrumentellen Stücke wesentlich zugänglicher und spannender. Wahrscheinlich könnte HOTEI in Europa größere Hallen füllen, wenn er sich vor allem für Letztere entscheiden würde. Aber das Aussparen eines so großen Teils dessen, was seine Musik ausmacht, um in fremden Gefilden besser anzukommen, ist Selbstzensur. Wenn wir außerdem immer nur das zu hören bekommen, woran wir gewöhnt sind, bewegt sich nichts. Und HOTEI ist Bewegung. Und in unseren Breiten ein Geheimtipp. Und das Gute an Geheimtipps ist, dass sie einem unverhofft eine spannende neue Welt eröffnen können. Bei uns hat’s geklappt.
Setlist
Strangers
Medusa
Sphinx
New Chemical
How the Cookie Crumbles
Battle Without Honor Or Humanity
Howling
Materials
Bad Feeling
No! NY
Dreamin’
Bambina
Zugabe
Russian Roulette
Born To Be Wild
Fotos: Andrea Friedrich
Bericht: Tobias Mühlau
Interessante Alben finden
Auf der Suche nach neuer Mucke? Durchsuche unser Review-Archiv mit aktuell 37299 Reviews und lass Dich inspirieren!
Schaltet bitte mal einer das Internet ab! Wie und wann soll ein Normalsterblicher die Flut an interessanten und hörenswerten Interpreten jemals abarbeiten?
Hotei und sein riesiger Backkatalog sind es natürlich wert entdeckt zu werden!