Hellseatic 2022
Der große Festivalbericht
Konzertbericht
Samstag, 10.09.2022
Es haben sich mit der Änderung vom Freitag auch am Samstag einige Änderungen nachgezogen: Die heute normalerweise spielenden KABALLAH fallen naturgemäß aus, ebenso JUDAS HENGST. Als Ersatz stehen die Metalcoreler MAINTAIN und die Osnabrücker Black-Metaller TOADEATER kurzfristig zur Verfügung. Zum anderen gab es auch als Premiere in diesem Jahr das „Doom Yoga“ von WAHE VIBES und „Nackenfit“ mit Jana hat dann geholfen, die Belastungen vom Headbangen des Vortages abzufedern. Da sowohl Fotograf als auch Reporter sich aufgrund anderer unschöner Zustände (unter anderem ein ungeplanter Autounfall) sich erst ein wenig später einfinden konnten, kann Näheres über die Workshops leider nicht berichtet werden, scheinbar war die Resonanz auf Rückfrage aber recht gut. Trotz ziemlich früher Morgenstunde und auch dem sonst eher dem Trinksport zugeneigten Habitus des gemeinen Metalheads haben sich zum Erstaunen und Erfreuen der Veranstalter viele Menschen morgens bereits zur sportlichen Betätigung eingefunden. Und musikalisch so abseits der Hauptbühne? Die Bremer Experimentell- und DIY-Formation DIE ZUKUNFT EINER STADT, hinter der unter anderem mit Gregor Henning (Studio Nord) ein Bekannter der Bremer Studioszene steckt, sind erst für kurz vor Abend angesetzt, dementsprechend leer ist es auch beim Wendeplatz noch am frühen Nachmittag.
SKYSHAPER
Den Samstag eröffnen die Lokalmatadoren SKYSHAPER, welche sich nach eigenen Angaben im Djent zuhause fühlen. Erst 2019 ins Leben gerufen, langte es bisher nur zum Release einer EP. Die Zuschauerzuspruch ist überschaubar, primär dürften Menschen vor der Bühne stehen, welche den Protagonisten auf der Bühne nicht unbekannt sind. Musikalisch gibt es Modern Metal, welcher sich nach wie vor einer gewissen Beliebtheit bei der jungen Generation erfreut.
Black Metal am sonnigen Nachmittag mit TOADEATER
TOADEATER
Von Breakdowns zu rasenden Gitarren. Durch den Ausfall von NIGHTMARER und JUDAS HENGST rutschten KABBALAH einen Tag nach vorne. Als Ersatz stehen TOADEATER aus Osnabrück auf der Bühne und versorgen das anwesende Publikum mit schwarzmetallischer Kost am frühen Nachmittag. Eine Scheibe haben die Herren am Freitag veröffentlicht. „Bexadde“ hat eine Laufzeit von fast 44 Minuten bei nur vier Songs. Die fehlende Atmosphäre bezüglich der Lightshow für die düstere Stimmung macht sich nachteilig bemerkbar, sodass der berühmte Funken noch nicht so recht überspringen will.
MAINTAIN
Der zweite Nachrücker beim Hellseatic 2022 sind MAINTAIN, welche aus dem nahen Hamburg den Weg nach Bremen-Blumenthal gefunden haben. Seit 1998 existiert die Band, welche sich zunächst in Richtung Melodic Death Metal orientierte. NEAERA und Co. sorgten für die stilistische Veränderung in Richtung Metalcore. Bis 2013 waren die Herren bezüglich Studioarbeit und Konzerte sehr aktiv. Wie so oft ändern sich die Prioritäten mit dem Älterwerden.
Der circa 45-minütige Gig fördert wenig Überraschendes zu Tage. Typischer Metalcore, welcher von vielen Bands angeboten wird, gibt es für die Fans von modernen Tönen auf die Ohren.
VALBORG
VALBORG haben mit ihrem stumpfen Dadaismus-Industrial eigentlich perfekte Vorraussetzungen auf diesem Gelände, scheinen aber beim Publikum des Hellseatic 2022 nur bedingt auf Gegenliebe zu stossen. Manche aus dem Publikum sind zwar begeistert und entdecken die Band, die auch mit MANTAR tourt, gerade zum ersten Mal, aber das Infield ist doch im Gegensatz zu den vorigen Metalcore-Lieblingen doch merklich ausgedünnt. Mag vielleicht auch am stoischen Auftritt der Bonner liegen. Unsereins würde ja Kunstbanausen vermuten, aber vermutlich war hier die Überschneidungsmenge einfach nicht gross genug. Schade, verpasste Chance ein wenig. Zu anderer Uhrzeit, mit anderem Vorlauf und Bekanntheitsgrad hätte das vielleicht ein toller Gig werden können.
NECROTTED
NECROTTED haben es aus dem schwäbischen Abtsgmünd bis nach Bremen hoch geschafft und angesichts der – mittlerweile typischen – Bühnenoutfits des Bruderpaars Philipp und Fabian Fink in den schicken Adiletten (oder manchmal auch barfuß) könnte der Gedanke aufkommen, es sei noch richtig Sommer. Als Frontanheizer peitscht Fabian den Deathcore des Fünfers gut in die Meute, in die allmählich ein wenig Bewegung nach den eher behäbiger vorgehenden VALBORG kommt. Auch NECROTTED sind im persönlichen Gespräch erkennbar für viele scheinbar trotz nicht unbedingt geringen Bekanntheitsgerades ebenfalls eine Neuentdeckung und auch am Merchstand wechselt so manches Shirt nach dem Gig den Besitzer. Der Fokus liegt auch hier auf dem aktuellen Album „Operation: Mental Castration“.
STAKE
STAKE machen bereits schon beim Soundcheck Stimmung beim Anteasern anderer bekannter Songs, unter anderem von KYLESA. Die wilde Mischung aus Hardcore, Sludge, Rock‘n‘Roll und auch wahrlich tiefen Riffs kommt ebenso wie die wilde Liveperformance hervorragend beim Publikum an. STAKE sollte man sich vormerken, denn hier treffen instrumentelles Können mit hungrigen Musikern und einer interessanten musikalischen Mischung zusammen. Dabei sind die Belgier schon relativ lange unterwegs und haben bereits eine Umbenennung (vormals unter STEAK NUMBER EIGHT) so wie fünf Alben hinter sich.
Einen ordentliche Portion Thrash für das Hellseatic 2022
CRISIX
Die Spanier von CRISIX sind und bleiben ein Live-Phänomen. Von ihrem „Football Of Death“ bis hin zur Tuchfühlung von Bassist Marc Torras mit den Fans im Pit wie auch dem obligatorischen Instrumentenwechsel der Musiker am Ende des Sets gibt es eine ebenso erwartbare wie allerdings immer noch ordentlich abliefernde Show. Bandklassiker wie „G.M.M“ oder „Brutal Gadget“ werden frenetisch mitgesungen, die Füße stehen nicht still und das Grinsen der Jungs auf der Bühne so wie im Publikum ist kaum wieder in die Waagrechte zu bringen. Ein energiegeladener Auftritt mit arschtretender Musik der genau das liefert, was viele so lange ohne Festivals und Konzerte vermisst haben, den Reaktionen des Publikums nach zu urteilen. „The World Needs Mosh“. Indeed!
MANTAR
MANTAR, Bremen Nord. Oder auch Heimspiel. Nach anfänglichem Berührungsängsten lässt Hanno sich ohne jegliche Ansagen oder direkten Kontakt ans Publikum doch noch zu ein paar Kalauern in der Setmitte hinreissen. Die unlängst besprochenen Konzertabsagen sind sicherlich auch an dem Duo nicht ganz spurlos vorbei gegangen, dem Set mit alten Klassikern und auch viel Material vom neuen Album „Pain Is Forever“ tut das allerdings keinen Abbruch. Erinc und Hanno rasten beide extrem aus und liefern das was sie am besten können: Primitive Zerstörung, im wirklich allerbesten Sinne gemeint!
NEÀNDER
Der musikalische Abschluss des Hellseatic 2022 erfolgt instrumental. NEÀNDER aus Berlin sind eigentlich ein perfekter Rausschmeißer für ein Festival nach dem Headliner. Die Musik ist technisch stark, aber alles andere als leichte Kost. Post Metal mit einem doomigen Einschlag verabreicht das Quartett den verbliebenen Menschen vor der Bühne. Die Bühne ist in dunkles Licht getaucht und wird mit reichlich Nebel verhüllt. Songs mit Überlänge von mehr als zehn Minuten gibt es dazu.
Wer anschließend noch weiter feiern mag, der findet in einer der Industriehallen die After-Show-Party mit Visions-Redakteur Jan Schwarzkamp . Für die anderen Besucher:innen so wie auch Fotograf und Redakteur geht es allerdings eher zum Campground oder nach Hause.
WENDEPLATZ
Hinter der STADT DER ZUKUNFT verbergen sich Studio Nord Besitzer Gregor Henning, Frank Pieske und Alex Böll. Die drei Herren benutzen teilweise automatisierte und selbstgebastelte Instrumente, deren Sounds verfremdet, neu gemischt und ganz neu gedacht werden. Ganz im Geiste einstiger Krautrockpioniere wie TANGERINE DREAM steht hier der DIY-Charakter im Vordergrund. Deswegen gibt es auch weniger vorgeprobte Songs, es wird vielmehr quasi live experimentiert. „Jammen“ ist das schwerlich zu nennen. Äusserst faszinierend, entspannend und mehr als Kontrastprogramm zum wesentlich „strukturierteren“ Ablauf der ganzen Rock und Metalbands, der sehr auf Formalismus zielt. Ironisch, denn hier wird elektronisch Musik gemacht, dort handwerklich und doch ist hier musikalisch die Spielwiese doch bedeutend grösser aufgestellt. Glücklicherweise scheint es auch ein empfangsbereites Publikum heute dafür zu geben, denen die Musiker nach dem Auftritt theater-mäßig mit Verbeugung danken nach ihrem Gig.
Momentan mal, dieser junge Mann mit dem Bart kommt bekannt vor. Kein Wunder, ist Alex Böll doch nach dem Auftritt von die STADT DER ZUKUNFT beim Bedienen des „Bassersatz“ Instruments am Start gewesen. WARAN sind allerdings kein Vergleich zum entspannenden Ambient und Elektro sondern vielmehr rotziger Punk aus Bremen, wo eben jener auch den Tieftöner bedient.
Die Mischung der KRACHWALZE von 8-Bit und Nintendocore mit sowohl sozialkritischen wie auch Stumpfsinnstexten später ist quasi das Equivalent zu VALBORG auf der Hauptbühne. Ebenfalls ein Trio, Krach und Stumpfsinn mit Elektronik und Dadaismus mischend, abseits der abgetretenen Pfade wandelnd. Das Publikum scheint es zu feiern, lustig und interessant ist das ebenfalls, allerdings auch schnell auserzählt.
Das Duo KID KNORKE & BETTY BLUESCREEN scheint die unheilige Atzenunion aus einer Parallelldimension zu sein: komische Mischung aus Elektronik und Party-Pop mit grenzdebilen Texten und der typischer Berliner Schnauze… aber dabei ungleich chaotischer, urtümlicher und auch sympathischer als die Chartstürmer der Atzen, auch vom Publikum goutiert. Das ganze vermischen die zwei mit Retro-Videospielästhetik und nennen es Electropunk. Interessierte „Zombienerds“ kommen hier sicherlich zu ihrem „HIGHSCOR3F3TISCH“, alle anderen ziehen weiter.
Fazit für den Wendeplatz: Gute Idee, die sicherlich hinsichtlich Location, Sound und Optik definitiv noch ausgebaut werden kann, Künstlern alternativerer Sounds eine Bühne bietet und gern beibehalten werden sollte. Naturgemäss funktioniert hier manches besser und anderes schlechter als in Indoor-Lokalitäten und natürlich ist auch die Publikumszusammensetzung eine ganz andere, aber zur Horizonterweiterung sowohl auf der einen wie auch der anderen Seite sicherlich eine tolle Sache.
Quo Vadis Hellseatic 2022?
Fazit und Ausblick
Auch das HELLSEATIC 2022 war trotz wieder ein wenig Schmuddelwetter und leider dem ausbleibenden ganz grossen Besucheransturm wieder ein gelungenes Festival. Vor allem der Ausbau in jeglichen Belangen, seien es sanitäre Anlagen, Essensangebot, zusätzliche Bühne oder Parkplätze, ist sehr lobenswert. Trotzdem konnte das Team schon bei der abendlichen Ansprache und Danksagung verraten, dass es ein HELLSEATIC 2023 wegen fehlender Planungssicherheit nicht so geben wird. Man hofft auf 2024 mit klareren Verhältnissen was Sicherheit, Fördermöglichkeiten und so weiter angeht. Um mal die Zahlen sprechen zu lassen: Es werden etwa 700 Besucher über das Wochenende gezählt. Um einen Break-Even zu erreichen hätte das norddeutsche Festival etwa 2500 Mann gebraucht. Trotz ausverkaufter RAMMSTEIN- und HELENE FISCHER-Konzerte nach Corona zeigt sich hier vor allem eines: wenn wir unsere vielfältige Konzert- und Veranstaltungslandschaft erhalten wollen, müssen Pläne her. Und zwar schnell. Natürlich kann man es einfach auf die Konsumenten abschieben. Aber in Zeiten von Energiekrise, kurzfristigen Absagen und inflationsbedingten Preissteigerungen scheint das Geld entweder nicht mehr so locker zu sitzen oder sich die Prioritäten krass verschoben zu haben. Die nun auslaufenden Corona-Hilfen waren für Künstler und Veranstalter der Tropfen auf dem heissen Stein, vielleicht gerade genug, um die laufenden Kosten zu begleichen, aber nicht, um davon Rücklagen zu bilden oder den Fortbestand sichern zu können. Es bräuchte eigentlich erneute, verlängerte Hilfen vom Staat. Aber das ist ein ganz anderes Fass, dass hier nicht aufgemacht werden soll.
Ein HELLSEATIC 2024, für das es bereits „Blind-Bird“-Tickets wegen oben angesprochener Unsicherheit gibt, hätte es definitiv verdient.
Text: Jürgen Fenske und Alexander Santel
Fotos: Jürgen Fenske
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