Hellseatic 2022
Der große Festivalbericht
Konzertbericht
Hellseatic 2022 – die zweite Ausgabe des Festivals in Bremen-Blumenthal
Manche Dinge ändern sich nicht: auf den feuchten Norden ist Verlass. War die Woche zuvor es noch in grossen Teilen der Republik recht sonniges Wetter, hat sich genau für das Wochenende des Hellseatic 2022 wieder Schietwetter angekündigt. Aber wir Norddeutschen sind ja erprobt in so etwas. Und tatsächlich klart es auch ein wenig auf und kann mit einer tiefen Sonne am späten Nachmittag ein paar tolle Panoramen liefern, auch der Samstag ist großteils trocken und passt mit dem „Strandfeeling“ des Hellseatic 2022 ziemlich gut zusammen. Im Vergleich zur ersten Ausgabe hat sich auch ein wenig was an Organisation und Aufbau getan. Es gibt eine neue Bühne am „Wendeplatz“, weitere Aussteller und Stände und der Eingang ist an die Seite gewandert, das Camping ausgedehnt, die Parksituation auch gefühlt besser als letztes Jahr. Mit der kleinen separaten Bühne am Wendeplatz, die elektronischen und „alternativen“ Künstlern ebenso Platz geben will, gibt es auch ein erweitertes Programm.
Ähnlich zum vergangenen Jahr ist auch dieses Jahr wieder eine kleine Ausstellung vertreten, es gibt allerdings keine Zwischenansagen oder Theatereinlagen, lediglich ein wenig Pappmaschee kunstvoll in Szene gesetzt mit beiliegenden QR-Codes, wo mehr Informationen hinterstecken und hier somit auf die interessierten Besucher gebaut wird und eher passiv anstatt aktiv auf Hintergründe und Historie der Wollkämmerei als Kriegsgefangenenlager im Zweiten Weltkrieg eingegangen wird.
Ebenfalls gibt es wieder vegane Alternativen beim Essen, Token dienen als Bezahlsystem wie zuvor. Ganz glücklich ist das immer noch nicht, aber zumindest gibt es in diesem Jahr praktische 10er-Rollen, so dass nicht alles immer lose in den Taschen klimpern muss oder das Geldbörserl sich unnötig aufbläht. Gebrauchtes Merch zur Schonung von Geldbeutel und Natur und die Ausstellung der Kunst von Stavros „Risto“ Pavlidis bekannt von seinem Tattoo- und Kunstladen „Dark Gallery“ in Bochum, der selbst Instrumente veredelt, waren ebenfalls neben den sonstigen Merch-Tables vertreten. Auch nicht gänzlich unerwartete, schlechte Nachrichten machen sich breit, aber der Reihe nach: den Anfang machen lokale, aber nicht mehr ganz junge Herren aus Bremen.
Freitag, 10.09.2022
FEAR CONNECTION eröffnen das Hellseatic 2022
FEAR CONNECTION
Opener spielen nämlich FEAR CONNECTION, die noch bei einsetzendem Regen und sehr spärlich gesätem Infield doch arg Schwierigkeiten haben, die Stimmung zu heben. Das hält den sympathischen Fronthünen Rolf aber nicht davon ab, die paar wenigen anwesenden Leute anzuheizen und auch den Rest der Band nicht, ein sehr straff durchgezocktes Set ihres Death-Thrash zu bieten. Hauptsächlich wird das Debütalbum „Progeny Of A Social Disease“ von 2021 bedient. Solider Einstand, nahbare Musiker später am Merchstand, leider zu wenig Besucher für die richtige Stimmung.
PLAYGROUNDED
PLAYGROUNDED sind mit ihrer Mixtur zwischen schweren Breakdowns und elektronischen Anteilen eine das Publikum spaltende Band. Von einigen Fans frenetisch gefeiert, während andere Gäste mittlerweile Bier holen gehen und das Infield bei der zweiten Band des Wochenendes ähnlich leer lassen wie beim Opener. Der Großteil der Gäste ist daneben eben noch nicht in Bremen angekommen und das merkt man. Ein wenig schade für PLAYGROUNDED, die dafür aber nichts von ihrer Spielfreude einbüßen und trotzdem viel auf der Bühne hantieren trotz anfänglichen kleinen Aufwärmschwierigkeiten. Auch der Sound ist allererste Sahne, Lob an die FOH, die wahrlich „blumig“ ihrem Job nachgehen können.
LLNN
Die Belgier LLNN wühlen mit ihrem Sludge gerne im Dreck. Passend auf dem Hellseatic 2022 können sie dies beim Regen im Sand ganz wahrlich nun ihren Fans überlassen, die sich für die ersten Pits auch nicht lange bitten lassen müssen. Gerade der Industrialanteil im Sound der Belgier wirkt vor einer Kulisse wie dem Geländer der Bremer Wollkämmerei natürlich noch einmal ganz besonders schmackhaft und auch die Band ist bestens aufgelegt, was Ihnen von der Meute ebenso gedankt wird. Bassist Rasmus Furbo hat auch Geburtstag heute, was in einem kleinen Ständchen mit Crowdunterstützung mundet.
KONVENT
Ein berühmter norddeutscher Blödelbarde wusste bereits: Dänen lügen nicht! Und so liefern KONVENT trotz bereits einer leichten Verzögerung in der Timetable und anfangs eher behäbigen Publikumsreaktionen einen sich stetig steigernden Gig ab. Sängerin Rikke bedankt sich, dass die Leute trotz Regen ausgeharrt haben und ihren etwas verschlafenen Einstieg ihnen wohl verzeihen. Der desolate Death-Doom der Däninnen bietet sich indes perfekt für die Stimmung bei dem Wetter an. Gerade Aushilfsgitarristin Sophie (mittlerweile zum vollwertigen neuen Bandmitglied geworden) und auch Bassistin Heidi haben aber trotzdem Lust auf Bewegung auf der Bühne und lassen die Matten wie auch Instrumente schwingen.
Das erste Ausrufezeichen setzen The OCEAN
THE OCEAN
THE OCEAN sind genauso gut aufgelegt wie das Publikum und stimmungsmäßig ein wahres Kontrastprogramm zu KONVENT. Es gibt viel Dynamik in der Musik des ehemaligen Berliner, mittlerweile internationalen Kollektivs und auch im Publikum. Auch die ersten Crowdsurfer sind auszumachen, THE OCEAN sind eben auch nicht verlegen darin, auf Tuchfühlung mit den Fans zu gehen. Das Set beinhaltet so beinahe die gesamte Karriere und Diskographie, wobei auch recht viel vom letzten Album „Phanerozoic“ zu hören ist.
MOTORPSYCHO
MOTORPSYCHO sind die Stimmungskanone am heutigen Tag und liefern Musik wie aus der Wundertüte. Egal ob Stoner, Doom, fuzzige Licks oder 70er-Jahre Worship bis hin zu ausufernden Solos und Jamsessions, die Schweden bedienen gekonnt alle Geschmäcker und bringen die Menge ins Schwärmen und Tanzen… sogar bis hinein ins Festivalpersonal!
Gerade die Gitarren-Bass-Kombi von Hans Magnus Ryan mit der eindrucksvollen Lichtshow und dem mitterweile gut gefüllten Infield zu später Stunde sorgen für eine optisch beeindruckende Performance. Aber auch Bent Sæther und Reine Fiske spielen sich wunderbar die Bälle zu und so lassen MOTORPSYCHO auch musikalisch absolut nichts anbrennen. Vielleicht ist die Retroschiene nicht jedermanns Geschmack, aber Stimmung können MOTORPSYCHO, so viel muss man ihnen lassen.
DER WEG EINER FREIHEIT
Mit DER WEG EINER FREIHEIT kommt der Headliner für heute und eines solchen würdig liefern sie auch ab. Der atmosphärische Black Metal der Würzburger schmeichelt melancholischeren wie auch rabiateren Gesellen und die Band ist mit viel Elan dabei, was das Publikum entsprechend dankt. Stimmung kommt definitiv auf, wenn auch keine feierwütige, sondern eher nachdenklichere, schwerere Gemütszustände. Das in Kombination mit der Dunkelheit und der reduzierten Lichtshow sorgt für wohliges Schaudern. Der Aktualität ihres neues Albums „Noktvrn“ entsprechend wird auch viel von jenem gespielt, aber auch ältere Fanlieblinge dürfen nicht fehlen.
WENDEPLATZ
Am Freitag wird die Timetable gleich durcheinander gewirbelt: KABBALAH proben bereits am frühen Nachmittag, sind aber doch eigentlich erst am Samstag dran? Durch gewisse Kommunikationsschwierigkeiten und auch die kurzfristigen Ausfälle solcher Bands wie HEIMLICH MANÖVER und JUDAS HENGST gerät ein wenig Bewegung in die Setlist und die Spanierinnen ziehen letzten Endes einen Tag vor, können ihren okkulten Retrorock, aber leider scheinbar weder so inszenieren wie sie das wollten, noch gibt es viel anwesendes Publikum. Schade und wahrscheinlich auch eher etwas für verrauchte Clubs als spärlich gesäte Outdoor-Festivals.
FIGÖÖK ist eine elektronische Künstlerin, die zwischen ihre zwischen Noise und entspannender Elektronik schwankenden Beats ein paar Parolen oder auch Stumpfsinn mit ordentlich Delay und Verfremdung ins Mikro schreit. Das Projekt soll Nachfolger eines vorgehenden Projekts namens FEMME sein. Feministisch auf der einen Seite, an Identitätspolitik der heutigen Linken einigen Texten nach zu urteilen auf der andere Seite eher weniger interessiert und mehr „Strasse“. Eine kleine aber eingeschworene Fangemeinde hat sich um die Bühne hier gebildet, grosse Besucherzahlen stehen aber noch aus am Wendeplatz. Die Show selber ist relativ statisch, wenn auch atmosphärisch mit der Lichtshow und ein klein wenig Weihraucheinsatz, der auch hätte grösser ausfallen dürfen.
TLR können ebenfalls ein paar Leute mobilisieren die den Deutschpunk respektive die Rhythmusgruppe aus Bass und Schlagzeug der Bremer goutieren. Die Intensität ähnlicher Formationen wie BEEHOVER wird nicht erreicht, trotzdem ziehen TLR mit Spielfreude ziemlich viele Leute zum Wendeplatz und folgen einer ganz einfachen Regeln beim Musik machen: Einfach Spaß haben.
EXCHAMPION hat bei einsetzender Dunkelheit mit seinen Hybridsounds zwischen Elektronik und Breakbeat-Drums für tanzbare Stimmung gesorgt, die ebenfalls den ein oder anderen Gast zum Tanzen statt zum Moshen animierten. Ungewöhnlich auch, das ganze dann noch durch Amps gehen zu lassen statt reguläre Boxen, aber das Konzept scheint aufzugehen.
Da das HEIMLICH MANÖVER kurzfristig wegen Krankheit absagen muss (gute Besserung!) können glücklicherweise kurzfristig die Bremer Grindurgesteine MIZANTROP gewonnen werden. Die Ansagen vom Fronter in Richtung „Wir werden alle sterben“ und „Religion ist scheisse“ stossen in einer Zeit, wo die Kirche eh schon immer mehr in der Bedeutungslosigkeit verschwindet und unser Thanatos-Aspekt der Psyche auch nicht unbedingt grösserer Aufmerksamkeit bedarf, auf nicht ganz so viel Gegenliebe, die energiegeladene Liveshow, vor allem mit dem ebenso brachialen Sound sorgen dagegen für viel Liebe und Bewegung im gut gefüllten Publikum, auch wenn die Gitarren doch etwas wenig matschiger und im Vordergrund soundtechnisch noch besser dagestanden hätten.
Galerien Freitag, 09.09.2022:
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