Guns N' Roses
Ein bittersüßes Liebesbekenntnis
Konzertbericht
Was war das für eine Ankündigung, als die GUNS´N´ROSES ab 2016 zur Not-In-This-Lifetime-Tour geladen und damit einen Traum von vielen jungen und in die Jahre gekommenen Herrschaften in Erfüllung gehen ließen. Entweder war man während der 1990er Jahre schon mittels MTV-Dauerbesrieselung mit dem GNR-Virus infiziert oder man gehörte zur jüngeren Generation, die aber unbedingt einmal diese skandalträchtige, den „Spirit Of Rock´N´Roll“ so lebhaft in Szene setzende Band gesehen haben wollte. Wie auch immer, die damalige World-Tour offenbarte so einiges an interessanten Fakten. So zum Beispiel, dass Slash immer noch seinen ikonischen, unterdessen vielleicht etwas zu speckigen Zylinder noch immer unverrückbar auf dem Haupt trägt. Oder auch jene Tatsache, dass Duff McKagen fit wie ein Turnschuh und cool wie ein Eiswürfel agiert. Mit einem milden Lächeln und etwas Mitleid konnte man damals einen gewissen W. Axl Rose dabei beobachten, wie er sich ansatzlos bei der Garderobenauswahl vergriff, dafür aber wirklich mehr als bemüht war, eine gute Show und eine passable Gesangleistung zu liefern. Und so entwickelten sich eben Best-Of-Sets in Überlänge, eine kleine Sensation. Ganz ohne Skandale, frühzeitig von der Bühne rennende, beleidigte Leberwürste oder raufende Proleten.
Not Again In This Lifetime GUNS´N´ROSES?
Neue Musik erschufen die LA-Hardrocker indes nicht und beschränkten sich auf das Tour-Geschehen. Der Geldzufluss dürfte in jener Zeit bemerkenswert gewesen sein. Eine Überraschung war es also nicht, als eine Zugabe der Live-Shows angekündigt wurde und die Musiker viele Orte einfach noch einmal bereisen wollten.
Nach der allseits bekannten Zwangspause wird am heutigen Freitagabend das Konzert im Münchner Olympiastadion also endlich nachgeholt. Es ist das dritte Mal, das Rose und Konsorten in dieser altehrwürdigen Stätte antreten. Im Juni 1993 standen die Gunners auf dem Zenith der Unterhaltungsbranche und eigentlich konnte niemand den großmäuligen Sänger leiden. Wegschauen konnte man damals aber auch nicht, wenn der rothaarige, in Radlerhosen gewandete Frauenschwarm zu „Live And Let Die“ über die Bühne wirbelte, während das „Kill Your Idols“-Shirt über die schlanken Beine schlabberte. Das Konzert damals in München war etwas ganz besonderes und stellvertretend für eine Generation: Immerhin hatte die Band sich neben all den Skandalen auch den Ruf eines energiegeladenen, krassen Live-Acts erworben, dem sie – ähnlich wie METALLICA damals – im besten Fall auch nachkamen. Unpünktlichkeit, endlose Gitarren-Soli und harsche Pöbeleien gegen das Publikum waren dabei nur eine Seite der Medaille.
Mitleid, Leid und Melancholie
Viele die an diesem segensreichen 26.06.93 auch schon an Ort und Stelle gewesen sind, kommen heute, am 08.07.22 wieder. Denn es gilt eine Liebe zu pflegen, die niemals richtig geendet hat. Die beiden Support-Acts DIRTY HONEY (mit ihrer sehr interessanten Mischung aus RIVAL SONS und ROBERT PLANT) und GARY CLARK JR. nimmt das Publikum zwar wahr und spendiert auch brav Zuspruch in Form von launigem Applaus. Gebraucht hätten diese Eröffnung aber wohl die wenigsten (als anno 1993 SUICIDAL TENDENCIES und BRIAN MAY die Stimmung anheizen sollten, war es übrigens nicht anders), auch wenn beide Acts objektiv gesehen durchaus begeistern. Mit ein wenig Verspätung wabert ein wirres Animationsvideo über die Leinwände, bevor ein lässig, mit Fliegerbrille posierender Duff McKagan als erster die Bühne betritt, gefolgt von Slash und Richard Fortus. Im erhöhten, hinteren Bühnenbereich schreiten Dizzy Reed, Frank Ferrer und Alleskönnerin Melissa Reese zu ihren Plätzen. Dann geht es schnell, Axl steht unvermittelt im Zentrum des Geschehens und wieder eröffnen GUNS´N´ROSES das Set mit „It´s So Easy“ und „Mr. Brownstone“. Sicherlich sind das Tracks, die Rose nicht unbedingt die höchsten Noten abverlangen. Dennoch bleibt der Mann deutlich unter seinen, früheren Möglichkeiten und startet mit einer Art tiefergelegtem Singsang. Da sickert dem einen oder anderen eine erste Mitleidsträne aus dem Auge.
Der Plan geht niemals auf… Oder doch?
„Chinese Democracy“ vom gleichnamigen Album ist auch ein undankbarer Song, aber auf einer ganz anderen Ebene. Immerhin wünscht man sich die guten, alten Zeiten herbei und hofft auf das Abhaken eines jeden einzelnen Stückes von „Appetite For Destruction“ plus die altbewährten „Use Your Illusion“-Highlights. Zumindest kann man das an den fragenden Blicken vieler Umstehender Altsemester erkennen. Mit dem Auftakt zu „Welcome To The Jungle“ scheint der Bann aber endgültig gebrochen zu sein. Auf einmal legt Axl Rose los, während Slash Gitarre deutlich in den Vordergrund gemischt wird und Richard Fortus Virtuosität stets durch heruntergefahrene Lautstärke im Hintergrund verschwindet. Das ist wirklich frech und auch ein bisschen unfair. Die musikalischen Highlights an diesem Abend sind „Estranged“, „Civil War“, „Sweet Child O´Mine“, „Nightrain“ und tatsächlich Axl Roses Signatur „November Rain“.
Immer wieder vergeht sich die Band an Interludes, die mal ganz okay und dann wieder wenig inspiriert daherkommen („Blackbird“ als Auftakt zu „Patience“ oder „I Wanna Be Your Dog“ mit Duff am Mikro). Richtig cool ist das aber nie, denn immerhin ist schnell klar, dass Axl Rose diese kurzen Unterbrechungen dafür nutzt, hinter der Bühne durchzuschnaufen und in ein neues T-Shirt gekleidet zurückzukehren. Das kann man dezenter und – ja – besser machen. Auch „Paradise City“ zum Abschluss ist keineswegs exzessiv oder mitreißend. Das Stück plätschert ein bisschen dahin. Ganz schlimm ist „Knocking On Heavens Door“, das genau genommen nur einmal funktioniert hat. Und das beim unsterblichen FREDDY-MERCURY-Gedenkkonzert am 20.04.1992 im Londoner Wembley-Stadion, als der denkwürdige Videomitschnitt entstanden ist.
Den vielen glücklichen Menschen ist das alles ganz offensichtlich egal. Die einen können ihre Rührung kaum verbergen, die Idole aus der eigenen Jugend noch einmal gesehen zu haben. Die anderen sind froh, endlich einmal diesen Axl Rose live und in Farbe erleben zu können. Dabei ist es aber genau der Sänger, der am heutigen Abend am ehesten austauschbar gewesen wäre, während die eigentlichen Akteure zu sehr im Hintergrund bleiben. Und so geht ein warmer Sommerabend im Rausch der Gefühle vorbei und man möchte glücklich sein. Man möchte gut unterhalten worden sein. Doch irgendwie ist man ein wenig enttäuscht.
Setlist:
01. It´s So Easy
02. Mr. Brownstone
03. Chinese Democracy
04. Welcome To the Jungle
05. Double Talkin´ Jive
06. Live And Let Die
07. Slither (Velvet Underground-Cover)
08. Estanged
09. Better
10. Rocket Queen
11. You Could Be Mine
12. I Wanna Be Your Dog (The Stooges-Cover)
13. Absurd
14. Hard Skool
15. Civil War
16. Sweet Child O´Mine
17. November Rain
18. Wichita Lineman (Jimmy Webb-Cover)
19. Knockin´ On Heaven´s Door (Bob Dylan-Cover)
20. Nightrain
21. Patience
22. Don´t Cry
23. Paradise City
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