Grave Digger
Power Of Metal 2011 - live in Stuttgart
Konzertbericht
Der Werdegang von SABATON in den letzten Jahren ist absolut beeindruckend. So hat sich die Band gerade in Deutschland inzwischen eine treue und fanatische Fan-Basis erspielt, der es herzlich egal ist, dass andere Teile der Metal-Szene die Schweden als keyboardlastigen Kitsch verteufeln. Dennoch sind SABATON die Power-Metal-Band der Stunde und haben die in letzter Zeit arg schwächelnden MANOWAR in Sachen „Trueness“ mühelos rechts überholt. Wenn man mit dem Pathos in den teilweise regelrecht martialischen Kriegs-Texten kein Problem hat, muss man diese Band eigentlich mögen, sobald man sie das erste Mal live erlebt hat.
Aushängeschild ist natürlich Frontmann Joakim Brodén, der Irokesenschnitt, Porno-Sonnenbrille und Stahlplattenweste stets mit einem so sympathischen Grinsen im Gesicht zur Schau trägt, dass man gar nicht anders kann, als ihn auf Anhieb zu mögen. Dabei übersieht man leicht, wie unglaublich gut die instrumentale Hintermannschaft aufeinander eingespielt ist und dadurch eine so arschtighte Show überhaupt erst ermöglicht. Dass SABATON sich die letzten Jahre über den Arsch abgetourt und nicht nur in Deutschland praktisch jede Bühne des Landes kennengelernt haben, zahlt sich merklich aus. Und da sich diese Live-Qualitäten herumgesprochen haben, ist der Zuschauerzuspruch auch heute gigantisch und die Stimmung auf einem so konstant hohen Level, wie bei kaum einer anderen aktuellen Band.
Immerhin, über ein neues Intro könnten sich SABATON langsam einmal Gedanken machen. Denn dass hier EUROPEs „The Final Countdown“ stets fast in voller Länge gespielt werden muss, bevor dann mit dem instrumentalen „The March To War“ die Band auf die Bühne kommt, ist inzwischen ziemlich vorhersehbar, langweilig und nervtötend. Doch nach dem Opener „Ghost Division“ hat die Vorhersehbarkeit dann auch ein Ende. Denn sobald Joakim den Mund zur ersten Ansage öffnet, weiß man, dass hier nicht ein festes Standardprogramm abgespielt wird. Der Frontmann gibt sich spontan und reagiert sichtlich erfreut auf Geschenke der Fans, die ihren Weg auf die Bühne finden, so wie das einer „Uncle Ben’s“-Packung nachempfundene „Reis Of Evil“-Plakat oder die männliche Gummie-Puppe, die auf der Bühne begeistert die Runde machen darf.
Nachdem der erste Versuch, ein Ständchen für Keyboarder Daniel Mÿhr anzustimmen, der heute seinen Geburtstag feiern darf, in den unvermeidlichen „Noch ein Bier!“-Rufen untergegangen ist, schafft es Joakim Brodén einige Lieder später doch noch, „Happy Birthday“ anzustimmen. Die Freude auf dem Gesicht des Geburtstagskindes verwandelt sich aber in leichte Panik, als Joakim daraufhin ein Keyboard-Solo ankündigt und mit den übrigen Bandkollegen die Bühne verlässt. Das, was sich Daniel daraufhin jedoch spontan aus dem Ärmel schüttelt, kann sich durchaus hören lassen, trotzdem wirkt er irgendwie froh, als seine Mitmusiker wieder zurückkehren und sich die allgemeine Aufmerksamkeit nicht mehr nur auf ihn richtet.
Für einen anderen wird dieser Konzertabend in jedem Fall unvergesslich bleiben. Der junge Mann, dessen Name im allgemeinen Gegröhle der Fans etwas untergeht, wird von Sänger Joakim auf die Bühne geholt, als dieser entdeckt, dass er dieselbe Panzerplatten-Weste trägt und zum Trikot-Tausch aufgefordert. Für seine recht neu aussehende Weste bekommt der Fan das reichlich abgenutzte Exemplar, mit dem Joakim unlängst im Vorprogramm von ACCEPT durch Amerika tourte. Und damit der alt-gegen-neu-Tausch nicht ganz so unfair ist, gibt’s noch Joakims Sonnenbrille dazu. Nach einem Bierchen mit Joakim geht’s dann wieder zurück ins Publikum und SABATON machen weiter im Programm.
Die überwältigende Begeisterung der Fans können die Jungs offensichtlich immernoch nicht so recht fassen, immer wieder blickt man in tief beeindruckte und zutiefst dankbare Gesichter, die bereit sind, sich für das entgegengebrachte Vertrauen zu revanchieren und sich auf der Bühne ordentlich den Arsch abzuspielen – ein Konzept, das aufgeht. Hoffentlich kann sich die Band diese fannahe Natürlichkeit noch möglichst lange bewahren und verliert bei allen Erfolgen nicht irgendwann die Bodenhaftung. Denn ob die Songs einen ebenso großartigen Eindruck hinterlassen würden, wenn sie nicht mit einem derartig großen Enthusiasmus dargeboten würden, ist fraglich. Nicht, dass die Stücke schlecht wären, aber die eingängigen Melodien und die pathetische Atmosphäre der Songs bewegt sich über weite Strecken in den immer gleichen Bahnen und zeigen oft nahezu identische Strukturen.
Echte stilistische Abweichungen gibt es nur selten, wie beim melancholisch-getragenen „The Final Solution“, das durch seine Holocaust-Thematik in der Szene teils kritisch aufgenommen wurde. Wie dabei mancher ernsthaft den Standpunkt vertreten kann, dass man sich in Liedtexten nur dann mit dieser vielleicht menschenverachtendsten Untat der Menschheitsgeschichte auseinandersetzen darf, wenn die Musik dazu auch hinreichend aggressiv ist (im Grunde also wenn man SLAYER ist), kann ich nicht nachvollziehen. Allerdings ist es schon ein seltsames Gefühl, wenn die ganze Halle mit einem gewissen Enthusiasmus „Enter The Gates, Auschwitz awaits“ singt. Kein Wunder also, dass Joakims omnipräsentes Grinsen nach diesem Lied zunächst etwas schief wirkt. Trotzdem behandelt SABATONs Holocaust-Song das Thema absolut angemessen und es spricht für die Band, dass sie ihn auch live zur Diskussion stellen und einer möglichen Kontroverse darüber nicht weiträumig aus dem Weg gehen.
Tatsächlich beschäftigen sich alle Texte der Schweden ziemlich ernsthaft mit den unzähligen kriegerischen Kapiteln in der Geschichte der Menschheit, was angesichts der launigen Art der Präsentation leicht vergessen werden kann. Ähnlich wie eine Guido-Knopp-Dokumentation wollen SABATON aber – insbesondere in der Livesituation – in erster Linie unterhalten, der etwaige Bildungsaspekt spielt eine deutlich untergeordnete Rolle. So braucht man also auch kein schlechtes Gewissen haben, wenn man großartige Stücke wie „Cliffs Of Gallipoli“ oder „Screaming Eagles“ einfach nur begeistert abfeiert, ohne sich allzu tiefsinnige Gedanken darüber zu machen.
Inzwischen nähert sich die Show, deren Setlist mit „Swedish Pagans“ und „Purple Heart“ auch einige Stücke beinhaltet, mit denen man nicht unbedingt gerechnet hatte, ihrem Ende. Im Zugabenblock wird mit „Primo Victoria“ einer der ganz großen SABATON-Hits dargeboten, während als Rausschmeißer das launige „Metal Ripper“ in die Menge gefeuert wird. Diese mobilisiert noch einmal alle Kraftreserven und verabschiedet SABATON genauso enthusiastisch, wie sie sie begrüßt haben. Eigentlich muss man bei solch treuen Fans als Band selbst gar nicht mehr viel tun. Dass SABATON sich heute trotzdem amtlich ins Zeug gelegt und einen wie immer höchst unterhaltsamen Auftritt hingelegt haben, spricht wohl für sich.
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