Roadburn Festival 2019
Frostige Nächte, brodelnde Tage

Konzertbericht

Billing: Crippled Black Phoenix, Emma Ruth Rundle, Heilung, Mono, Jo Quail, Twin Temple, Molasses, Throane, Triptykon, Anna von Hausswolff, Thou, At The Gates, Sleep, Messa, Wolvennest, Cave In, GlerAkur, Daughters, Bossk und Coilguns
Konzert vom 11.04.2019 | 013, Tilburg

Samstag, 13. April 2019

Dritter Tag Roadburn – und so langsam, aber sicher setzt der mentale Festival-Kater ein. Denn auch wenn die Kälte in der Nacht diesmal nicht mit voller Härte zugeschlagen hat, so fällt den Kollegen das morgendliche Prozedere mit zwei randvollen Tagen in den Knochen dann doch etwas schwerer. Aber nun ja, was muss, das muss ja bekanntlich. Also rein in die klammen Klamotten, runter mit dem bitteren Krümelkaffee und hurtig auf in Richtung Innenstadt! Wie die vergangenen Jahre mitunter gezeigt hatten, wird Trägheit ja gern einmal bestraft.

Das muss Kollege Klug – der er doch immer zur Eile raten muss – dann auch schmerzlich am eigenen Leibe feststellen. Andererseits: Wer am heutigen Record Store Day erst nach 15 Uhr an die Tür des Tilburger Plattendealers hämmert, darf sich auch nicht wundern, wenn er keine streng limitierten SIGUR RÓS-Platten mehr abgreifen kann. Also zurück zum 013. Denn die Running Order läuft auch ohne uns, lautet ein altes Redakteurs-Sprichwort.

Wolvennest

Wolvennest

Psych-Kraut für die Massen

Den Tagesauftakt geben WOLVENNEST, die das Programm auf der Hauptbühne der 013 eröffnen. Vor zwei Jahren überraschte das belgische Kollektiv mit seinem selbstbetitelten Debüt, und schon damals ließ sich erahnen, dass die brodelnde Mixtur aus Krautrock, Psychedelic und Black Metal wohl kaum irgendwo so gut funktionieren kann wie in Tilburg. Richtige Ván-Records-Musik eben, davon zeugt auch die frühe Anwesenheit und Einsatzbereitschaft Kollege Lattemanns. Auf den Treppenstufen des Vertrauens geben sich die Kollegen gemeinsam den überlangen, wabernden Soundkulissen des 2018er-Albums „Void“ hin, die hier mit zahlreichen Gastauftritten zelebriert werden. Star des heutigen Auftritts ist allerdings nicht etwa RUINS OF BEVERAST-Chef Alexander von Meilenwald, sondern vielmehr ein in Nebel getränkter Totenkopf, der ein brillant eingesetztes Theremin versteckt. Viel Rauch um nichts? Sicher nicht bei WOLVENNEST.

Wolvennest

Wolvennest

Nach einer feurig-scharfen Mahlzeit aus der zum Stammlokal gewordenen Asia-Brutzel-Bude verirren sich die Kollegen dann zu allem Überfluss auch noch in eine original holländische Frituur. Lokalitäten, in denen man nicht in Form von Token bezahlen muss, ziehen Klug und Kostudis einfach magisch an. Als Petrus dann auch noch Hagelkörner vom Dach sendet, entscheiden sich die beiden gleich ein weiteres Mal für einen Sitzplatz – und für eine Extraportion Mayo.

Zweite Chance für Aaron Turner

Nach den orgiastisch ausgearteten Stärkungsmaßnahmen geht es für die Kollegen wieder vor die Hauptbühne. Dort sind als nächster Programmpunkt SUMAC aufgerufen. Bereits vor zwei Jahren hatten die Mannen um Aaron Turner (Ex-ISIS) die Kollegen ins seinerzeit proppevolle Patronaat gelockt – dort aber mit einer durchwachsenen Performance eher für Ernüchterung gesorgt. Nun also darf sich die US-amerikanisch-kanadische Formation auf der wesentlich größeren Bühne der 013 beweisen. Und die gläubigen Post-Metal-Brüder geben Lord Turner & Co. natürlich noch eine Chance.

Sumac

Sumac

Diese kann sie zwar besser, aber erneut nicht hundertprozentig nutzen. Klar: Massig und mächtig ist das Ganze schon – in Sachen Durchschlagskraft spielt das Trio also definitiv vorne mit. Und auch der Sound ist auf der Main Stage um Welten besser als noch beim Erstkontakt vor zwei Jahren. Hinter all dem Gewuchte fehlt dem post-metallischen Gebräu aber, so zumindest die Ansicht von Kostudis, ein roter Faden (beispielsweise in Form einer Melodie), an welchen man sich klammern könnte. So aber plautzt und wummert es vor sich hin, und das war es dann eben auch. Nun ja, voll ist es in der Hauptvenue natürlich dennoch, und wenn der Kollege die allgemeine Stimmung richtig interpretiert, ist so ziemlich jeder zufrieden – auch sein eifriger Begleiter. Nun denn, dann ist ja alles gut.

Sumac

Sumac

Ruhe in Frieden, Caleb Scofield.

Die anschließende Show der US-Amerikaner CAVE IN steht – natürlich – unter dem Eindruck des plötzlichen Unfalltodes Caleb Scofields im März vergangenen Jahres. Schon unmittelbar danach organisierten die verbleibenden Bandmitglieder eine Crowdfunding-Initiative für die Familie des Bassers, und auch die Roadburn-Community gedachte dem verstorbenen Musiker im vergangenen Jahr: Gitarrist Adam McGrath spielte zusammen mit Stephen Brodsky (OLD MAN GLOOM) ein besonderes Akustik-Cover-Set im Patronaat, um ihrem gemeinsamen Freund und Kollegen zu gedenken.

Allerdings: Wer nun einen Auftritt voller Wehmut und Nachdenklichkeit erwartet hatte, lag falsch. Denn die US-Amerikaner legen vom Start weg eine energiegeladene, flotte Performance auf die Bretter, welche die meisten Besucher in der erneut prall gefüllten 013 sofort mitreißt. Wie immer spielt Kollege Kostudis aber ein wenig den Spaßverderber: Ihm sind die Alternative-Metal-Songs mit Stoner-Einschlag zu unspektakulär, weswegen er sich folgerichtig in Richtung Ausgang schleicht. Von dort sieht er allerdings noch, wie Publikum und Band gemeinsam eine amtliche Party feiern. Scofield, der zweifelsfrei von irgendwo zugeschaut haben dürfte, wird ohne Zweifel seine helle Freude daran gehabt haben.

Cave In

Cave In

Post-Metal der unaufgeregteren Sorte

Im Anschluss schlendern die Kollegen zur Koepelhal, wo die Isländer GLERAKUR gerade auf die Zielgerade ihres Sets einbiegen – das allerdings eher entspannt. Denn Bandchef Elvar Geir Sævarsson und seine Mitstreiter bieten eine hörbar zurückhaltendere Interpretation der postmetallischen Spielweise. Wer also fiese Gitarren-Eruptionen und wildes Geschrei sucht, ist hier an der falschen Adresse. Tatsächlich klaffen in den Publikumsreihen auch riesige Lücken, die Koepelhal ist nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Mit ihrem unaufgeregten Set sorgen die Isländer dennoch für eine willkommene Atempause, wenngleich das Rad hier gerade wirklich nicht neu erfunden wird. Aber das muss es ja auch nicht.

GlerAkur

GlerAkur

Wieder im Freien registrieren die Kollegen: Nicht nur die Koepelhal, sondern auch die Straßen in der Innenstadt sind verdächtig leer. In der Hauptvenue angekommen dann das nächste Indiz: Irgendwie liegt mehr Kräuterzigarettendunst in der Luft als sonst. Je näher es anschließend vor die Main Stage geht, desto dichter werden die Schwaden. Durch diese hindurchgekämpft offenbart sich: Die Halle platzt aus allen Nähten. Warum? Weil SLEEP wieder zurück sind. Natürlich.

Dopesmokers und Scientists aufgepasst

Sieben Jahre sind vergangen, seit die Götter zuletzt Wüsten und Meere teilten, um sich den Weg nach Tilburg zu ebnen. Als vor ziemlich genau einem Jahr das Gerücht eines neuen, unangekündigt SLEEP-Albums die Runde machte, war die Aufregung rund ums Roadburn-Gelände groß: Könnten Al Cisneros, Matt Pike und Jason Roeder womöglich einen geheimen Gig an der nächsten Straßenecke geplant haben? Nein, haben sie nicht. Zum Glück, wie wir ein Jahr später wissen.

Sleep

Sleep

Denn volle 240 Minuten SLEEP sind für die beiden finalen Roadburn-Tage 2019 angesetzt – das kratzt schon hart an der Grenze der Gesamtspielzeit des Backkatalogs. Somit bleibt es heute auch nicht alleine beim angekündigten „Holy Mountain“-Set: Unter ausufernden Euphoriebekundungen stimmt Matt Pike nach mehrminütiger Rückkopplung schließlich das „Dopesmoker“-Riff an. Reaktion Kostudis: „Fünf Minuten lang dasselbe Riff?!” Reaktion Klug: „Fünf Minuten lang dasselbe Riff! ❤“ Gleich fünfmal so lange dauert die wie gewohnt stark gekürzte Darbietung des unantastbaren Stoner-Doom-Monuments. Und der Rest ist Geschichte. Für Kostudis ist jede Minute zu viel, alle anderen Kollegen fiebern schwitzig dem morgigen „The Sciences“-Set entgegen.

Sleep

Sleep

Was ist denn hier los?

Der letzte Programmpunkt auf der Hauptbühne soll laut Kurator Tomas Lindberg nun das „vielleicht bestgehütete Geheimnis Schwedens“ sein. Das mag sogar stimmen, denn als URAN GBG auf der Main Stage zu später Stunde loslegen, steht den meisten Zuschauern die Überraschung ins Gesicht geschrieben. Geboten wird nämlich weder Metal, Sludge oder Rock – sondern wilder Seventies-Krautrock mitsamt optischem Moog-Synthesizer-Geprotze. Phasenweise bis zu 16 Musiker auf der Bühne, allesamt in schräge Space-Outfits gepackt, neon-leuchtende Gitarren und unglaublich viel Geflirre dazwischen – damit hatte wirklich keiner gerechnet.

Uran GBG

Uran GBG

Musikalisch kommt die Sache aber als derart ermüdender Klon der vertrauten westdeutschen Elektro-/Krautschule daher, dass die Band in Augen von Kollege Klug auch gerne weiter ein Geheimnis hätte bleiben dürfen. Oder wie Kollege Lattemann sagt: „URAN GBG – die KNORKATOR des Krautrock.“ Hätte das geniale Backdrop (siehe unten) nicht für einen kurzen Moment wahren künstlerischen Anspruch vermuten lassen, Kollege Klug wäre wohl viel schneller in den Green Room zu JAYE JAYLE geeilt.

Fluffiger Ausklang

Und hier wartet dann auch endlich wieder eine positive Überraschung. JAYE JAYLE sind keineswegs zufällig hier: Der Vierer aus Kentucky wird seit einiger Zeit erfolgreich von EMMA RUTH RUNDLE als Support und teils auch Backing-Band mit um die Welt geschleppt. Auf Rundles Solotour im vergangenen Jahr konnte sich Kollege Klug vom expressionistischen, teils stark perkussiven Songwriter-Synth-Post-Americana-Mix noch nicht so recht einlullen lassen. Heute, mit dieser ach so typischen Restmüdigkeit des dritten Festivaltages in den Knochen, sieht das schon ganz anders aus. Die Band reizt die Dynamikfelder in feinster BAD SEEDS-Manier aus, Rundles Lebensgefährte Evan Patterson gibt dazu den NICK CAVE höchstpersönlich. Fragile Vokalmomente münden in harsche Noise-Ausbrüche – und der Lärm von der Hauptvenue ist fast vergessen.

Jaye Jayle

Jaye Jayle

Drüben trennt sich das Publikum bereits in zwei Lager: Die einen feiern munter weiter und tanzen ausgelassen vor der Hauptbühne, die anderen sehen URAN GBG eher als Rausschmeißer und begeben sich auf den Heimweg. Die Kollegen – zufriedengestellt durch den Kurzbesuch bei JAYE JAYLE – schließen sich letztlich dem zweiten Lager an. Es ist ja schon spät, ne!

Jaye Jayle

Jaye Jayle

Bericht und Fotos von Anton Kostudis, Alex Klug und Sven Lattemann.

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16.04.2019

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